Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL

ASIEN/196: Bangladesch - Im Kreuzfeuer der Extremisten


amnesty journal 1/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte


Im Kreuzfeuer der Extremisten

In einem Klima wachsender Gewalt gegen Minderheiten und Oppositionelle finden in Bangladesch Wahlen statt. Wer der Regierung nahe steht, muss kaum mit Strafverfolgung rechnen.

Von Bernhard Hertlein

Mahfuz Anam, angesehener Chefredakteur des "Daily Star", der größten englischsprachigen Tageszeitung in Bangladesch, sagt, woran die Demokratie in seinem Land krankt: "Unsere Parteien sind schlechte Botschafter der Demokratie, weil sie selbst undemokratisch organisiert sind." Kleine Cliquen um die jeweiligen Parteivorsitzenden bestimmen die gesamte Politik - und wie viel Geld in welche privaten Kassen fließen darf. Dies geschieht in einer so offensichtlichen Form, dass die Bevölkerung seit der durch einen Volksaufstand erkämpften Wiedereinführung der Demokratie 1991 praktisch in jeder Wahl die bisherige Regierung in die Opposition geschickt hat.

Die Erwartung, dass sich dies auch bei der nächsten Parlamentswahl am 23. Januar wiederholen wird, ist bei vielen Beobachtern groß. Um einen fairen Urnengang sicherzustellen, hat sich das Land einem komplizierten, in der Welt einmaligen Netz von Bestimmungen unterworfen. So ist die Regierung gehalten, schon drei Monate vor dem Wahltermin zurückzutreten. Danach soll eine neutrale Übergangsregierung faire Wahlen sicherstellen.

So lautet zumindest die Theorie. In der Praxis hat die bisherige Regierungschefin und Vorsitzende der Bangladesh Nationalist Party (BNP), Begum Khaleda Zia, nichts unversucht gelassen, die Wahlen im Vorfeld zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Sie platzierte an den Spitzen der Übergangsregierung und der einflussreichen Wahlkommission ihr ergebene Parteileute. Das Ergebnis war unter anderem ein neues Wahlverzeichnis, in dem mindestens zehn Millionen Wähler zuviel gelistet sind. Teils finden sie sich doppelt, teils tauchen Namen längst Verstorbener auf Damit nicht genug: Das Ansinnen der EU, transparente Wahlboxen zur Verfügung zu stellen, um zu verhindern, dass sie vorab mit Stimmzetteln gefüllt werden, wurde aus offensichtlichen Gründen abgelehnt.

Inzwischen haben von der oppositionellen Awami League (AL) organisierte Demonstrationen eine Umbesetzung der beiden wichtigen Ämter erzwungen. Präsident Iajuddin Ahmed übernahm selbst den Vorsitz der Übergangsregierung. Mit Sultana Kamal, der Geschäftsführerin von Ain-o-Salish Kendru, berief er sogar eine prominente Menschenrechtsverteidigerin ins Kabinett. Sie trat zurück als Iajuddin das Militär zur Sicherung der inneren Ordnung mobilisierte. Internationale Wahlbeobachter sollen dennoch faire Wahlen sicherstellen.

Indessen sorgt sich ai vor allem um die religiösen und ethnischen Minderheiten im Land, in dem der Anteil der muslimischen Bevölkerung in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter auf jetzt etwa 85 Prozent der 140 Millionen Einwohner gestiegen ist. im Jahr 2001 kam es nach der Wahl zu blutigen Ausschreitungen gegen Hindus, denen eine politische Nähe zur Awami League nachgesagt wird. Der Friedensprozess in den von einer bedrohten indigenen Bevölkerung bewohnten Chittagong Hill Tracts stockte während der gesamten Legislaturperiode.

In dieser Zeit kam es außerdem immer wieder zu Übergriffen gegen die muslimische Minderheit der Ahmadiyyas. Von Islamisten aufgehetzte Gruppen belagerten mit Duldung der Behörden die kleinen Moscheen und Gemeindezentren und forderten, dass die Ahmadiyyas für "unislamisch" erklärt und ihre Schriften verboten werden sollen. amnesty sieht die Gefahr, dass in einem zugespitzten Wahlkampf die Minderheiten erneut zu Angriffszielen werden könnten.

In einem Bericht an die Parteien kritisiert ai vor allem, dass Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen ungeahndet bleiben, wenn die Täter der jeweiligen Regierung nahe stehen. Dies führe zu einem Klima wachsender politischer Gewalt. Traurige Höhepunkte waren in der vergangenen Legislaturperiode die Anschläge auf vier Kinos in Mymensingh, die im Dezember 2002 mindestens 17 Todesopfer forderten. Im Jahr 2004 starben bei einer Bombenexplosionen im Hazrat-Shajahal- Schrein in Sylhet fünf Menschen. Im selben Jahr ereignete sich auch der Anschlag auf die Oppositionsführerin Scheich Hasina, bei dem zudem 22 Unbeteiligte getötet wurden. Im Jahr darauf wurde ein führender Politiker der Awami League, Shah Abu Mohammad Shamsul Kibria und vier weiterer Parteimitglieder ermordet. Und 2005 erfolgte eine landesweite Anschlagsserie, bei der an einem Tag 500 kleine Bomben gleichzeitig gezündet wurden.

Nach diesen Verbrechen hat ai stets eine gründliche und unparteiliche Untersuchung angemahnt. Mit Ausnahme der Verhaftung von sechs gewalttätigen Islamisten, die 2006 zum Tode verurteilt wurden, blieben die Nachforschungen jedoch aus. Auch die Ermittlungen gegen die militanten Islamisten Abdur Rahman, Siddiqui Islam Bangla Bhai sowie vier weitere Personen fanden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt - vermutlich, um den kleinen Regierungspartner, die islamistische Jamaat-e-Islami, zu schützen.

Eine Gruppe genießt sogar extreme Straffreiheit: Das Rapid Action Bataillon (RAB), von der Regierung geschaffen, um "die größten Kriminellen" endlich dingfest zu machen, ist für Hunderte außergerichtliche Hinrichtungen verantwortlich. Die schwarz gekleideten, martialisch auftretenden "RABS" sind gefürchtet. Nur wenige, die sie gefangen nahmen, sind mit dem Leben davongekommen. Meist werden die vermeintlichen Kriminellen streng verhört und gefoltert. Nach Angaben der Behörden führen sie anschließend ihre Peiniger bereitwillig zu den Waffenverstecken ihrer Bande, wo sie bereits von angeblichen Gesinnungsgenossen erwartet werden. Es kommt zum Feuergefecht ("Crossfire"), bei dem der Verhaftete fast immer stirbt. Hunderte von Verhaftungen enden auf diese Weise. Die Verantwortlichen machten sich nicht einmal die Mühe, die Geschichte zu variieren.

Der Autor ist Sprecher der Bangladesch-Kogruppe von ai.

Der Bericht "Bangladesh - Briefing to political parties for a human rights agenda" ist zu finden unter: http://web.amnesty.org/library


*


Quelle:
amnesty journal, Januar 2007, S. 28
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30
E-Mail: info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de

Das amnesty journal erscheint monatlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
Nichtmitglieder können das amnesty journal für
30 Euro pro Jahr abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Februar 2007