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STANDPUNKT/148: Berlin für alle! (Berlin 21)


Berlin 21 - Magazin für ein zukunftsfähiges Berlin 2/10

BERLIN FÜR ALLE!
Eine soziale und ökologische Stadtentwicklungspolitik im Sinne der
"Berliner Lokale Agenda 21" ist möglich: Mit mehr direkter Demokratie

Von Anuschka Guttzeit


Die Bürger/innen vertrauen den Parteien immer weniger. Die Wahlbeteiligung sinkt stetig. Nach Wahlen machen die Politiker/innen oft vollständig andere Dinge, als sie vor den Wahlen versprochen haben. Die Folge: Immer weniger Bürger/innen engagieren sich in Parteien. Erstaunlicherweise setzen sich aber immer mehr Bürger/innen für politische Sachthemen und für die konkrete Gestaltung ihrer Stadt ein. Sie wollen nicht nur alle fünf Jahre (bzw. alle vier Jahre bei Bundestagswahlen) ihre Stimme abgeben, sondern sie wollen die ganze Zeit mitreden. Sie wollen verbindlich für ihre Interessen abstimmen, wann immer es ihnen nötig erscheint. Wer Demokratie ernst nimmt, der muss die Entscheidungen der Bürger/innen akzeptieren. Dafür ist mehr direkte Demokratie nötig. D.h. es müssen endlich Volksbegehren und Bürgerbegehren eingeführt werden, deren Abstimmungsergebnisse für die Politiker/innen rechtlich verbindlich sind. Dies ist auch angesichts der halbherzigen "Berliner Lokale Agenda 21"-Politik des SPD/Linke-Senats dringend nötig.


Mehr Bürgerbeteiligung!

Wozu hatte das Abgeordnetenhaus Berlin die "Berliner Lokale Agenda 21" im Jahr 2006 beschlossen? Tatsächlich ist die darin angestrebte Bürgerbeteiligung an Stadtentwicklungs- und Freiraumplanungsprozessen nicht zwingend und verbindlich vorgeschrieben. Zwar wird im Agendatext vollmundig behauptet: "Das Prinzip, die Bürger an sie betreffenden Entscheidungen schon im Planungsstadium umfassend zu beteiligen, wird auf gesamtstädtischer und bezirklicher Ebene realisiert." (www.agenda21berlin.de S. 16) In der Realität machen engagierte Bürger/innen aber meist ganz andere Erfahrungen. Am Ende von zum Teil Jahre andauernden Runden Tischen, Mediationsverfahren und Verhandlungen, nach unverbindlichen Bürger- sowie Volksbegehren machen die Regierenden nämlich meist trotzdem das, was sie von vornherein geplant hatten. Sie wollen nichts von ihrer Macht abgeben! Dies führt zu Politikverdrossenheit.

Der überparteiliche Verein "Mehr Demokratie" fordert seit über 20 Jahren rechtlich verbindliche Volksentscheide für ganz Deutschland auf Bundes- und Landesebene. Wir leben heute in Zeiten, in denen den Bürger/ innen die immer weiter steigenden Milliarden - zum Beispiel Kosten für die Finanzkrise - aufgebürdet werden. Bei den kleinen Leuten, im sozialen und ökologischen Bereich, wird gekürzt.

Verursacht wurde die Finanzkrise aber von Bänkern und deren zum Teil unverantwortlichem Geschäftsgebaren. Politiker/innen haben ihnen durch die Verabschiedung von deregulierenden Gesetzen im Bereich der Finanzpolitik erst die Möglichkeit für ihr Fehlverhalten gegeben. Die Banken als die Verursacher der Krise werden von der Politik nicht zur Verantwortung gezogen. Zur Finanzierung der Kosten, der von ihnen verursachten Krise, müssen die Banken kaum beitragen. Das ist unverantwortlich. Deshalb ist eine direkte demokratische Beteiligung durch rechtlich verbindliche Volksbegehren auch auf Bundesebene nötiger denn je!


Volksbegehren und Bürgerbegehren in Berlin

In Berlin haben Volksbegehren und Bürgerbegehren auf Landesebene bisher nur empfehlenden Charakter für die Politik. Der Sozialwissenschaftler Dr. Andrej Holm, Arbeitsschwerpunkte Stadterneuerung und Gentrifizierung, wünscht sich eine "Vorreiterrolle" Berlins in Sachen direkter Demokratie. Arme werden in der Hauptstadt durch eine verfehlte Mietenpolitik zunehmend aus der Innenstadt vertrieben. Das Durchschnittseinkommen in Berlin beträgt lediglich 900 Euro Netto. Berlin ist die Hauptstadt der Mieter/innen. Ein verbindliches Volksbegehren für eine soziale Mietenpolitik wäre hilfreich.

