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FRAGEN/013: Cuban Five - "Es sind schon 15 Jahre. Das ist einfach zu viel" (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 24 vom 14. Juni 2013
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

"Es sind schon 15 Jahre. Das ist einfach zu viel"
Cuban Five: Laura Labañino ist stolz auf ihren Vater

Ein Interview von André Scheer mit Laura Labañino, Tochter von Ramón.



André Scheer: Wie lebt man in Kuba als Tochter eines Nationalhelden?

Laura Labañino: Ich habe mich nie als etwas besonderes oder von den anderen ausgeschlossen oder diskriminiert gefühlt. Ich studiere internationale Beziehungen, und von meinen Kommilitonen im Hörsaal oder auch in der FEU, im Studentenverband, erlebe ich viel Herzlichkeit. Das war auch schon in der Schule so. Ich habe mit meinen Altersgenossen immer gute Beziehungen gehabt, und das nicht nur als StudienkollegInnen. Ich werde natürlich immer wieder gefragt, wie es meinem Vater geht.

Vor einiger Zeit habe ich einmal mit ihm telefoniert. Er rief mich gerade an, als ich mit meinen Kommilitoninnen zusammen gelernt habe, und sie haben sich über den Anruf gefreut, als wäre es ihr eigener Vater gewesen. Sie fühlen sich ihm sehr nahe, und das hat mir das öffentliche Leben, das ich in gewisser Weise führe und manche Dinge kompliziert macht, sehr erleichtert. Zum Glück haben wir in Kuba keine Paparazzi, keine von diesen Reportern, die in den Bäumen über einem hängen, um das peinlichste, übelste, kleine Detail über einen herauszufinden.

André Scheer: Du studierst internationale Beziehungen. Was ist das genau?

Laura Labañino: Das Studium umfasst die politischen und ökonomischen internationalen Beziehungen. Ich befasse mich zum Beispiel mit dem Marxismus, dem Keynesianismus, aber auch den neoliberalen Lehrsätzen. Das hilft mir sehr, meine Erlebnisse, wenn wir Angehörigen ins Ausland reisen, um den Fall der fünf bekanntzumachen, zu verstehen und einzuordnen. Gerardo und Fernando haben an derselben Fakultät studiert wie ich, darauf sind wir alle dort stolz.

André Scheer: Wie läuft ein Studium in Kuba ab? Wenn man hiesigen Medien glauben würde, sitzt ihr den ganzen Tag im Hörsaal, lest die neuesten Reden von Fidel und Raúl Castro und wiederholt die dann ...

Laura Labañino: Nein, ganz bestimmt nicht. Vor allem meine Professorin für politische Ökonomie ist sehr kritisch. Ein Student, der es wagt, bei dieser Professorin eine Arbeit abzugeben, die sich nur auf marxistische Literatur stützt oder nur neoliberale Thesen enthält oder sonst nur eine einzelne Richtung behandelt, kommt damit nicht durch. Ich arbeite gerade zum Thema Imperialismus, und dazu gibt es eine unüberschaubare Bibliographie. Wir müssen in der Lage sein, mit den marxistischen Instrumenten den Charakter des Kapitalismus zu beschreiben und mit den neoliberalen Begrifflichkeiten über die Wohltaten des heutigen Kapitalismus und Imperialismus zu sprechen, um dann daraus folgend unsere Analyse zu entwickeln und vorzustellen. Das hilft mir selbst sehr, um zum Beispiel die Diskussion um die vom Parteitag beschlossenen politischen Grundlinien zu verstehen. Wenn in Kuba alles gut wäre, wäre es nicht notwendig gewesen, bestimmte Dinge anzupassen, einiges zu flexibilisieren. Es ist Teil meines Studiums, zu erkennen, wie die Dinge bei uns zu Hause stehen. Und ich habe erkannt, dass der Sozialismus sehr gut ist, dass wir den Sozialismus behalten wollen, aber dass wir bestimmte Dinge verbessern müssen. Deshalb verbessern wir alles, was wir verbessern müssen, ohne dabei den Sozialismus oder die vielen Errungenschaften der letzten 50 Jahre aufzugeben.

