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STELLUNGNAHME/002: Abschaffung aller Atomwaffen und sofortiger Abzug aus Deutschland (IALANA)


IALANA
Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms

Ahrweiler Erklärung veröffentlicht:
IALANA fordert die Abschaffung aller Atomwaffen und den sofortigen Abzug aus Deutschland

Pressemitteilung vom 26.4.2010


"Trippelschritte für die atomare Abrüstung sind angesichts der Bedrohungen und der Proliferationsgefahren nicht genug", erklärte der Geschäftsführer der IALANA, Reiner Braun auf der heutigen Pressekonferenz in Ahrweiler.

Otto Jäckel, der neugewählte Vorsitzende der IALANA warf der NATO angesichts der Ergebnisse der NATO-Tagung von Tallinn vor, "schon jetzt verantwortlich zu sein, für das Scheitern der Atomwaffensperrvertragskonferenz. Die Beibehaltung der Atomwaffen in Europa ist nicht nur eine Provokation gegenüber der Friedensbewegung, sie brüskiert die Politik von Präsident Obama und hat zwingend ein weiteres Ausweiten des Wettrüstens und der weiteren Proliferation zur Folge".

In der aus Anlass der Mitgliederversammlung der atomwaffenkritischen Juristenorganisation IALANA veröffentlichten Ahrweiler Erklärung "wider die atomare Bedrohung" wird ausgeführt:

Atomwaffen sichern nicht den Frieden, die Strategie der atomaren Abschreckung ist verbrecherisch, basiert sie doch nur auf den Faktoren Glück und Zufall. Darauf kann das Überleben der Menschheit nicht gebaut werden.

Die Alternative heißt, die Verabschiedung einer Nuklearwaffenkonvention, die für alle überprüfbar zu einer Abschaffung aller Atomwaffen führt.

In der Konsequenz dieser Erklärung initiiert und unterstützt die IALANA die Klage einer betroffenen Bürgerin gegen die Bundesregierung, um den Anzug der Atomwaffen auch auf juristischem Wege zu erreichen. "Die nukleare Teilhabe ist völkerrechtswidrig und damit auch verfassungswidrig", so Peter Becker, Vorsitzender der IALANA und anwaltlicher Vertreter der Klägerin.


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Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und chemische Waffen
Für gewaltfreie Friedensgestaltung
Deutsche Sektion der International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms (IALANA)

Ahrweiler Erklärung

Wider der atomaren Abschreckung

Stellungnahme der Deutschen Sektion der IALANA anlässlich der 8. Überprüfungskonferenz des Nichtverbreitungsvertrages


Gliederung

I. Die Mythen und Märchen des nuklearen Zeitalters
II. Hat die Abschreckung mit Atomwaffen bisher den Frieden gesichert?
III. Die Widersprüche der nuklearen Abschreckung
IV. Gemeinsame Sicherheit statt nuklearer Abschreckung
V. Die Verpflichtung zur vollständigen nuklearen Abrüstung
VI. Der Nichtverbreitungsvertrag ("Atomwaffensperrvertrag")
VII. Eindeutige Verstöße gegen den NPT
VIII. Die Nuklearwaffenkonvention
IX. Zentrale Forderungen der IALANA

1. Nationale Ebene
1.1 Beendigung jeder Form der "Nuklearen Teilhabe" Deutschlands innerhalb der NATO
1.2 Atomwaffenfreiheit Deutschlands
1.3 Reduzierung der Gefahren und Risiken der Weiterverbreitung von nuklearwaffenfähigem Material in und aus Deutschland
1.4 Festhalten am Atomausstieg

2. Auf EU-Ebene
2.1 Beitritt der EU als Völkerrechtssubjekt zum Nichtverbreitungsvertrag
2.2 Forschungspolitik
2.3 Nuklearwaffen-Konventions-Initiativ

3. Auf NATO-Ebene
3.1 Verzicht auf den "Kriegsvorbehalt" ("War-Clause")
3.2 Atomwaffen-Abzug
3.3 Änderung der NATO-Nuklearstrategie
3.4 CTBT
3.5 Nukleare Kooperation
3.6 NATO-Initiative zur Nuklearwaffen-Kovention

4. Auf globaler Ebene
4.1 NPT-Überprüfungskonferenz im Mai 2010 in New York
4.2 Stärkung und Umbau der IAEA
4.3 Nuklearwaffenstaaten im Sinne des NPT
4.4 Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea
4.5 Irans Nuklearprogramm


I. Die Mythen und Märchen des nuklearen Zeitalters

Uns wird erzählt:

Nachdem nun einmal Atomwaffen in der Welt seien, also der "Geist aus der Flasche" sei, müsse man auf Dauer damit leben. Die Existenz von Atomwaffen und des entsprechenden Know-hows könne niemand mehr rückgängig machen.
Es seien Pessimisten und Panikmacher, die die Ansicht verbreiteten, dass Atomwaffen jederzeit eingesetzt werden könnten; die Erfahrungen seit 1945 widerlegten diese Angstmacherei.
Atomwaffen hätten sogar einen positiven Effekt: Sie hätten die Welt seit den 1945 erfolgten Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki vor einem nuklearen Konflikt bewahrt und eine lange Periode des Friedens gewährleistet. Sie seien deshalb selbst die beste Abschreckung vor einem Einsatz von nuklearen Sprengkörpern und gegen militärische Angriffe durch andere.
Atomwaffen seien heute nur noch "politische Waffen", die nur noch abschrecken, jedoch niemals eingesetzt werden sollten.
Falls dennoch eine Entscheidung, Atomwaffen einzusetzen, getroffen werden sollte, werde dies niemals ohne die erforderliche sorgfältige Abwägung durch verantwortliche Staatsmänner geschehen. Hierauf könne man sich verlassen.
Die Atommächte seien verantwortungsbewusste Staaten. Es sei völlig legitim und legal, dass sie Atomwaffen besitzen und darüber verfügen könnten.
Die Internationale Atomenergieagentur (IAEA) überwache alle nuklearen Spaltprodukte und Abfälle. Aufgrund dieses Überwachungssystems seien die Bestandteile für die Herstellung von Atomwaffen nicht zugänglich. Falls ein Staat aus dem Überwachungsregime ausschere, könne er ohne weiteres auf den rechten Weg zurückgebracht werden, wie anhand des Iraks zu sehen sei.

Bis heute haben diese geschickt inszenierten und subtil wirkenden Mythen bei vielen Menschen ihre Überzeugungskraft nicht eingebüßt.


