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GRUNDSÄTZLICHES/273: Interview - "Klimaflüchtlinge brauchen Schutz" (ai journal)


amnesty journal 12/2008/01/2009 - Das Magazin für die Menschenrechte
Eine gemeinsame Produktion mit dem GREENPEACE MAGAZIN

"Klimaflüchtlinge brauchen Schutz"

Der Schutz der Umwelt und die Verteidigung der Menschenrechte sind eng miteinander verflochten. Ein Interview mit den Chefinnen von Amnesty und Greenpeace in Deutschland


FRAGE: Frau Behrens, warum sollte sich Amnesty auch mit Umweltschutz befassen?

BRIGITTE BEHRENS: Treibhausgase verändern ja nicht einfach nur die Atmosphäre, sondern gefährden auch grundlegende Menschenrechte. Lebensräume verschwinden, Menschen müssen ihre Heimat verlassen, können nicht mehr von der Landwirtschaft leben. Deshalb müssen Umweltprobleme und Menschenrechte gemeinsam betrachtet werden.

FRAGE: Frau Lochbihler, warum sollte sich Greenpeace auch für die Menschenrechte einsetzen?

BARBARA LOCHBIHLER: Weil auch Menschen, die sich für Umweltschutz einsetzen, sehr oft eingeschüchtert, eingesperrt oder gar ermordet, also in ihren Menschenrechten verletzt werden. Hier gibt es schon eine punktuelle Zusammenarbeit zwischen unseren Organisationen, etwa in Brasilien, wo Menschen, die sich gegen die Abholzung des Regenwalds einsetzen, bedroht werden.

FRAGE: Wo spielen ökologische Fragen für Amnesty jetzt schon eine Rolle?

BARBARA LOCHBIHLER: Uns beschäftigen die Folgen von Naturzerstörung für die Menschen. Sehen Sie sich an, aus welchen Gründen Migranten die lebensgefährliche Überfahrt von Afrika über das Mittelmeer nach Europa wagen. Das sind politisch Verfolgte, Armutsflüchtlinge, aber auch Menschen, die kein Auskommen mehr haben, weil sich ihre Umwelt so stark verändert hat. Es muss international ein Konzept entwickelt werden, das auch Klimaflüchtlingen Schutz bietet.

FRAGE: Wie sieht das bei Greenpeace aus? Sind die Menschenrechte bei Ihnen schon länger ein Thema?

BRIGITTE BEHRENS: Wir hatten schon eine Reihe von Kampagnen, bei denen wir Menschenrechte selbstverständlich berücksichtigen mussten. In der Zukunft werden auch uns die Schicksale von Klimaflüchtlingen immer mehr beschäftigen. Schon jetzt werden auf dem Carteret-Atoll in Papua-Neuguinea die Bananenwälder unterspült, und die Kokospalmen verdorren. Die Menschen dort können sich nicht mehr ernähren und müssen umgesiedelt werden. Das ist nur der Anfang. Wenn zum Beispiel oder Permafrostboden in Sibirien auftaut, werden ganze Städte zusammenbrechen. Die Menschen müssen in andere Regionen flüchten und verlieren komplett ihre Heimat. Hier müsste die internationale Gemeinschaft Vorsorge tragen und den Erhalt der Lebensräume garantieren.

FRAGE: Greenpeace hat die Wale oder andere Tiere als Sympathieträger, Amnesty hat vielleicht nur ein verwackeltes Foto eines Gefangenen. Macht es das schwerer, die Öffentlichkeit zu mobilisieren?

BARBARA LOCHBIHLER: Mag sein, dass es uns schwerer fällt, mit Bildern die Gefühle der Öffentlichkeit zu berühren. Ein Beispiel: Erst als im Mai 2004 die Folter-Fotos aus Abu Ghraib veröffentlicht wurden, war die Weltöffentlichkeit erschüttert und empört. Wir hatten schon zwei Monate zuvor einen Bericht über Folter und Misshandlung durch die USA im Irak veröffentlicht, der aber in den Medien kaum beachtet worden war. Greenpeace kann mit Bildern von Walen oder anderen Tieren, die geschützt werden sollen, arbeiten. Wir haben vor allem mit Gräueltaten zu tun, und da gibt es naturgemäß selten positive Bilder. Fotos von Folterszenen verwenden wir, selbst wenn wir sie hätten, kaum: Wir müssen die Opfer einer Menschenrechtsverletzung schützen und wollen sie nicht der Öffentlichkeit preisgeben.

