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MITTELAMERIKA/098: Rechtlosigkeit und Willkür in El Salvador (ai journal)


amnesty journal 11/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Auf eigene Gefahr
El Salvador droht in Rechtlosigkeit und Willkür zu versinken. Der Anlass: Eine Demonstration gegen die Privatisierung der Wasserversorgung.

Von Claudia Wittwer


Die Kluft ist groß in El Salvador zwischen arm und reich. Im Kampf um lebenswichtige Ressourcen wie Wasser wird sie besonders offensichtlich. Viele Menschen haben keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Die staatliche Wasserversorgung "ANDA" deckt selbst die städtischen Regionen nur ungenügend ab. Immer häufiger gehen die Bewohner auf die Straße, weil sie trotzdem vergleichsweise hohe Gebühren bezahlen müssen. Viele fürchten eine Privatisierung der Wasserversorgung, die zu einer weiteren Verteuerung führen würde. So auch die Demonstranten, die am 2. Juli dieses Jahres in Suchitoto, rund 47 Kilometer entfernt von der Hauptstadt San Salvador, gegen die Dezentralisierung der Wasserversorgung protestierten, weil sie darin einen Schritt zur Privatisierung sehen. An diesem Tag sollte Präsident Elias Saca ein dezentralisiertes Wasserversorgungssystem offiziell einweihen.

Was auf den Protest folgte, war auch auf Videos der Plattform "Youtube" zu sehen: Die Polizei griff die Demonstranten mit Gummigeschossen und Tränengas an und veranstaltete mit Hubschraubern eine Verfolgungsjagd. Zahlreiche Menschen wurden verletzt, 14 Personen verhaftet, unter ihnen soziale und politische Aktivisten aus ländlichen Gemeinden und Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation "CRIPDES", die noch auf dem Weg zu der Protestkundgebung waren. Nach Angaben von Angehörigen wurden einige der Verhafteten körperlich misshandelt und einem von ihnen die medizinische Behandlung seiner Verletzungen verweigert; bei der Überstellung der Verhafteten in einem Polizeihubschrauber in die Stadt Cojutepeque wurde ihnen gedroht, sie von dem Hubschrauber aus in einen See zu werfen. Die Angehörigen wiesen auch auf die besonders schlechten Bedingungen in den Gefängnissen hin, in denen die Verhafteten untergebracht wurden.

Die Verhafteten wurden zwar auf internationalen Druck hin und unter Auflagen freigelassen, die Anklage gegen sie wegen "terroristischer Aktivitäten" blieb jedoch bis Redaktionsschluss bestehen. Das Strafmaß dafür kann nach dem im Oktober 2006 verabschiedeten "Anti-Terrorismusgesetz" bis zu 60 Jahre Gefängnis betragen.

Die Bilder aus Suchitoto erinnern daran, wie in den achtziger Jahren mit Regimekritikern umgegangen wurde. Heute reagiert die Regierung mit einer Kriminalisierung ihrer Kritiker. So beschloss im vergangenen August das Parlament eine Reform des Strafgesetzbuches und der Strafprozessordnung, die zukünftig jede Teilnahme an einer Demonstration zu einem Risiko für die persönliche Sicherheit und Unversehrtheit machen.

Laut Artikel 348 des geänderten Strafgesetzbuches kann nun eine "Störung der öffentlichen Ordnung" (beispielsweise durch Blockieren von Straßen) mit einer Haftstrafe von zwei bis vier Jahren geahndet werden. Neu aufgenommen wurde zudem das Delikt einer "gravierenden Störung der öffentlichen Ordnung". Eine solche liegt laut Gesetz zum Beispiel dann vor, wenn der Zugang zu einer öffentlichen Veranstaltung, zu einer Gerichtsverhandlung oder zu öffentlichen Dienststellen behindert wird. In diesem Fall drohen zwischen vier und acht Jahren Gefängnis.

Eine weitere Reform der Strafprozessordnung sieht zudem eine präventive Inhaftierung aller Personen vor, die wegen Störungen der öffentlichen Ordnung angeklagt werden. Vertreter von Nichtregierungsorganisationen sehen die Ereignisse als Vorboten der Wahlkampagne zu den Präsidentschaftswahlen in zwei Jahren: Schon bei den vergangenen Wahlkämpfen forderten Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern der rechten und linken Parteien Verletzte und Tote. Inzwischen ist die Gesellschaft noch stärker polarisiert.

Die Autorin ist freie Journalistin und Mitglied der Ländergruppe El Salvador von amnesty international.


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Quelle:
amnesty journal, November 2007, S. 25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. November 2007