Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN

BERICHT/870: Initiative für eine demokratische Wende (guernica)


guernica Nr. 5/2008, 2008
Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition

Initiative für eine demokratische Wende

"Wir brauchen unmittelbar die Durchsetzung eines anderen politischen Programms."


Über 40 Personen aus unterschiedlichen politischen und sozialen Zugängen haben am 6. Dezember zu einer "Initiative für eine demokratische Wende" eingeladen *), um darüber zu diskutieren, wie wir Druck von unten für einen demokratischen Ausweg aus der Finanz- und Wirtschaftskrise entwickeln können. guernica sprach dazu mit Boris Lechthaler, dem Vorsitzenden der Werkstatt Frieden & Solidarität.


*


GUERNICA: Am 6. Dezember hat sich in Salzburg eine "Initiative für eine demokratische Wende" konstituiert. Was sind die zentralen Forderungen dieser Initiative?

BORIS: Ausgangspunkt dieser Initiative - das wurde auch bei genanntem Treffen deutlich - ist die Einschätzung, dass es nicht mehr genügt, einzelne Forderungen zu erheben. Wir brauchen unmittelbar die Durchsetzung eines anderen politischen Programms. Viele der InitiatorInnen leisten teilweise seit 3 Jahrzehnten Widerstand gegen Neoliberalismus und Krieg, auch im Gewand der EU-Integration Österreichs. Jetzt sind die Eliten mit ihrer Politik selbst an die Wand gefahren. Sie wissen mit ihrer beschränkten Wahrnehmung und Urteilskraft vielfach selbst nicht mehr weiter. Das macht sie um nichts weniger gefährlich. Umso dringlicher wird die praktische Durchsetzung eines alternativen demokratischen Programms.

GUERNICA: Was sind die Kernpunkte dieses Programms?

BORIS: Darüber wird noch diskutiert. Ich denke, klar ist, das Programm muss dort ansetzen, wo die Ursachen der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise zu finden sind. Sie ist nicht das Ergebnis einer Globalisierung als naturwüchsiger Prozeß. Sie ist nicht Ausdruck von Konzeptlosigkeit. Sie ist Ergebnis interessegeleiteter Umverteilung von unten nach oben - sowohl in Bezug auf Verteilung und Verfügung über wirtschaftliche Ressourcen als auch in Bezug auf die generelle Steuerung der gesellschaftlichen Entwicklung. Deshalb werden m. E. Umverteilung zur Mehrheit der Menschen, demokratische Gestaltung der wirtschaftlichen Zielfunktionen in Richtung Vielfalt und ökologische Nachhaltigkeit, demokratische Steuerung der Finanzinstitutionen, Privatisierungsstopp, solidarische Selbstverwaltung von Grundfunktionen der Daseinsversorgung, Beendigung der aggressiven Exportstrategie und mehr direkte Demokratie zu Kernpunkten dieses Programms zählen.

GUERNICA: Selbst überzeugte Neoliberale betonen zurzeit das notwendige segensreiche Wirken des Staates. Werden diese jetzt zu unseren Hoffnungsträgern?.

BORIS: Die Dichotomie Privat versus Staat war immer die falsche Fragestellung und ist sie jetzt in der Krise noch mehr. Der Neoliberalismus hat nicht den Staat zurückgedrängt, sondern ihn für die Umverteilung zugunsten der Eliten instrumentalisiert. Jetzt wollen wir, die Mehrheit der Menschen, von ihm Besitz ergreifen. Wir müssen den sozialreaktionären Zugriff der Eliten auf seine Machtmittel zur Sicherstellung einer hegemonialen Stellung beenden. Wir werden den Staat für unsere Zwecke instrumentalisieren.

GUERNICA: Wirtschaft und Finanzmärkte sind hochgradig internationalisiert. Wie können wir da nationalstaatlich gegensteuern?

BORIS: Es geht nicht um Abschottung. Es geht um Handlungsfähigkeit. Die gewinnen wir nur, wenn wir Herr im eigenen Haus sind. Wir müssen neue tragfähige und nachhaltige Grundlagen für die internationale Arbeitsteilung schaffen. Der Rahmen des EU-Binnenmarkts ist ein neoliberaler Rahmen. Er transformiert internationale Arbeitsteilung in internationale Ausbeutungsbeziehungen. Der EU-Rahmen öffnet nicht unsere Gesellschaft für internationale Kooperation sondern zwingt uns zur Blockbildung.

GUERNICA: Es gibt verschiedenste alternative Wirtschafts- und Gesellschaftsmodelle. Welche sollen wie im Rahmen dieser Initiative zum Zug kommen?

BORIS: Die Diskussion um grundlegende Alternativen kann eine wichtige produktive Rolle in einer demokratischen Bewegung spielen. Wichtig ist, dass wir uns jetzt auf die nächsten praktisch erforderlichen Schritte verständigen. Darüber müssen wir einen Konsens herstellen. Entlang dieses Konsenses wollen wir die Bewegung entwickeln.

GUERNICA: Welcher Machtmittel will sich diese Bewegung bedienen?

BORIS: Selbsttätigkeit und Selbstorganisation. Es rettet uns kein höheres Wesen, schon gar nicht die derzeit regierende Koalition. Vor allem BetriebsrätInnen und GemeinderätInnen können zur tragfähigen Basis einer derartigen Bewegung werden. Wahlwerbende Gruppierungen werden sich deren Anforderungen zu stellen haben.

GUERNICA: Welche Rolle kommt dabei der Werkstatt Frieden & Solidarität zu?

BORIS: Wir werden in diesem Prozess hilfreich und nützlich sein. Wie schon bisher. Das ist alles.


*) Einladungstext und UnterstützerInnen siehe www.werkstatt.or.at


*


Quelle:
guernica Nr. 5/2008, November/Dezember 2008, Seite 7
Herausgeberin und Redaktion: Werkstatt Frieden & Solidarität
Waltherstr. 15, A-4020 Linz
Tel. 0043-(0)732/77 10 94, Fax 0043-(0)732/79 73 91
E-Mail: office@werkstatt.or.at
Internet: www.werkstatt.or.at

guernica kostet 1 Euro pro Ausgabe.
Abonnement: mind. 9 Euro für 10 Nummern.


veröffentlicht im Schattenblick zum 14. Februar 2009