FRAGE: Aber Sie haben wenigstens Täter! Beim Klimawandel kann man niemanden direkt haftbar machen.

BARBARA LOCHBIHLER: Ja, meist lassen sich die Verantwortlichen nachweisen. Aber nicht immer gibt es einen funktionierenden Staat, von dem wir die Einhaltung der Menschenrechte oder die Verfolgung der Täter fordern könnten. Im Ostkongo zum Beispiel haben wir es mit fragiler Staatlichkeit zu tun. Im andauernden gewalttätigen Konflikt, in dem die Kriegsparteien die Zivilbevölkerung vertreiben, vergewaltigen, verstümmeln und massakrieren, sind auch mittelbar Beteiligte die Adressaten unserer Forderungen. Zum Beispiel Firmen, die von der Situation profitieren, weil sie Diamanten aus der Region kaufen.

FRAGE: Wen klagt Greenpeace an, wenn es um den Klimawandel geht?

BRIGITTE BEHRENS: Es gibt zwar keine wenigen Einzeltäter, aber dadurch löst sich die Verantwortung nicht auf! Die liegt bei den Industrieländern. Zynischerweise werden wir zunächst besser mit dem Klimawandel zurechtkommen, weil wir mehr Geld haben und eher in gemäßigten Klimazonen leben. Wir können uns besser schützen als beispielsweise die Menschen in Bangladesch, die von Überschwemmungen bedroht sind, oder die Menschen im sudanesischen Darfur.

FRAGE: Die Kämpfe dort gelten als erster moderner Klimakrieg, weil das Vordringen der Wüste den Konkflikt angeheizt hat. Kann Amnesty solche Zusammenhänge thematisieren?

BARBARA LOCHBIHLER: Wir können und müssen den Klimawandel als mögliche Konfliktursache aufgreifen, sind aber keine Organisation, die zu Klimaveränderungen forscht. Im Sudan wird unsere klassische Arbeit dennoch nicht überflüssig. Die Klimaveränderungen entschulden keineswegs die Dschandschawid oder die sudanesische Regierung, die dort die Zivilbevölkerung bombardieren, vertreiben und umbringen. Deshalb begrüßen wir es, wenn gegen Präsident Baschir ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof eingeleitet wird.

FRAGE: Was halten Sie davon, Umweltschutz stärker zu verankern, etwa durch ein "Recht auf intakte Umwelt" in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte?

BARBARA LOCHBIHLER: Schon jetzt kann man mit dem Recht auf Gesundheit arbeiten. Wenn zum Beispiel ein Staat es zulässt, dass ein Unternehmen einen Fluss vergiftet, aus dem Menschen ihr Trinkwasser beziehen, ist ihr Recht auf Gesundheit verletzt. Trotzdem kann eine stärkere Verankerung eines Rechts auf intakte Umwelt sinnvoll sein. Die Frage ist: Wie? Es darf dem Recht auf intakte Umwelt nicht so ergehen wie dem Recht auf Frieden: Das ist auch irgendwann von der Generalversammlung der UN proklamiert worden. Alle waren dafür. Bewirkt hat es bisher wenig. Es braucht einen konkreten Vertrag, in dem steht: Was heißt eine intakte Umwelt? Und wozu sind Staaten verpflichtet? So ein Vorstoß muss international gut vorbereitet sein, sonst läuft er ins Leere.

FRAGE: Fordert Greenpeace ein Recht auf intakte Umwelt?

BRIGITTE BEHRENS: Ja. Die Dimension der Bedrohung durch den Klimawandel ist etwas Neues und konnte natürlich im ursprünglichen Katalog der Menschenrechte noch gar nicht mitgedacht werden. Das gesamte Rechtssystem hinkt da der Entwicklung hinterher; aber es ist ein lebendiges Gebilde, das sich immer weiterentwickelt. Kürzlich gab es ein interessantes Urteil in England: Da standen Greenpeace-Aktivisten vor Gericht, weil sie versucht hatten, ein Kohlekraftwerk stillzulegen. Doch sie wurden vom Vorwurf der Sachbeschädigung freigesprochen mit dem Argument, das Interesse an einer intakten Erdatmosphäre sei höher zu bewerten als das wirtschaftliche Interesse eines Unternehmens.

FRAGE: Umweltschutz kann auch in Konflikt mit Menschenrechten geraten. In Uganda zum Beispiel wurden Kleinbauern brutal vertrieben, weil das Land, von dem sie lebten, wiederaufgeforstet werden sollte. Wie geht man solche Konflikte an?

