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MUMIA/944: Rebellische Anwälte (Mumia Abu-Jamal)


Kolumne 946
Rebellische Anwälte

Beitrag für die am 15. Februar 2019 an der Yale University in New Haven, Connecticut, veranstaltete »Rebellious Lawyering Conference«

von Mumia Abu-Jamal, Februar 2019


Bevor wir über »Rebel Lawyers« sprechen, Anwälte, die Rebellen sind, möchte ich zunächst an zwei Revolutionäre erinnern, die Jura studiert hatten, dann aber erkannten, dass das Gesetz und die Gesellschaftssysteme, in denen sie lebten, so korrupt, voreingenommen und von ungerechten politischen Eliten beherrscht waren, dass es zuerst darum gehen musste, ihre Gesellschaften radikal zu verändern, bevor dem Recht zum Durchbruch verholfen werden konnte. Diese beiden Männer, an die man selten als Anwälte denkt, waren Fidel Castro und Nelson Mandela.

Einer, der sich näher mit der Beziehung von Gesellschaft und Recht befasste, war der US-Anwalt Clarence Darrow (1857-1938). Er war ein brillanter Jurist, Atheist und Sozialist zu einer Zeit, als Millionen US-Amerikaner bei Wahlen noch für Sozialisten stimmten. Im Jahr 1902 besuchte Darrow das Cook-County-Gefängnis in Chicago, um mit den Gefangenen über Recht und Gesetz zu debattieren. In seiner Ansprache sagte er: »Was ist das Gesetz? Wenn die Reichen an die Macht kommen, erlassen sie Gesetze. Sie machen sie nicht zum Schutz der Bürger. Gerichte sind keine Werkzeuge der Gerechtigkeit. Wenn Ihre Fälle vor Gericht kommen, ist es unwichtig, ob Sie schuldig sind oder unschuldig. Sie sollten aber einen gescheiten Anwalt haben. Den bekommen Sie aber nur, wenn Sie Geld haben. Recht zu bekommen, ist also vor allem eine Frage des Geldes. Die Menschen, denen die Erde gehört, machen Gesetze, um ihren Besitz zu schützen. Sie errichten eine Art Zaun oder Gehege um das, was ihnen gehört, und legen per Gesetz fest, dass kein Zeitgenosse, der draußen ist, eindringen kann. Die Gesetze schützen also jene, die die Welt regieren. Sie wurden nie dazu geschaffen oder durchgesetzt, dass Gerechtigkeit herrscht.«

Es gibt einen Grund, warum ich Darrow als Beispiel für »Rebel Lawyers« nenne. Für Jurastudenten tun sich beruflich eine Reihe von Türen auf. Einige werden bei den Staatsanwaltschaften arbeiten und dazu beitragen, weiter systematisch Masseninhaftierungen vorzunehmen.

Wie kam es überhaupt dazu, dass so viele Menschen eingesperrt worden sind? War das nur eine Fehlentscheidung? Nein. In den frühen 1980er Jahren übernahmen in vielen US-Großstädten Neoliberale die Macht und führten Krieg gegen die schwarze Bevölkerung. Tonangebend waren dabei Politiker der Demokratischen Partei wie beispielsweise Edward Rendell, der von 1977 bis 1985 leitender Bezirksstaatsanwalt von Philadelphia war, und verkündete, Gefängnisstrafen sollten nicht mehr der Rehabilitation dienen, sondern die Delinquenten auf Dauer handlungsunfähig machen.

So kam es, dass sich unter dem Vorwand, »Krieg gegen Drogen« zu führen, Neoliberale mit Konservativen zusammenschlossen, um mit einer beispiellosen Kampagne das Monster »Masseninhaftierung« zu erschaffen. Nur massenhafter Widerstand kann dieses Instrument der Repression abschaffen. Mit anderen Worten, nur große Bewegungen wie »Black Lives Matter« sind dazu in der Lage, oder auch Jurastudenten wie die »Rebel Lawyers«, die, wenn sie Anwälte geworden sind, »Nein!« sagen zu Monsterprojekten wie der Masseninhaftierung.


Dies ist die gekürzte Fassung eines Beitrags für die am 15. Februar 2019 an der Yale University in New Haven, Connecticut, veranstaltete »Rebellious Lawyering Conference«. Die Gruppe »Rebel Lawyers«, bestehend aus »praktizierenden Juristen, Jurastudenten und Basisaktivisten«, hatte ursprünglich Larry Krasner, Leiter der Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia, als einen der Hauptredner eingeladen, ihn aber wieder ausgeladen, nachdem er eine Gerichtsentscheidung blockiert hatte, die Abu-Jamal das Recht auf Berufung einräumte (jW berichtete). Statt dessen wurde auf der Konferenz die zehnminütige Rede Abu-Jamals abgespielt. (jh)

Link zu weiteren Infos & Originalbeitrag:
https://reblaw.yale.edu/


Copyright: Mumia Abu-Jamal
mit freundlicher Genehmigung des Autors

Übersetzung: Jürgen Heiser
Erstveröffentlicht in "junge Welt" Nr. 47 vom 25. Februar 2019

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Quelle:
Der Beitrag entstammt der Website www.freedom-now.de
mit freundlicher Genehmigung von Jürgen Heiser
Internationales Verteidigungskomitee (IVK)
Postfach 150 323, 28093 Bremen
E-Mail: ivk(at)freedom-now(dot)de
Internet: www.freedom-now.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. März 2019

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