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MUMIA/691: Stimme der Unterdrückten (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 29.4.2015

Stimme der Unterdrückten

Mumia Abu-Jamal dankt in einer Botschaft all seinen Unterstützern.
Protestschreiben an US-Botschafter in Berlin

Von Jürgen Heiser


Der politische Gefangene Mumia Abu-Jamal hat sich mit einer Botschaft an die Solidaritätsbewegung gewandt. In der von Prison Radio am 26. April aufgenommenen Mitteilung dankt der seit März erkrankte Abu-Jamal allen, die ihn in seiner momentan schwierigen Lage unterstützen, »aus der Tiefe seines Herzens«. Von »überall auf der Welt« hätten Hunderte, möglicherweise Tausende« bei den für seine Haftsituation zuständigen US-Behörden »angerufen, ihnen geschrieben, oder sie sind hinausgegangen und haben protestiert und demonstriert«. Zeitweise habe er das alles nicht bewusst mitbekommen. »Ich habe euch nicht gesehen, habe euch nicht gehört, aber ich habe euch in meinem Herzen gespürt«, umschreibt Abu-Jamal in vorsichtiger Andeutung den zeitweise dramatischen Verlauf seiner Erkrankung an Diabetes.

»Ich bin noch nicht wieder an dem Punkt, an dem ich zuvor war«, betont Abu-Jamal, der nach Notfallversorgung auf der Intensivstation einer Klinik und Rückverlegung auf die Krankenstation des Mahanoy-Gefängnisses Ende vergangener Woche wieder in seine normale Zelle gesperrt worden war. »Aber ich werde es wieder sein dank euch und eurer Liebe, die bis zu mir ausstrahlt.« Am Ende der anderthalbminütigen Aufnahme verabschiedet sich Abu-Jamal mit einer Liebeserklärung an die weltweite Solidaritätsbewegung und schließt mit den Worten: »Wir werden siegen.« Noelle Hanrahan von Prison Radio, kommentierte Abu-Jamals Wunsch, diese Botschaft zu verbreiten, als »Beweis für seinen Mut und seine Widerstandsfähigkeit«.

In ersten Reaktionen von langjährigen Unterstützern, die jW telefonisch einholte, war von »Erstaunen« die Rede. Erstaunen darüber, dass nicht - wie von vielen erhofft - jemand aus Abu-Jamals Verteidigungsteam öffentlich das Wort ergriff, sondern er selbst es war, der seine Unterstützer von San Francisco über Philadelphia, Mexiko, das Baskenland und weiteren Orten bis in unsere Breitengrade mit Zuversicht erfüllte. So wie viele ihn, die »Voice of the voiceless« - die »Stimme derjenigen, die kein öffentliches Gehör finden« -, seit vielen Jahren kennen und schätzen.

Dazu erklärte der Journalist Linn Washington aus Philadelphia am Montag in seinem Blog Thiscantbehappening.net, warum gerade diese besondere Eigenschaft seines langjährigen Reporterkollegen und Freundes Abu-Jamal die US-Behörden zu ihrer unnachgiebigen Haltung bringt. Die Verweigerung der notwendigen medizinischen Behandlung Abu-Jamals, so Washington, ereigne sich »zu einer Zeit, in der das gnadenlose Vorgehen der US-Polizei mittels Gewalt und Todesschüssen im ganzen Land im Zentrum der Kritik steht«. Abu-Jamal habe sich in seinen im Gefängnis geschriebenen Büchern und Kolumnen genau dazu immer wieder geäußert und »als scharfer Kritiker der Ungleichheit vor der Strafjustiz gezeigt«. Die »von Gefühlskälte und Unmenschlichkeit geprägte Nichtbehandlung seiner Erkrankung« sei dafür gewissermaßen die Strafe. Entsprechend warf Washington die Frage auf, ob die US-amerikanische Öffentlichkeit gerade Zeuge einer »öffentlichen Hinrichtung« wird. Das »Spektakel der staatlichen Tötung« eines weltweit bekannten politischen Gefangenen werde als »langsame Hinrichtung durch seine kalkulierte medizinische Nichtbehandlung« inszeniert. Dazu passe, dass die Gefängnisbehörde letzte Woche die Zulassung unabhängiger Ärzte ablehnte und Abu-Jamal nicht einmal telefonischen Kontakt zu ihnen erhalte. Washington teilte die Befürchtungen der weltweiten Unterstützer Abu-Jamals, dass die Todesstrafe, die 30 Jahre wie ein Damoklesschwert über ihm hing, »nun doch noch von seinen Gegnern vollstreckt werde«.

Wie Abu-Jamals Frau Wadiya nach ihren letzten Besuchen am Freitag und Samstag berichtete, ist ihr Mann sehr krank. Sein schorfiges Hautekzem, das ihn »wie ein Verbrennungsopfer« aussehen lasse, und sein weiterhin nicht angemessen behandelter Diabetes würden ihm sehr zu schaffen machen. Seine Familie sei »in großer Sorge um ihn«, so Wadiya Jamal.

Diese Berichte haben den Verantwortlichen des »Writers in Prison«-Komitees des deutschen PEN-Zentrums dazu veranlasst, ein Protestschreiben an den US-Botschafter in Berlin zu richten.

Angesichts zunehmender Proteste legen es die Behörden offensichtlich darauf an, Abu-Jamal weiter abzuschirmen. Am Montag wurde er in eine Einzelzelle der Krankenstation zurückverlegt. Gleichzeitig sperrte die Anstaltsleitung alle Besucher »aus Gründen der Gesundheit und Sicherheit« aus. Auch Pam Africa vom »International Friends & Family Committee« und Abu-Jamals Rechtsanwalt Bret Grote erhielten erneut keine Besuchsgenehmigung. Noelle Hanrahan: »Mumia hat sich an uns gewandt. Nun ist es an uns, ihm die Hand zu reichen.«

Viele Protestanrufer machen in diesen Tagen die Erfahrung, dass die angerufene Nummer 001(570) 773-2158-0 des Gefängnisses Mahanoy blockiert ist oder »Beamte genervt wieder auflegen», wie es eine Carol auf Facebook schrieb. Trotzdem sollte die Solidaritätsbewegung weiter bei den Behörden die Zulassung unabhängiger Ärzte und Besuchserlaubnis für Angehörige und Verteidigung fordern.

http://www.jungewelt.de/2015/04-29/002.php

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Quelle:
junge Welt vom 29.04.2015, Seite 6
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. April 2015

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