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BERICHT/1212: Leipziger Freiräume - Das Hausprojekt "Kunterbunte 19" (ROBIN WOOD magazin)


ROBIN WOOD magazin - Nr. 119/4.2013

Leipziger Freiräume
Das Hausprojekt 'Kunterbunte 19'

von Lisa Schelhas



Selbst gestalten, selber machen, ökologisch, autonom und in Gemeinschaft leben: Das ist die Vision der Kunterbunten 19 in der Georg-Schwarz-Straße in Leipzig. Ein Ort in Deutschland, an dem es möglich ist, Freiräume für selbstgemachte Stadtentwicklung zu finden und zu formen.

Wer sich Leipzig etwas genauer ansieht, entdeckt viele alte, baufällige Häuser. Häuser, die einst schön und voller Leben waren und jetzt leer stehen, vermodern, den Jahren zum Opfer fallen. Auch in der Georg-Schwarz-Straße im Leipziger Westen stand ein solches Haus. Mit Baujahr 1888 ist es eines der ältesten Gründerzeithäuser der Straße.

Doch 2012 startete eine kleine Gruppe von Leuten ein Projekt, um dieses vierstöckige Haus zu retten und es gleichzeitig dem spekulativen Wohnungsmarkt zu entziehen. In Leipzig gibt es einige dieser Hausprojekte und es ist in nur wenigen anderen Städten so gut möglich, ein baufälliges Haus als private Gruppe aufzukaufen und auszubauen.

Mit Vieren begann es: Dazu gehören auch die ROBIN WOOD-AktivistInnen Klaus Schotte und Regina Möller. Inzwischen sind es acht Erwachsene, zwei Kinder und ein Hund, die später, wenn das Haus fix und fertig renoviert sein wird, in der Kunterbunten 19 leben werden. Und es können noch mehr werden. "Insgesamt haben hier 14 Menschen Platz. Wir wollen ein Mehr-Generationen-Wohnen möglich machen, deswegen kann Jung und Alt hier einziehen", erzählt Klaus Schotte. In der Kunterbunten 19 bauen und werkeln tatsächlich nicht nur junge Leute, das Altersspektrum reicht von 20 bis knapp 60 Jahre - die Kinder nicht dazu gezählt.

Warum "Kunterbunt"?

"Das bezieht sich zum einen auf die Straße, in der sich das Haus befindet. Dort stehen viele Häuser leer und die Fassaden sind meist grau und trist. Zum anderen wollen wir als künftige BewohnerInnen des Hauses Farbe und Leben in den Stadtteil bringen! Wir werden hier in einer sehr vielfältigen bunten Mischung zusammenleben" berichtet Klaus Schotte. Die Grundidee ist es, nicht eine ganz normale Wohnung in einem Mietshaus zu haben, in dem oft niemand den anderen kennt, sondern in einer selbstgewählten Gemeinschaft zu leben. Deshalb wird es in der ersten Etage zusätzlich zu den anderen Etagenküchen auch eine Gemeinschaftsküche geben, in der alle gemeinsam kochen und zusammensitzen können.

Das Ganze ist ein Projekthaus im Verbund des Mietshäusersyndikats (MHS) und gehört damit sozusagen allen, die darin wohnen. Es ist der Spekulation und dem Immobilienmarkt entzogen und kann somit auch nicht mehr verkauft werden. Keiner hat hier einen kommerziellen Anspruch, alles geschieht in Selbstorganisation. Um Entscheidungen zu fällen, treffen sich alle gemeinsam zu Plena, in denen die vorhandenen Optionen diskutiert werden und als Gruppe im Konsens ein gemeinsamer Nenner gefunden wird. "Wir versuchen, soziale und ökologische Lösungen weiterzuentwickeln. Unser Anspruch ist es, Ressourcen zu schonen und am Ende wenig Energiekosten zu haben," berichtet Schotte weiter. So konzentrieren sich die späteren BewohnerInnen darauf, eine gute Heizung in das denkmalgeschützte Gebäude einzubauen. Dafür wird eine solarthermische Anlage auf dem Dach mit Unterstützung durch eine Gasbrennwerttherme im Keller genutzt, die einen geringen Verbrauch hat. Zusätzlich wird das Haus energetisch saniert.

Für Transporte etc. wird kein Auto genutzt, sondern Lastenfahrräder, um auch in Sachen Mobilität ökologisch zu handeln. Die Menschen in der Kunterbunten 19 wollen deshalb einen Autoparkplatz vor dem Haus in einen Fahrradabstellplatz umwandeln.

