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GRUNDSÄTZLICHES/271: Weltbericht Kindersoldaten 2008 (ai journal)


amnesty journal 08/09/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

Kleine Krieger
Der neue "Weltbericht Kindersoldaten 2008" zeigt einige Fortschritte bei der Dennoch kämpfen nach wie vor weltweit rund 250.000 Minderjährige in Bürgerkriegen und bewaffneten Konflikten mit. Vor allem in Afrika und in Myanmar stehen viele Kinder unter Waffen. mobilisierung und Reintegration von Kindersoldaten.

Von Else Engel


Htun Myint war gerade auf dem Nachhauseweg nach einem Videoabend bei Freunden, als er die Soldaten sah. Er versuchte auszuweichen, wurde jedoch entdeckt und festgenommen. Sein Vergehen: "Verstecken in der Dunkelheit". In einem Rekrutierungslager der myanmarischen Armee wurde er vor die Wahl gestellt zwischen Gefängnis und Armee. "Ich hatte Angst vor dem Gefängnis", berichtet Htun Myint später, "deswegen sagte ich, ich werde der Armee beitreten". Er war zu dem Zeitpunkt elf Jahre alt, auch wenn im Aufnahmeformular 18 Jahre eingetragen wurde. Auch Minderjährige werden gezielt rekrutiert und verkauft, damit die Anwerber ihre Quoten erfüllen können.

Informationen wie diese hat die "Coalition to Stop the Use of Child Soldiers", ein Bündnis internationaler Menschen- und Kinderrechtsorganisationen, darunter Amnesty International, recherchiert und im "Weltbericht Kindersoldaten 2008" veröffentlicht. Der Report dokumentiert die Rekrutierungspraxis und den Einsatz minderjähriger Soldaten sowie ihre Entlassung und Reintegration in 197 Staaten.

Dabei zeichnen sich weltweit einige positive Trends ab. Seit dem letzten Bericht aus dem Jahr 2004 ist die Zahl der Konflikte, in denen Kindersoldaten zum Einsatz kommen, von 27 auf 17 gesunken. Außerdem haben 120 Staaten das Fakultativprotokoll zur UNO-Kinderrechtskonvention, das den Einsatz von Kindersoldaten verbietet, ratifiziert. Das sind immerhin 43 Länder mehr als noch vor vier Jahren.

Hingegen hat sich die Zahl der Kindersoldaten weltweit kaum verändert und liegt weiterhin bei schätzungsweise 250.000. Zwar sind Zehntausende Kinder nach dem Ende der Bürgerkriege in Liberia, Sierra Leone und Burundi freigelassen worden. Zugleich wurden jedoch viele Kinder in anderen Staaten wie Myanmar oder dem Tschad neu rekrutiert. Nichtstaatliche bewaffnete Gruppen in 24 Ländern sowie neun reguläre Regierungsarmeen rekrutieren unter 18-Jährige und setzen sie im Kampf ein.

Diese Zahlen sagen wenig aus über die grausamen Erfahrungen einzelner Kinder und Jugendlicher sowie ihrer Angehörigen. Sie können jedoch Aufmerksamkeit erregen und die Systematik hinter dem Phänomen Kindersoldaten aufzeigen.

Zumindest einige Fortschritte sind erkennbar, auch wenn sie noch lange nicht ausreichen, um diese unmenschliche Praxis abzuschaffen. Als ein Meilenstein gilt, dass Straflosigkeit nicht mehr hingenommen wird. So wurde gegen den kongolesischen Rebellenführer Thomas Lubanga Dyilo der erste Strafprozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Rekrutierung und Einsatz von Kindern unter 15 Jahren eingeleitet. Die ersten Schuldsprüche vor einem internationalen Gericht wegen dieser Kriegsverbrechen wurden im Juni 2007 durch den Sondergerichtshof für Sierra Leone verhängt. Mit Charles Taylor, dem ehemaligen liberianischen Präsidenten und Hauptförderer der "Revolutionary United Front" in Sierra Leone, steht erstmals ein ehemaliges Staatsoberhaupt dafür vor Gericht.

Diese Anklagen haben den Druck auf Anwerber für Kindersoldaten erhöht. Und sie haben dazu beigetragen, dass das Bewusstsein für diese Menschenrechtsverletzungen gestiegen ist. José Luis Campos von der kolumbianischen Kinderrechtsorganisation Benposta wies auf der Pressekonferenz anlässlich der Vorstellung des Weltberichts in Berlin darauf hin, wie wichtig dieses Bewusstsein sei. Für seine Organisation stellt es beispielsweise ein Problem dar, dass die kolumbianische Regierung leugnet, es überhaupt mit einem bewaffneten Konflikt im Land und mit Kindersoldaten zu tun zu haben.