II. Hat die Abschreckung mit Atomwaffen bisher den Frieden gesichert?

Entgegen einer weit verbreiteten Auffassung, die immer wieder geltend macht, das nukleare Abschreckungssystem habe in den Zeiten des "Kalten Krieges" und darüber hinaus bis heute seine Wirksamkeit und Funktionsfähigkeit eindrucksvoll unter Beweis gestellt und so den Frieden gesichert, gilt es festzuhalten: Die Anzahl der Situationen, in denen die Welt in den letzten Jahrzehnten unmittelbar am nuklearen Abgrund stand, ist beträchtlich. Den meisten Menschen ist dies gar nicht bekannt, jedenfalls nicht bewusst. In den vergangenen 60 Jahren gab es zumindest zwanzig äußerst kritischer Situationen - sowohl im Osten(1) als auch im Westen(2) -, in denen die Welt am Rande des nuklearen Infernos stand. Allein aufgrund äußerst glücklicher Umstände entging die Welt in diesen Abgrund-Situationen einer nuklearen Katastrophe. Das Überleben der Menschheit im nuklearen Zeitalter der vergangenen Jahrzehnte verdankt sich deshalb - wie es der frühere US-amerikanische Verteidigungsminister Robert McNamara formuliert hat - letztlich glücklichen Zufällen.(3)

Das Überleben der Menschheit und dieses Planeten darf nicht länger von solchen "glücklichen Umständen" abhängig bleiben. Sicherheitsstrategien, die bewusst die mit einem nuklearen Inferno verbundenen Mega-Risiken einkalkulieren und sich darauf gründen, sind menschenverachtend und letztlich verbrecherisch.


III. Die Widersprüche der nuklearen Abschreckung

Alle Konzepte und Strategien der nuklearen Abschreckung gehen davon aus, der potenzielle Gegner könne dadurch von einem nuklearen oder nichtnuklearen Angriff wirksam abgeschreckt werden, dass man ihm für diesen Fall einen vernichtenden militärischen Gegenschlag androht, der für ihn zu unannehmbaren Folgen und Schäden, wenn nicht zur vollständigen Vernichtung in einem atomaren Inferno führen werde. Um die eigene Fähigkeit und Bereitschaft zu einer solchen Reaktion glaubwürdig demonstrieren zu können, sind entsprechende militärische Ausrüstungen und Bewaffnungen, logistische Einrichtungen sowie Strategien und Einsatzdoktrinen erforderlich.

Konstitutiver Bestandteil für ein - immanent betrachtet - "Funktionieren" der Abschreckungslogik ist dabei jedoch denknotwendig stets, dass man es mit einem rational kalkulierenden Gegner zu tun hat, der auf der Basis hinreichender und ihm auch ad hoc zur Verfügung stehender Informationen ausschließlich rationale Entscheidungen trifft.

Das Abschreckungskonzept kann mithin schon nach seiner eigenen "Logik" nicht funktionieren, wenn es um die Abschreckung eines "irrationalen" Gegners geht. Das kann etwa dann der Fall sein, wenn dieser für "rationale" Argumente nicht zugänglich ist, also wenn er - aus welchen Gründen auch immer - zur Benutzung rationaler Abwägungskalküle nicht imstande oder nicht Willens ist. Historische Beispiele für solche "abschreckungsresistenten" Gegner waren jedenfalls im zu Ende gegangenen 20. Jahrhundert, dem blutigen "Zeitalter der Extreme", nicht gerade selten. Man stelle sich nur vor, sie hätten über Atomwaffen verfügt.

Aber auch dann, wenn man es mit einem prinzipiell "rationalen Gegner" zu tun hat, ist die Funktionsfähigkeit der nuklearen (wie auch der so genannten konventionellen) Abschreckung davon abhängig, dass diesem nach den konkreten Umständen hinreichende zeitliche und informatorische Kapazitäten zur Verfügung stehen, um kritische Entscheidungssituationen in dem jeweils erforderlichem Maße abschätzen und beurteilen zu können sowie hieraus in der zur Verfügung stehenden knappen Zeit verantwortliche Folgerungen zu ziehen.

Die "Abschreckungslogik" funktioniert auch dann nicht und stößt an gefährliche Grenzen, wenn menschliche Fehleinschätzungen oder "technisches Versagen" wirksam werden. Dies ist etwa der Fall, wenn sich Defekte in Kommunikationssysteme einschleichen oder dort wirksam werden, die es für die jeweils andere Seite angesichts sehr kurzer Vorwarnzeiten sehr schwer oder gar unmöglich machen, sicher zu diagnostizieren, ob in der konkreten Entscheidungssituation die z.B. aus den Computersystemen verfügbaren Daten nun auf einen gegnerischen Angriff schließen lassen oder nicht.

Und schließlich: Auch gegen solche terroristischen Gruppen und Selbstmordattentäter, die vor einem Einsatz nuklearer Explosivstoffe und vor dem eigenen Tod nicht zurückschrecken, hilft keine nukleare Abschreckung.


IV. Gemeinsame Sicherheit statt nuklearer Abschreckung

Die sog. Palme-Kommission, an der neunzehn bedeutende Politiker und Fachleute aus Ost und West, Nord und Süd, darunter der frühere deutsche Bundesminister und Abrüstungsexperte Egon Bahr, mitgewirkt haben, hat in der Hochphase des Kalten Krieges die lebensbedrohlichen Konsequenzen der Abschreckungsdoktrin eingehend analysiert und daraus bemerkenswerte Schlussfolgerungen gezogen, die sie in einem Alternativ-Konzept "gemeinsamer Sicherheit" zusammen gefasst hat:

"In der heutigen Zeit kann Sicherheit nicht einseitig erlangt werden. Wir leben in einer Welt, deren ökonomische, politische, kulturelle und vor allem militärische Strukturen in zunehmendem Maße voneinander abhängig sind. Die Sicherheit der eigenen Nation lässt sich nicht auf Kosten anderer Nationen erkaufen."(4)

Im nuklearen Zeitalter der gegenseitig gesicherten Zerstörung ist Sicherheit deshalb nicht mehr vor dem potenziellen Gegner, sondern nur noch mit ihm zu erreichen.


V. Die Verpflichtung zur vollständigen nuklearen Abrüstung

"Es besteht die völkerrechtliche Verpflichtung, Verhandlungen in redlicher Absicht aufzunehmen und zu einem Abschluss zu bringen, die zu atomarer Abrüstung in allen ihren Aspekten unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle führen."

