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ASIEN/197: Gespräch mit der Menschenrechtsverteidigerin Rebiya Kadeer


amnesty journal 1/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte


"Ich genieße die Freiheit"

Ein Gespräch mit der Menschenrechtsverteidigerin Rebiya Kadeer über ihre Hafterfahrungen und die Frage, welchen Einfluss ai auf die chinesische Regierung ausüben kann.

Interview: Tatjana Schütz

Frage: Als Sie aus der Haft entlassen wurden, ging es Ihnen körperlich schlecht. Hat sich Ihr Gesundheitszustand inzwischen gebessert?

Es geht mir gut. Nach meiner Entlassung musste ich etliche Untersuchungen über mich ergehen lassen. Viele der physischen Symptome sind inzwischen abgeklungen, nur ein chronischer Husten ist mir aus der Zeit im Gefängnis geblieben. Mein Gesundheitszustand hat sich nach meiner Entlassung schnell gebessert, weil ich wieder in Freiheit leben konnte. Freiheitsentzug macht Menschen wirklich krank.

Frage: Im Gefängnis durften Sie nicht sprechen.

Ich durfte auch nicht lesen oder fernsehen. Sie verboten mir sogar, andere anzusehen oder anzulächeln. Ich war in Einzelhaft, meine Zelle wurde mit Videokameras überwacht. Nach zwei Jahren verlegten sie mich in eine größere Zelle mit zwei anderen Frauen, die mich beobachten sollten. Sie schrieben alles auf, was ich tat. Trotzdem war die neue Zelle besser als vorher - immerhin konnte ich mich bewegen und mich auch mal außerhalb der Zelle aufhalten.

Frage: amnesty hatte mehrere Eilaktionen für Sie gestartet.

Davon wusste ich leider nichts. Aber ich habe die positiven Auswirkungen des Einsatzes der ai-Mitglieder aus der ganzen Welt gespürt: Ich wurde aus der schmutzigen, kleinen, dunklen Einzelzelle in eine größere, hellere, sauberere Zelle verlegt. Mir war klar, dass etwas geschehen sein musste, dass es internationalen Druck gab, der diese Veränderung meiner Situation bewirkt hatte. Dafür war ich unendlich dankbar und fing an zu hoffen, dass ich doch nicht im Gefängnis sterben, sondern eines Tages freikommen würde.

Frage: Vor Ihrer Verhaftung waren Sie eine erfolgreiche Geschäftsfrau und wurden von der Regierung gelobt. Wie erklären Sie sich Ihren Abstieg von der "Vorzeigebürgerin" zur "Staatsfeindin"?

Meine privilegierte gesellschaftliche Stellung konnte mir nicht die Dinge im Leben ersetzen, auf die es wirklich ankommt: Freiheit und Demokratie. Ich habe mir einfach nicht mehr den Mund verbieten lassen und die Wahrheit über die Unterdrückung meines Volkes gesagt. Ich wollte nicht als Feind der Volksrepublik verstanden werden, aber ich konnte das Bild, das die chinesische Regierung von mir gewann, nicht beeinflussen. So wurde ich, wer ich heute bin: eine Kämpferin für die Menschenrechte in China und gegen die Unterdrückung meines Volkes.

Frage: Was war der Auslöser für Ihr Umdenken?

Der Wendepunkt für mich war das Gulja Massaker 1997. Damals gingen besonders junge Uiguren auf die Straße und demonstrierten friedlich gegen die Unterdrückung durch die chinesische Regierung, die mit grausamer Härte gegen sie vorging: Sie ließ Tausende verhaften, Hunderte exekutieren. Ich wandte mich mit meinem Protest an hochrangige Regierungsbeamte, die meiner Kritik allerdings keine Beachtung schenkten.

Frage: Kürzlich wurde wieder eines Ihrer Kinder zu einer Haftstrafe verurteilt.

Meine Kinder sitzen unschuldig im Gefängnis und leiden darunter - genau wie andere Vertreter meines Volkes. Aber ich glaube daran, dass sie irgendwann entlassen werden. Ich arbeite sehr eng mit der US- amerikanischen Sektion von amnesty international und dem Hauptsitz in London zusammen. Wann immer ich Informationen über meine Kinder oder die Menschenrechtssituation im Allgemeinen bekomme, gebe ich sie an amnesty weiter.