Auch die myanmarische Regierung streitet die Rekrutierung und den Einsatz von Minderjährigen ab. Dabei wird geschätzt, dass jeder fünfte Soldat der fast 400.000 Mann starken staatlichen Armee ein Kind ist. Positive Entwicklungen liegen in Myanmar bisher nur bei einigen nichtstaatlichen bewaffneten Oppositionsgruppen vor. Zwei von insgesamt etwa 30 dieser Gruppen haben im Frühjahr 2007 eine Selbstverpflichtung unterzeichnet. Darin erklären sie, keine Kindersoldaten einzusetzen und die Reintegration ehemaliger Kindersoldaten zu unterstützen. Weitere Gruppen verhandeln über ähnliche Vereinbarungen.

Es ist noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten, um die Zahl von 250.000 Kindersoldaten weltweit zu senken. Und noch mehr Anstrengungen sind notwendig, um den Minderjährigen, die heute in bewaffneten Konflikten als Soldaten eingesetzt werden, die Rückkehr in ein ziviles Leben zu ermöglichen. Nach Einschätzung des aktuellen Weltberichts sind die derzeitigen Anstrengungen unzureichend.

Wegen der anhaltenden Konflikte ist oft bereits die Demobilisierung sehr gefährlich. Im Juli 2006 wurde ein UNO-Mitarbeiter ermordet, als er versuchte, die Entlassung von Kindersoldaten im kongolesischen Nord-Kivu zu erreichen. Zudem werden Kindersoldaten in die Reintegrationsprogramme häufig gar nicht aufgenommen. In Liberia beendeten 3.000 Mädchen den Reintegrationsprozess, während fast dreimal so viele nicht registriert wurden und damit ohne angemessene psychische und medizinische Unterstützung blieben. Sie gelten häufig als "Ehefrauen" - und nicht als Kindersoldaten. Aus Furcht vor Stigmatisierung vermeiden es die Mädchen, sich als solche zu erkennen zu geben. Esther, die zwei Jahre bei einer Rebellengruppe in Liberia verbrachte und heute 14 Jahre alt ist, hat an keinem Reintegrationsprogramm teilgenommen. "Weil ich nicht wusste, ob das für mich möglich war", wie sie später erzählt.

Auch präventive Maßnahmen sind zu stärken. Ralf Willinger, Referent für Kinderrechte beim Hilfswerk "terre des hommes" und Sprecher des "Deutschen Bündnis Kindersoldaten", betont, wie wichtig es sei, Kinder, Eltern und Lehrer vor Ort darüber aufzuklären, was Minderjährige in den bewaffneten Gruppen erwartet. Teilweise treten Kinder "freiwillig" bei, aufgrund falscher Hoffnungen, aus politischer Überzeugung oder materieller Armut. Auch müsse den Jugendlichen eine Ausbildung geboten werden, die alternative Einkommensmöglichkeiten eröffnet.

In spätestens vier Jahren wird der nächste "Weltbericht Kindersoldaten" erwartet. Er wird neben Fortschritten zweifelsohne auch weiterhin viele Herausforderungen dokumentieren. Und er ist ein eindringlicher Appell, Kinder endlich nicht mehr als Soldaten zu missbrauchen.


Die Autorin ist Mitglied der Sektionskoordinationsgruppe zu Menschenrechtsverletzungen gegen Kinder und Jugendliche.

www.childsoldiersglobalreport.org
www.amnesty-kinderrechte.de
www.tdh.de


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Red Hand Day - Eine Million Hände gegen Kindersoldaten!

Am 12. Februar 2009, dem "Red Hand Day" im Gedenken an Kindersoldaten, sollen eine Million Handabdrücke an die UNO übergeben werden. Die Aktion soll verdeutlichen, dass das Verbot von Kindersoldaten umgesetzt werden muss: Weltweit sollen Menschen eine entsprechende Botschaft an die UNO schreiben und als Ausdruck des Protests ihren Handabdruck in roter Fingerfarbe darauf setzen. Die Aktion lässt sich beispielsweise auf Schulfesten oder Jugendtreffen sehr gut umsetzen. Sie wird von Amnesty International, terre des hommes und einer Reihe weiterer Organisationen weltweit unterstützt.
www.redhandday.org


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Quelle:
amnesty journal, August/September 2008, S. 56-59
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30, E-Mail: info@amnesty.de
Redaktionanschrift: Amnesty International, Redaktion amnesty journal,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2008