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NORDAMERIKA/094: Zehn Monate in einem Foltergefängnis der CIA (ai journal)


amnesty journal 12/2008/01/2009 - Das Magazin für die Menschenrechte
Eine gemeinsame Produktion mit dem GREENPEACE MAGAZIN

"Denk nach, wie du am Leben bleibst"

Die CIA verschleppte Maher Arar nach Syrien.
Zehn Monate verbringt der Kanadier dort in einem Foltergefängnis.

Von Sylvia Feist


Er weinte an diesem Tag. Er nässte ein. Das Verhör dauerte 16 Stunden, vielleicht auch 18. So genau weiß Maher Arar das heute nicht mehr. "Sie haben mich gefragt, ob ich in Afghanistan war", sagt er. Sie schlugen ihn mit einem Elektrokabel. Dann fragten sie erneut. Nach Afghanistan. Schläge. Nach einem Ausbildungslager. Schläge. Und immer wieder fragten sie nach Abdullah Almalki in Ottawa, den er kaum kannte. Es war sein zweiter Tag in Gefangenschaft.

Lässiger Gang, direkter Blick, fester Händedruck. Maher Arar strahlt Souveränität aus, wenn er den Raum betritt. Eine Souveränität, um die er oft ringen muss, seit am 26. September 2002 seine Welt in ein Davor und ein Danach zerfiel. An jenem Donnerstag kam er aus dem Urlaub und landete zu einem Zwischenstopp am New Yorker Kennedy-Flughafen. Zu Hause, im kanadischen Ottawa, kam er erst 374 Tage später an.

Davor, das war sein ungestörtes Familienleben mit seiner Frau und seinen zwei Kindern, das war die Karriere als Informatiker, auf dem Sprung zur eigenen Firma. Danach, das ist Arbeitslosigkeit, das mühsame Niederringen eines Traumas und der zähe Kampf um Rehabilitation. Maher Arar, kanadischer Staatsbürger, heute 38, wurde im Auftrag der USA nach Syrien verschleppt und dort in Far Falestin, einem berüchtigten Gefängnis in Damaskus, gefoltert. Ein Kollateralschaden des amerikanischen Krieges gegen den Terror, wenn man es an ausdrücken will.

Uniformierte Männer baten ihn damals, bei seiner Ankunft in New York, aus der Warteschlange. Routine, hieß es. Sie nahmen seine Fingerabdrücke, machten Fotos. Dann tauchten andere Männer auf, stellten Fragen. Ein Telefonat wurde ihm verwehrt. "In Hollywoodfilmen sagen sie immer, 'Sie sind verhaftet wegen diesem und jenem'", erzählt Arar, "zu mir haben sie das nie gesagt." Und wie im Film fragte er nach einem Anwalt. Wieder ein Nein. "Darauf hätte ich keinen Anspruch, weil ich kein amerikanischer Bürger sei."

Unzählige Verhörstunden und eine Woche später bekam er ein Stück Papier, auf dem etwas gestanden habe wie: Wir sind überzeugt, dass Sie Mitglied einer terroristischen Organisation sind. Wie die Beamten der US-Einwanderungsbehörde und des FBI auf diese Idee kamen? Indizien? Beweise? "Das ist geheim", hieß es. Arar klappt ergeben die Hände zusammen. "Na, danke! Du wirst in Handschellen gelegt und sollst nicht einmal wissen, warum." In Erinnerung daran spannen sich seine Kiefermuskeln an.

Far Falestin. Beim ersten Verhör sagte einer der Männer zu ihm. "Ich will, dass du mir dein ganzes Leben erzählst, vom Moment deiner Geburt bis zu deiner Ankunft hier." Im Raum stand ein Metallstuhl ohne Sitzfläche. "Ich wurde gefragt: 'Willst du, dass ich den anwende?'", erinnert sich Arar. Er zieht die Luft zwischen den Zähnen ein. Obwohl er keine Ahnung hatte, was sie mit dem Stuhl machen würden, war die Botschaft klar. Seit dem letzten Bond-Film haben viele Menschen eine Vorstellung davon, wie solche Stühle zum Folterinstrument werden.

