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AKTION/900: Urgent Action - Ukraine - Asylsuchende verhaftet und misshandelt


ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-029/2012, AI-Index: EUR 50/001/2012, Datum: 31. Januar 2012 - gs

Ukraine
Asylsuchende verhaftet und misshandelt


ASYLSUCHENDE AUS SOMALIA UND ERITREA

Aus Protest gegen ihre rechtswidrige Inhaftierung in einem Zentrum für MigrantInnen im Westen der Ukraine sind Asylsuchende aus Somalia und Eritrea in den Hungerstreik getreten. Daraufhin wurden sie ebenso wie Häftlinge aus anderen Ländern, die sich mit den Asylsuchenden solidarisch erklärt hatten, bedroht und geschlagen. Es besteht die Gefahr weiterer Misshandlungen.

Am 30. Januar rief das Personal des Zentrums für MigrantInnen in Zhuravichi in der Westukraine Sicherheitskräfte herbei, um Proteste dort inhaftierter Asylsuchender einzudämmen. Die AsylbewerberInnen waren in den Hungerstreik getreten, um auf diese Weise gegen ihre seit dem 6. Januar anhaltende rechtswidrige Inhaftierung zu protestieren. Die herbeigerufenen Sicherheitskräfte trugen Kampfanzüge und waren mit Schlagstöcken bewaffnet. Sie zwangen einige der Hungerstreikenden, Nahrung zu sich zu nehmen, durchsuchten die Zimmer der Häftlinge und beschlagnahmten persönliche Gegenstände. Vor dem Eintreffen der Sicherheitskräfte hatten InsassInnen des Zentrums für MigrantInnen berichtet, sie seien von den dortigen MitarbeiterInnen geschlagen und misshandelt worden. Einige von ihnen seien für mehrere Tage in einen Isolationstrakt verlegt worden, in dem keine Betten zur Verfügung standen. Darüber hinaus, so die Asylsuchenden, seien sie telefonisch und in anonymen E-Mails mit dem Tod bedroht und in rassistischer Weise beschimpft worden. In die Drohungen seien Informationen wie etwa Angaben zum Geburtstag und zum Tag der Freilassung der Asylsuchenden eingeflossen, was vermuten lässt, dass die für die Drohungen Verantwortlichen Zugang zu amtlichen Unterlagen hatten. Einige Häftlinge, deren Gesundheit angegriffen ist, sind nicht angemessen medizinisch betreut worden. In dem Zentrum für MigrantInnen in Zhuravichi leben rund 60 somalische und sechs eritreische StaatsbürgerInnen, unter ihnen etwa 20 zum Teil unbegleitete Minderjährige. Die SomalierInnen waren am 23. Dezember oder an den Tagen um dieses Datum herum in verschiedenen Landesteilen der Ukraine verhaftet worden, die Festnahme der EritreerInnen hatte im November 2011 stattgefunden. Sie alle waren "mit dem Ziel der Abschiebung" zu bis zu einem Jahr Haft verurteilt worden. In der Vergangenheit, dies belegen alle verfügbaren Unterlagen, hat es keinerlei Abschiebungen von somalischen oder eritreischen StaatsbürgerInnen aus der Ukraine gegeben. Aus Somalia oder Eritrea stammende Menschen sind stets wieder aus der Haft entlassen worden, mussten allerdings mit erneuter Festnahme rechnen. Da ihnen keine Abschiebung droht, entfällt auch jede rechtliche Grundlage, diese Menschen in Haft zu nehmen. Ihre Inhaftierung ist somit willkürlich und ungesetzlich.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Ausländische StaatsbürgerInnen werden von Verwaltungsgerichten in der Ukraine zu bis einjährigen Freiheitsstrafen verurteilt, die sie in einem der beiden im Land existierenden Auffangeinrichtungen für MigrantInnen abzuleisten haben. Eine der Einrichtungen befindet sich nahe der russischen Grenze in Rozsudov in der Region Chernigiv, die andere in Zhuravichi in der Region Volyn im Westen der Ukraine. Die Migranteneinrichtungen dienen laut einer Weisung des Innenministeriums der zeitlich befristeten Inhaftierung ausländischer StaatsbürgerInnen und staatenloser Personen, die sich unbefugt in der Ukraine aufhalten und ausgewiesen werden sollen. In der Praxis werden MigrantInnen rund ein Jahr in den Einrichtungen festgehalten und anschließend in ihr Herkunftsland zurückgeführt oder frei gelassen. Somalische Staatsangehörige werden häufig nach Ablauf ihrer Haftstrafe zunächst freigelassen, anschließend aber wegen ihres nach wie vor ungeklärten Aufenthaltsstatus erneut festgenommen. Die Ukraine ist Vertragsstaat der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, des UN-Übereinkommens gegen Folter und der Europäischen Menschenrechtskonvention. Somit darf die Regierung keine Person in ein Land zurückführen, in denen dieser Person Folter oder anderweitige schweren Menschenrechtsverletzungen drohen.