2006 haben sich die BerlinerInnen in einer Volksabstimmung mit großer Mehrheit für eine Änderung der Bestimmungen zu direktdemokratischen Elementen in der Berliner Verfassung entschieden. Daraufhin wurde die Zahl der für ein Volksbegehren notwendigen Unterschriften und der bei einem Volksentscheid notwendigen Ja-Stimmen gesenkt. Seit der Änderung der Berliner Verfassung gab es 15 Volksbegehren. Mit dem Volksbegehren "Tempelhof bleibt Verkehrsflughafen" gab es in Berlin zum ersten Mal einen Volksentscheid. Kürzlich hat der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses über Reformpläne beim Volksabstimmungsgesetz beraten. Demnach dürfen jetzt auch gemeinnützige Organisationen für Volksbegehrensinitiativen spenden und nicht mehr nur ausschließlich Wirtschaftsunternehmen - eine gute, sehr wichtige Entscheidung.

2005 wurden in Berlin auf Bezirksebene Bürgerbegehren und Bürgerentscheide eingeführt. Die Berliner/ innen nutzen dieses demokratische Instrument begeistert. Seit 2005 gab es über 27 Bürgerbegehren. Das bekannteste ist sicherlich das Bürgerbegehren "Spreeufer für alle!" Die Initiative "Mediaspree versenken" hatte es 2008 in Friedrichshain-Kreuzberg erfolgreich gegen das "Mega-Stadtumbauprojekt Mediaspree" durchgeführt. Mediaspree ist ein Zusammenschluss von Investoren, die mit hohen öffentlichen Subventionen den Bereich zwischen Ostbahnhof und Oberbaumbrücke an der Spree bebauen wollen. Die Mehrheit der abstimmenden Bürger/innen in Friedrichshain-Kreuzberg hatte sich in einem Bürgerentscheid gegen die Bebauung dicht an der Spree, gegen den Bau von Hochhäusern und für 50 Meter breite öffentlich zugängliche grüne Uferwege an der Spree ausgesprochen. Außerdem stimmten sie gegen den Verkauf von landeseigenen Grundstücken an private Investoren und gegen den Neubau einer Autobahnbrücke. www.ms-versenken.org


Rette Deine Stadt

Wie die meisten Bürgerbegehren hat das Bürgerbegehren "Spreeufer für alle" jedoch nur empfehlenden Charakter und ist nicht rechtsverbindlich. Sehr viele Unterstützer/innen des Bürgerbegehrens "Spreeufer für alle" kritisieren heute, dass das Ergebnis des Bürgerbegehrens kaum umgesetzt wird. Deshalb findet am 10. Juli 2010 eine Demonstration statt, die von einem breiten Bündnis getragen wird. www.megaspree.de

Motto "Rette Deine Stadt, gegen die Stadtentwicklungspolitik von oben".

Ein Bürgerentscheid ist heute rechtlich lediglich einem Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung gleichgesetzt. Die Bürger/innen sind also auf das Wohlwollen von Politik und Verwaltung angewiesen. Die Bezirksverordnetenversammlungen müssten mehr Beschlusskompetenzen haben, das würde automatisch auch die Rechtswirkung von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden stärken. Das meint der Verein "Mehr Demokratie" und hat dazu eine Unterschriftensammlung gestartet.

http://bb.mehr-demokratie.de/aufruf-berlin.html

Parteien und Abgeordnete, die nicht für die Einführung von Volksentscheiden auf Landesebene und von Bürgerentscheiden auf Bezirksebene eintreten, deren Abstimmungsergebnisse für die Politiker/innen rechtlich verbindlich sind, sind 2011 bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus nicht wählbar. Nur so können wir künftig eine neue, wirksame "Berliner Lokale Agenda 21" bekommen, die für eine soziale und ökologische Stadtentwicklungspolitik mit echter Bürgerbeteiligung steht. Dazu gehört eine tatsächliche, umfassende und transparente Informationspolitik von Seiten der Regierenden bereits im Planungsstadium.


Anuschka Guttzeit
Mitbegründerin Bürgerinitiative
"Bäume am Landwehrkanal"
http://www.baeume-am-landwehrkanal.de/

Artikel zum derzeit größten Mediationsverfahren im deutschsprachigen Raum:
"Zukunft Landwehrkanal: Erfolgsmodell oder doch Greenwashing?"
S. 6/7 in der Umweltzeitung "Der Rabe Ralf" www.grueneliga-berlin.de

Hinweise der Schattenblick-Redaktion:

Dieser Artikel ist im Schattenblick zu finden unter:
www.schattenblick.de -> INFOPOOL -> UMWELT -> FAKTEN
STADT/265: "Zukunft Landwehrkanal" - Erfolgsmodell oder doch Greenwashing? (DER RABE RALF)

Berlin 21, das Magazin für ein zukunftsfähiges Berlin, muß aufgrund der Mittelkürzungen von Senatsseite eingestellt werden.


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Quelle:
Berlin 21 - Magazin für ein zukunftsfähiges Berlin 2/10
Herausgeber: Berlin 21 e.V.
Redaktion: Sebastian Stragies (V.i.S.d.P.)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juli 2010