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INTERNATIONAL/134: Zentralamerika - Neue Zeitrechnung, altes Leid, Indigene arm und ausgegrenzt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. November 2012

Zentralamerika: Neue Zeitrechnung, altes Leid - Indigene arm und ausgegrenzt

von Danilo Valladares


Senioren vom Volk der Maya Kiché in Guatemala - Bild: © Danilo Valladares/IPS

Senioren vom Volk der Maya Kiché in Guatemala
Bild: © Danilo Valladares/IPS

Guatemala-Stadt, 7. November (IPS) - In Zentralamerika, Belize und dem Süden Mexikos laufen die Vorbereitungen für die Feierlichkeiten zum Ende der alten und zum Beginn der neuen Maya-Zeitrechnung auf Hochtouren. Doch von den Devisen, die die Massen an Touristen mitbringen werden, profitieren die Indigenen, deren Kalender nun gewürdigt wird, nicht.

"Es ist kränkend, beleidigend und widersinnig, dass Unmengen an staatlichen Geldern für die Feiern zum Abschluss des 13. Baktuns (Zyklus) ausgegeben werden, während die Indigenen weiterhin ein Leben im Elend fristen", kritisiert Ricardo Cajas vom unabhängigen Rat der Maya-Organisationen Guatemalas (COMG). Angebrachter wäre es seiner Meinung, "den Kolonialismus der vorherrschenden Klasse zu analysieren, der die Indigenen in extremer Armut hält".

Ganze 41 Prozent der Guatemalteken betrachten sich selbst als Indigene. Trotz dieses hohen Bevölkerungsanteils haben die Ureinwohner noch keinen Präsidenten gestellt. Im derzeitigen Parlament besetzen sie gerade einmal 19 der 158 Sitze, und ins Kabinett hat es nur einer von ihnen geschafft: Carlos Batzín ist Minister für Kultur und Sport.


Tourismus am Ende der Welt

Historikern zufolge begann der 13. Baktun am 11. August 3114 v. Chr. und leitete die sogenannte "lange Zeitrechnung" ein. Am 22. Dezember 2012 wird sich nun der neue, ebenso lange 14. Zyklus anschließen. Die zentralamerikanischen Staaten, Belize und Mexiko werden dieses Ereignis mit zahlreichen Feierlichkeiten begehen. Allein die guatemaltekische Tourismusindustrie wirbt mit 15 offiziellen Veranstaltungen. Dazu gehört eine Multimedia-Präsentation zum Maya-Erbe an der archäologischen Stätte Tikal im nördlichen Departement Petén am 20. Dezember.

Nach Angaben der Indigenen Beobachterstelle, eine Allianz aus zahlreichen zivilgesellschaftlichen Organisationen, haben das guatemaltekische Kulturministerium und das Tourismusinstitut rund 8,5 Millionen US-Dollar für die Feierlichkeiten ausgegeben.

Aufgrund der intensiven PR-Arbeit werden in Guatemala, Honduras, El Salvador und Belize fünf Millionen Besucher erwartet. Mexiko rechnet mit zehn Millionen Menschen allein in den südlichen Bundesstaaten. Die Welt-Maya-Organisation der regionalen Tourismusindustrie spricht von einem Anstieg der Besucherzahlen um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Die Indigenen kritisieren jedoch, dass sie von den Einnahmen aus dem Touristenrummel in keiner Weise profitieren. Cajas sieht die Wurzel dieser Missachtung im neoliberalen Wirtschaftssystem des 20. Jahrhunderts, "das weder Ethik noch Moral kennt und sich über die Rechte der indigenen Völker einschließlich der Landrechte hinweggesetzt hat".

In Guatemala befinden sich 80 Prozent der produktiven Ländereien in der Hand von fünf Prozent der Bauern. Auf dem Land leben 61 Prozent der Guatemalteken. Doch 80 Prozent der Landbevölkerung ist arm, wie Zahlen des UN-Entwicklungsprogramms belegen. Diese Armen sind mehrheitlich indigener Herkunft.

"In Zentralamerika gehören die Ureinwohnervölker historisch gesehen zu den ärmsten Segmenten der Bevölkerung", bestätigt Néstor Pérez vom unabhängigen Zentralamerikanischen Indigenenrat mit Sitz in El Salvador. Dabei sind ihre Territorien reich an natürlichen Ressourcen und Mineralien. Pérez zufolge lassen sich die Wirtschaftsinteressen der Länder nicht mit den Kollektivrechten der indigenen Völker in Einklang bringen, die in den Konflikten in der Regel den Kürzeren ziehen.

Den Indigenenführer bringt auf, dass das Ende der alten und der Beginn der neuen Maya-Zeitrechnung lediglich dazu genutzt wird, mehr Touristen anzuziehen und die traditionellen Praktiken der Indigenen zu Folkloreshows zu verflachen, anstatt eine Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen der Indigenen einzuleiten.


Absturz der Hochkulturen

In Zentralamerika, in Belize und dem Süden Mexikos - auch Mesoamerika genannt - hatten sich bis zur Ankunft der Spanier Hochkulturen entwickelt. Der kulturelle, wissenschaftliche und biologische Reichtum der Maya, Olmeca und Azteken ist legendär. Ganz Lateinamerika ist die Heimat von insgesamt 50 Millionen Indigenen, die sich auf 400 Völker verteilen. In der zentralen Andenregion mit den heutigen Staaten Ecuador, Peru und Bolivien leben 90 Prozent der Ureinwohner des Kontinents.

Die fortgesetzte Marginalisierung der Ersten Nationen lässt sich überall in der Region erkennen, beklagt Dalí Ángel von der Allianz der indigenen Frauen Zentralamerikas und Mexikos. Wie sie berichtet, werden in Mexiko immer mehr indigene Territorien an transnationale Unternehmen ohne vorherige Rücksprache mit den Indigenen vergeben, wie dies in Übereinstimmung mit der Indigenenkonvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erforderlich wäre. Ángel zufolge wird der Zugriff auf indigene Territorien in Mexiko immer häufiger mit Hilfe von Verfassungsänderungen erleichtert.

9,8 Prozent der 112 Millionen Mexikaner sind indigener Herkunft. Die Mehrzahl lebt in den Oaxaca und Chiapas. In diesen beiden Bundesstaaten und in Guerrero ist nach Angaben der Beobachterstelle für Sozial- und Menschenrechtspolitik jeder Dritte absolut arm. (Ende/IPS/kb/2012)


Links:

http://www.renoj.org/observatorio-indigena-nacional/
http://www.mundomayaorganizacion.org/inicio.htm
http://www.consejoindigena.org/
http://www.cicaregional.org
http://observatoriopoliticasocial.org/
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=101844

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. November 2012