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FRAGEN/025: Großdemonstration gegen TTIP am 10. Oktober in Berlin - Gespräch mit Uwe Hiksch (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 41 vom 9. Oktober 2015
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Ziel ist die Steigerung der Profitraten

Am 10. Oktober: Großdemonstration gegen TTIP in Berlin -
Markus Bernhardt im Gespräch mit Uwe Hiksch


UZ: Die NaturFreunde haben für das Bündnis die Demonstration am 10.10. angemeldet. Was waren die Beweggründe dafür?

Uwe Hiksch: Ziel der Demonstration ist, den Herrschenden deutlich aufzuzeigen, dass die Mehrheit der Menschen die geplanten Freihandelsabkommen ablehnt. Zwischenzeitlich hat die selbstorganisierte Bürgerinitiative "Stop TTIP!" mehr als drei Millionen Unterschriften gesammelt, die Demonstration am 10. Oktober wird von mehr als 100 Organisationen und Initiativen unterstützt. Wir wollen mit der Demonstration den Menschen, die TTIP und CETA ablehnen, die Möglichkeit geben, dies sichtbar zu zeigen.

UZ: Was erwarten Sie von der Demonstration?

Uwe Hiksch: Mit der Großdemonstration wollen wir die herrschende Politik zwingen, den Versuch, mit den Freihandelsabkommen die Demokratie auszuhebeln, endlich aufzugeben. Die Politik der Deregulierung und des neoliberalen Freihandels stößt auf den Widerstand der Mehrheit der Menschen. Die Demonstration alleine wird natürlich nicht dazu führen, die Herrschenden von ihrem Ziel der Freihandelsabkommen abzubringen. Sie kann aber einen wichtigen Beitrag für die Verstärkung des Widerstandes gegen TTIP, CETA und TISA leisten. Dies ist entscheidend damit das bereits ausverhandelte Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada, CETA, nicht im Europäischen Parlament beschlossen wird.

UZ: Und wo sehen Sie Chancen durch die Demonstration positive Veränderungen voranzubringen?

Uwe Hiksch: Innerhalb der herrschenden Blocks gibt es Risse. Zum einen merken die binnenmarktorientierten Teile der Kapitalfraktionen, dass sie durch die Freihandelsabkommens noch mehr benachteiligt werden, zum anderen wehren sich immer größere Teile der kleinen und mittleren Unternehmen gegen das Diktat der Interessen der großen transnationalen Konzerne.

Die EU-Kommission hat ihre Planungen, private Schiedsgerichte durchzusetzen, offiziell zurückgestellt und versucht mit dem Instrument eines internationalen Schiedsgerichtshofes als vermeintliche Alternative, den öffentlichen Druck zu verringern. Auch die Planungen des Bundesverbands der deutschen Industrie, in Berlin eine großflächige Plakatwerbung für TTIP und CETA durchzuführen, um die Demonstration am 10.10. zu konterkarieren, zeigt, dass die Herrschenden ihre Anstrengungen deutlich steigern, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen.

UZ: Worin sehen Sie die tieferen Gründe für die Offensive des Kapitals für TTIP und CETA?

Uwe Hiksch: TTIP und CETA ist eine Antwort der herrschenden Kapitalfraktionen auf die Krise des Kapitalismus. Seit den 1970er Jahren befindet sich der Kapitalismus in der Phase der strukturellen Überakkumulation. Durch die Privatisierungs- und Deregulierungspolitik der letzten Jahrzehnte ist es dem Kapital mit Hilfe der herrschenden Politik gelungen, dem überschüssigen Kapital neue, profitable Anlagemöglichkeiten zu erschließen. TTIP und CETA wird diese Tendenz beschleunigen.

Eine Folge der heutigen strukturellen Überakkumulation ist, dass es zu viel überschüssiges Kapital gibt, das aus Sicht der Kapitalbesitzenden keine ausreichende Rendite in der Realwirtschaft erwirtschaften kann. Ergebnis dieser Entwicklung war die Herausbildung einer riesigen Finanzindustrie, die heute im Rahmen der verschiedenen Kapitalfraktionen eine dominierende Rolle wahrnimmt.

TTIP und CETA haben den Zweck, erkämpfte Schutzstandards für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Verbraucherinnen und Verbraucher zurückzudrängen und Umweltschutzstandards zu senken. Ziel ist, die Steigerung der Profitmöglichkeiten für die international agierenden Kapitalfraktionen. Diese Strategie wird zu Lasten der Mehrheit rücksichtslos durchgedrückt. Die Breite des Bündnisses zeigt, dass sich immer größere Teile der Gesellschaft gegen diese Politik der Durchkapitalisierung aller gesellschaftlichen Bereiche wehren.

