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BERICHT/983: Gipfel ohne Freiheitsrechte (Grundrechtekomitee)


Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Informationen 3/2009 - Juni 2009

Gipfel ohne Freiheitsrechte

Von Elke Steven


Es gab einmal Zeiten, da konnten Treffen hochrangiger Politiker mitten in Großstädten stattfinden. In denselben Städten konnten gleichzeitig Bürger und Bürgerinnen ihre Kritik an der Politik vorbringen, für die diese Konferenzen standen. So beobachtete das Komitee für Grundrechte und Demokratie 1999 die Demonstrationen anlässlich der verschiedenen Gipfeltreffen in Köln.


Wir beklagten uns über die enge polizeiliche Begleitung eines Teils der Demonstration und die Behinderungen der gesamten Demonstration. Wir beklagten - im übrigen mit Recht - das polizeiliche Vorgehen gegen viele kleine Aktionen, die Festnahme von ganzen Gruppen ohne Anlass. Wir konnten allerdings noch voraussetzen, dass das demokratische Ur-Recht auf Demonstrationsfreiheit zumindest in der Form respektiert würde.

Europäischer Ausnahmezustand

Die Erfahrungen in Strasbourg und Baden-Baden aber zeigen, wie inzwischen ganze Städte in einen Ausnahmezustand stillgelegter Grundrechte und suspendierter Demokratie versetzt werden. Die Grundrechte auf Versammlungsund Meinungsfreiheit, aber auch das Grundrecht auf Bewegungsfreiheit galten für einige Tage nicht mehr. Wichtige Politiker besetzten die Region, reisten umher und ließen die Bürger zu ausgesperrten, prinzipiell verdächtigen Un-Personen werden.

Ruhe wird zur Bürgerpflicht

In Deutschland war kein Camp für Demonstrierende zugelassen worden. Monate vor dem NATOJubiläum begannen Polizei und Politik vor den "Gewalttätern" zu warnen. Wiedermal dienten die längst entlarvten Lügen über die polizeilich konstruierten Gewalttäter in Rostock und Heiligendamm im Jahr 2008 zur Warnung. Dass das Bundesverfassungsgericht damals belogen worden war und ein Pressesprecher der Polizei inzwischen bestätigt hat, dass er Unwahrheiten veröffentlicht hatte, beeinträchtigte diese Werbekampagne der Polizei nicht. In Baden-Baden war alles verboten, was eine Demonstration als Ausdruck bürgerlichen Willens ausmacht. Ruhe war die einzige Bürgerpflicht angesichts eines staatsmännischen Mahls. Grenzkontrollen wurden eingeführt, Ausreiseverbote willkürlich erlassen, Bürger überwacht. Schon am Vortag des Gipfels, als der amerikanische Präsident in Strasbourg weilte, war die Innenstadt völlig abgeriegelt. Der Schulunterricht fiel aus, die Museen waren geschlossen, Touristen hatten keine Chance die Stadt zu besichtigen. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel waren über Stunden eingestellt. Wer zum Camp der GipfelkritikerInnen wollte, musste 12 km zu Fuß gehen oder "irgendwie" eine Mitnahme finden. Die Autobahnen rund um Strasbourg waren gesperrt. Das öffentliche Leben stillgestellt, weil einige Politiker sich trafen.

Demonstrierende ausgesperrt

In Frankreich war erst nach vielen Verhandlungen eine Campmöglichkeit für die Demonstrierenden erstritten worden, allerdings weit außerhalb der Stadt gelegen. Die Großdemonstration sollte an den Stadtrand, in die Nähe des Hafens, auf ein leicht einzuschließendes Inselgelände ausgelagert werden. Eins machte dies sofort deutlich, Demonstrierende wurden als Störenfriede betrachtet, die es zu verbannen galt. Mit die Straße versperrenden Stahltoren konnte die Polizei die Demonstrierenden auf diesem Gelände einsperren. Die französische Polizei, erst recht die eingesetzten Spezialeinheiten zur Aufstandsbekämpfung, sind für solche Situationen mit "Abstandswaffen" ausgerüstet: Reizgas, das auch mit Gewehren verschossen wird, Schockgranaten, Wasserwerfer, denen Reizgas beigemischt wird. Diese Waffen wurden schon in den Tagen vorher gegen Demonstrationen und am Camp eingesetzt. Solche Waffen verhindern Kommunikation gänzlich, sie erzwingen Abstand, legen Frontlinien fest, die es zu verteidigen gilt. Dass hier Feinde bekämpft werden, macht dieses Konzept spürbar. Eine Gruppe aus dem Bündnis "Block NATO" wurde ohne jede Vorwarnung in der Innenstadt frühmorgens mit Reizgas angegriffen. Gegen die Großdemonstration wurde dieses Reizgas auch aus Hubschraubern abgeschossen. Videos belegen darüber hinaus, dass Polizeibeamte auch mit Steinen auf Demonstrierende geworfen haben.

Keine Gewalt!

Das war der Rahmen, in dem die Sitzblockaden morgens stattfinden konnten. Aber auch der Rahmen, in dem es zu den gewaltvollen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrierenden von Donnerstag bis Samstag kam. Demonstrierende warfen Scheiben ein, bauten Barrikaden und zündeten sie an, Autos der Anwohner in der Nähe des Camps nahmen Schaden, letztlich brannten Zollhäuschen, Ibis-Hotel und Apotheke neben dem Kundgebungsort der Großdemonstration. Demonstrierende wurden erheblich verletzt. Das Reizgas traf alle, die auf der Kundgebung waren. Viele Teilnehmer an der Großdemonstration flohen vor den Auseinandersetzungen und fanden kaum einen Ausweg aus dem abgesperrten Gebiet.

Im Nachhinein haben die Diskussionen um Formen und Mittel der Wahrnehmung des Demonstrationsrechts wieder verstärkt begonnen. Der Anspruch "Wir dürfen uns als Kritiker dieser Politik nicht auseinander dividieren lassen" ist richtig. Richtig ist auch, dass das Vorgehen einzelner und das kleiner Gruppen nicht andere Teilnehmer gefährden darf, dass Gewalt als Mittel gegen andere Menschen grundsätzlich auszuschließen ist. Sachbeschädigung ist per se keine Gewalt, aber die Folgen von Handlungen müssen mitbedacht werden. Die Verantwortung für den gemeinsamen Protest müssen alle tragen und entsprechend handeln. Diskussionen über Formen und Mittel des Protestes, über ihre politische Wirkung, über Mittel, in denen das Ziel schon sichtbar werden kann, müssen wieder konsequent geführt werden. Die Protestformen sollten die gewaltvolle offizielle Politik sichtbar werden lassen, die sich in Kriegen, aber auch im Umgang mit Demonstrationen zeigt, ohne Opfer als Kollateralschäden bei den Beteiligten hinzunehmen. Vielleicht muss vor allem neu über geeignete Orte und Zeiten für Protest nachgedacht werden - die Gipfeltreffen könnten ungeeignet geworden sein, um den eigenen Anliegen Gehör und Sympathie verschaffen zu können. Unorte wie das Hafengelände in Strasbourg sind nicht hinnehmbar für eine Großdemonstration der Friedensbewegung.


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Quelle:
Informationen 3/2009 - Juni 2009, S. 3-4
Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
Aquinostr. 7-11, 50670 Köln
Telefon: 0221/9726920
E-Mail: info@grundrechtekomitee.de
Internet: www.grundrechtekomitee.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juli 2009