BARBARA LOCHBIHLER: Die erste Frage ist: War die Umsiedlung überhaupt notwendig? Es kann Fälle geben, in denen das gerechtfertigt ist. Zu prüfen ist, ob es Alternativen gibt. Zuallererst müssen die Betroffenen an der Planung beteiligt werden, sie müssen die Möglichkeit haben, gegen die Umsiedlung zu klagen und sie müssen gegebenenfalls angemessenen Ersatz für ihr Land bekommen.

BRIGITTE BEHRENS: Schauen Sie auf das Beispiel Amazonas. Da leben 20 Millionen Menschen, einen Schutz des Amazonas kann es nur mit ihnen geben. Deswegen ist es auch ein großes Greenpeace-Thema, wie man den Regenwald nachhaltig bewirtschaften kann, wie dort gleichzeitig Menschen leben und die Natur erhalten bleibt. Wir führen unseren Kampf dort vor allem gegen Großgrundbesitzer und Holzfirmen, die oft illegal einschlagen. Die eigentliche Zerstörung kommt eben nicht durch Menschen, die im Wald leben, sondern von außen.

FRAGE: Greenpeace ist bekannt für eher konfrontative Proteste, Amnesty dagegen agiert eher lobbyierend, verhandelnd, vermittelnd. Kann man mit leisen Tönen im menschenrechtlichen Bereich mehr erreichen?

BARBARA LOCHBIHLER: Das kommt auf die Art der Menschenrechtsverletzung an. Die Freilassung eines politischen Gefangenen erreichen Sie manchmal eher, wenn Sie den betreffenden Staat höflich, aber bestimmt an die Menschenrechtspakte erinnern, die er unterschrieben hat. Vor allem, wenn

Sie das massenhaft tun, wie durch unser internationales Netzwerk für Eilaktionen, "urgent actions", in dem 80.000 Leute mitarbeiten. In anderen Situationen klagen wir Staaten öffentlich an. Aber auch hier haben wir eine Verantwortung für die konkret Betroffenen. Vor der Olympiade hatten wir zum Beispiel einen chinesischen Rechtsanwalt, Teng Biao, nach Berlin eingeladen. Er hat hier die chinesische Regierung scharf kritisiert. Nach seiner Rückkehr wurde er für zwei Tage entführt, ihm klargemacht, er solle sich nicht mehr mit Ausländern treffen, und seine Anwaltslizenz ist nicht verlängert worden.

FRAGE: Amnesty hatte schon lange vor den Olympischen Spielen in Peking gesagt, man werde nicht zum Boykott aufrufen. Warum haben Sie sich die Drohung nicht zumindest bis zum letzten Moment aufgehoben?

BARBARA LOCHBIHLER: Ich glaube, es ist uns im Fall China außerordentlich gut gelungen, die Menschenrechtsverletzungen auf die Tagesordnung zu setzen - auch ohne Boykottaufruf. Wir rufen sehr selten zu einem Boykott oder zu Sanktionen gegen ein Land auf. Eine Ausnahme sind von den UN beschlossene Waffenembargos.

FRAGE: Warum nicht?

BARBARA LOCHBIHLER: Weil oft gar nicht klar ist, wen ein Boykott oder ein Embargo wirklich trifft. Zum Beispiel hat das Embargo gegen den Irak unter

Saddam Hussein die Führung kaum getroffen, aber die
Kindersterblichkeit stark steigen lassen und so zu
Menschenrechtsverletzungen geführt.

FRAGE: Wie kann man heutzutage Jugendliche erreichen? Ist Amnesty sexy genug?

BARBARA LOCHBIHLER: Ich glaube, Jugendliche sind nicht nur an Dingen interessiert, die "sexy" sind. Sie interessieren sich auch für Hintergründe, machen sich Gedanken über Machtverhältnisse und stellen die Frage, warum es so ist wie es ist. Und sie sind vernetzt in einer globalen Welt. Da ist es für Amnesty wie für Greenpeace ein tolles Entree, dass es uns in vielen verschiedenen Ländern gibt. Ich glaube, es ist attraktiv, sich lokal einer globalen Organisation anschließen zu können. Auch dass die Mitglieder sich bei uns für eine Einzelperson einsetzen können, ist für Jugendliche nach wie vor attraktiv: Mit meinem Verhalten hier kann ich vielleicht die Lebensrealität des anderen ändern, und das Wissen über das Elend des anderen verändert auch mich. Eines müssen wir allerdings feststellen: Die Jugendlichen wenden nicht mehr so viel Zeit für politisches Engagement auf wie noch in den 70er- oder 80er-Jahren. Deshalb werden wir Aktionsformen über das Internet ausbauen.