Maher Arar wurde in eine Zelle gebracht. 85 Zentimeter breit, 1,85 Meter lang und kaum zwei Meter hoch, unter der Erde. Arar ist um die 1,90 Meter groß. Er nennt sie "das Grab". Dort würde er zehn Monate und zehn Tage verbringen. "Wenn du da festgehalten wirst ohne zu wissen, was mit deiner Familie passiert", er lacht auf, beinahe tonlos, "dann fühlt sich ein Jahr wie hundert Jahre an."

Sein Sohn Houd war damals noch kein Jahr alt, die Tochter Barâa fünf. Seine Frau Monia Mazigh, geboren in Tunesien, hatte er im Studium kennengelernt und 1994 geheiratet. Arar stammt aus Damaskus. Mit 17 Jahren war er mit seinen Eltern nach Kanada ausgewandert. Mit 21 bekam er den kanadischen Pass. Syrien hatte Ungewissheit bedeutet. Kanada war das Versprechen auf Bildung und Wohlstand. Maher Arar studierte Informatik und Kommunikationselektronik, machte Karriere. Er arbeitete als freier Berater für ein führendes US-amerikanisches Softwareunternehmen, The MathWorks, und versuchte, parallel seine eigene Firma aufzubauen. "Ich gehöre zu den besten zehn Prozent in meinem Feld", sagt er stolz.


Das Syrien, das er verlassen hatten, stand für Arar auch für Willkür.

Ein Cousin der Mutter saß neun, zehn Jahre im Gefängnis, weil er angeblich Mitglied der Muslimbrüder war, einer islamisch-fundamentalistischen Bewegung. "Das stimmte nicht, aber er war mit jemandem gesehen worden", erzählt Arar - mit jemandem, der verdächtig war. Mitgefangen, mitgehangen. Wie Maher Arar auch. "In Syrien hätte es mich nicht gewundert, wenn mir das passiert wäre", sagt er, "aber in den USA? Mit meinem kanadischen Pass?"

Maher Arar ist heute eines der bekanntesten Opfer einer "extraordinary rendition", einer außerordentlichen Auslieferung, man könnte auch sagen: "Verschleppung in die Folter". Nach dem Anschlag auf die Twin Towers am 11. September 2001 begann der US-Geheimdienst CIA, rund um den Globus Verdächtige ohne Haftbefehl festzunehmen. In eigens gecharterten Privatflugzeugen brachte die CIA sie entweder in eigene Geheimgefängnisse oder in Länder wie Syrien, wo ihnen unter Folter Geständnisse abgepresst werden sollten.

Afghanistan? Maher Arar ist nie dort gewesen. Das sagte er auch seinen Folterern. Arar klingt müde, wenn er über die Tage in Far Falestin spricht. Zwischen den Verhören wurde er in einen leeren Raum gebracht. "Damit ich hören konnte, wie andere gefoltert werden", sagt er. "Am Ende ist dir ganz egal, was du antwortest, weil sie sowieso nicht an der Wahrheit interessiert sind, sondern allein daran, Informationen aus dir herauszubekommen."

Donald Payne, Mitglied des Kanadischen Zentrums für Folteropfer, schreibt in einem Vorbericht des Untersuchungsausschusses zum Fall Arar: Bei Folter gehe es im Wesentlichen darum, "den Willen, die Menschlichkeit und den Geist des Individuums zu zerstören, sodass es die Kontrolle über sich verliert und bereit ist, seinen Folterern die Kontrolle über sich zu übergeben".

Maher Arar gestand. Im Lauf der Verhöre habe er nicht einmal mehr den Fragen zugehört, erzählt er. "Du denkst nicht mehr über deine Antworten nach, sondern nur noch darüber, wie du am Leben bleibst."

Der Untersuchungsbericht der kanadischen Regierung über seinen Fall kam 2006 zu dem Schluss. "Es ist sehr wahrscheinlich, dass sich die US-Behörden bei ihrer Entscheidung, Herrn Arar festzunehmen und nach Syrien zu schaffen, auf Informationen über Herrn Arar verlassen haben, die von der Royal Canadian Mounted Police zur Verfügung gestellt wurden." Und diese Informationen waren fehlerhaft, wie der Bericht feststellt.