UZ: Welche Rolle spielt in dieser Auseinandersetzung die SPD?

Uwe Hiksch: Die SPD-Führung versucht durch eine Politik der Modernisierung des Kapitalismus, die Anlagemöglichkeiten für die exportorientierten Teile des Nationalkapitals, deutlich zu verbessern. Alle Regierungen der letzten Jahrzehnte haben die Deregulierung der Finanzmärkte aktiv vorangetrieben und durch bilaterale Freihandelsabkommen die Unterwerfung der Länder des globalen Südens gefördert. Die systematische Zerstörung von öffentlichen Leistungen der Daseinsvorsorge und die zunehmende Privatisierung von bisher öffentlichen Teilen der solidarischen Sozialversicherungen befördert die Durchkapitalisierung aller gesellschaftlichen Bereiche aktiv.

Durch diese Politik wird der Sozialstaat zerstört, erkämpfte Fortschritte infrage gestellt und vorhandene Regulierungen zurückgenommen. Anders als in den 60er und 70er Jahren, als die kapitalistische Modernisierungspolitik mit einem Ausbau des Bildungssystems, mit einem teilweisen Ausbau der sozialen Leistungen und einer partiell vorhandenen Globalsteuerung der kapitalistischen Dynamik verbunden wurde, forciert der herrschende Block eine weitgehende Rücknahme dieser Maßnahmen.

Die SPD ist hierbei in sich gespalten. Während ein großer Teil der SPD-Basis diesen Kurs ablehnt, drückt die politische Führung der SPD diese Politik durch. Hierfür nimmt sie eine weitere Auszehrung der SPD-Mitgliederbasis billigend in Kauf. Mit der Großdemonstration wollen wir den Druck weiter erhöhen. Damit werden wir auch den linken und fortschrittlichen Kräften im herrschenden Block eine Erweiterung ihrer Handlungsmöglichkeiten schaffen.

UZ: Sie melden seit vielen Jahren für Bündnisse Demonstrationen an. Sowohl in der Anti-Atom-Bewegung, in der Energie- und Klimabewegung, in der Friedensbewegung, bei UmFAIRteilen oder in antirassistischen Bündnissen sind sie immer wieder aktiv? Was ist ihr Antrieb für diese Aktivitäten?

Uwe Hiksch: Ich bin davon überzeugt, dass eine grundlegende Veränderung der derzeitigen Verhältnisse nur durch eine starke außerparlamentarische Opposition erreicht werden kann. Die Überwindung der herrschenden Verhältnisse wird nicht alleine über Wahlen erreicht. Linke Kräfte im Parlament haben keine Chance sich dem herrschenden Block entgegenzustellen, wenn nicht durch fortschrittliche Kräfte Druck auf die herrschende Politik organisiert wird. Hierfür können Demonstrationen einen wichtigen Beitrag leisten. Ziel der antikapitalistischen und kapitalismuskritischen Kräfte in solchen Bündnissen muss auch darin bestehen, im Rahmen solcher Bewegungen für eine grundsätzlichere Kritik am kapitalistischen System zu werben. Die NaturFreunde sehen ihre Aufgabe auch darin, Scharnier zwischen reformorientierten und kapitalismuskritischen Kräften in den verschiedenen Bewegungen zu sein. Wir wollen unseren Beitrag für eine Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse leisten. Den derzeitigen Versuch, die bürgerliche Demokratie noch mehr zu einer marktkonformen Demokratie zu degradieren, in der die herrschenden Kapitalfraktionen ohne nennenswerten Widerstand ihre Interessen durchsetzen können, werden wir nicht hinnehmen. Deshalb gehen wir mit dem Motto "TTIP wegkicken!" am 10. Oktober auf die Straße. Wir hoffen, dass wir mit unserem Engagement dazu beitragen können, eine der größten Demonstrationen seit vielen Jahren in Berlin zu organisieren.


Uwe Hiksch ist Mitglied im Bundesvorstand der NaturFreunde Deutschlands und Anmelder der Großdemonstration am 10. Oktober in Berlin.

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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 47. Jahrgang, Nr. 41 vom 9. Oktober 2015, Seite 9
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Oktober 2015

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