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APPELL/004: Der Opfer gedenken und Rassismus bekämpfen! (Pro Asyl)


Pro Asyl - Presseerklärung vom 22. Februar 2012

Der Opfer gedenken und Rassismus bekämpfen!

Erklärung zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus


Morgen wird mit einem Staatsakt in Berlin den Opfern der rechtsextremen Terrorzelle "NSU" gedacht. Wir trauern um Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kiliç, Yunus Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubask, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. die den Rechtsextremisten zum Opfer fielen. Sie gehören zu den über 150 Opfern rechtsextremistischer und rassistischer Gewalt seit 1990.

Der Interkulturelle Rat, PRO ASYL und der Verein "Mach' meinen Kumpel nicht an" begrüßen, dass an diese Opfer erinnert wird. Sie rufen deshalb auch zur Beteiligung an der von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden initiierten Schweigeminute für die Opfer rechtsextremistischer Gewalt am Donnerstag, den 23. Februar 2012, um 12.00 Uhr auf.

Wir dürfen bei dem Gedenken an die Opfer aber nicht stehen bleiben. Ablehnende und ausgrenzende Einstellungen gegenüber Juden, Muslimen, Schwarzen, Roma, Menschen mit Migrationsgeschichte und anderen Minderheiten sind auch in der Mitte der Gesellschaft verbreitet. Dieser "Alltagsrassismus" führt zu Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche und auf der Straße und bestärkt gewaltbereite Rassisten in ihrem Tun.

Der Interkulturelle Rat, PRO ASYL und der Verein "Mach' meinen Kumpel nicht an" rufen deshalb in einer gemeinsamen Erklärung dazu auf, sich aktiv gegen Rassismus und Diskriminierung zu stellen. Sie regen an, sich während der Internationalen Wochen gegen Rassismus vom 12. bis 25. März durch Aktionen mit den Gegnern und Opfern von Rassismus zu solidarisieren. Möglich seien Diskussionsveranstaltungen mit politisch Verantwortlichen, Stadtteilfeste, Menschenketten und Gedenkveranstaltungen an Orten, die zur Zielscheibe rassistischer Gewalt geworden sind oder Solidaritätsaktionen mit Flüchtlingen und Geduldeten. Empfohlen wird auch, sich an der Aktion "5 vor 12" zu beteiligen, mit der die Türkische Gemeinde in Deutschland dazu aufruft, am 21. März - dem Internationalen Tag gegen Rassismus - in Schulen, Betrieben und der Öffentlichkeit viele Zeichen gegen Rassismus zu setzen.

Von der Bundesregierung erwarten die Herausgeber der Erklärung, dass sie die Zivilgesellschaft in diesem Engagement unterstützt und sich ihrer eigenen Verantwortung stellt. Als Beispiele für fortbestehende ausgrenzende Strukturen in der Gesetzgebung verweisen sie auf die Isolierung von Schutzsuchenden in Sammellagern, auf ihre Diskriminierung durch das sogenannte "Asylbewerberleistungsgesetz" sowie auf Einschränkungen beim Familiennachzug und beim Zugang zum Arbeitsmarkt. Solche Ausgrenzungen von Flüchtlingen und Migranten bestärken all jene, die über "zu viele Ausländer" in Deutschland klagen.

Die Bundesregierung, so der Interkulturelle Rat, PRO ASYL und der Verein "Mach' meinen Kumpel nicht an" abschließend, muss sich glaubhaft gegen Rassismus engagieren. Voraussetzung dafür ist eine Politik, die sich nicht an der Herkunft, dem Aufenthaltsstaus oder der Nationalität orientiert, sondern an der Unteilbarkeit der Menschenrechte und dem Recht, in Deutschland frei von Diskriminierung und rassistischer Gewalt leben zu können.

Weitere Informationen finden Sie in der gemeinsamen Erklärung des Interkulturellen Rates, von PRO ASYL und dem Verein "Mach' meinen Kumpel nicht an" zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus 2012 (siehe Anhang).


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Rassismus hat viele Gesichter!

Im vergangenen Jahr haben wir einige dieser Gesichter gesehen:

• Im Herbst 2011 wird öffentlich, dass rechtsextreme Rassisten mitten in Deutschland mehr als 13 Jahre lang ungehindert morden konnten. Wir trauern um die Opfer der sogenannten »Zwickauer Zelle«: Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru, Süleyman Tasköprü, Habil Kiliç, Yunus Turgut, Ismail Yasar, Theodoros Boulgarides, Mehmet Kubasik, Halit Yozgat und Michèle Kiesewetter. Sie reihen sich ein in die über 150 Opfer rechtsextremistischer und rassistischer Gewalt seit 1990.