EMPFOHLENE AKTIONEN

SCHREIBEN SIE BITTE FAXE ODER LUFTPOSTBRIEFE MIT FOLGENDEN FORDERUNGEN

- Ich appelliere an Sie sicherzustellen, dass die in dem Zentrum für Migranten inhaftierten Personen weder gefoltert noch in anderer Weise misshandelt werden. Ich darf Sie an Ihre Pflicht als Vertragsstaat der UN-Konvention gegen Folter und der Europäischen Menschenrechtskonvention erinnern, dafür Sorge zu tragen, dass Folterungen und Misshandlungen unterbleiben.

- Ich bitte um die unverzügliche Untersuchung von Vorwürfen, denen zufolge Häftlinge geschlagen, bedroht und in anderer Weise misshandelt worden sind.

- Ich erwarte, dass die inhaftierten Asylsuchenden aus Somalia und Eritrea unverzüglich frei gelassen werden. Als Vertragsstaat der UN-Flüchtlingskonvention darf die Ukraine Menschen nicht in ein Land zurückführen, in denen sie von schweren Menschenrechtsverletzungen bedroht sind.

- Ich bitte Sie, dafür Sorge zu tragen, dass keine weiteren somalischen und eritreischen StaatsbürgerInnen, deren Rückführung in ihr Heimatland ausgeschlossen ist, in Haft genommen werden.


APPELLE AN

INNENMINISTER
Vitaly Zakharchenko
Vul. Akademika Bogomoltsa 10
01024 Kyiv, UKRAINE
(korrekte Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Minister)
Fax: (00380) 44 256 1633
E-Mail: mvsinfo@mvsinfo.gov.ua

GENERALSTAATSANWALT
Viktor Pshonka
Riznitska Street 13/15
01601 Kyiv, UKRAINE
(korrekte Anrede: Dear General Prosecutor / Sehr geehrter Herr Generalstaatsanwalt)
Fax: (00 380) 44 280 2851


KOPIEN AN

JUSTIZMINISTER
Oleksandr Lavrinovich
Gorodetskog Street 13
01001 Kyiv, UKRAINE
(korrekte Anrede: Dear Minister / Sehr geehrter Herr Justizminister)
Fax: (00380) 44 271 1783
E-Mail: themis@minjust.gov.ua

BOTSCHAFT DER UKRAINE
I.E. Frau Natalia Zarudna
Albrechtstraße 26
10117 Berlin
Fax: 030-2888 7163
E-Mail: ukremb@t-online.de


Bitte schreiben Sie Ihre Appelle möglichst sofort. Schreiben Sie in gutem Russisch, Ukrainisch, Englisch oder auf Deutsch. Da Informationen in Urgent Actions schnell an Aktualität verlieren können, bitten wir Sie, nach dem 13. März 2012 keine Appelle mehr zu verschicken.


PLEASE WRITE IMMEDIATELY

- Urging the authorities to ensure that detainees at the Migrant Accommodation are not subjected to torture and other ill-treatment, reminding them that as a state party to the UN Convention against Torture and the European Convention on Human Rights they have an obligation to ensure that no one is subjected to torture or ill-treatment.

