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MELDUNG/099: Internationaler Tag der Muttersprache am 21.02. - EU muss ihr Versprechen einlösen


Presseerklärung vom 19. Februar 2015

21. Februar: Internationaler Tag der Muttersprache

Die EU muss ihr Versprechen einlösen:
"In Vielfalt vereint" - bedeutet Schutz und Förderung für Minderheitensprachen in allen Mitgliedsstaaten


"Anspruch und Wirklichkeit fallen bei der Umsetzung der EU-Politik zur Förderung der Vielsprachigkeit auseinander", kritisieren Sarah Reinke, Referentin der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), sowie Rejzka Lipiec und Stere Stamule vom Vorstand der Jugend Europäischer Volksgruppen (JEV) zum Internationalen Tag der Muttersprache am 21. Februar. "Gerade die Sprachen der autochthonen Minderheiten innerhalb der EU sind gefährdet. Die Nationalstaaten setzen sich oftmals nicht genug ein, um Sprachen zu schützen. Im Gegenteil: Sie tragen durch ihre Politik gar zur Gefährdung bei." Gerade in den vergangenen zehn Jahren - auch befördert durch die Finanzkrise, hat sich die Situation vieler Minderheiten verschlechtert. "Innerhalb der EU müssen die Minderheitensprachen geschützt und weiterentwickelt werden. Der Respekt für die rund 40 Millionen Sprecher einer Minderheitensprache in der EU, Gleichberechtigung und das Recht auf die eigene Sprache sind ein starkes Signal an alle, die zunehmend Intoleranz, Vorurteile und Diskriminierung säen." Trotz positiver Beispiele wie die der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein oder auch der Ladiner in Südtirol, gibt es in vielen Staaten erheblichen Nachholbedarf.

Die Verfassung von Rumänien erkennt 17 Minderheiten an. Diese haben auch das Recht auf staatliche Zuwendungen, etwa auch für den Sprachenerhalt. Nicht anerkannt sind die 80.000 bis 100.000 Aromunen, die im Südosten Rumäniens leben. Ihre Sprache wird nur als Dialekt des Rumänischen betrachtet. Diese Ansicht bringt ihnen jedoch nur Nachteile. Die Aromunen haben dagegen erfolglos geklagt. So findet der Sprachunterricht nur fakultativ statt. Es gibt keine Lehrbücher und nur wenige Lehrer. Seit etwa 20 Jahren engagieren sich die Aromunen zunehmend selbst für die Bewahrung ihrer Sprache und Kultur und wollen auch die rumänische Bevölkerung auf sich aufmerksam machen. So gibt es jeden März das Fest "Frühling der Aromunen", an dem sich die Minderheit in der Hauptstadt Bukarest mit ihrer reichen Kultur präsentiert. Zusätzlich werden freiwillige Sprachkurse, und ein Wettbewerb für Kinder, die Gedichte aufsagen sowie Theater- und Musikstücke aufführen, angeboten.

Obwohl die Rechte der rund 300.000 Angehörigen der deutschen Minderheit in Polen europäischen Standards entsprechen, bleibt die Umsetzung hinter ihren Forderungen zurück. So lernen nur rund 30.000 Schüler Deutsch als Minderheitensprache, mehr als 90 Prozent nehmen das Fach nur in Form von drei bis vier zusätzlichen Stunden pro Woche in Anspruch. Nachdem es zwei Generationen lang verboten war, Deutsch zu sprechen, ist diese Stundenanzahl zu wenig, um Deutsch zu lernen. Erstrebenswert wäre ein zweisprachiges Schulwesen in den Gebieten, in denen die Minderheit einen großen Anteil an der Bevölkerung hat.

Die Bretonen in Frankreich klagen, dass es immer weniger aktive Sprecher gibt und die Sprache nicht mehr in den Familien weitergegeben wird. Das ist auch Ergebnis repressiver Sprachpolitik, die erst in den 1980er Jahren gelockert wurde. Es fehlt der politische Wille in Paris, sich tatsächlich aktiv für den Schutz und die Förderung des Bretonischen zu engagieren.

In Irland haben verbale Angriffe auf die irische Sprache und ihre Sprecher durch pro-britische Politiker immer noch System. Sprache ist im Norden von Irland und besonders im kulturell geteilten Belfast ein Politikum. So lehnen pro-britische Unionisten die irische Sprache als Element irischer Kultur ab. Sie werfen irisch-nationalistischen Politikern vor, die Sprache zu instrumentalisieren und empfinden ihre Verwendung in öffentlichen Institutionen als Provokation. Beliebt ist die Titulierung des Irischen als "Koboldsprache". Doch die Zahl irischsprachiger Schulen steigt, trotz knapper Finanzen. Tausende Kinder erlernen dort die Sprache. Zudem wird Irisch als Unterrichtssprache verwendet. Es ist zu hoffen, dass die von der UNESCO als gefährdet eingestufte Sprache trotz der politischen Widerstände eine Zukunft hat.

Die rund 60.000 Sorben in der Ober- und Niederlausitz beobachten, dass immer weniger Ober- und Niedersorbisch gesprochen wird. Ein Grund etwa ist sicherlich das schlechte Image der Sprache: Bis heute werden von vielen die Vorteile nicht erkannt, die für zweisprachig aufwachsende Kinder entstehen. Weitere Probleme sind Schulschließungen, sowie ein akuter Mangel an Lehrern und Pädagogen, die Ober- und Niedersorbisch auf muttersprachlichem Niveau sprechen. Besonders besorgniserregend sind Rassismus und Diskriminierung im Alltag. So kommt es vor, dass es unerwünscht bzw. verboten ist, am Arbeitsplatz Sorbisch zu sprechen, zweisprachige Schilder regelmäßig beschmiert und junge Sorben von Neonazis bedroht werden. Die teilweise Unkenntnis der Behörden und die fehlenden Sensibilität der Öffentlichkeit sind nur zwei Gründe, weshalb es an der Umsetzung der rechtlichen Bestimmungen zum Schutz und der Förderung der Sorben in Deutschland häufig mangelt. In Europa gibt es 90 autochthone Sprachen, davon werden 37 als Nationalsprachen gesprochen und 53 gelten als "staatenlose Sprachen" wie Katalanisch und Okzitanisch, das jeweils von sechs Millionen Menschen gesprochen wird. Wissenschaftler haben eine Sprachgrenze von mindestens 300.000 Sprechern definiert, ab der eine Sprache aus eigener Kraft überleben kann. Dieser Grenze zufolge sind etwa 80 Prozent der europäischen Minderheitensprachen gefährdet. Das betrifft etwa die Sprache der Ladiner, Rätoromanen oder Ober- und Niedersorben. Deshalb ist es notwendig, diese gefährdeten Sprachen zu schützen und zu fördern.

Das "Weißbuch" kann unter folgendem Link kostenlos heruntergeladen werden:
http://www.yeni.org/yeni/press/Weissbuch.pdf

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Quelle:
Presseerklärung Göttingen/Berlin, den 19. Februar 2015
Herausgeber: Gesellschaft für bedrohte Völker e. V.
Postfach 20 24, D-37010 Göttingen
Telefon: 0551/499 06-25, Fax: 0551/58028
E-Mail: presse@gfbv.de
Internet: www.gfbv.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Februar 2015

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