Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → AMNESTY INTERNATIONAL

SÜDAMERIKA/034: Argentinien - Aufarbeitung der Militärdikatur (ai journal)


amnesty journal 5/2007 - Das Magazin für die Menschenrechte

Späte Wahrheiten
Der Fall von Elisabeth Käsemann zeigt, wie schwer deutschen wie argentinischen Behörden die juristische Aufarbeitung der Militärdikatur fällt.

Von Esteban Cuya


Bei keinem Verbrechen gegen deutsche Staatsbürger im Ausland hat sich die deutsche Diplomatie so angreifbar gemacht wie bei dem Mord an Elisabeth Käsemann in Argentinien. Am 24. Mai 2007 jährt sich die Tat zum 30. Mal.

Elisabeth Käsemann war bereits während ihrer Schulzeit politisch aktiv und setzte sich für soziale Projekte ein. Nach dem Abitur studierte sie Soziologie und Politik an der Freien Universität Berlin. Ende September 1968 reiste sie für ein Praktikum nach Südamerika. Ihre Eindrücke in den Armenvierteln Boliviens führten dazu, dass sie in Lateinamerika bleiben wollte, um gegen die Armut und Ungerechtigkeit zu kämpfen. "Ich bin dabei, mich mit dem Schicksal dieses Kontinents zu identifizieren", schrieb sie damals an ihre Eltern. "Vielleicht wird das zu Entscheidungen führen, die ihr nicht versteht oder die euch viel Kummer bereiten könnten."

Einige Jahre später siedelte sie nach Buenos Aires über. Dort arbeitete sie als Übersetzerin, studierte Wirtschaftswissenschaft und engagierte sich zusammen mit der Theologiestudentin Diana Austin in einem Sozialprojekt in den Slums von Buenos Aires. Wenige Monate zuvor hatte das Militär unter Führung von General Jorge Videla die verfassungsgemäße Regierung unter Isabel Perón durch einen Putsch gestürzt. Im August 1976 schrieb sie an ihre Eltern: "Die Verhältnisse sind sehr schlecht. Tausende, von denen man nichts weiß. Täglich werden die Kreise enger gezogen. Konzentrationslager überall, ein Menschenleben ist wenig wert, und man gewöhnt sich daran, dass überall im Bekanntenkreis Leute verschwinden und man nichts mehr von ihnen hört." Auch von Gerüchten über geheime Folterzentren berichtete sie.

Elisabeth Käsemann setzte sich aktiv gegen die argentinische Militärdiktatur ein. Sie gehörte einem Netzwerk an, das gefährdete Personen außerhalb Argentiniens in Sicherheit brachte. In der Nacht vom 8. auf den 9. März 1977 wurde sie in Buenos Aires von Soldaten entführt, in das geheime Haftzentrum "Campo Palermo" verschleppt und dort in stundenlangen Verhören mit Schlägen und Elektroschocks gefoltert. Tage später wurde Elisabeth Käsemann in das Lager "EI Vesubio" in der Provinz Buenos Aires verlegt, das unter den Gefangenen als die "Hölle" bekannt war. In der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 1977 wurde Elisabeth mit 15 weiteren Gefangenen in Handschellen und mit einer über den Kopf gestülpten Kapuze nach Monte Grande in der Provinz Buenos Aires transportiert und dort durch Schüsse in Genick und Rücken aus unmittelbarer Nähe ermordet.

Nach ihrem Tod behauptete das argentinische Militär, es habe ein Feuergefecht in der Ortschaft Monte Grande stattgefunden, bei dem 16 "subversive Verbrecher", unter ihnen Elisabeth Käsemann, getötet worden seien. Der Mord war mit ungeheurem Leid für ihre Familie verbunden. Nachdem ihr Kind gefoltert und getötet wurde, zog die deutsche Boulevardpresse auch noch über ihre angeblichen "terroristischen Umtriebe" in Argentinien her.

Die Tübinger Staatsanwaltschaft, bei der Strafanzeige "wegen des nicht natürlichen Todes von Elisabeth Käsemann", eingereicht wurde, hielt die bereits damals vorliegenden Beweise für nicht ausreichend für weitere Ermittlungen und stellte im Februar 1980 das Verfahren ein.

