Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL


MITTELAMERIKA/126: Gesundheitsversorgung ist für Frauen in Lateinamerika häufig Glückssache


Amnesty International - Pressemitteilung vom 7. März 2016

Amnesty zum Weltfrauentag: Gesundheitsversorgung ist für Frauen in Lateinamerika häufig Glückssache

Amnesty-Bericht belegt: Frauen werden bei der Gesundheitsversorgung in vielen Ländern Lateinamerikas massiv diskriminiert


07. März 2016 - BERLIN - Das Leben von Millionen Frauen in Lateinamerika hängt von Gesundheitssystemen ab, die diskriminierend und unberechenbar sind. Sie erlauben, dass religiöse Vorstellungen und gesellschaftliche Stereotypen über das Leben von Frauen entscheiden. Das zeigt der Amnesty-Bericht "The state as a catalyst for violence against women - Violence against women and torture or other ill-treatment in the context of sexual and reproductive health in Latin America and the Caribbean", der am Montag, anlässlich des Weltfrauentags am 8. März, veröffentlicht wurde. Der Bericht analysiert die Lage in acht Ländern der Region und kommt zu dem Ergebnis, dass der Zugang zu Verhütung und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen von den finanziellen Möglichkeiten der Frauen oder den persönlichen und religiösen Ansichten des Gesundheitspersonals abhängig ist.

"Frauen in vielen Ländern Lateinamerikas haben keinen Zugang zu grundlegender Gesundheitsfürsorge. Sie müssen entweder Geld oder das Glück haben, an den richtigen Arzt zu gelangen", sagt Selmin Çaliskan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. "In El Salvador ist ein Schwangerschaftsabbruch selbst dann verboten, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist. In Mexiko werden an HIV erkrankte Frauen zwangssterilisiert. Das Gesundheitssystem, das die Frauen eigentlich schützen soll, trägt so aktiv zu ihrer Diskriminierung und Stigmatisierung in der Gesellschaft bei und bringt sie in Lebensgefahr", so Çaliskan weiter.

Schwangerschaftsabbrüche sind in sieben Ländern Lateinamerikas unter allen Umständen verboten - selbst, wenn das Leben der Frau in Gefahr ist. Zu diesen Ländern gehören El Salvador, Chile und Honduras. In den meisten anderen Ländern der Region sind Schwangerschaftsabbrüche zwar erlaubt, jedoch weigern sich viele Ärzte aus ideologischen Gründen, einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen. Frauen werden dadurch gezwungen, eine gesundheitsgefährdende Schwangerschaft auszutragen oder aber Schwangerschaftsabbrüche unter katastrophalen medizinischen Bedingungen durchzuführen. Mindestens zehn Prozent aller Fälle von Müttersterblichkeit in der Region waren 2014 auf solche illegallisierten Schwangerschaftsabbrüche zurückzuführen.

"In vielen Ländern Lateinamerikas werden Frauen mit schwerwiegenden Folgen für ihre Gesundheit diskriminiert. Sie dürfen nicht selbst über ihren Körper und ihre Sexualität entscheiden. Die absurden Regulierungen und Gesetze zeigen, dass Gewalt gegen Frauen nicht nur toleriert, sondern sogar vom Staat gefördert wird", kritisiert Çaliskan.

Zur Situation der Frauenrechte in Deutschland kritisiert Çaliskan, dass die Bundesregierung die sogenannte Istanbul-Konvention - das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt - noch immer nicht ratifiziert hat. Die Ratifizierung scheiterte bisher daran, dass Paragraph 177 des Strafgesetzbuches, der Vergewaltigung und sexuelle Nötigung regelt, erhebliche Schutzlücken aufweist und damit nicht den Anforderungen der Istanbul-Konvention genügt.

Zwar arbeitet die große Koalition bereits seit längerem an einer Reform von Paragraph 177 - den aktuellen Entwurf hierzu kritisiert Çaliskan jedoch als mangelhaft: "Auch nach den aktuellen Plänen der Regierung hängt eine Strafverfolgung weiterhin nicht vom Verhalten des Täters ab, der eine nicht einvernehmliche sexuelle Handlung vornimmt. Vielmehr wird von der betreffenden Frau erwartet, dass sie sich aktiv wehren muss - obwohl es eine Vielzahl von Gründen geben kann, warum sich eine Frau nicht gegen den Vergewaltiger wehrt; etwa aufgrund eines Schocks oder aus Angst, noch mehr Gewalt zu erleiden oder sogar umgebracht zu werden. Wir fordern, dass die Neuregelung des Sexualstrafrechts dem Anspruch "Nein heißt nein" Genüge tun muss. Geschieht dies nicht, bleibt Deutschland ein Land, in dem viele sexualisierte Übergriffe straffrei bleiben und durch die entstehende Straflosigkeit, Täter zu weiteren Straftaten geradezu aufgefordert werden. Ein derart veraltetes frauenfeindliches Gesetz darf in einem modernen Land wie Deutschland, das sich die Wahrung der Rechte von Frauen auf die Fahnen schreibt, einfach nicht sein."


Den vollständigen Bericht zu Lateinamerika auf Englisch oder Spanisch finden Sie unter:
https://www.amnesty.org/en/documents/amr01/3388/2016/en/

*

Quelle:
ai-Pressemitteilung vom 7. März 2016
Amnesty International, Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V.
Kampagnen und Kommunikation
Zinnowitzer Straße 8, 10115 Berlin
Telefon: 030/42 02 48-306, Fax: 030/42 02 48 - 330
E-Mail: presse@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2016

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang