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GRUNDSÄTZLICHES/324: Reichere Länder müssen mehr Verantwortung für die Flüchtlinge übernehmen


Amnesty International - Meldung vom 12. Oktober 2015

Reichere Länder müssen mehr Verantwortung für die Flüchtlinge übernehmen


12. Oktober 2015 - Während die steigende Zahl der Flüchtlinge, in den vergangenen Monaten die Schlagzeilen bestimmt hat, sind es immer noch die ärmeren Staaten, die die Hauptlast der Auswirkungen der weltweiten Flüchtlingskrisen tragen. Aus diesem Grund veröffentlicht Amnesty International einen Acht-Punkte-Plan zur Bewältigung der weltweiten Flüchtlingskrisen.

Die Lage der Flüchtlinge heute:

  • nur 10 % der 1,15 Millionen besonders schutzbedürftigen Flüchtlinge sind bislang dauerhaft in einem anderen Land aufgenommen worden
  • 86% der Flüchtlinge leben derzeit in Entwicklungsländern
  • die Flüchtlingshilfe der Vereinten Nationen ist chronisch unterfinanziert

Das katastrophale Versagen der Regierungen der führenden Staaten der Welt, die nur verhalten reagieren und über Zahlen streiten, während sie herzlos Millionen Menschen unter katastrophalen humanitären Bedingungen leiden lassen, setzen sich damit ein Erbe, das noch Generationen beschäftigen wird. So betrachtet Amnesty International das Verhalten der führenden Nationen der Welt. Die Organisation veröffentlichte am 12. Oktober einen Acht-Punkte-Plan zur Bewältigung der weltweiten Flüchtlingskrisen.

Unbeschreibliche Gewalt in Syrien, Afghanistan und im Irak sowie zahllose Konflikte in afrikanischen Staaten südlich der Sahara und anderen Ländern haben die Zahl der weltweiten Flüchtlinge auf ein historisches Hoch gebracht. Genau jetzt machen sich wahrscheinlich wieder viele Menschen in Südostasien auf den Weg übers Meer und folgen auf die vielen Tausend Angehörigen der Rohingya, die vor Verfolgung in Myanmar fliehen, um dann an Schlepper zu geraten und Menschenrechtsverletzungen zum Opfer zu fallen.

Die Reaktion auf diese globalen Flüchtlingskrisen ist beschämend, insbesondere die der reichsten Länder, die immer wieder die Bitten um humanitäre Hilfe und die permanente Aufnahme der schutzbedürftigsten Menschen ausschlagen. Die reichen Staaten haben bislang nur zehn Prozent der 1,15 Millionen Menschen, die permanent in einem Aufnahmeland angesiedelt werden müssten, einen solchen Resettlement-Platz angeboten. Entwicklungsländer beherbergen hingegen Millionen Flüchtlinge nahezu ohne Unterstützung.

"Die beispiellosen weltweiten Flüchtlingskrisen bedeuten für Millionen Menschen Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit. Wir befinden uns an einem entscheidenden Punkt, an dem die derzeitigen Regierungen historische Entscheidungen treffen müssen, die noch für Generationen von Bedeutung sein werden. Und die Geschichte wird hart mit ihnen ins Gericht gehen, wenn sie ihren Kurs jetzt nicht ändern" sagt Salil Shetty, der internationale Generalsekretär von Amnesty International.

"Das internationale Flüchtingsschutzsystem, eine der entscheidenden Vereinbarungen nach dem Zweiten Weltkrieg, droht auseinander zu brechen, wenn die Regierungen der reichsten Staaten der Welt weiterhin dabei versagen, die Menschen zu schützen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Flüchtlinge haben nach dem Völkerrecht das Recht, Asyl zu suchen und zu genießen."


Ärmere Länder tragen die größte Last

Während die steigende Zahl der Flüchtlinge, die die Staaten der Europäischen Union erreichen, in den vergangenen Monaten die Schlagzeilen bestimmt hat, sind es immer noch die ärmeren Staaten, die die Hauptlast der Auswirkungen der weltweiten Flüchtlingskrisen tragen. Entwicklungsländer, vor allem im Nahen und Mittleren Osten, in Afrika und Asien, beherbergen gegenwärtig 86% der insgesamt 19,5 Millionen Flüchtlinge weltweit.

Die reicheren Länder tun nicht genügend, um die Lasten zu verteilen. Die humanitäre Hilfe für die Versorgung der Flüchtlinge ist ständig - und oft erheblich - unterfinanziert. Nach einem humanitären Appell der Vereinten Nationen für syrische Flüchtlinge war die Finanzierung bis zum 2. Oktober nur zu 46% gesichert. Der Aufruf zur Unterstützung von Flüchtlingen aus dem Südsudan erreichte sogar nur 17% der angestrebten Zielsumme. Dies hat verheerende Auswirkungen auf den Zugang der Flüchtlinge zu Nahrung, medizinischer Versorgung und anderen humanitären Unterstützungsleistungen.

"Wenn sich die G20-Staaten im nächsten Monat in der Türkei treffen, sollten sie den Raum nicht wieder verlassen, bevor sie einen konkreten Plan und einen Zeitplan erarbeitet haben, um die umfassende und nachhaltige Finanzierung der humanitären Versorgung der Flüchtlinge weltweit sicherzustellen. Alles andere wäre ein grobes Führungsversagen der G20", so Salil Shetty.