Auch die damalige Bundesregierung in Bonn zeigte wenig Interesse, das Schicksal Elisabeth Käsemanns aufzuklären. Weder wurde der argentinische Botschafter in das Auswärtige Amt einbestellt, noch wurde das Auswärtige Amt gegenüber der argentinischen Regierung aktiv. Während der zehn Wochen Gefangenschaft, die der Bundesregierung bekannt war, versäumte diese, sich aktiv für die Freilassung von Elisabeth Käsemann einzusetzen. Ihr Vater, der bekannte Theologieprofessor Ernst Käsemann aus Tübingen, schrieb damals: "Die Diplomatie kümmert sich nicht um die Menschenrechte und den Zivilschutz, sondern um ihre nationalen Repräsentationspflichten und kommerziellen Interessen. Ein verkaufter Mercedes wiegt mehr als ein Leben."

Fast zwei Jahrzehnte später, im Februar 1999, stellten Elisabeth Käsemanns Eltern bei der Staatsanwaltschaft Tübingen erneut eine Strafanzeige wegen Mordes an Elisabeth Käsemann - zusammen mit einem Strafantrag gegen den ehemaligen Präsidenten und Oberbefehlshaber des argentinischen Heeres Jorge Rafael Videla, gegen Emilio Massera, Juntamitglied und Oberbefehlshaber der Marine und gegen den Ex-General Carlos Suárez Mason. Da bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth bereits mehrere Fälle aus Argentinien anhängig waren, wurde ihr das Ermittlungsverfahren übertragen.

Nach intensiven Untersuchungen und Zeugenanhörungen erließ das Amtsgericht Nürnberg-Fürth im Juli 2001 Haftbefehl gegen den Ex-General Carlos Suárez Mason. Ihm wurde zur Last gelegt, als Chef des Heereskorps der Zone 1 für die Folter und Ermordung von Elisabeth Käsemann verantwortlich gewesen zu sein. Im Dezember 2001 und November 2003 ergingen weitere internationale Haftbefehle, unter anderem gegen den Ex-General Jorge Rafael Videla und den Ex-Admiral Emilio Massera.

Ende Januar 2004 wurden Jorge Videla und Emilio Massera wegen der deutschen Haftbefehle von den argentinischen Behörden festgenommen und unter Hausarrest gestellt. Zuvor hatte die Bundesregierung dem argentinischen Außenministerium Auslieferungsgesuche bezüglich Videla und Massera überstellt, denen bislang aber nicht nachgekommen wurde.


Der Autor ist Mitglied der Koalition gegen Straflosigkeit.


*


Amnestie und Militärdiktatur

Während der Militärdiktatur verschwanden etwa 30.000 Personen in geheimen Haftlagern. Unter den Opfern waren auch zahlreiche Deutsche und Deutschstämmige, rund hundert Fälle sind namentlich bekannt. Nach dem Ende der Diktatur 1983 wurden zwar einige Mitglieder der Militärjunta in einem spektakulären Prozess zu Gefängnisstrafen verurteilt, doch bereits nach kurzer Zeit begnadigt. Der 2003 gewählte Präsident Néstor Kirchner hob die Amnestiegesetze wieder auf, die im Juni 2005 durch den Obersten Gerichtshof von Argentinien für verfassungswidrig erklärt wurden. Seither sind einige Verfahren gegen mutmaßliche Täter eingeleitet worden, und die ersten Urteile sind ergangen.

Weitere Informationen unter www.menschenrechte.org/Koalition.htm


*


Quelle:
amnesty journal, Mai 2007, S. 28-29
Herausgeber: amnesty international
Sektion der Bundesrepublik Deutschland e.V., 53108 Bonn
Telefon: 0228/98 37 30
E-Mail: info@amnesty.de
Internet: www.amnesty.de

Das amnesty journal erscheint monatlich.
Der Verkaufspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.
Nichtmitglieder können das amnesty journal für
30 Euro pro Jahr abonnieren.


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Mai 2007