Diese Verpflichtung hat der Internationale Gerichtshof in Den Haag (IGH), der so genannte Weltgerichtshof, in seinem am 8. Juli 1996 verkündeten epochalen Rechtsgutachten zur völkerrechtlichen Rechtslage einstimmig festgestellt. Dieses Rechtsgutachten war von der UN-Generalversammlung auf der Grundlage von Art. 96 der UN-Charta beim IGH angefordert worden. Die UN-Generalversammlung hatte sich damit - gegen den erbitterten Widerstand der Atomwaffenstaaten und ihrer Verbündeten - die weltweiten Initiativen von Bürgerbewegungen und Nichtregierungsorganisationen, darunter als Initiatoren dieses "World-Court-Projects" vor allem die IPPNW, die IALANA und das Internationale Friedensbüro, zu eigen gemacht.(5)

Mit seiner epochalen Entscheidung hat der IGH die für die Mitgliedsstaaten des Nichtverbreitungsvertrages gemäß dessen Art. VI bestehende Verpflichtung zur vollständigen nuklearen Abrüstung ("atomare Nulllösung") als geltendes Völkerrecht ausdrücklich bekräftigt.

Darüber hinaus hat der IGH in seinem Rechtsgutachten zum Ausdruck gebracht, dass diese Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung alle Staaten dieser Welt, nicht nur die Mitgliedsstaaten des NPT, völkergewohnheitsrechtlich bindet. Wer sich dieser Verpflichtung entzieht, bricht geltendes Recht und begeht ein völkerrechtliches Delikt.


VI. Der Nichtverbreitungsvertrag ("Atomwaffensperrvertrag")

Der 1970 in Kraft getretene völkerrechtliche Vertrag ruht auf vier Säulen:

(1) der Verpflichtung aller Nicht-Atomwaffenstaaten, Atomwaffen sowie die direkte oder die mittelbare Verfügungsgewalt darüber weder zu besitzen noch zu erwerben,
(2) der Verpflichtung der Atomwaffenstaaten, Nicht-Atomwaffenstaaten beim Erwerb von Atomwaffen nicht zu unterstützen und im Rahmen des geltenden Völkerrechts alles zu unternehmen, um eine Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern,
(3) der Verpflichtung aller Atomwaffenstaaten, in redlicher Absicht Verhandlungen mit dem Ziel aufzunehmen und zum Abschluss zu bringen, ihre eigenen Atomwaffen vollständig abzurüsten und zu beseitigen,
(4) dem Recht aller Mitgliedsstaaten des NPT auf Zugang zur Atomtechnologie und deren "ziviler Nutzung".

Vor dem Abschluss des NPT im Jahre 1968 bestand die Befürchtung, die Zahl der Atomwaffenstaaten werde sich ohne diesen Vertrag binnen kurzer Zeit auf über 40 erhöhen. Dies konnte bislang verhindert werden. Das ist ein wichtiger Erfolg des NPT, des einzigen völkerrechtlichen Vertrages, der dem Ziel der vollständigen nuklearen und nicht-nuklearen Abrüstung (unter wirksamer Kontrolle) verpflichtet ist. 190 Staaten haben ihn ratifiziert. Israel, Indien und Pakistan sind ihm jedoch nicht beigetreten. Seit Nord-Korea 2003 seine Mitgliedschaft gekündigt hat, gehören ihm derzeit 189 Staaten als Vertragsparteien an.

Die Zukunft des Nichtverbreitungsvertrages ist jedoch ungewiss. Sein Normen- und Kontrollregime wird früher oder später zusammenbrechen, wenn es nicht bald gelingt, die für den Atomwaffenverzicht der Nicht-Atomwaffenstaaten wichtigste Gegen-Zusage der Atomwaffenstaaten zu erfüllen: die völkerrechtliche Verpflichtung, die Eliminierung aller nuklearen Waffen durch redliche Verhandlungen zu einer realistischen Option zu machen.


VII. Eindeutige Verstöße gegen den NPT

Ungeachtet der von ihnen eingegangenen Verpflichtungen haben sich die Atomwaffenstaaten und viele ihrer Verbündeten in vielfacher Hinsicht offen vertragsbrüchig verhalten, ohne dafür bisher hinreichend zur Rechenschaft gezogen worden zu sein.

1. Dieser offene Vertragsbruch bestand und besteht vor allem darin, dass bislang entgegen Art. VI des Vertrages Verhandlungen mit dem Ziel der vollständigen nuklearen Abrüstung von keinem Atomwaffenstaat begonnen worden sind. Bisher fehlt dazu sogar nach wie vor die sichtbare Bereitschaft.

Zwar ist seit dem Ende des Kalten Krieges ("Ost-West-Konflikt") die Zahl der weltweit verfügbaren nuklearen Sprengköpfe verringert worden. Bis heute gibt es weltweit jedoch nach wie vor ca. 23.000 nukleare Sprengköpfe, davon ca. 22.000 im Besitz der USA und Russlands. Sie haben jeweils eine vielfache Vernichtungskraft der Bomben von Hiroshima und Nagasaki. Weitere rund 1.000 nukleare Sprengköpfe entfallen auf Frankreich, das Vereinigte Königreich, China, Israel, Indien, Pakistan und Nordkorea. Zur Zeit verfügen die USA über ca. 2.200 "strategische" Nuklearsprengköpfe (land- und seegestützte Interkontinentalraketen und Langstreckenbomber), Russland über ca. 2.500. Nach Expertenschätzungen haben die USA ca. 800 einsatzfähige nukleare Trägersysteme, Russland ca. 560. Die USA und Russland halten bis heute jeweils ca. 1.000 Nuklearsprengköpfe in höchster Alarm- und Einsatzbereitschaft.

Das am 8. April 2010 in Prag von Russland und den USA durch ihre Präsidenten unterzeichnete neue START-Abkommen soll bis 2017 die Zahl der einsatzfähigen "strategischen" nuklearen Sprengkörper auf landgestützten Interkontinentalraketen, Atom-U-Booten und Langstreckenbombern zwar von je 2.200 auf je 1.550 senken und die Zahl der einsatzfähigen "strategischen" nuklearen Trägersysteme (Raketen und Bomber) auf jeweils 700 verringern. Zudem werden jeweils 100 Trägersysteme als Reserve erlaubt. Die nicht-strategischen Nuklearwaffen werden davon nicht erfasst. Ob das START-Nachfolgeabkommen im US-Kongress die für eine Ratifizierung erforderlich 2/3-Mehrheit bekommen wird, ist offen.

Auch nach Umsetzung des START-Nachfolgeabkommens werden immer noch 20.400 US-amerikanische und russische Atomsprengköpfe das Leben auf der Erde unmittelbar bedrohen. Wirkliche Abrüstung sieht anders aus.

