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GRUNDSÄTZLICHES/253: Passen Menschenrechte und Tourismus zusammen? (ai journal)


amnesty journal 7-8/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

"Die Augen offen halten"
Ein Gespräch mit Regina Spöttl, ai-Länderexpertin für Saudi-Arabien und die Golfstaaten

Interview: Anton Landgraf


FRAGE: Passen Menschenrechte und Tourismus zusammen?

REGINA SPÖTTL: Wahrscheinlich treffen Touristen weder Menschenrechtsverteidiger im Gefängnis noch misshandelte Dissidenten. Aber sie können mit Kinderarbeit oder ausgebeuteten Arbeitskräften konfrontiert werden. Die politische Unterdrückung ist in den Ländern des Nahen Ostens hingegen oft nicht sofort erkennbar. Die heutigen Regime verhalten sich subtil. In Tunesien zum Beispiel deutet im Alltag wenig darauf hin, dass hier eine Diktatur herrscht, zumal formal sogar demokratische Regeln gelten. Tatsächlich werden kritische Journalisten und Menschenrechtsverteidiger verfolgt und häufig brutal schikaniert.

FRAGE: Sollte man Länder, in denen die Menschenrechte schwerwiegend verletzt werden, boykottieren?

REGINA SPÖTTL: Einen Boykott halte ich nicht für sinnvoll. Man trifft damit immer die Falschen - nicht die Verantwortlichen in der Regierung, sondern einfache Bürger, die vom Tourismus leben. Ein erhobener Zeigefinger nützt niemandem. Es gibt andere Mittel und Wege, um gegen Menschenrechtsverletzungen vorzugehen. Man kann die Augen offen halten, sich nach der Rückkehr an ai wenden und zum Beispiel einen Brief schreiben, um sich für einen inhaftierten Menschenrechtsverteidiger einzusetzen. Und man kann trotzdem die tunesischen Strände genießen.

FRAGE: Soll man vor Ort die politische Situation ansprechen?

REGINA SPÖTTL: In vielen Ländern kann man die Bevölkerung damit leicht in Gefahr bringen. In Syrien oder Tunesien, wo die Geheimdienste allgegenwärtig sind, muss man sehr vorsichtig sein. Als ausländischer Tourist ist man wahrscheinlich nicht bedroht, aber für die einheimischen Gesprächspartner können solche Gespräche sehr ernste Folgen haben.

FRAGE: Manche sehen aber auch in Touristen eine Gefahr.

REGINA SPÖTTL: Vor Reisen in einige nordafrikanische Länder würde ich im Moment abraten. Dazu gehört Algerien, auch wenn die Regierung darauf bedacht ist, den Tourismus wieder anzukurbeln. Ähnliches gilt für Libyen. In den meisten ägyptischen Touristenzentren wäre ich momentan ebenfalls sehr vorsichtig.

FRAGE: Wie kommen Sie zu der Einschätzung?

REGINA SPÖTTL: Durch die Islamisierung werden westliche Ausländer zunehmend als Ungläubige und Feinde wahrgenommen. Das hängt mit der rückwärts gewandten Identitätsfindung in der arabischen Welt und auch mit dem "Krieg gegen den Terror" zusammen. Das macht den Aufenthalt für Touristen, trotz der ausgeprägten Gastfreundschaft, oft schwierig und manchmal auch gefährlich.

FRAGE: Wohin reisen Sie gerne?

REGINA SPÖTTL: Ich fahre sehr gerne nach Kanada und in den Oman - ein islamisches Land, das traumhaft schön und sehr offen gegenüber Touristen ist.


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Quelle:
amnesty journal, Juli/August 2007, S. 15
Herausgeber: amnesty international
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Telefon: 0228/98 37 30
E-Mail: info@amnesty.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juli 2007