André Scheer: Welchen Zugang zu Quellen habt ihr?

Laura Labañino: Wir haben in der Fakultät Internetzugang. Alle Hochschulen haben ihre Computerpools, die immer voller Studenten sind. Wir sind 120 Studenten und haben 30 bis 40 Computer zur Verfügung. Alle Welt ist ständig dabei, Informationen zu suchen, sei es die letzte Rede von Angela Merkel oder auch die Reflexionen von Fidel. Wir untersuchen zum Beispiel: Was hat Obama zu einem bestimmten Thema gesagt, was ist die Position der Afrikanischen Union zu diesem Thema. Die Ergebnisse der Studenten sind dann oft sehr unterschiedlich und oft auch sehr kritisch. Aber das hilft uns dabei, uns für alle Varianten zu öffnen und alle Meinungen einzubeziehen. Und es hilft natürlich auch dabei, den Sozialismus und die Revolution zu perfektionieren.

André Scheer: Ist das Erlernen einer anderen Sprache obligatorisch?

Laura Labañino: Ich bin gerade im letzten von vier Semestern Englisch, dann folgen vier Semester Französisch, und wenn ich das abgeschlossen habe muss ich noch zwei Semester in einer Sprache belegen, die ich auswählen kann: Russisch, Deutsch, Italienisch,...

André Scheer: Wie gelingt es dir und deiner Familie, Kontakt zu deinem Vater zu halten?

Laura Labañino: Zum einen gibt es die Möglichkeit E-Mails zu schicken. Der einzige der Fünf, dem sie die Benutzung eines Computers wegen der angeblich damit verbundenen Gefahren verweigern, ist Fernando. Mein Vater hat Zugang zu einem Computer, und wir dürfen zwei bis drei E-Mails am Tag austauschen. Das ist derzeit der einfachste Weg. Per Telefon ist es etwas schwieriger, weil er das Geld für die Gespräche haben muss. Dazu arbeitet er im Gefängnis, um die Gebühren für das Telefon und für die E-Mails bezahlen zu können. Wenn er es bezahlen kann, darf er im Monat 300 Minuten telefonieren, aber am Tag nur 15 Minuten. Das beste ist natürlich ihn direkt zu besuchen. Unter Obama ist das etwas einfacher geworden. Wir dürfen ihn nun zweimal im Jahr besuchen. Unter Bush war nur ein Besuch im Jahr zugelassen, zudem mussten wir zwei Jahre auf ein Visum für die USA warten.

Diese Besuche finden immer unter sehr komplizierten Bedingungen statt. Die Tatsache, nach dem komplizierten Procedere ein Visum für die USA zu haben, bedeutet noch nicht, ihn auch tatsächlich besuchen zu können. So kann es passieren, dass du an der Grenzkontrolle aufgehalten wirst, bis du deinen Anschlussflug verpasst hast - und wenn dann der Besuchstermin am nächsten Tag ist, kannst du ihn nicht wahrnehmen. Oder es gibt Probleme im Gefängnis, vielleicht eine Unruhe unter den Gefangenen. Auch wenn das nichts mit meinem Vater zu tun hat, lassen sie uns dann nicht zu ihm. Oder es herrschen ungünstige Wetterbedingungen und sie ordnen deshalb an, dass kein Gefangener seine Zelle verlassen darf und auch keine Angehörigen das Gefängnis betreten dürfen.

Das sind die wichtigsten drei Wege für uns, mit ihm in Kontakt zu bleiben. Ich habe die Briefe nicht erwähnt. Er ist jetzt zum Beispiel in ein neues Gefängnis verlegt worden, und dort wird die Korrespondenz sehr lange in der Kontrolle aufgehalten. Nur sehr wenige Schreiben kommen an, und die, die ankommen, sind zerstört. Wenn du Ramón einen Brief mit Fotos schickst, geben sie ihm nur den Brief und behalten die Fotos ein, oder sie geben ihm nur ein Bild und die anderen nicht.