2. Die in den Nuklearstaaten und bei ihren Bündnispartnern verbliebenen Atomwaffen und ihre Trägersysteme wurden und werden weiterhin fortlaufend modernisiert. Dementsprechend ist ihre Einsatzfähigkeit ist bis heute ständig erhöht worden. Im März 2010 hat die US-Regierung beim US-Kongress für die Jahre 2011 - 2015 zwei Milliarden Dollar beantragt, um die B-61-Bomben zu modernisieren - sie lagern auch in Deutschland. Aus fünf alten sollen zwei "moderne" Bombenversionen werden. Diese Waffen sollen zudem an die nächste Generation nuklearfähiger Jagdbomber angepasst werden.

Die laufende Anpassung an die selbst definierten strategischen Erfordernisse präsentieren die Atomwaffenstaaten der Welt bis heute als nukleare Abrüstung. Der US-Kongress hat eine Reduzierung der Zahl der US-Atomwaffen sogar in einem Gesetz an die Modernisierung des alten Atomwaffenarsenals gekoppelt. Präsident Obama konnte dies bisher nicht rückgängig machen.

3. Obwohl alle Nicht-Atomwaffenstaaten in Art. II NPT und Deutschland zusätzlich auch im sog. Zwei-Plus-Vier-Vertrag völkerrechtlich verbindlich auf jede unmittelbare und mittelbare Verfügungsgewalt über Atomwaffen verzichtet haben, wird innerhalb der NATO weiterhin die "nukleare Teilhabe" praktiziert. Zur "nuklearen Teilhabe" gehört insbesondere,
(1) dass Deutschland, die Niederlande, Belgien, Italien und die Türkei nach wie vor in der Nuklearen Planungsgruppe der NATO mitwirken,
(2) dass in geheimgehaltenen Bunkern in Deutschland, in den Niederlanden, in Belgien, Italien und in der Türkei nach wie vor eine unbekannte Anzahl Atomwaffen mit einer vielfachen Zerstörungskraft der in Hiroshima und Nagasaki eingesetzten Nuklearwaffen gelagert werden, die im Spannungs- oder Kriegsfall von den US-Streitkräften auch den Streitkräften dieser Nicht-Atomwaffenstaaten und damit auch Einsatzkräften der Bundeswehr für den Abwurf auf feindliche Ziele entgegen den Regelungen des Atomwaffensperrvertrages zur Verfügung gestellt würden und
(3) dass die Bundeswehr - ebenso wie die Streitkräfte der genannten anderen NATO-Nichtatomwaffenstaaten - nach wie vor Atomwaffenträger in Gestalt der Tornado-Flugzeuge bereithält und regelmäßig mit einem im rheinland-pfälzischen Büchel stationierten Luftwaffenverband ("Jadgbombergeschwader 33" innerhalb der 2. Luftwaffendivision) Atomwaffeneinsätze übt.

4. Alle NATO-Staaten nehmen nach wie vor den sog. "Kriegsvorbehalt" in Anspruch. Danach soll der Nichtverbreitungsvertrag dann nicht mehr gelten, wenn "eine Entscheidung, Krieg zu führen, getroffen wird" ("in welchem Zeitpunkt der Vertrag nicht mehr maßgebend wäre").(6) Dieser öffentlich verschwiegene Kriegsvorbehalt macht damit den Nichtverbreitungsvertrag und das in ihm enthaltene Verbot der Weitergabe von Atomwaffen an Nicht-Atomwaffenstaaten im Spannungs- und Kriegsfall praktisch gegenstandslos.

5. Entgegen ihrer im NPT eingegangenen völkerrechtlichen Verpflichtung, Nicht-Atomwaffenstaaten bei der Entwicklung und beim Erwerb von Atomwaffen nicht zu unterstützen, tolerieren die USA seit Jahrzehnten nicht nur den Atomwaffenbesitz Israels, das (ebenso wie Indien und Pakistan) nicht Mitglied des NPT-Vertragssystems ist, sondern unterstützen Israels Atomprogramm finanziell, technologisch und politisch.

6. Toleriert wird auch das Atomwaffenprogramm des mit den USA verbündeten Pakistan. Pakistan wäre ohne die technologische Zusammenarbeit und Unterstützung von wichtigen Mitgliedsstaaten des Nichtverbreitungsvertrages - auch der USA und Deutschlands - kein Atomwaffenstaat geworden. Das Proliferationsverbot ist dabei grob missachtet worden.

7. Obwohl die Vereinten Nationen 1974 und 1998 gegen Indien wegen seiner Kernwaffentests Sanktionen verhängt haben, haben die USA zwischenzeitlich alle Sanktionen bilateral beendet und Indien in großem Umfang Zugang zu westlichen Atomtechnologien und zu nuklearem Material zugesagt und eröffnet. Damit haben die USA geholfen, unter Verstoß gegen den NPT den Status Indiens als neue Nuklearmacht zu legalisieren.

Auf Druck der USA hat die Gruppe der 45 Nuklearen Lieferländer (NSG), zu denen auch Deutschland gehört, 2008 weitere Nuklearexporte nach Indien genehmigt. Keine der beteiligten Regierungen hat dabei die Bereitschaft gezeigt, das Nichtverbreitungssystem zu verteidigen und die Zustimmung zur Ausnahmegenehmigung zu verweigern. Angesichts des Konsensprinzips hätte das den Deal verhindert. Die weiteren Mitgliedsstaaten des NPT wurden an dem Verfahren nicht einmal beteiligt.


VIII. Die Nuklearwaffenkonvention

Ein erster Schritt der Atomwaffenstaaten zur Erfüllung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtung, Verhandlungen in redlicher Absicht und im guten Glauben aufzunehmen und abzuschließen, die zur vollständigen atomaren Abrüstung unter strikter und effektiver internationaler Kontrolle führen, wäre die erklärte Bereitschaft, den der UN vorliegenden Entwurf einer Nuklearwaffenkonvention offiziell zur Kenntnis zu nehmen und einen Diskurs darüber zu beginnen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat den von internationalen Nichtregierungsorganisationen unter aktiver Beteiligung der IALANA detailliert ausformulierten Entwurf eines bindenden Vertrages über das Verbot und die Abschaffung aller Atomwaffen ("Nuklearwaffen-Konvention") inzwischen allen UN-Mitgliedsstaaten zur Prüfung übersandt.(7)


IX. Zentrale Forderungen der IALANA

1. Nationale Ebene

1.1 Beendigung jeder Form der "Nuklearen Teilhabe" Deutschlands innerhalb der NATO

(1) Deutschland muss auf jede Form atomwaffenfähiger Trägersysteme (z.Zt. TORNADO-Kampflugzeuge) verzichten.

