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NORDAMERIKA/102: Verurteilt auf Verdacht (ai journal)


amnesty journal 10/11/2011 - Das Magazin für die Menschenrechte

Verurteilt auf Verdacht
In den USA sitzen zwei ehemalige Black Panther-Aktivisten
seit 40 Jahren vermutlich unschuldig im Gefängnis.

von Claus Walischewski


Es ist einer der längsten Fälle in den USA, mit denen sich Amnesty beschäftigt. Seit 40 Jahren sitzen Edward Poindexter und Mondo we Langa im Gefängnis - für einen Mord, den sie vermutlich nicht begangen haben. Seit über 30 Jahren verfolgt Amnesty den Fall und hat immer wieder versucht, ein Wiederaufnahmeverfahren zu unterstützen. Da Mondo we Langa und Edward Poindexter in einem rechtsstaatlichen Verfahren verurteilt wurden, hat Amnesty International sie nicht als gewaltlose politische Gefangene anerkannt. Es bestehen jedoch starke Zweifel an diesem Urteil, denn eine Menge Beweismittel wurden dem Gericht vorenthalten. Amnesty fordert daher eine Wiederaufnahme des Verfahrens.

Mondo we Langa, der sich früher David Rice nannte, und Edward Poindexter waren Ende der sechziger Jahre führende Mitglieder einer Untergruppierung der Black Panther in Omaha, Nebraska, und setzten sich aktiv für die Rechte der Schwarzen ein. Sie kritisierten Rassendiskriminierung und Polizeiwillkür in ihrer Stadt und wurden aufgrund ihrer radikalen Einstellung zur Zielscheibe der lokalen Polizei sowie des FBI.

Als am 14. August 1970 ein Polizist durch eine Kofferbombe getötet wurde, die in einem leerstehenden Haus deponiert worden war, fiel der Verdacht sofort auf die Black Panther und man versuchte, die beiden zu belasten. Dies gelang mit Hilfe eines 15-jährigen Kronzeugen, Duane Peak, der gestanden hatte, die Bombe im Auftrag der beiden Angeklagten platziert und ebenfalls im Auftrag der beiden den Notruf bei der Polizei getätigt zu haben. Er änderte seine Aussage mehrmals, war aber nach Einschüchterung und Bedrohung durch die Polizei schließlich bereit, Rice und Poindexter zu belasten.

Obwohl sich der jugendliche Kronzeuge bei der Verhandlung in Widersprüche verwickelte und keine eindeutige Indizienkette zwischen dem Dynamit und dem Mordanschlag hergestellt werden konnte, erkannten die fast ausschließlich weißen Geschworenen die Angeklagten als schuldig. Sie wurden im April 1971 zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt und sind seitdem in Haft.

Nach dem Prozess stellte sich heraus, dass die Omaha Panthers auch Zielgruppe des "Counter Intelligence Programmes" (COINTELPRO) des FBI gewesen waren, mit dem versucht werden sollte, radikale Gruppen mit zum Teil illegalen Mitteln unschädlich zu machen. So wurden mehrere entlastende Beweismittel dem Gericht vorenthalten, unter anderem die Tonbandaufnahme des anonymen Anrufers, der die Polizei zum Tatort lockte. Diese Aufnahme wurde in einem internen Papier als "schädlich für das Verfahren" bezeichnet und vom FBI zurückgehalten. Sie galt lange als verschollen. Eine später aufgetauchte Kopie der Aufzeichnung bewies jedoch, dass der fragliche Anruf nicht von dem Jugendlichen oder den Angeklagten, sondern von einem unbekannten Erwachsenen stammte. Damit war erwiesen, dass der Hauptbelastungszeuge in einem entscheidenden Punkt seiner Aussage gelogen hatte.

Als weiteres Beweismittel führte die Polizei Dynamit vor, das angeblich bei einer Durchsuchung in Rices Haus gefunden worden war. Einem schwarzen Polizeibeamten, der an dem Abend Dienst hatte, kamen die Umstände der Durchsuchung merkwürdig vor; er nimmt heute an, dass seine Kollegen das Dynamit deponiert hatten. Bei einer späteren Anhörung beschuldigte ein Bundesrichter die vier Polizeibeamten, die das Dynamit angeblich gefunden hatten, der Falschaussage und ordnete die Freilassung der Gefangenen wegen der illegalen Hausdurchsuchung an. Dieses Urteil wurde jedoch von einer höheren Instanz aufgehoben. Trotz aller Ungereimtheiten ist ein neues Verfahren immer wieder abgelehnt worden, zuletzt im Juni 2009 vom Nebraska Supreme Court. Seit 1981 mahnte Amnesty wiederholt die US-Regierung an, alle Fälle mit COINTELPRO-Verwicklung neu zu prüfen. Darunter waren auch die Fälle von Elmer Pratt, Richard Marshall und Leonhard Peltier. Heute sitzt von diesen drei Personen nur noch Peltier im Gefängnis. Nach neuen Prozessen wurde Pratt 1997 und Marshall 2010 freigesprochen.


Der Autor ist Mitglied einer Amnesty-Gruppe in Bremen, die sich für eine Wiederaufnahme des Verfahrens einsetzt.


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Quelle:
amnesty journal, Oktober/November 2011, S. 14
Herausgeber: amnesty international
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Dezember 2011