- Calling for an immediate investigation into allegations that detainees are being beaten, threatened and ill-treated.

- Urging the authorities to immediately release Somali and Eritrean asylum seekers, reminding them that as a state party to the UN Refugee Convention, Ukraine cannot return anybody to a country where they would be at risk of grave human rights violations.

- Urging the authorities to stop detaining Somali and Eritrean nationals when there is no prospect of deportation.


HINTERGRUNDINFORMATIONEN - FORTSETZUNG

Eritrea

Gegen ihren Willen nach Eritrea zurückgeführte Personen erleiden dort durchgängig Menschenrechtsverletzungen. Unter anderem werden sie ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft gehalten, gefoltert oder anderweitig misshandelt. Aus der Vergangenheit ist bekannt, dass abgelehnte und nach Eritrea ausgewiesene AsylbewerberInnen dort unmittelbar nach ihrer Ankunft zu den Gründen für ihre Asylantragstellung befragt und anschließend willkürlich in Haft genommen worden sind. Nach Aussagen von aus der Haft geflüchteten AsylbewerberInnen wollen die eritreischen Sicherheitsbeamten vor allem wissen, welche Angaben sie in ihren Asylverfahren zu Eritrea gemacht haben. Zurückgeführte Asylsuchende sind unter Folter oder der Androhung von Folter gezwungen worden, sich des Landesverrats schuldig zu bekennen, weil sie fälschlicherweise behauptet hätten, in Eritrea Verfolgung zu erleiden. Die eritreischen Behörden betrachten die Asylantragstellung in einem ausländischen Staat als einen Akt des Landesverrats. In Eritrea inhaftierte Menschen erhalten kein sauberes Trinkwasser und oft auch nur unzureichende Nahrung. Die Zahl kranker Gefangener ist hoch, zugleich mangelt es fast durchgängig an medizinischer Versorgung. Häufig werden Gefangene über Stunden hinweg der prallen Sonne ausgesetzt oder in metallene Schiffscontainer gepfercht, in denen sich die Hitze staut. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge hat 2009 Richtlinien aus dem Jahr 2004 bekräftigt, in denen angesichts der sich dramatisch verschlechternden Menschenrechtssituation in Eritrea eine "umsichtige Prüfung" aller von eritreischen StaatsbürgerInnen gestellten Asylanträge angemahnt wurde. Das Flüchtlingskommissariat empfahl vor dem Hintergrund der Lage in Eritrea, abgelehnte Asylsuchende nicht dorthin zurückzuschicken.


Somalia

Flüchtlinge aus Somalia müssen bei ihrer Rückführung in die somalische Hauptstadt Mogadischu wegen der dort herrschenden Gewalt Misshandlungen befürchten. Eine solche Gefahr besteht auch in anderen Landesteilen, selbst in den Lagern für binnenvertriebene Menschen. Wer in Gebiete zurückgeführt wird, in denen die bewaffnete islamische Gruppe al-Shabab Kontrolle ausübt, läuft ernsthaft Gefahr, schwere Menschenrechtsverletzungen zu erleiden.

Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge hat betont, dass zahlreiche Asylsuchende aus Somalia des internationalen Schutzes bedürfen. Das Kommissariat hat sich gegen die Rückführung somalischer StaatsbürgerInnen in den Süden des Landes und die mittleren Regionen ausgesprochen. Der Europäsche Gerichtshof für Menschenrechte hat im Verfahren Sufi und Elmi gegen Großbritannien ein wegweisendes Urteil gefällt und entschieden, dass Rückführungen in den Süden und die mittleren Landesteile Somalias nur bei Vorliegen außerordentlicher Umstände zulässig sind. Die Vereinten Nationen haben im Juli und August 2011 erklärt, dass in Süd- und Zentralsomalia Hungersnot herrscht, und im Januar 2012 hat die Organisation eine Zahl von geschätzten 250 000 SomalierInnen genannt, die vom Hungertod bedroht seien.


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Quelle:
ai - URGENT ACTION
UA-Nr: UA-029/2012, AI-Index: EUR 50/001/2012, Datum: 31. Januar 2012 - gs
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Februar 2012