Die öffentlichen Räume des Projekts sollen vielfältig genutzt werden können, also beispielsweise für Veranstaltungen. Unter Einbeziehung der BewohnerInnen des Stadtteils und anderer unterschiedlicher Gruppen sind auch Konzerte und Lesungen denkbar. Sowohl für den politischen als auch kulturellen Austausch gibt es ein altes Kellergewölbe und mehrere große barrierefreie Räume. Zum politischen Selbstverständnis gehört es auch, einen Raum für AktivistInnen zur Verfügung zu stellen. Rückwärtig ist ein großer Hinterhof, der sehr grün gestaltet werden soll und für den auch eine Werkstatt vorgesehen ist, um so viel wie möglich selber zu reparieren oder zu bauen. Davon sieht man bisher auf der großen Baustelle noch wenig. Im Moment ist vieles voller Bauschutt. Doch alle packen motiviert an für das gemeinsame Ziel: "Bezahlbaren Wohnraum für alle zu schaffen". Das Highlight ist hier aber der Ökolocus, die Alternative zum chemischen Plumpsklo. Der Ökolocus ist aus Holz, sehr hell und das eigene Geschäft wird mit Sägemehl abgedeckt. Das Besondere: Es riecht, als würde man mitten im Wald stehen. Also nicht nur eine ökologisch bessere Alternative zur Chemietoilette, sondern auch eine angenehmere.

Und wie wird das alles finanziert?

Die Menschen der Projektgruppe sind im Herbst 2012 von der Mitgliedervollversammlung des Mietshäusersyndikats herzlich aufgenommen worden. Das MHS hat sich darauf spezialisiert Hausprojekte zu fördern und in einem Verbund zusammenzuführen. 72 autonome Hausprojekte sind im Moment dabei und es werden immer mehr. Mit einem Solidarbeitrag werden Gleichgesinnte bei ihrem Projektaufbau unterstützt.

Natürlich lässt sich dadurch allein kein baufälliges Haus sanieren. Eine wichtige Säule bei der Finanzierung sind Direktkredite von Personen, die das Projekt, die Initiative der Gruppe und das Modell unterstützen wollen. Das Geld wird nicht in einer Bank angelegt, sondern direkt zwischen der Kunterbunten 19 und den KreditgeberInnen vergeben. Somit wird es den Banken entzogen und man kann seinen eigenen Zahlungsrhythmus verfolgen. Allerdings funktioniert es leider doch nicht ganz ohne Bankkredite. Die Kunterbunte 19 hat sich für eine Bank entschieden, die soziale ökologische und ethische Kriterien zugrunde legt. Durch den Besitz des Gebäudes wird es den BewohnerInnen möglich, eine dauerhaft sozial verträgliche Miete, die unter dem Hartz-IV Satz bleibt, zu zahlen.

Kann ich mich daran beteiligen?

Alle, die das Projekt unterstützen möchten, können dies gerne tun. Wer will, geht einfach hin und guckt sich das Gebäude an oder hilft gleich beim Bauen mit. Die BewohnerInnen der Kunterbunten 19 geben außerdem gerne Rat für InteressentInnen, die selbst ein Hausprojekt verwirklichen wollen.


Lisa Schelhas studiert Kommunikations- und Medienwissenschaften in Leipzig und war 2012 Praktikantin beim ROBIN WOOD-Magazin



Hausprojektgesellschaft
KunterBunte 19 mbH
Dreilindenstr. 21, 04177 Leipzig
Tel.: 0341/91858925
kunterbunte 19@syndikat.org

Mehr Infos unter www.syndikat.org


Bildunterschriften der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildungen der Originalpublikation:

- Bild rechts: Vorher, Bild oben links: Nachher. Mit viel Enthusiasmus und Arbeitseinsatz haben die späteren BewohnerInnen der Kunterbunten 19 ihr altes Haus in kurzer Zeit in ein Schmuckstück verwandelt. Noch werden AbenteurerInnen und Baufreudige gesucht, die sich in das gemeinsame Hausprojekt stürzen und später mietfrei gemeinschaftlich wohnen möchten

- Highlicht des Hinterhofs ist zur Zeit noch der Ökolocus. Später soll es hier eine Werkstatt geben und eine grüne Oase in der Stadt entwickelt werden

- Noch herrscht Baustellenbetrieb, doch im nächsten Jahr kann das Haus bezogen werden und wird dann neue Freiräume in der Stadt bieten

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Quelle:
ROBIN WOOD-Magazin Nr. 119/4.2013, Seite 16-18
Zeitschrift für Umweltschutz und Ökologie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Dezember 2013