(2) Das Einüben des potenziellen militärischen Einsatzes von Atomwaffen (z.Zt. durch Jagdbomber-Geschwader 33 in Büchel/Pfalz) muss sofort gestoppt werden.

(3) Die Mitwirkung Deutschlands an allen Beratungen und Aktivitäten der Nuklearen Planungsgruppe der NATO, die nicht auf die atomare Abrüstung, sondern auf den Einsatz von Atomwaffen und dessen Androhung gerichtet sind, muss eingestellt werden.


1.2 Atomwaffenfreiheit Deutschlands

(1) Alle verbliebenen ausländischen Atomwaffen müssen aus Deutschland unverzüglich abgezogen werden.

(2) Die Atomwaffenfreiheit Deutschlands muss nicht nur - wie bisher im 2+4 Vertrag - für die 5 neuen Bundesländer (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen) und Berlin, sondern für das gesamte Bundesgebiet völkerrechtlich wirksam festgeschrieben werden.

(3) Die Benutzung deutschen Hoheitsgebietes (Territorium, Luftraum, Küstengewässer), ausländischer Stützpunkte und Einrichtungen in Deutschland für die Lagerung, den Transport oder den Transfer von Atomwaffen einschließlich der Erteilung entsprechender Überflugrechte muss ausdrücklich gesetzlich verboten werden.

(4) Ein vollständiger und unbedingter Atomwaffenverzicht Deutschlands muss im Grundgesetz verankert werden (nach dem Vorbild des österreichischen "Bundesverfassungsgesetzes für ein atomfreies Österreich" vom 13. August 1999 - BGBl. I 1161). Dieses enthält folgende Regelungen:

In Österreich dürfen keine Atomwaffen hergestellt, gelagert, getestet oder transportiert werden.
Kernkraftwerke dürfen nicht errichtet bzw. bereits errichtete nicht in Betrieb genommen werden.
Der Transport und die Lagerung von spaltbarem Material sind untersagt. Ausgenommen sind nur jene Materialien, die nur für die friedliche Nutzung außer zur Energiegewinnung dienen.
Schäden, die durch Unfälle mit radioaktiven Materialien verursacht werden, muss Österreich begleichen oder bei ausländischen Verursachern versuchen die Kosten durchzusetzen.
Verantwortlich für die Durchsetzung ist die jeweilige Bundesregierung.

(5) Das deutsche Kriegswaffenkontrollgesetz muss in den Paragraphen 16 ff novelliert werden: Beseitigung aller Ausnahmen für das strafbewehrte Verbot des Besitzes, des Erwerbs und der Herstellung sowie des Umgangs mit Nuklearwaffen sowie jeder Forschung an und Entwicklung von Atomwaffen

(6) In das Soldatengesetz muss eine Regelung aufgenommen werden, wonach jede Beteiligung deutscher Soldaten am Einsatz von Atomwaffen sowie an dessen Planung und Vorbereitung ausnahmslos - auch in ausländischen Staaten sowie in internationalen Bündnissen und Organisationen - verboten ist


1.3 Reduzierung der Gefahren und Risiken der Weiterverbreitung von nuklearwaffenfähigem Material in und aus Deutschland

(1) Auflösung und Vernichtung aller atomwaffenfähigen Bestände an Plutonium und von hoch angereichertem waffenfähigem Uran

(2) Urananreicherungsanlage URENCO in Gronau/Emsland: Schließung oder Übernahme in die Trägerschaft einer internationalen Instanz

(3) Verzicht auf die Ausstattung und das Betreiben von Forschungsreaktoren mit hochangereichertem Uran oder anderen atomwaffenfähigen Brennstoffen (Forschungsreaktor II in Garching/München)

(4) gesetzliches Verbot des Exports von atomwaffenfähigen Trägersystemen (wie z.B. der - von Deutschland u.a. an Israel gelieferten - U-Boote der Dolphin-Klasse)

(5) Verbot und strikte Überwachung des bestehenden gesetzlichen Verbots des Exports atomwaffenfähiger Technologien

(6) wirksamer Schutz von Whistleblowern, die Verstöße gegen innerstaatliche und/oder völkerrechtliche Regelungen gegenüber den zuständigen Stellen und/oder öffentlich aufdecken ("societal verification")


1.4 Festhalten am Atomausstieg

Ein großes Hindernis für die globale Reduzierung und Abschaffung der Atomwaffen ist die zivile Nutzung der Kernkraft, die in Verkennung der damit verbundenen Gefahren allen Vertragsstaaten des NPT gewährleistet worden ist. Jeder Staat, der die Kernkraft zivil nutzt, besitzt auch das Potential zur Entwicklung waffenfähigen nuklearen Spaltstoffes. Das gilt nicht nur für den Iran, sondern für alle Staaten, die Atomkraftwerke und Urananreicherungsanlagen betreiben, auch für Deutschland.

Die Verminderung der zivilen Nutzung der Kernkraft - und erst recht ein Ausstieg - dienen der Verminderung von Proliferationsgefahren und helfen die Gefahren einer militärischen Nutzung der Nuklearanlagen abzubauen. IALANA fordert deshalb von der deutschen Bundesregierung, von der Verlängerung der Laufzeiten der Kernkraftwerke in Deutschland ("Brückentechnologie") Abstand zu nehmen, am bereits beschlossenen Ausstieg bis zum Jahre 2020 festzuhalten und alternative Energien sowie eine deutliche Verbesserung der Energieeffizienz in allen Bereichen verstärkt zu fördern.


2. Auf EU-Ebene

2.1 Beitritt der EU als Völkerrechtssubjekt zum Nichtverbreitungsvertrag

In der Debatte über den Beitritt zum Nichtverbreitungsvertrag wurde Ende der 60er Jahre von Deutschland und anderen EU-Staaten die Option geltend gemacht, dass die Europäische Union unter bestimmten Bedingungen Nuklearstatus erlangen kann, also über Atomwaffen verfügen darf. Diese sog. "europäische Option" fand Niederschlag in der gegenüber dem NATO-Rat und den NATO-Staaten abgegebenen Interpretationserklärung der US-Regierung vom 20. April 1967 und in einer entsprechenden Erklärung des damaligen US-Außenministers Dean Rusk vom 10. Juli 1968. Nach dieser in ihrem völkerrechtlichen Gehalt äußerst zweifelhaften US-Interpretationserklärung(en) "würde" der Nichtverbreitungsvertrag "die Rechtsnachfolge eines neuen föderierten europäischen Staates in den Nuklearstatus eines seiner schon vorher vorhandenen Bestandteile nicht ausschließen" (vgl. die dem Deutschen Bundestag vorgelegte Denkschrift des Auswärtigen Amtes, veröffentlicht in: Bundestags-Drucksache 7/994, S. 17).