• Das Entsetzen über die immense Gewaltbereitschaft rassistischer Mörder darf den Blick auf den strukturellen Rassismus in unserer Gesellschaft nicht verstellen. Er ist bei den Ermittlungen und der Medienberichterstattung zu den Morden der »Zwickauer Zelle« deutlich geworden: Jahrelang hat die Polizei bei ihren Ermittlungen einen rechtsextremistischen und rassistischen Hintergrund ausgeschlossen. Stattdessen wurden die Opfer verdächtigt, in »Bandenkriege« oder »Ausländerkriminalität« verwickelt gewesen und deshalb zur Zielscheibe geworden zu sein. Ermittelt wurde im Rahmen einer Sonderkommission, die sich »Bosporus« nannte und in den Medien wurde über die Mordserie regelmäßig unter der Überschrift »Döner-Morde« berichtet.

• In Deutschland werden Schutzsuchende per Gesetz ausgegrenzt: Sie unterliegen Sondergesetzen, die ihre Bewegungsfreiheit, ihren Zugang zu medizinischer Versorgung, zu Bildung und Beschäftigung einschränken. Roma werden in den Kosovo abgeschoben, obwohl sie dort diskriminiert werden und keine Lebensperspektive haben. Fast 2.000 Menschen, viele von ihnen aus Staaten des »arabischen Frühlings«, sind im vergangenen Jahr bei der Flucht auf dem Mittelmeer ums Leben gekommen. Sie sind an den Grenzen der Festung Europa gescheitert. Flüchtlinge, die es bis in die Festung Europa schaffen, werden von Deutschland an die Außengrenzen Europas zurückgeschoben und leben dort unter unsäglichen Bedingungen.

• Der immense Verkaufserfolg von Thilo Sarrazins »Deutschland schafft sich ab« und repräsentative Einstellungsbefragungen des vergangenen Jahres haben deutlich gemacht, wie alltäglich Rassismus geworden ist: Ablehnende und ausgrenzende Einstellungen gegenüber Juden, Muslimen, Schwarzen, Roma und Menschen mit tatsächlicher oder vermeintlicher Migrationsgeschichte sind in der Mitte der Gesellschaft verbreitet. Im Alltag kommt es deshalb immer wieder zu Diskriminierungen bei der Arbeitssuche, Wohnungssuche und auf der Straße.

Zwischen gewaltförmigem, strukturellem und Einstellungsrassismus bestehen vielfältige Wechselwirkungen. Gewaltbereite »Kampftruppen« am rechten Rand der Gesellschaft sind nicht dadurch zu verhindern, dass man selbst Vorurteile und Ressentiments übernimmt. Stattdessen werden gesellschaftliche Minderheiten dadurch stigmatisiert, verbreitete Vorurteile verfestigt und gewaltbereite Rassisten ermutigt. Zugleich werden damit eigene rassistische Denkstrukturen überdeckt und den Opfern von Rassismus die Verantwortung für ihre Ausgrenzungs- und Gewalterfahrungen zugeschoben.

Dabei ist Rassismus immer in den Kontext herrschender Machtverhältnisse zu stellen und deshalb vor allem ein Problem der Mehrheitsgesellschaft. Insbesondere deren Angehörige stehen in der Pflicht, sich mit den eigenen Rassismen auseinander zu setzen. Das ist eine notwendige Voraussetzung dafür, das Phänomen Rassismus als gesamtgesellschaftliche Realität zu erkennen und gemeinsam zu überwinden.


Der Interkulturelle Rat in Deutschland, PRO ASYL und der Verein »Mach' meinen Kumpel nicht an!« rufen dazu auf, sich aktiv gegen Rassismus und Diskriminierung stellen. Die Internationalen Wochen gegen Rassismus vom 12. bis 25. März 2012 sind hierzu eine gute Gelegenheit. Neben Projekttagen und Projektwochen in Schulen, Berufsschulen und anderen Bildungseinrichtungen, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und Informationsständen in Fußgängerzonen sowie Seminaren zur politischen Bildung oder Diskussionsveranstaltungen gibt es viele weitere Aktionsmöglichkeiten:

• Organisieren Sie öffentliche Veranstaltungen an Orten, die in ihrer Kommune zur Zielscheibe rassistischer Gewalt geworden sind. Laden Sie hierzu kommunale Mandatsträger und Amtsinhaber ein.

