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MITTELAMERIKA/103: Jamaika - Korruption und Banden-Terror (ai journal)


amnesty journal 06/07/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte

Korruption und Banden-Terror
Von Sicherheit kann in Jamaikas Innenstädten keine Rede sein.
"Informanten sind tot", lautet das Gesetz der Straße.

Von Klaus Naßhan


Ein Menschenleben ist in Jamaikas armen Innenstädten nicht viel wert. Es ist die organisierte Kriminalität, der "Big Guy", der diktiert, wer leben darf, und wer sterben muss. Sowohl die Mordrate als auch die Tötungsrate durch die Polizei gehören zu den höchsten der Welt.

Die Gewalt auf der Karibikinsel mit ihren 2,6 Millionen Einwohnern konzentriert sich auf die innerstädtischen armen Stadtteile, die "Garrisons", Festungen, genannt werden. Seit der Unabhängigkeit 1962 wurden von der jeweiligen Regierung Siedlungen für Arme errichtet. Offiziell waren diese Wohnungsbauprojekte für alle da - in Wirklichkeit jedoch nur für die Anhänger der Partei. Nach dem Bau kümmerten sich die Politiker nicht mehr um die Siedlungen. Seitdem sind sie fest in der Hand der organisierten Kriminalität. "Dons", Bandenchefs, treiben Schutzgelder ein, kontrollieren die Versorgung mit Wasser und Elektrizität, verteilen legale und illegale Jobs. 2007 fielen nach Angaben von Amnesty International 1.500 Menschen der organisierten Kriminalität zum Opfer.

Besonders betroffen sind Jungen, die von den Gangs rekrutiert werden. Sie werden gebeten, kleine Botengänge zu erledigen, die sie nicht ablehnen können. So berichtete eine Frau gegenüber Amnesty, dass ein Zwölfjähriger mit einer Waffe in eine andere Gemeinde geschickt wurde. Dort wurde er überfallen und ausgeraubt. Der Junge wusste: Käme er ohne Geld und Waffe zurück, würde man ihn ermorden. Deshalb rannte er fort. Am nächsten Morgen wurde seine Mutter ermordet aufgefunden.

Auch Frauen leiden unter der Gewalt. Nicht selten verlangen die Gangmitglieder von ihnen sexuelle Dienste. Weigern sie sich, werden sie oder ihre ganze Familie bestraft. Oft müssen Frauen ihre Kinder allein erziehen, weil ihre Männer ermordet wurden oder vor den Gangs auf der Flucht sind. Sucht ein Gangmitglied eine Person und kann diese nicht finden, wird manchmal ein Angehöriger ermordet, damit der Rest der Gemeinde "die Lektion" lernt.

Der Weg zur Polizei ist für die Bewohner der Garrisons keine Lösung. "Informanten sind tot", lautet das Gesetz der Straße. Zudem arbeiten die Kriminellen mit Teilen der Polizei zusammen. Selbst Polizeichef Lewin stellt fest: "Beim Wort 'Polizei' denkt jeder sofort an Korruption." Für das Jahr 2007 dokumentierte Amnesty 272 Tötungen durch Polizisten. Die meisten verlaufen nach demselben Muster: Die Polizisten bemerken ein verdächtiges Verhalten, der Verdächtige zieht eine Waffe, es kommt zum Schusswechsel, und die Polizisten töten einen oder mehrere Männer. Der Tatort wird kaum oder schlecht gesichert, auch die Autopsien entsprechen nicht internationalen Standards. Häufig stehen gerichtsmedizinische Beweise im Widerspruch zu den Aussagen der Polizei. Ein Bewohner einer Garrison sagte gegenüber Amnesty: "Als ich jünger war, gingen die Leute mit allen Problemen zur Polizei. Heute bist du beim Gangster sicherer."

Amnesty fordert die jamaikanische Regierung auf, sich des Problems anzunehmen und dafür zu sorgen, dass die Bürger frei von Furcht vor kriminellen Banden oder kriminellen Polizisten leben können.


Der Autor ist Sprecher der Amnesty-Gruppe englischsprachige Karibik.

Lesen Sie die vollständigen Berichte unter:
http://www.amnesty.org
AI-Index: AMR 38/004/2008 und AMR 38/001/2008


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Quelle:
amnesty journal, Juni/Juli 2008, S. 33
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2008