Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → BEDROHTE VÖLKER

EUROPA/403: Klage gegen Hannovers Polizeipräsidenten wegen Volksverhetzung


Presseerklärung vom 16. Juli 2007

Gesellschaft für bedrohte Völker bekräftigt Vorwürfe gegen Polizeipräsidenten von Hannover:

"Aussiedlerfeindlichkeit ist genauso schlimm wie Ausländerfeindlichkeit"


Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) begrüßt, dass der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Christoph Bergner, die Pläne des hannoverschen Polizeipräsidenten Hans-Dieter Klosa, russische Polizisten gegenüber russlanddeutschen Aussiedlern einzusetzen, ebenfalls scharf kritisiert hat. Die GfbV hatte gegen Klosa wegen möglicher Volksverhetzung Anzeige erstattet, weil die Russlanddeutschen als Gruppe pauschal verunglimpft worden seien und dagegen in einer bundesweit verbreiteten Pressemeldung protestiert. Die Staatsanwaltschaft hat die Anzeige zurückgewiesen. "Doch Aussiedlerfeindlichkeit ist genauso schlimm wie Ausländerfeindlichkeit", erklärt der GfbV-Generalsekretär Tilman Zülch.

Es folgt sein Antwortschreiben an die Staatsanwaltschaft im Wortlaut, nachdem diese Ermittlungen wegen Volksverhetzung abgelehnt hatte:


Staatsanwaltschaft Hannover
Oberstaatsanwältin Gresel
Volgersweg 67
30175 Hannover

Ihre Geschäftsnummer: NZS - 1111 Js 47403/07
Strafanzeige gegen PP Klosa
Tatvorwurf: Volksverhetzung

Göttingen, 15.07.2007

Sehr geehrte Frau Gresel,

wir sind verwundert über Ihre Antwort vom 12. Juni 2007.

Sie erwähnen nicht, dass der Herr Polizeipräsident Klosa gesagt hat, die "russischen Spätaussiedler" seien "eine Klientel, die durch Gewaltbereitschaft auffällt". Sie schreiben, dass es darum gehe, wie "die Äußerung von einem unbefangenem Durchschnittsempfänger verstanden werden muss". Man könnte meinen, Sie gehen davon aus, dass die "Durchschnittsbevölkerung" keine Vorurteile gegen bestimmte ethnische, religiöse oder soziale Minderheiten hat. Da dieses unzähligen Befragungen widerspricht und da Vorurteile und Ressentiments gegen bestimmte Minderheiten verbreitet sind, können wir Ihnen nicht folgen, wenn Sie sozusagen auf das gesunde "Volksempfinden" setzen. Insoweit schützt nämlich das Strafrecht gegen Vorurteile, seien sie noch so verbreitet.

Der Herr Polizeipräsident hat sich nach unserer Anzeige und der entsprechenden Meldung in 23 Zeitungen von seiner Äußerung distanziert. Er hat also nicht mehr von der Klientel der "russischen Spätaussiedler", die durch Gewaltbereitschaft auffällt, gesprochen, sondern hat verlautbart, dass die Aussiedler in ihrer großen Mehrheit gesetzestreu seien. Also hat unsere Anzeige bereits etwas bewirkt. Es verwundert, dass Sie die rassistische Aussage "die Klientel der "russischen Spätaussiedler" falle durch Gewaltbereitschaft auf" weder analysieren, noch monieren. Das verheißt nichts Gutes für den zukünftigen Schutz von ethnischen oder religiösen Minderheiten in Hannover.

Weiter behaupten Sie, dass "das Ziel der beabsichtigten gegenseitigen Hospitation nicht Diskriminierung und Ausgrenzung ist, sondern Verstehen und Umgehen mit russischen Spätaussiedlern. Der deutschen Polizei soll dadurch Gelegenheit gegeben werden, mehr über die kulturellen Hintergründe zu erfahren und damit Handlungsweisen, aber auch Aggressionen besser verstehen zu können". Allein die Äußerungen des Polizeipräsidenten sind auf strafrechtliche Relevanz durch die Staatsanwaltschaft zu prüfen. Interpretationen bzw. Spekulationen zu seiner Motivation sind nicht Gegenstand des staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens.

Zunächst wundere ich mich darüber, dass Sie von "russischen Spätaussiedlern" sprechen. Die Volksgruppe wird historisch als Russlanddeutsche bezeichnet, weil sie vor ihrer Deportation aus dem europäischen Russland nach Zentralasien und Sibirien eben in Russland ansässig war.

Heute sind sie entweder, ethnisch gesehen, russlanddeutsche Aussiedler oder Aussiedler aus den GUS-Staaten. Möglicherweise ist Ihnen der Unterschied zwischen Kirgisistan, Uzbekistan und Kasachstan einerseits und Russland andererseits nicht bekannt.

