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AKTION/097: Indien - Vertreibungen für ein Gewerbegebiet (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2007
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Fian-Eilaktion Februar 2007 - 0702UIND / Ende der Aktion: 30. April 2007

Indien: 100.000 Menschen sollen in Westbengalen für ein Gewerbegebiet vertrieben werden


Hintergrund

Der Kern des Konfliktes geht auf den Erwerb eines Landstückes in der Größe von fast 8.000 ha im Bezirk Nandigram zurück. Die Dorfbewohner beschuldigen die Regierung des Bundesstaates, ihr Versprechen, die Lebensumstände der Kleinbauernfamilien und Tagelöhner zu verbessern, gebrochen zu haben. Am 31. Juli 2006 unterzeichnete die Regierung von West Bengalen ein Abkommen mit der MNC Salim Gruppe aus Indonesien über die Umsetzung einer Reihe von Entwicklungsprojekten, inkl. der Errichtung eines riesigen Gebietes für die Ansiedlung chemischer Industriebetriebe.

Dieses Vorhaben wird die Vertreibung von etwa 100.000 Menschen zur Folge haben, hauptsächlich Kleinbauernfamilien, Tagelöhner und LandarbeiterInnen. Bisher wurde kein Angebot zur Entschädigung oder Umsiedlung gemacht. Etwa 80 % der Bevölkerung von Nandigram gehören den untersten Kasten und anderen Minderheiten an, die keinen Zugang zu angemessenen wirtschaftlichen Ressourcen, Bildung, Gesundheitsversorgung und anderen Sozialdiensten haben. Die Mehrheit der Menschen in Nandigram wäre im Falle einer Vertreibung nicht in der Lage, alternative Möglichkeiten zum Lebensunterhalt zu finden, da sie nur erfahrene Bauern sind und niemals etwas anderes gelernt haben. Das Land in Nandigram bietet fruchtbaren, teilweise bewässerten Boden. Es werden vor allem Reis, Gemüse und Erzeugnisse zum Verkauf (z.B. Pan, Betelblätter) angebaut.

Am 3. Januar 2007 kam es zu Gewalt. Nach Angaben der Dorfbewohner versuchten Regierungsbeamte den Landerwerbsbescheid zuzustellen und die Polizei griff dabei eine friedliche Gegendemonstration an. Die Polizei feuerte mindesten 15 Schüsse ab, um die aufgebrachten Dorfbewohner ruhig zu stellen. Mindestens vier Dorfbewohner wurden verletzt. In der Nacht zum 6. Januar 2007 wurden die Dörfer Sonachura und Tekhail am östlichen Ufer des Kanals, der Nandigram vom restlichen Midnapore und Begalen abtrennt, von Schlägern mit Bomben und Gewehren angegriffen. Die Dorfbewohner versuchten, sich mit landwirtschaftlichen Geräten und Küchenmessern zu verteidigen. Zum Zeitpunkt des Angriffs wurde die Brücke zwischen Khejuri und Sonachuri von der Polizei bewacht, die jedoch den Weg für die Angreifer freimachte. Acht Personen, unter ihnen ein 14jähriger Junge, sind bisher in dem Konflikt von Nandigram zu Tode gekommen. Die Angriffe auf die Kleinbauern gehen weiter.

Bis heute hat die Regierung des Bundesstaates keinen Schuldigen verhaftet. Die Betroffenen haben sich an alle Adressen, inkl. Gerichtshof und Bundesgerichtshof gewandt. Die Anträge der Bevölkerung auf Rechtshilfe sind derzeit anhängig.

Der Erwerb landwirtschaftlich genutzter Fläche für industrielle Projekte mit der daraus resultierender Vertreibung der ansässigen Dorfbewohner und Bauern und der brutalen Vorgehensweise gegen Demonstranten in Nandigram ist ähnlich wie das, was derzeit in Singur, West Bengalen passiert. Siehe dazu UA 0622 von FIAN gegen die Unterdrückung in Singur.


Zusammenfassung

Mindestens acht Bauern aus Nandigram, Hooghly Bezirk, sind ums Leben gekommen und fünf weitere befinden sich in einem kritischen Zustand nachdem sie von einer Gruppe Unbekannter angegriffen wurden. Ziel des Angriffs war, ihren Widerstand gegen ein geplante Sonderwirtschaftszone in Nandigram niederzuschlagen. Die Polizei sah bei dem Vorfall zu und unterstütze zum Teil die Angreifer. Das geplante Projekt würde zur Vertreibung von über 100.000 Menschen aus Nandigram führen. Da es für die Mehrheit der Betroffenen keine alternativen Einnahmequellen gibt, sind sie von Hunger und Armut bedroht.


Verpflichtungen des indischen Staates

Indien und damit auch der Bundesstaat West Bengalen hat den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte unterzeichnet und ist völkerrechtlich verpflichtet, das Recht auf angemessene Ernährung der Kleinbauern zu respektieren und zu schützen. Indien und der Bundesstaat West Bengalen verletzen das Menschenrecht auf Ernährung dieser Menschen, indem sie deren Land erwerben, ohne nachhaltig dafür zu sorgen, dass das Recht auf Ernährung dieser Kleinbauern einschließlich vollständiger Rehabilitation und Entschädigung gesichert ist.


