Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FAKTEN

INTERNATIONAL/169: Paraguay - Der lange Kampf der Sawhoyamaxa, Indigene fordern ihr Land zurück (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Januar 2014

Paraguay: Der lange Kampf der Sawhoyamaxa - Indigene fordern ihr Land zurück

von Natalia Ruiz Diaz


Bild: © Natalia Ruiz Díaz/IPS

Die brasilianische Hip-Hop-Band 'Brô MC'S' auf dem Solidaritätsfestival zugunsten der Sawhoyamaxa in der paraguayischen Hauptstadt Asunción
Bild: © Natalia Ruiz Díaz/IPS

Asunción, 7. Januar (IPS) - 20 Jahre lang kämpften sie vergeblich um die Rückgabe ihrer angestammten Gebiete - jetzt haben sie einen neuen Versuch gestartet, um die überfällige Umsetzung eines Urteils des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs zu erreichen. Die indigenen Sawhoyamaxa sind fest entschlossen, mit Hilfe einer Solidaritätskampagne und einer Unterschriftensammlung das Land ihrer Vorväter zurückzuerobern.

"Che rohenói, eju orendive, aldeia unida, mostra a cara ('Ich rufe dich, komm mit uns, geeintes Dorf, zeig dein Gesicht')", skandierten Mitte Dezember tausende Sawhoyamaxa auf einem interkulturellen Festival anlässlich ihres neuen Kreuzzugs für ihre Landrechte in der paraguayischen Hauptstadt Asunción. Die Verse in Guaraní und Portugiesisch stammen aus einem Song der indigenen brasilianischen Hip- Hop-Band 'Brô MC'S', die auf dem Solidaritätsevent zugunsten der Sawhoyamaxa aufgetreten ist.

Das Festival bildete den Auftakt für die Sammlung von mindestens 20.000 Unterschriften, mit denen die Sawhoyamaxa-Chiefs das paraguayische Zwei-Kammer-Parlament dazu bewegen wollen, ihrem Enteignungsantrag zuzustimmen - eine Voraussetzung zur Wiedererlangung ihrer Gebiete.

"20 Jahre ist es her, dass wir von unseren Territorien vertrieben wurden. Seither leben wir an Straßenrändern und müssen zusehen, wie Kühe an dem Ort grasen, an dem wir einst gelebt haben. Wir sind zur Rückkehr fest entschlossen, denn die Ländereien gehören uns", lautete die Botschafter der Sawhoyamaxa.

Epizentrum de 20-jährigen Widerstands gegen die Vertreibung der Indigenen ist das an einer Landstraße gelegene Gemeinschaftslager Santa Elisa, das sich 370 Kilometer nördlich von Asunción im halbtrockenen paraguayischen Chaco-Gebiet befindet. Dem Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof zufolge fristen die Menschen dort ein entbehrungsreiches und gefahrvolles Leben.

Die Sawhoyamaxa gehören zu der indigenen Sprachenfamilie Exet, einer von fünf, die es in Paraguay gibt. In dem südamerikanischen Land gibt es 19 Volksgruppen, die sich auf 762 Gemeinden vor allem im Osten des Landes und im Chaco aufteilen. Insgesamt sind 116.000 der 6,4 Millionen Paraguayer indigener Herkunft. Die Hälfte von ihnen sind Guaraní.


Land in der Hand von Viehzüchtern

Die Sawhoyamaxa waren mit der Begründung, sie besäßen keine Landtitel, von ihrem Gebiet vertrieben worden. Inzwischen haben Viehzüchter das Areal vereinnahmt. "Diese Leute wollen nicht, dass wir unser Ziel erreichen", meint der Chief der indigenen Gemeinschaft, Carlos Cantero. "Wir wollen die Ländereien zurück, um dort nach unseren Vorstellungen zu leben, zu jagen und unsere Wälder zu bewirtschaften."

Bisher ist es der einflussreichen Viehwirtschaft und ihren Lobbyisten gelungen, eine Umsetzung des Urteils des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofs, einem unabhängigen Organismus der Organisation Amerikanischer Staaten, zu verhindern.

Dem Sawhoyamaxa-Führer zufolge drängt die Zeit, denn von der einstigen Vegetation ist nicht mehr viel übrig geblieben. "Sollte der Staat nicht schnell handeln, werden auch diese letzten Wälder verschwunden sein."

Tatsächlich hat sich das Vorrücken der Viehzuchtgrenze dramatisch beschleunigt. Allein im November wurden durchschnittlich 549 Hektar Wald pro Tag abgeholzt, wie einem Bericht der Nichtregierungsorganisation 'Guyra Paraguay' zu entnehmen ist. Der paraguayische Chaco erstreckt sich über 60 Prozent des nationalen Territoriums, beherbergt acht Prozent der Bevölkerung und ist für die Viehzucht besonders geeignet.