Mit dem - überfälligen - Beitritt der EU zum Nichtverbreitungsvertrag wäre diese "europäische Option" auf "europäische Atomwaffen" endlich gegenstandslos.


2.2 Forschungspolitik

Die EU muss ausreichende Mittel zur Erforschung und Förderung der verifizierbaren Eliminierung aller Atomwaffen ("atomare Nulllösung") bereitstellen. Dies wäre ein wichtiges politisches Signal für die Ernsthaftigkeit ihrer Bereitschaft, den nuklearen Abrüstungsprozess in Gang zu bringen und beträfe vor allem folgende, für eine vollständige nukleare Abrüstung relevanten Bereiche:

friedens- und sicherheitspolitische Probleme einer atomaren Nulllösung
technische Verifikationsmethoden und -hürden
energiepolitische Fragen
Implementationsbedingungen des Verbots
Verhinderung von Verstößen

2.3 Nuklearwaffen-Konventions-Initiative

Die EU sollte eine gemeinsame Initiative der EU und aller EU-Staaten im Rahmen der UN und gegenüber den Atomwaffenstaaten für die Aufnahme von Verhandlungen über weitere Schritte zur nuklearen Abrüstung mit dem Ziel einer "Nuklearwaffen-Konvention" ergreifen.


3. Auf NATO-Ebene

3.1 Verzicht auf den "Kriegsvorbehalt" ("War-Clause")

Die NATO-Staaten und die NATO sollten eine völkerrechtlich verbindliche Erklärung abgeben, dass sie auf den von ihnen im Zusammenhang mit dem Abschluss des Nichtverbreitungsvertrages abgegebenen sog. Kriegsvorbehalt verzichten, mit dem sie bisher in Anspruch nehmen, an den NPT dann nicht mehr gebunden zu sein, wenn "die Entscheidung, Krieg zu führen, gefallen ist" (vgl. Denkschrift des Auswärtigen Amtes zum Nichtweiterverbreitungsvertrag, veröffentlicht in: BT-Drs. 7/1994?, S.17)


3.2 Atomwaffen-Abzug

Atomwaffen sollten aus allen NATO-Staaten, die nicht Atomwaffenstaaten im Sinne des Nichtweiterverbreitungsvertrages sind, binnen 1 Jahres abgezogen werden. Auf eine künftige Neustationierung sollte völkerrechtlich wirksam verzichtet werden.


3.3 Änderung der NATO-Nuklearstrategie

Die NATO-Nuklearstrategie muss unverzüglich geändert werden. Dies betrifft v.a. folgende Bereiche:

völkerrechtlich wirksamer Verzicht auf jede Option eines Einsatzes von Atomwaffen oder dessen Androhung gegen einen Nichtatomwaffenstaat oder nicht-staatliche Akteure

völkerrechtlich wirksamer Verzicht auf jede Form eines Ersteinsatzes von Atomwaffen oder dessen Androhung

ausdrückliche Anerkennung des im Rechtsgutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 6. Juli 1996 festgestellten grundsätzlichen völkerrechtlichen Verbots jedes Einsatzes von Atomwaffen und der Androhung eines solchen Einsatzes, da ein solcher Einsatz und auch bereits seine Androhung u.a. mit den Geboten des humanitären Völkerrechts unvereinbar ist

Bekräftigung der bestehenden völkerrechtlichen Verpflichtung zu vollständiger nuklearer Abrüstung in allen ihren Aspekten (Art. VI NPT)

3.4 CTBT

Der Vertrag über das vollständige Nukleartest-Verbot (CTBT) muss unverzüglich durch alle NATO-Staaten, insbesondere die USA, ratifiziert werden.


3.5 Nukleare Kooperation

Alle NATO-Staaten müssen künftig auf jede nukleare Kooperation mit und nukleare Unterstützungen von Staaten verzichten, die den Nichtverbreitungsvertrag nicht ratifiziert haben, insbesondere bei der Entwicklung von atomwaffenrelevanten Technologien und Ausrüstungen.


3.6 NATO-Initiative zur Nuklearwaffen-Konvention

Im NATO-Rat sollte ein Grundsatzbeschlusses über die Bereitschaft der NATO und aller Atomwaffen- und Nicht-Atomwaffen-Staaten der NATO darüber herbeigeführt werden, dass sie unverzüglich in redlicher Absicht und gutem Glauben Verhandlungen über wirksame Schritte zu einer nuklearen Abrüstung mit dem Ziel einer umfassenden und kontrollierten "atomaren Nulllösung"/"Global Zero" aufnehmen und zum Abschluss bringen.


4. auf globaler Ebene

4.1 NPT-Überprüfungskonferenz im Mai 2010 in New York

In das Abschlussdokument der Konferenz sollte die ausdrückliche Erklärung aller Teilnehmer-Staaten aufgenommen werden, in Konflikten über die Anwendung und Einhaltung des Nichtweiterverbreitungsvertrages auf Anwendung oder Androhung von militärischer Gewalt außerhalb der Regelungen der UN-Charta zu verzichten.

Die 13 Punkte der 6. NPT-Überprüfungskonferenz 2000 sollten bekräftigt und konkretisiert werden. Darin verpflichteten sich die Nuklearwaffenstaaten zu