Zum Beispiel was den Kontakt zu Abdullah Almalki betrifft. Arar hatte eine Zeitlang bei derselben Firma wie dessen Bruder gearbeitet. Als er von Montreal nach Ottawa zog, brauchte er jemanden, der seinen Mietvertrag gegenzeichnete. Der ehemalige Kollege hatte keine Zeit und schickte seinen Bruder Abdullah. Schon beim Verhör in New York zogen die US-Beamten eine Kopie des Vertrags hervor. "Die Unterzeichnung dieses Mietvertrags war für mich absolut unbedeutend", sagt er, "bis sie den herausholten, hatte ich das vollkommen vergessen." Almalki wurde in Far Falestin zu seinem Zellennachbarn unter der Erde. Dass auch ihm keinerlei Kontakte zu Al-Qaida nachgewiesen werden konnten, ist eine andere Geschichte.

Nach knapp einem Jahr in seinem Grab erhält Maher Arar Besuch vom kanadischen Konsul. Aus Angst vor den anwesenden syrischen Beamten schweigt Arar zunächst über die Haftbedingungen und die Folter. Als er sich nach einer längeren Besuchspause dem Konsul doch anvertraut, fragt der ihn, ob er gelähmt sei. Arar erinnert sich, wie merkwürdig ihm diese Frage erschien - der Konsul hatte ihn in den Raum gehen sehen. "Heute wissen wir, warum er diese Frage gestellt hat", sagt Arar. "Der Botschafter hatte ihm gesagt: 'Triff Arar und entkräfte die Foltervorwürfe', statt 'finde heraus, ob er gefoltert wird'." Der Grund: Arars Frau hatte in Kanada eine Befreiungskampagne gestartet, mittlerweile spekulierten die Medien über sein Schicksal. Die Sache wurde unbequem.

Das war im August 2003. Doch erst am 5. Oktober wird er entlassen und noch am selben Tag nach Kanada ausgeflogen. Arar, von 80 fast auf 60 Kilogramm abgemagert, ist nicht mehr derselbe Mann. "Ich war wie ein Hund", erinnert er sich an die erste Zeit nach seiner Rückkehr, "ich war unterwürfig, schwach und habe alle Entscheidungen an meine Frau abgegeben. Ich war vollkommen zerstört, emotional und psychisch."

Drei Jahre später spricht die Regierungskommission, die auf Druck von Menschenrechtsorganisationen eingerichtet wurde, Maher Arar von allen Verdachtsmomenten frei. Er erhält eine Wiedergutmachung von umgerechnet 7,7 Millionen Euro. Doch das Geld kann sein zerfallenes Leben nicht kitten.

Die New Yorker Bürgerrechtsorganisation "Center for Constitutional Rights" hat in den USA Klage in seinem Namen gegen den ehemaligen Justizminister John Ashcroft und FBI-Direktor Robert Mueller eingereicht. Zwischenzeitlich sah es so aus, als würde der Fall aus "nationalen Sicherheitsinteressen" abgelehnt. Am 9. Dezember wird es jetzt doch eine Anhörung geben. "Das ist ein gutes Zeichen", sagt Maher Arar, der immer noch auf einer Beobachtungsliste der USA steht.

Und nun? Maher Arar ist dabei, seine Doktorarbeit in "Wireless Communication" fertig zu schreiben. Höchste Zeit, sich zu bewerben. Finanziell ist die Familie abgesichert. Doch wer Arar von seinen früheren Ambitionen und Plänen sprechen hört, ahnt, wie eng sein Selbstwertgefühl mit beruflichem Erfolg verknüpft ist. "Ein Job wäre für meine Zufriedenheit", sagt er selbst. Nach unzähligen Bewerbungen in den letzten Jahren hat er es im Sommer bei seiner alten Firma versucht. Ohne Erfolg. "Ich bin nicht mehr so schnell wie früher", räumt er ein, "ich kann mich nicht mehr so gut konzentrieren." Dennoch: An Leuten mit seinen Qualifikationen mangele es eigentlich nach wie vor. "Ich bekomme keinen Job wegen meiner Geschichte", sagt er. Sein Lächeln gerät bitter. Im Moment bewirbt er sich nicht. "Jedes Mal wieder die Enttäuschung zu erleben, das bringt dich wirklich um." Einmal unter Terrorverdacht, immer unter Terrorverdacht.


WEITERLESEN
Im November ist Monia Mazighs Buch erschienen:
Hope and Despair. My Struggle to Free My Husband, Maher Arar.
McClelland & Stewart, Toronto 2008
Weitere Informationen zu Maher Arar finden sich unter www.maherarar.ca


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Quelle:
amnesty journal, Dezember 2008/Januar 2009, S. 53-54
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veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2009