FRAGE: Macht Greenpeace ähnliche Erfahrungen?

BRIGITTE BEHRENS: Wir haben großen Zuspruch bei der Kampagne "Solar Generation", da engagieren sich Jugendliche zum Thema Klimawandel. Es gibt ein Bewusstsein, dass die eigene Zukunft auf dem Spiel steht. Aber anders als früher wollen sie ihre Aktivitäten selber gestalten. Vor 20 Jahren sind junge Leute gekommen und haben begeistert die Aktionen umgesetzt, die Greenpeace vorgeschlagen hat. Heute werden unsere Vorschläge eher in Frage gestellt. Deshalb haben wir für ehrenamtliche Jugendliche die Möglichkeit geschaffen, auch selbst Kampagnenvorschläge einzubringen. Eine große Veränderung spüren wir bei unseren "Greenteams", dem Greenpeace-Angebot für Kinder. Da tun sich Kinder mit Freunden zusammen, um entweder Müll zu sammeln oder an internationalen Aufrufen, die Wale zu schützen, teilzunehmen.

Wir hatten mehr als 15 Jahre lang immer 10.000 Greenteams - jetzt geht die Zahl stark zurück. Das hat zu tun mit der Veränderung im Schulsystem. Die Kinder haben einfach weniger Zeit.

BARBARA LOCHBIHLER: Wenn die Politik bürgerschaftliches Engagement will, darf sie das Leben - Schule, Lehre, Studium - nicht so einrichten, dass die Jugendlichen gar keine Zeit mehr haben, sich zu engagieren. Oder immer nur fragen, ob sie eine gute Note haben und für die künftige Berufskarriere vorbereitet sind.

FRAGE: Welchen wichtigen Erfolg hat Greenpeace in den letzten Jahren erzielt?

BRIGITTE BEHRENS: Es gibt eine ganze Reihe von greifbaren Erfolgen, beispielsweise das Schutzabkommen für die Antarktis, das nach einer zehnjährigen Kampagne erreicht wurde. Ein anderes Beispiel ist das Verbot des Exports von Giftmüll in Dritte-Welt-Länder. Aber der wichtigste Erfolg ist ein übergeordneter: Wir haben mit unseren Aktionen gezeigt, dass es sich lohnt, sich für den Schutz der Umwelt einzusetzen und dass es eine Hoffnung gibt, diese Welt zum Besseren gestalten zu können.

FRAGE: Und bei Amnesty?

BARBARA LOCHBIHLER: Das internationale Netzwerk von Menschenrechtsverteidigern wächst. Immer mehr Menschen auch außerhalb der Industrieländer setzen sich für die Menschenrechte ein - bei Amnesty und in anderen Organisationen. Ein großer Erfolg: Der Internationale Strafgerichtshof, den wir lange gefordert haben, arbeitet endlich. Damit kann sich kein noch so hochrangiger Menschenrechtsverletzer mehr hinter der staatlichen Souveränität verstecken. Wichtig sind aber auch die kleinen Erfolge, die wir zum Beispiel durch unsere "urgent actions" erzielen: Willkürlich Verhaftete werden freigelassen, Gefangene bekommen Hafterleichterungen, Todesurteile werden aufgehoben. Solche guten Nachrichten gibt es in über einem Drittel der Fälle, nachdem Zehntausende Briefe, Faxe und E-Mails geschrieben haben.


Interview: Ferdinand Muggenthaler und Toralf Staud

Barbara Lochbihler, 49
studierte Politische Wissenschaften und Internationales Recht. Ab 1992 leitete sie die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit. Seit 1999 ist sie Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International.

Brigitte Behrens, 57
studierte Medizin und wechselte dann zur Soziologie. Sie engagierte sich in der Anti-AKW-Bewegung und in verschiedenen Frauenprojekten. Zu Greenpeace stieß sie bereits 1986, seit 1999 ist sie Geschäftsführerin des deutschen Büros.


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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2008/Januar 2009, S. 36-39
Eine gemeinsame Produktion mit dem GREENPEACE MAGAZIN
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30, E-Mail: info@amnesty.de
Redaktionanschrift: Amnesty International, Redaktion amnesty journal,
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Internet: www.amnesty.de

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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2009