(1) der schnellen Unterzeichnung und Ratifizierung des inzwischen ausgehandelten Nuklearwaffenteststop-Vertrages (CTBT),
(2) einem Atomwaffentestmoratorium bis zum Inkrafttreten dieses Vertrages,
(3) baldigen Verhandlungen über ein verifizierbares Verbot der Produktion von Spaltmaterial mit dem Ziel eines Vertragsabschlusses binnen 5 Jahren,
(4) der Einrichtung eines bevollmächtigten Gremiums für die nukleare Abrüstung bei der Abrüstungskonferenz der Vereinten Nationen,
(5) der Einhaltung des Prinzips der Irreversibilität bei nuklearer Abrüstung,
(6) der unmissverständlichen Zusicherung der Nuklearwaffenstaaten, ihre Verpflichtung zur totalen nuklearen Abrüstung gemäß Artikel VI des NPT zu erfüllen/zu vollenden ("unequivocal undertaking by the nuclear-weapon States to accomplish the total elimination of their nuclear arsenals leading to nuclear disarmament to which all States parties are committed under Article VI"),
(7) der Inkraftsetzung bestehender Verträge wie START II, dem Abschluss eines START III-Vertrages und der Beibehaltung und Stärkung des ABM-Vertrages,
(8) der Vollendung und Durchführung der trilateralen Initiative (USA/RUS/IAEO) hinsichtlich von Überschusswaffenmaterial,
(9) Schritten aller Atomwaffenstaaten zur nuklearen Abrüstung nach dem Prinzip der unteilbaren Sicherheit (einschließlich einseitiger Reduzierungen, größerer nuklearer Transparenz der Nuklearwaffenstaaten, Reduzierungen der taktisch atomaren Waffen auf unilateralem oder verhandeltem Wege, Vereinbarungen über Herabsetzung der Einsatzbereitschaft für Nuklearwaffen, einer Reduzierung der Rolle nuklearer Waffen in nationalen Strategien und Doktrinen, dem baldmöglichsten Engagement der Nuklearwaffenstaaten zur totalen Abschaffung ihrer Atomwaffen),
10) der Unterstellung überflüssigen Waffenplutoniums unter die Kontrolle der IAEO und seiner Benutzung ausschließlich für friedliche Zwecke,
(11) der generellen und vollständigen Abrüstung unter wirksamer internationaler Kontrolle,
(12) regelmäßigen Berichten über Fortschritte im Rahmen der Art VI-Verpflichtungen unter Berücksichtigung des Gutachtens des IGH vom 8. Juli 1996 und
(13) verbesserten Verifikationsmechanismen.

Es sollte insbesondere die Forderung beschlossen werden, dass die UN-Abrüstungskonferenz oder eine andere geeignete UN-Instanz einen konkreten Zeitplan für weitere Maßnahmen zur ernsthaften nuklearen Abrüstung erarbeitet, vor allem auch hinsichtlich der Aufnahme von Verhandlungen über eine Nuklearwaffen-Konvention.


4.2 Stärkung und Umbau der IAEA

Die Kontrollen der Internationalen Atomenergieorganisation IAEO sind bisher unzureichend. Die Einrichtung eines wirksamen Kontrollsystems ist bei den Verhandlungen über den Nichtverbreitungsvertrag und die Verifikationsabkommen durch Vertragsparteien wie Deutschland, Italien und Japan mit dem damaligen Hinweis auf den Ost-West-Konflikt und die Gefahren von "Industrie-Spionage" (auch durch befreundete Staaten) verhindert worden. In erster Linie wird bis heute durch die IAEA der sog. nukleare Spaltstofffluss auf der Grundlage von Eigenberichten und Materialbilanzen (und deren Fortschreibung) der zu Kontrollierenden verifiziert. Das 1997 beschlossene Zusatzprotokoll zum Verifikationsabkommen, das jedoch viele Staaten noch nicht ratifiziert haben, hat zwar Fortschritte gebracht. Verdachtskontrollen gibt es bisher jedoch nach wie vor nur in sehr eingeschränktem Maße und zudem nur nach "kurzfristig" (zwischen 2 und 24 Stunden zuvor) angekündigter Voranmeldung. Wirksame unangekündigte Vor-Ort-Kontrollen und unbehinderte freie Inspektions- und Ermittlungsrechte fehlen. Die Atomwaffenstaaten sind von den Verifikationsmaßnahmen bisher weithin ausgenommen. Außerdem gibt es bisher keinen hinreichenden Schutz für Personen, die Verstöße oder Kontrolldefizite aufdecken (s. das Konzept von Josef Rotblat u.a. zur Societal Verification). Diese strukturellen Defizite des Verifikationsregimes der IAEA müssen mit großer Dringlichkeit abgebaut werden.

Auch die personelle Ausstattung der IAEA muss drastisch verbessert werden. Die IAEA hat zur Zeit etwa 350 Inspektoren. Das ist für ihre globalen Aufgaben der Überwachung des Nichtverbreitungsregimes bei der weltweit sehr großen Zahl von Nuklearanlagen bei weitem zu gering. Das reguläre Budget der IAEA für alle Abteilungen für 2009 belief sich lediglich auf rund 293.7 Millionen US-Dollar; auf die Verifikationsabteilung entfällt davon nur ein relativ kleiner Teil. Das Gesamtbudget der IAEA entspricht dem Gegenwert von etwa 30 Schützenpanzern. Die Forderung der IAEA, das Budget und die Zahl der Inspektoren deutlich aufzustocken, verdient jede Unterstützung und muss endlich realisiert werden.


4.3 Nuklearwaffenstaaten im Sinne des NPT

Die Nuklearwaffenstaaten müssen sich zu einer drastischen Reduzierung der bestehenden Nuklearwaffenpotenziale (auch der sog. nicht-strategischen) völkerrechtlich verbindlich verpflichten.

Alle Atomwaffenstaaten müssen sich endlich (wie alle Nicht-Atomwaffenstaaten) dem Verifikationsregime der IAEA unterwerfen.

Alle Atomwaffenstaaten müssen auf die Entwicklung und Indienststellung neuer Atomwaffen und atomwaffenfähiger Trägersysteme völkerrechtlich verbindlich verzichten.


4.4 Indien, Israel, Pakistan und Nordkorea

Diese neuen Atomwaffenstaaten müssen endlich dem Nichtverbreitungsvertrag beitreten und die Verpflichtungen aus Art. VI NPT erfüllen.


4.5 Irans Nuklearprogramm

In dem Konflikt um die mutmaßliche Entwicklung eigener Atomwaffen durch den Iran verhalten sich die meisten westlichen Staaten widersprüchlich. Sie verlangen vom Iran die Einhaltung eines Vertrages, gegen den sie insbesondere durch die Nichterfüllung der in Art. VI NPT verankerten völkerrechtlichen Verpflichtung zur Aufnahme von Verhandlungen über die eigene vollständige nukleare Abrüstung ständig verstoßen. Mit der Androhung von - letztlich auch militärischen - Sanktionen gegen den Iran setzen sie sich zudem über das für alle Staaten verbindliche Gewaltverbot in Art. II Nr. 4 UN-Charta hinweg. Das "Recht des Stärkeren" gibt dafür keine völkerrechtliche Legitimation.