"Anstatt an den Herausforderungen dieser Situation zu wachsen, sind viele Regierungen nur damit beschäftigt, Maßnahmen zu entwickeln, wie man Menschen außerhalb der eigenen Landesgrenzen halten kann, während Tausende auf See ertrinken oder im Schatten von Stacheldrahtzäunen unter unwürdigen Bedingungen verharren. Das ist ein moralischer Bankrott höchsten Grades." Der Acht-Punkte-Plan

Letztendlich können die weltweiten Flüchtlingsbewegungen nur eingedämmt werden, wenn man Lösungen für deren Ursachen findet. Die internationale Gemeinschaft muss danach streben, bewaffnete Konflikte und weitverbreitete Menschenrechtsverletzungen und -verstöße zu beenden. Diese Ziele erfordern jedoch die Überwindung von großen Schwierigkeiten und sind nur langfristig zu erreichen.

Dennoch gibt es Maßnahmen, die die reicheren Länder schon jetzt ergreifen können, um die verheerenden Auswirkungen der Fluchtbewegungen für die betroffenen Menschen abzumildern. Amnesty International ruft zu konzertierten Maßnahmen in acht prioritären Themenfeldern auf:

1. Eine kontinuierliche, ausreichende und nachhaltige Finanzierung für die Bewältigung von Flüchtlingskrisen: alle humanitären Hilfsprogramme für Flüchtlinge müssen mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattet werden. Dies muss zusätzlich zur finanziellen Unterstützung von Ländern erfolgen, die in großem Umfang Flüchtlinge beherbergen, um sicherzustellen, dass sowohl die Flüchtlinge als auch die Gemeinschaften, die sie aufnehmen, ausreichend versorgt sind.

2. Allen Flüchtlingen, die vom UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) als schutzbedürftig identifiziert wurden, eine permanente Aufnahme (Resettlement) in einem Land zu gewähren: Gegenwärtig fallen laut UNHCR 1,15 Millionen schutzbedürfte Flüchtlinge in diese Kategorie. Amnesty International geht davon aus, dass diese Zahl in den nächsten zwei Jahren auf 1,45 Millionen steigen wird.

3. Sichere und legale Zugangswege für Flüchtlinge: Menschen sollten nicht gezwungen sein, gefährliche Routen zu nehmen, um ihr Recht auf Schutz und Zuflucht wahrnehmen zu können. Staaten sollten die Familienzusammenführung von Flüchtlingen erleichtern, humanitäre Visa einführen, um schutzbedürftigen Flüchtlingen, die nicht für ein Resettlement-Programm vorgesehen sind, die Einreise in ein Land und das Stellen eines Asylantrags zu ermöglichen. Zudem sollten Staaten einen Anteil ihrer Arbeits- und Studentenvisaprogramme Flüchtlingen in anderen Ländern zur Verfügung stellen.

4. Leben retten: Staaten müssen der Rettung von Menschen in Not Priorität gegenüber der Einwanderungspolitik einräumen. In Situationen, in denen sich Menschen in Lebensgefahr befinden, einschließlich - allerdings nicht darauf beschränkt - wenn sie über den Seeweg versuchen, ein anderes Land zu erreichen, und dabei in Seenot geraten, müssen Staaten Such- und Rettungsaktionen einleiten und die Menschen in Not unverzüglich retten.

5. Einreiseerlaubnis für Flüchtling an der Grenze: Alle Asylsuchenden sollte die Einreise über einen offiziellen Grenzübergang ermöglicht werden, unabhängig davon, ob sie gültige Reisedokumente besitzen oder nicht. Staaten sollten alle Maßnahmen unterlassen, Menschen davon abzuhalten, aus einem Land zu fliehen, in dem sie Verfolgung oder Gewalt ausgesetzt sind: zu diesen Maßnahmen gehören auch die Einreiseverweigerung bei fehlenden Visa oder anderen Reisedokumenten, Rückschiebungen (Push-Backs) sowie Grenzzäune, die verhindern, dass Flüchtlinge einreisen oder sie zwingen, gefährliche andere Routen zu nehmen.

6. Maßnahmen gegen Rassismus: Regierungen müssen in ihren Stellungnahmen und Handlungen Rassismus unterlassen: z.B. keine Stellungnahmen abgeben, die nahelegen oder direkt behaupten, dass Asylsuchende oder Migrant_innen für wirtschaftliche und soziale Probleme verantwortlich sind. Regierungen müssen außerdem Gesetze und Vorschriften abändern, die explizit oder in der praktischen Umsetzung zu rassistischer oder anderer Form der Diskriminierung führen. Zudem müssen Regierungen wirksame Maßnahmen gegen rassistische Gewalt ergreifen.

7. Maßnahmen gegen Menschenhandel: Die Staaten müssen wirksame Maßnahmen zur Ermittlung gegen und strafrechtlichen Verfolgung von Menschenhändlern ergreifen. Die Staaten müssen Opfern von Menschenhandel Schutz und Unterstützung anbieten und sicherstellen, dass sie Zugang zu Asylverfahren und Resettlement-Möglichkeiten (Aufnahme in Drittstaaten) erhalten. Alle Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels müssen der Sicherheit der Menschen oberste Priorität einräumen.

8. Die Ratifizierung der Genfer Flüchtlingskonvention durch alle Staaten und die Entwicklung eines funktionierenden Flüchtlingssystems in den einzelnen Staaten: Die Staaten müssen per Gesetz das Recht anerkennen, Asyl zu suchen und zu genießen. Zudem müssen sie faire inländische Verfahren zur Beurteilung von Asylanträgen haben, Grundrechte garantieren und den Zugang zu Leistungen, wie Bildung und Gesundheitsversorgung, für Flüchtlinge gewährleisten.

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Quelle:
Meldung vom 12. Oktober 2015
http://www.amnesty.de/2015/10/12/reichere-laender-muessen-mehr-verantwortung-fuer-die-fluechtlinge-uebernehmen?destination=node%2F2817
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Oktober 2015

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