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Aktion

Eine internationale Aktion ist dringend notwendig um das Recht auf Ernährung der Kleinbauernfamilien zu schützen und um die gegenwärtige Gewalt zu stoppen. Bitte schreiben Sie an folgende Adressen:

Adresse

Shri Buddhadeb
Bhattacharjee
Chief Minister
Government of West Bengal,
Writers' Building
Kolkata - 700001
Fax: 0091-33-22 14 55 55 /
22 14 55 88/ 22 14 54 80

Kopien an

Manmohan Singh
Prime Minister of India
Room 152, South Block
New Delhi - 110001
Fax: 0091-11-23 01 68 57

Shri Abdur Rezzak Mollah
Minister in Charge
Land and Land Reforms
Department
Writers' Building
Kolkata - 700001
Fax: 0091-33-22 14 40 25
Email: micir@wb.gov.in

Honorable Justice
Shri Shyamal Kumar Sen
Chairperson
West Bengal Human Rights
Commission
50, Ramkanta Bose Street,
Kolkata - 700 003.
Fax: 0091-33-24 79 96 33

Ein Brief nach Indien kostet

aus Deutschland 1,70 Euro
aus Österreich 1,25 Euro
aus Belgien 0,80 Euro.


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Übersetzung des Musterbriefs

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

Kürzlich habe ich die beunruhigende Nachricht erhalten, dass derzeit 100.000 Menschen in Nandigram, Hogghly Bezirk, von ihrem Land vertrieben werden sollen, und dass die Sicherung ihres Lebensunterhalts aufgrund der Errichtung einer Sonderwirtschaftszone gefährdet ist.

Nach der mir vorliegenden Information handelt es sich bei der Mehrheit der Betroffenen um Kleinbauern, Tagelöhner und Landarbeiter. Etwa 80 % der Bevölkerung von Nandigram gehören den untersten Kasten und anderen Minderheiten an, die keinen Zugang zu angemessenen wirtschaftlichen Ressourcen, Bildung, Gesundheitsversorgung und andere Sozialdiensten haben. Die Mehrheit der Menschen in Nandigram wäre im Falle einer Vertreibung nicht in der Lage, alternative Möglichkeiten zum Lebensunterhalt zu finden, da sie nur erfahrene Bauern sind und niemals etwas anderes gelernt haben. Bisher wurde den Dorfbewohnern kein angemessenes Angebot zur Entschädigung oder Umsiedlung gemacht.

Seit dem 3. Januar eskaliert in Nandigram die Gewalt und mindestens acht Personen, darunter auch Kinder, wurden getötet. Die Dorfbewohner baten die Polizei um Hilfe, aber anstatt zu helfen, unterstützte die Polizei die Angreifer.

Indien und damit auch der Bundesstaat West Bengalen hat den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte unterzeichnet und ist völkerrechtlich verpflichtet, das Recht auf angemessene Ernährung der Kleinbauern zu respektieren und zu schützen.

Ich setzte mich international für das Menschenrecht auf Ernährung ein und möchte Sie bitten, die folgenden Schritte zu unternehmen:

1. Leiten Sie umgehend eine gerichtliche Untersuchung zu den Tötungen in Nandigram und dem Verhalten der Polizeibeamten, die die Angreifer unterstützt haben, ein.

2. Garantieren Sie die körperliche Unversehrtheit der Dorfbewohner in den betroffenen Orten in Nandigram.

3. Erfüllen Sie Ihre Verpflichtung zur Umsetzung des Menschenrechts auf Ernährung, indem Sie den Zugang zum Land der Kleinbauernfamilien in Nandigram sicherstellen.

4. Machen Sie den Gesamtplan zum Landerwerb für die Sonderwirtschaftszone mit alten Details der Öffentlichkeit zugänglich.

Bitte informieren Sie mich darüber, welche Maßnahmen Sie in dieser Angelegenheit einleiten werden.

Hochachtungsvoll,


*


Shri Buddhadeb Bhattacharjee
Chief Minister
Government of West Bengal
Writers' Building
Kolkata - 700001
India

Honorable Chief Minister,

Recently, I have heard the disturbing news that 100,000 people living in the area of Nandigram, Hooghly District currently face eviction from their lands and the loss of their livelihood resources due to the construction of a Special Economic Zone.

Reportedly the majority of evicted persons are small and marginal farmers, sharecroppers and agricultural labourers. Approximately 80 % of the population of Nandigram belongs to scheduled caste and minority communities, who lack access to adequate produktive resources, education, health and other social facilities. Most of the people in Nandigram would be unable to find alternative livelihood opportunities, if evicted from their villages, as they are only skilled farmers and have never practiced any other occupation. No adequate compensation or rehabilitation package has been offered to the villagers yet.

Since January 3rd, violence in Nandigram has been escalating and at least eight persons, including children, have been killed. The villagers asked the police for support but instead of helping the farmers, the police connived at the killing.

As a state party to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights, India and therefore the state of West Bengal, is duty-bound under international law to respect and protect the peasants' human right to adequate food. As a person working internationally for the right to feed oneself, I would like to ask you to:

1. Immediately launch a judicial investigation of the killings at Nandigram including the conduct of the police officials who connived at the massacre.

2. Ensure the physical integrity of the villagers in the affected villages of Nandigram.

3. Comply with your obligation under the human right to food to ensure access to land for the peasant families of Nandigram.

4. Disclose the total plan of acquiring land for the S.E.Z in detail to the public.

Please inform me about the steps you plan to take in this matter.

Yours sincerely,


*


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2007, März 2007,
Fian-Eilaktion März 2007 - 0703AGTM
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2007