Fatale Großgrundbesitzverhältnisse

Seit dem 19. Jahrhundert und insbesondere nach dem Chaco-Krieg gegen Bolivien (1933-1936), als die Regierung massenweise staatliches Land veräußerte, wurden die dort lebenden indigenen Gemeinschaften zu Hauptzielscheiben der Vertreibungen. Inzwischen befinden sich 85 Prozent der wirtschaftlich genutzten Flächen Paraguays in den Händen von drei Prozent der Bevölkerung. Die Sawhoyamaxa fordern 14.404 Hektar Land zurück.

In einem vor allem symbolischen Akt haben die Sawhoyamaxa im März vergangenen Jahres nach Ablauf aller Fristen für eine Umsetzung des Urteils des Interamerikanischen Gerichtshofs mit der 'Rückeroberung' ihrer Gebiete begonnen, indem sie kleine Lager auf den Gebieten errichteten, für die sie sich kollektive Landrechte erhoffen.

Ihr Kampf um die Rückgabe des Landes ihrer Vorväter geht die 1990er Jahre zurück. Nachdem sich die lokalen rechtlichen Möglichkeiten erschöpft hatten, brachten die Indigenen den Fall 2001 vor die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH), die ihn an das Regionalgericht weiterleitete. Insgesamt hat sich das Tribunal bereits drei Mal auf die Seite der paraguayischen Indigenen gestellt. Doch bisher wurde keines der Urteile umgesetzt.

Nach dem Richterspruch von 2006 hatte die Regierung zwar versucht, dem Urteil des Interamerikanischen Gerichtshofs durch den Rückkauf der beanspruchten Gebiete Folge zu leisten. Doch scheiterte das Vorhaben am Widerstand des Viehzüchters Heribert Roedel, der 60.000 Hektar Land einschließlich Teilen des indigenen Territoriums besitzt.

"Eine weitere Möglichkeit, um das Land wiederzuerlangen, ist der Weg über die Legislative", erläutert der Rechtsanwalt Oscar Ayala von 'Tierraviva'. Diese Nichtregierungsorganisation und die Paraguay-Sektion von 'Amnesty International' gehören zu den zivilgesellschaftlichen Akteuren, die die Sache der Sawhoyamaxa maßgeblich unterstützen.


Günstiges Klima

Das Parlament diskutiert derzeit über einen Antrag der Regierung vom vergangenen August, mit dessen Hilfe die Enteignung des umstrittenen Gebiets in Angriff genommen werden soll, damit die Entscheidung des Interamerikanischen Gerichtshofs endlich durchgesetzt werden kann. Laut Ayala stehen die Chancen, den Fall im Sinne des Regionaltribunals zu lösen, besser als je zuvor. "Wir haben den Eindruck gewonnen, dass es eine größere Bereitschaft gibt, eine Lösung herbeizuführen", erklärte er.

Am 18. Dezember hatte sich auch der für Rechnungswesen und staatliche Verwaltung zuständige Kontrollausschuss des Senats für die Enteignung der betreffenden Viehzüchter ausgesprochen. Nun müssen sich noch die Ausschüsse für Agrarreform und Finanzen äußern, bevor die Angelegenheit vom Senat diskutiert und dem Abgeordnetenhaus vorgelegt werden kann.

Derzeit leben in Santa Elisa 120 Familien beziehungsweise 600 Personen. Die Hälfte sind Kinder und Jugendliche.

Der regionale Menschenrechtsgerichtshof hatte den Staat auch dazu verurteilt, den Indigenen Nahrungsmittelhilfe und Bildung zukommen zu lassen. Die Lage in den Siedlungen hat sich jedoch nur leicht gebessert. So werden die Indigenen zwar jeden Monat mit Wasser versorgt, doch reicht es bei weitem nicht aus, um die Bedürfnisse zu decken. Auch die sanitäre Situation ist kritisch.

Um den Mangel zu beenden, ziehen die Frauen und Männer der Sawhoyamaxa von Ort zu Ort, um sich die Solidarität der paraguayischen Bevölkerung zu sichern. "Wir werden solange weitermachen, bis wir wieder auf unserem Land leben, auf das wir angewiesen sind", versicherte der Indigenenführer Cantero. (Ende/IPS/kb/2014)


Links:

http://www.corteidh.or.cr/docs/casos/articulos/seriec_146_esp2.pdf
http://www.guyra.org.py/
http://www.ipsnoticias.net/2014/01/los-sawhoyamaxa-dan-nueva-batalla-por-su-tierra-en-paraguay/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. Januar 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2014