Wenn es sich um Solidaritätsschreiben handelt, erreichen sie ihn oft gar nicht. Die Briefe werden an die Menschen, die ihre Solidarität ausdrücken, zurückgeschickt, weil sie nach Ansicht der Behörden zu viele politische Statements enthalten. Dazu reichen schon einfache Solidaritätsbekundungen. Was ist denn dabei, wenn ein alter Mann aus Kuba Ramón einen Brief schreibt, um ihm mitzuteilen, dass er ihn sehr liebt, ihn als einen Sohn ansieht und vielleicht noch Fotos von seinen Enkeln beilegt, damit Ramón sie kennenlernt. Was soll daran gefährlich sein, und was für politische Botschaften sollen das sein, die über die herzliche Verbundenheit eines Menschen hinausgehen? Und doch lassen sie solche Briefe nicht ins Gefängnis hinein.

Die Behörden wollen auch nicht, dass andere Gefangene sehen, wie viel Post Ramón Luis Medina - wie sie ihn im Gefängnis nennen - erhält, während andere Inhaftierte nichts bekommen.

André Scheer: Aber E-Mails sind zugelassen?

Laura Labañino: Ja, aber den E-Mails dürfen keine Anhänge, keine Bilder beigefügt werden. Sie dürfen nur Text mit einer Höchstlänge von 350 Zeichen haben - man kann also praktisch nur ein Telegramm schreiben. Die Behörden lesen den Text und leiten ihn weiter in das Postfach des Gefangenen.

Ramón sitzt aber in einem Gefängnis mit sehr wenigen Latinos, und die dort arbeitenden Wächter verstehen kein Spanisch. Das macht die Überprüfung für sie schwierig. Und weil sie die Mails nicht prüfen können, schicken sie die von meiner Mutter und uns entweder zurück, oder sie leiten sie erst zwei oder drei Tage später weiter. Jetzt haben sie ihm sogar angedroht, alle Mails zurückzuweisen, wenn sie nicht in englischer Sprache geschrieben sind. Aber warum soll ich als kubanische Tochter eines kubanischen Vaters in einer spanischsprachigen Familie ihm auf Englisch schreiben? Das Problem sollen sie im Gefängnis lösen. Aber sie drohen ihm mit dem Entzug des Rechts auf Kontakt zu seiner Familie. Doch zum Glück kennt mein Vater seine Rechte sehr genau, bei ihm stoßen sie immer wieder gegen eine Mauer. Er kann sich sehr gut verteidigen, wenn sie seine Rechte verletzen.

André Scheer: Wie sind die Perspektiven für eine Freilassung deines Vaters?

Laura Labañino: Planmäßig soll er 2024 raus kommen. Ich wäre dann 32 Jahre alt, er 61 Jahre. Wenn es so weitergeht, müsste er dann im Rollstuhl das Gefängnis verlassen. Worunter wir in diesen 15 Jahren am meisten gelitten haben, ist zu sehen, wie der Körper eines Menschen verfällt. Obwohl er geistig der selbe junge Mann geblieben ist, ein liebenswerter Mensch mit unendlich großer Güte, ist er inzwischen in einem Alter, wo Krankheiten auftreten. Er hat sehr ernste Probleme im Knie und kann kaum noch gehen. Am Anfang waren es nur große Schmerzen beim Stehen und Gehen. Doch im Gefängnis werden diese Schmerzen nur mit Aspirin behandelt. Die Ärzte sagen, dass er operiert werden müsste, aber eine chirurgische Operation im Gefängnis ist nicht gerade ideal. Zudem erschweren die Behörden das. Sie leiten die notwendigen Schritte nicht ein, kümmern sich nicht um Ärzte und die Geldfragen. Hinzu kommen altersbedingt Bluthochdruck und Diabetes. Das ist keine einfache Situation.