Frage: Kann der wirtschaftliche Aufschwung Chinas positiven Einfluss auf die Menschenrechte haben?

Bisher sieht es nicht so aus. Die Regierung kontrolliert alles und setzt die Gewinne nicht zum Nutzen der unterdrückten Völker oder der hungernden Menschen ein. Mit der ökonomischen Liberalisierung hätte auch eine Demokratisierung stattfinden müssen. Doch die chinesische Regierung nutzt ihre ökonomische Macht, um ihre militärischen Ressourcen weiter auszubauen und verweigert gleichzeitig die Anerkennung der Menschenrechte, unterdrückt die Presse- und Meinungsfreiheit. Ich glaube, dass momentan die wirtschaftliche Macht es China eher erleichtert, die Menschenrechte und internationales Recht zu missachten.

Frage: Welches Potenzial hat die Zivilgesellschaft in China?

Sie hat in China nur sehr eingeschränkten Einfluss. Demokratisierung kann in China nur mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft erreicht werden. Denn, wann immer sich in China eine Gruppierung für die Menschenrechte und Demokratie einsetzt, wird sie sofort von der Regierung unterdrückt. Deswegen können diese Organisationen innerhalb Chinas nicht viel erreichen. Nur mit internationaler Hilfe, Unterstützung und Druck können in China demokratische Strukturen geschaffen werden. Internationale Menschenrechtsorganisationen wie ai können helfen, indem sie nationale NGOs unterstützen und Druck auf die Regierung ausüben.

Frage: Halten Sie die Appellbriefe von ai für effektiv?

Sie sind ein starkes Mittel, um die Entlassung politischer Häftlinge zu erwirken. China ist ein gutes Beispiel: Auch wenn die Regierung nach außen einen starken Eindruck vermittelt, ist sie sehr verwundbar, denn sie will nicht, dass die internationale Gemeinschaft von ihren Machenschaften erfährt. Wenn die Mitglieder von ai Hunderttausende von Briefen an die chinesische Regierung schicken, dann merkt sie, dass die internationale Gemeinschaft die Menschenrechtssituation beobachtet. Dieser internationale Druck kann bewirken, dass Häftlinge entweder besser behandelt oder sogar früher entlassen werden. Deswegen sind die Eilaktionen von amnesty so erfolgreich und helfen den gewaltlosen politischen Gefangenen.

Frage: Wie wird die Arbeit von ai in China wahrgenommen?

Die Regierung hat großen Respekt vor ai und nimmt die Organisation vielleicht sogar als Bedrohung wahr. ai deckt Menschenrechtsverletzungen in China auf, die von der Regierung verschleiert werden sollen. Die chinesische Staatsführung wird versuchen, die internationale Gemeinschaft und ai zu beschwichtigen, indem sie zum Beispiel Gefangene freilässt. In meinen Augen ist die chinesische Regierung einer der schlimmsten Menschenrechtsverbrecher. ai sollte die Menschenrechtssituation in China besonders auch im Zusammenhang mit den kommenden Olympischen Spielen beobachten.

Frage: Wie geht es Ihnen in den USA?

Ich bin jeden Tag dankbar für meine Freiheit. Auch nach meiner Freilassung setze ich mich für Demokratie und Menschenrechte in China und insbesondere die Rechte der Uiguren ein. Ich lebe jetzt in einem demokratischen Land und kann sagen, was ich denke. Diese Freiheit genieße ich sehr.


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Rebiya Kadeer wurde Ende 2006 zur Vorsitzenden des "Weltkongresses der Uiguren" gewählt. Fast zeitgleich verurteilte man das dritte ihrer fünf noch in China lebenden Kinder zu einer mehrjährigen Haftstrafe. Kadeer selbst war im März 2005 nach fünf Jahren Haft vorzeitig entlassen worden, nachdem sich ai mit einer Eilaktion für sie eingesetzt hatte.


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Quelle:
amnesty journal, Januar 2007, S. 30
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Februar 2007