• Bilden Sie Menschenketten vom Rathaus zu Plätzen und Gebäuden, die mit rassistischer Gewalt und ihren Folgen verbunden sind. Zeigen Sie damit Ihre Solidarität mit den Opfern rassistischer Gewalt und demonstrieren Sie gegen rechtsextremistische und rassistische Bewegungen und Bestrebungen in ihrer Gemeinde.

• Beteiligen Sie sich an der Aktion »5 vor 12«, mit der die Türkische Gemeinde in Deutschland und weitere Organisationen dazu aufrufen, am 21. März, dem Internationalen Tag gegen Rassismus, ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Treten Sie um 11.55 Uhr für 5 Minuten vor Ihre Wohnung, Ihr Geschäft oder Ihren Betrieb und machen Sie auf Ihre persönliche Art und Weise deutlich, dass sie gegen Rassismus und für ein friedliches und solidarisches Zusammenleben sind.

• Organisieren Sie Stadtteilfeste, bei denen sich die Anwohner unabhängig von unterschiedlicher Kultur, Nationalität oder Religionszugehörigkeit begegnen können. Laden Sie sich gegenseitig in Kultur- und Sportvereine oder in Gebetsstätten ein und organisieren Sie interkulturelle oder interreligiöse Gespräche und Begegnungen.

• Schließen Sie sich vor Ort zu Gruppen zusammen, die ihr unmittelbares Lebensumfeld nach rassistischen und rechtsextremistischen Schmierereien an Bahnhöfen, in Unterführungen, in der Sporthalle oder in Telefonzellen absuchen. Dokumentieren Sie solche Schmierereien, bevor sie von Ihnen beseitigt werden. Nutzen Sie soziale Netzwerke wie Facebook oder Kurznachrichtendienste wie Twitter, um antirassistische Positionen und Überzeugungen bei Ihren Followern zu verbreiten und für antirassistisches Engagement zu werben.

• Informieren Sie die Kolleginnen und Kollegen in Ihren Betrieben über Rassismus und Diskriminierung in der Arbeitswelt. Organisieren Sie in Zusammenarbeit mit Gewerkschaften und Betriebsleitungen Mitarbeiterversammlungen, Diskussionsveranstaltungen oder Projektangebote, die sich mit diesen Themen auseinandersetzen.

• Besuchen Sie Bürgersprechstunden von Politikern. Sprechen Sie mit ihnen über die gemeinsame Verantwortung im Kampf gegen Rassismus. Setzen Sie sich in diesen Gesprächen für die Erarbeitung eines lokalen Aktionsplans gegen Rassismus ein.

• Schreiben Sie Leserbriefe an Ihre regionale Tageszeitung und thematisieren Sie rassistische Vorfälle oder Strukturen in Ihrer Stadt oder Ihrer Gemeinde.

• Organisieren Sie Solidaritätsveranstaltungen für gesellschaftlich benachteiligte und ausgegrenzte Gruppen oder Einzelpersonen: Initiieren Sie Unterschriftenaktionen für von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge oder kaufen Sie Asylbewerbern die Lebensmittelpakete ab, die ihnen von Amts wegen zugeteilt werden. Sie ermöglichen den Betroffenen damit ein selbstbestimmtes und bedarfsorientiertes Einkaufen.

Das Engagement gegen Rassismus und Diskriminierung kann bei den Internationalen Wochen gegen Rassismus nicht stehen bleiben.
Der Kampf gegen Rassismus braucht einen langen Atem und viele Mitstreiter.
Tragen Sie dazu etwas bei!

Darmstadt, Düsseldorf, Frankfurt am Main, den 22. Februar 2012



Herausgegeben von
Interkultureller Rat in Deutschland
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Mach' meinen Kumpel nicht an!
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Tel.: 0211 / 43 01 193, Fax: 0211 / 43 01-134
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Tel.: 069 / 33 06 88, Fax: 069 / 23 06 50
www.proasyl.de
proasyl@proasyl.de

Weitere Informationen zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus finden Sie unter:
www.internationale-wochen-gegen-rassismus.de


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Quelle:
Pro Asyl - Presseerklärung vom 22. Februar 2012
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Internet: www.proasyl.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2012