Nun zu den "hospitierenden" russischen Polizeibeamten. Offensichtlich haben Sie sich nicht die Mühe gemacht, die Presse zu verfolgen. Dort heißt es: "Geplant ist, sie (die russischen Polizisten) auch im aktiven Dienst einzusetzen. Ob die russischen Beamten eine Waffe tragen, ist noch ungeklärt. Sinnvoll sei, sie für Ermittlungen bei Ausländerkriminalität einzusetzen." Weiter sagte Polizeisprecher Stefan Wittke: "Beim Einsatz russischer Polizisten "von 2008 an sollen russische Polizisten in Hannover Dienst tun" (ist das hospitieren?). Weiter heißt es: "Es geht um energisches und entschlossenes Auftreten, das lerne man in Ivanowo ganz gut, Freundlichkeit führe beim Umgang mit Spätaussiedlern leider oft nicht zum Ziel." In diesem Zusammenhang also der Einsatz russischer Polizisten in Hannover. Wenn der Polizeipräsident meint, im Dienst auf Freundlichkeit gegenüber irgendwem verzichten zu dürfen, muss sicher geprüft werden, ob nicht nur wegen Volksverhetzung ermittelt wird.

In dem Artikel der beigelegten Bildzeitung heißt es, Zitat Klosa: "Die Erfahrungen bei der Expo waren sehr gut! Da haben einige sehr verblüfft geguckt, als sie Beamte in den Uniformen ihrer Heimatländer sahen, in ihrer Muttersprache angeredet wurden", und weiter fährt Bild fort: "Wie ein russischer SEK-Beamter einen Dieb nach Fahndung durchs Autofenster zog, ist in Hannover bis heute in Erinnerung geblieben ...". Frage: Sieht so das "Hospitieren" der russischen Polizisten aus? Weitere Frage: Würden Sie es nicht für legitimer halten, wenn eine Stadt wie Hannover, mit 28.000 Russlanddeutschen (5 % der Bevölkerung), statt sechs Polizeibeamte russlanddeutscher Herkunft unter 1500 Hannoveraner Polizeibeamter, 75 Polizisten dieser Minderheit (das wären 5 %) einstellen würde? Diese könnten dann auch, psychologisch geschult, in beiden Muttersprachen, in Deutsch und Russisch, sich mit mutmaßlichen oder wirklichen Straftätern auseinandersetzen.

Unsere Pressemeldung "Russlands Prügelpolizisten nicht gegen deutsche Staatsbürger einsetzen!" entbehrt also keineswegs jeder Grundlage. Anbei erhalten Sie Unterlagen, die Ihnen im Übrigen darlegen, dass auf russischen Polizeiwachen sehr wohl geprügelt wird. Dass Sie nichts dagegen haben, dass derartige "Prügelpolizisten" aus einem Land, das sich Stück für Stück wieder Teilen seiner stalinistischen Tradition zuwendet, gegen russlanddeutsche Aussiedler eingesetzt werden, macht diese "Prügelpolizisten" sicherlich nicht zu legitimen Instrumenten des Umgangs mit unseren deutschen Aussiedlern aus den GUS-Staaten.

Bleibt hinzuzufügen, dass systematische Folter durch Polizisten und Milizionäre auf russischen Polizeistationen gang und gebe ist und davon besonders Angehörige von ethnischen und religiösen Minderheiten betroffen sind, dass die Polizei gegen Demonstranten aller Art, Oppositionelle, Nichtregierungsorganisationen oder Medienvertreter mit martialischer Gewalt eingesetzt wird und dass die russische Polizei somit als "Knüppel" des Staates missbraucht wird. Fragt sich dann, was man sich von dem Einsatz russischer Polizisten gegen deutsche Aussiedler aus den GUS-Staaten, möglicherweise auch mit Pistolen, verspricht.

Mir scheint, dass Sie sehr "schludrig" recherchiert haben. Wir meinen, dass die Staatsanwaltschaft eigentlich für Minderheitenschutz da ist, wenn eine solche Minderheit kollektiv angegriffen wird und ihr polizeiliche Gewalt aus einem halbtotalitärem Staat angedroht wird.

Vielleicht darf ich Sie abschließend darauf aufmerksam machen, dass die Russlanddeutschen zwischen 1917 und 1956 wellenartig staatlichem und damit natürlich auch polizeilichem Terror ausgesetzt waren. Bis zu einem Drittel dieser Volksgruppe wurde ausgelöscht. Die Diskriminierung der Angehörigen der Volksgruppe durch Administration und Polizei hat bis zum Ende der Sowjetunion nie aufgehört. Im Unterschied zu Teilen der Bevölkerung des damaligen Deutschen Reiches und Österreichs, haben die Russlanddeutschen niemals die Nazi-Diktatur gewählt und sind doch Opfer von deren Handeln und des Handelns Stalins sowie anderer sowjetischer Diktatoren geworden.

Mit freundlichem Gruß,
gez. Tilman Zülch

PS: Wir bekräftigen unsere Strafanzeige gegen Polizeipräsidenten Klosa noch einmal und möchten, dass Sie dieses Schreiben als Rechtsmittel gegen Ihre Entscheidung behandeln.

Wir erlauben uns, unsere Strafanzeige, Ihre Antwort und dieses Schreiben der niedersächsischen und deutschen Presse zu übersenden. Bedauerlicherweise steht Russland auf der "Rangliste der Pressefreiheit 2006" von "Reporter ohne Grenzen" auf Platz 147 von 168 überprüften Ländern. Vor Russland stehen sogar noch der Kongo, Somalia und Simbabwe.


*


Quelle:
Presseerklärung Göttingen vom 16. Juli 2007
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen,
Tel.: 0551/49906-0, Fax: 0551/58028
E-Mail: info@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2007