Aber auch der UN-Sicherheitsrat sollte keine militärischen Sanktionen beschließen oder sich nicht in eine dahin führende Sanktionsspirale verwickeln lassen. Die Konflikte um die angebliche oder tatsächlich drohende nukleare Bewaffnung des Iran und/oder weiterer Staaten können nicht militärisch, sondern nur im Verhandlungswege und durch Zusammenarbeit zwischen allen Konfliktparteien gelöst werden. Dafür könnte nach dem erfolgreichen Modell der KSZE, die wesentlich zum friedlichen Ende des Kalten Krieges beigetragen hat, die Einrichtung einer "Konferenz für Sicherheit und Abrüstung im Nahen und Mittleren Osten" eine hilfreiche Perspektive sein. Grundlage dafür muss der Grundansatz der gemeinsamen Sicherheit aller Staaten der Region sein. Niemand kann hineichende und nachhaltige Sicherheit gegen und auf Kosten anderer erlangen.

Wer - zu Recht - die Atomwaffenfreiheit des Iran fordert, muss auch für die Atomwaffenfreiheit Israels, Pakistans und Indiens eintreten und die zwingenden völkerrechtlichen Verpflichtungen der Atomwaffenstaaten aus Art. VI NPT erfüllen. Auf "doppelte Standards" lässt sich die Sicherheit vor nuklearer Vernichtung nicht gründen.


Anmerkungen:

(1) Vgl. etwa den Vorfall vom 26.9.1983, als der 44jährige Oberstleutnant Stanislaw Petrow die diensthabende Einheit der Kommandozentrale im Raketenwarnsystem Serpuchow-15 bei Moskau befehligte. Nach Mitternacht wurde plötzlich Atomalarm ausgelöst. Der sowjetische Oko-Satellit aus der Kosmos-1382-Klasse meldete gegen 0.40 Uhr den Anflug einer amerikanischen Minuteman-Rakete. Sekunden darauf folgten Hinweise auf den Start eines zweiten, dritten, vierten und fünften Geschosses, die alle geradewegs auf die UdSSR zusteuern. Dem diensthabenden Offizier bleiben in einem solchen Fall nur fünf bis zehn Minuten, um die Flugkörper zweifelsfrei zu identifizieren. Danach mußte Juri Andropow, der damalige KPdSU-Generalsekretär und sowjetische Oberkommandierender, informiert werden. Hätte er sich zum Abwehrschlag entschlossen, wären sieben Minuten später Interkontinental-Raketen des Typs SS-18 in Richtung Washington, New York und diverser US-Militärbasen gestartet - wie es die geltende Doktrin von der "gesicherten gegenseitigen Zerstörung" vorsah. Doch Oberstleutnant Petrov zögerte, weil das Bodenwarnsystem das vom Satelliten ausgesandte Signal nicht bestätigte. Möglich, dass der Satellit durch die Einwirkung kosmischer Strahlung irritiert wurde. "Man kann die Vorgänge unmöglich in ein paar Minuten gründlich analysieren", erklärte Petrov den Vorfall zwanzig Jahre später, "sondern sich nur auf die Intuition verlassen". In jener Nach zum 26. September 1983 entschied Petrov intuitiv und ging von einem Fehlalarm aus. Stanislaw Petrov wurde für sein Handeln weder gerügt noch ausgezeichnet. Erst über zwei Jahrzehnte später verlieh ihm die US-amerikanische Association of World Citizens am 21. Mai 2004 "für die Verhinderung des Dritten Weltkrieges" den "Weltbürgerpreis". Auch danach noch ereigneten sich ähnliche Vorfälle, etwa am 25. Januar 1995, als russische Techniker auf ihren Radarschirmen den Abschuß einer US-amerikanischen Forschungsrakete von Andoya, einer kleinen Insel vor der norwegischen Küste aufspürten. Was auf ihren Radarschirmen wie die Spur weiterer Raketen aussah, waren die abgesprengten Stufen des Raketenantriebs dieser Forschungsrakete. Deren Start war zwar absprachegemäß den russischen Militärs vorher angekündigt worden, aber diese Ankündigung hatte die Techniker an den Radarschirmen aus einem nicht geklärten Grund nicht erreicht. Nur wenige Minuten später hätte der damalige - physisch schwer angeschlagene und alkoholabhängige - russische Präsident Boris Jelzin die Entscheidung über einen nuklearen Gegenschlag treffen müssen (vgl. dazu Markl, Atomkrieg aus Irrtum, in: http://wienerzeitung.at/app_support/print (26.5.2009)).

(2) Vgl. etwa die äußerst dramatische technische Panne, die sich am 9.11.1979 im Lage-Raum des US-Luftverteidigungskommandos ereignete. An diesem Tag meldete das "World Wide Military Command and Control System" auf der elektronischen Anzeigetafel "Enemy attack". Es entschlüsselte die Meldung als einen Atomangriff mit mehreren Raketen durch ein sowjetisches Atom-U-Boot im Nordatlantik. In kürzester Zeit trafen die US-Streitkräfte Vorbereitungen zum atomaren Gegenschlag. Die US-amerikanischen und kanadischen Abfangjäger waren bereits aufgestiegen, die Interkontinentalraketen abschußbereit, als sich herausstellte, dass die Computer fälschlich den Text eines Testbandes abgespielt hatten; vgl. Der Spiegel, Nr. 34 vom 28.4.1980, S. 198.

(3) "I want to say - and this is very important, at the end we lucked out. It was luck that prevented nuclear war. We came that close to nuclear war at the end." (so wörtlich in dem 2003 mit einem "Oscar" preisgekrönten Film "The Fog of War. Eleven Lessons from the Life of Robert S. McNamara" von Errol Morris, zit. nach: http://ecoglobe.ch/nuclear/d/drs15201.htm (26.05.2009); vgl. auch Robert McNamara/James Blight, Wilsons Ghost, New York , 2001, S. 180 ff

(4) vgl. Der Palme-Bericht, Hrsg. von Olof Palme/H.Rogge, Berlin 1982

(5) vgl. dazu den Dokumentationsband IALANA (Hrsg.), Atomwaffen vor dem Internationalen Gerichtshof. LIT-Verlag. Münster. 1996

(6) vgl. dazu die dem Deutschen Bundestag vor der Ratifizierung des NPT vorgelegte Denkschrift des Auswärtigen Amtes der Bundesregierung, in dem die entsprechende US-amerikanische "Interpretationserklärung" ("Rusk-Brief"), die in der Bundestags-Drucksache 7/994, S. 17, veröffentlicht worden ist, aber öffentlich kaum zur Kenntnis genommen wird.

(7) UN-Document A/62/650 vom 18. Januar 2008


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Quelle:
Pressemitteilung vom 26. April 2010 und
Ahrweiler Erklärung - Wider der atomaren Abschreckung
IALANA Geschäftsstelle, Schützenstr. 6a , 10117 Berlin
Tel. (030) 20 65-48 57, Fax (030) 20 65-48 58
E-Mail: info@ialana.de
Internet: www.ialana.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2010