André Scheer: Und wie schätzt du die Chance ein, ihn vor diesem Zeitpunkt freizubekommen?

Laura Labañino: Eine Chance, die es vom ersten Tag an gegeben hat, sowohl unter Bush als auch jetzt unter Obama, ist die Begnadigung durch den Präsidenten. Obama muss nur ein Stück Papier unterschreiben, und schon ist nicht nur mein Vater frei, sondern auch die anderen vier. Ich sage vier, weil momentan noch nicht hundertprozentig klar ist, ob René (González) tatsächlich frei ist oder ob er formell die ausstehenden anderthalb Jahre "überwachter Freiheit" noch abbüßen muss, wenn auch in Kuba. Ich meine also: die vollständige Freiheit für alle Fünf, ohne irgendwelche Einschränkungen. Nur Obama kann das tun, einzig und allein Obama.

Im Fall von René, Antonio und meinem Vater ist die letzte Stufe der rechtlichen Möglichkeiten für eine Strafreduzierung 2009 erreicht worden. Weitere sind rechtlich nicht möglich, nur dass sie aufgrund eines Dekrets des Präsidenten aus dem Gefängnis freikommen.

Die meisten Sorgen machen wir uns derzeit um Gerardo, denn er war der einzige, dem sie 2009 die Möglichkeit einer Strafreduzierung verweigert haben, so dass er weiter zweimal lebenslänglich plus 15 Jahre Haft verbüßt. Es ist nicht das selbe, 30 Jahre im Gefängnis zu sitzen - das ist die Strafe, die mein Vater verbüßt - oder wie Antonio 22 Jahre. Fernando kommt im kommenden Februar frei. Es ist nicht dasselbe, ein Entlassungsdatum zu haben, als sich einer Strafe von zweimal lebenslänglich gegenüber zu sehen. Das bedeutet, im Gefängnis zu sterben. Hinzu kommt, dass ihn seine Frau in den 15 Jahren, die er im Gefängnis sitzt, noch nicht ein einziges Mal besuchen konnte, weil ihr die USA das Visum verweigern - jedes mal mit anderer Begründung. Mal sagen sie, sie wolle möglicherweise illegal in die USA einwandern, dann heißt es, sie wolle in den USA eine politische Kampagne führen. Es sind schon 15 Jahre, das ist einfach zu viel.

André Scheer: Die Fünf sind nicht die einzigen politischen Gefangenen in den USA, es gibt viele weitere Fälle wie etwa Mumia Abu-Jamal, Leonard Peltier oder den Puertoricaner Oscar López Rivera, der seit 32 Jahren im Gefängnis sitzt. Gibt es Kontakte untereinander und eine Zusammenarbeit der Solidaritätsbewegungen?

Laura Labañino: Vor allem mit den in den USA inhaftierten Gefangenen aus Puerto Rico haben wir Kontakt, denn die Fünf und die Puertoriqueños haben viele Gemeinsamkeiten. Es ist ein ähnlicher Kampf. Den anderen Solidaritätsbewegungen für politische Gefangene in den Vereinigten Staaten ergeht es genauso wie uns. Immer gibt es eine Mauer des Schweigens, die es unmöglich macht, ins Innere der USA einzudringen. Wir wissen, dass das Volk der USA ein sehr mitfühlendes Volk ist, und wenn es die Wahrheit über diese Fälle erfährt, werden sich unzählige Türen öffnen, auch die Gittertüren nicht nur der Fünf, sondern aller zu Unrecht in den USA inhaftierten politischen Gefangenen. Wir haben vieles gemeinsam, und in diesem Sinne arbeiten wir zusammen.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 45. Jahrgang, Nr. 24 vom 14. Juni 2013, Seite 13
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2013