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AKTION/108: Brasilien - Opfer von Landkonflikten und Unterernährung (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Urgent Actions - Eilaktion
N-Eilaktion 0802UBRA von 2008 - Südamerika

Brasilien: Landkonflikte und Unterernährung töten Kinder und Erwachsene des Indigenenstammes der Guarani-Kaiowa


Im Staat Mato Grosso do Sul besteht die Guarani Kaiowa Gemeinschaft aus ca. 27.500 Personen. Traditionsgemäß sind die Guarani Nomaden; ihr Siedlungsraum umfasst den Großteil der südlichen Gebiete Lateinamerikas. Für diese Menschen bedeutet das Land, auf dem sie leben - Tekoha genannt - "der Platz, an dem wir unsere Art zu sein verwirklichen können", ein sozio-politischer Raum. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Lebensraum der Guarani Kaiowa reduziert auf kleine, eng demarkierte indigene Gebiete. Bis zu den 70er Jahren hatten sie dennoch die Möglichkeit, weiter zu ziehen und auf unbesiedeltem Land Zuflucht zu finden. Aber mit der zunehmenden Besetzung von großen Teilen des Territoriums, den Flussufern inbegriffen, und mit dem intensiven Anbau von Sojabohnen wurde dieser Raum immer begrenzter. Seitdem wurden immer mehr indigene Familien gezwungen, in demarkierten Zonen zu leben. Dadurch wurden ihre Möglichkeiten, für sich selbst zu sorgen, was Nahrung, sauberes Wasser, Treibstoff für die Lebensmittelproduktion sowie das Sammeln von Heilkräutern anbelangt, stark reduziert. Außerdem verschlechterten sich ihre gesundheitlichen Bedingungen gewaltig. In den 90er Jahren konnte man einen enormen Zuwachs der Selbsttötungsrate und des Alkoholkonsums feststellen.

In 2007 wurden in Brasilien 76 Indigene ermordet, davon 48 Guarani Kaiowa aus Mato Grosso do Sul. Seit 2005 starben 53 Kinder der Guarani Kaiowa infolge von Mangelernährung. Momentan gibt es mindesten 600 weitere Kinder, die Anzeichen von Unterernährung vorweisen. Die Morde, Selbsttötungen, der Alkoholismus und die Todesfälle aufgrund von Mangelernährung sind eng verbunden mit den begrenzten Ausmaßen der Gebiete, in denen die Indigenen gezwungen sind zu leben, und mit dem Kampf, den sie führen, um ihre Rechte einzufordern. Die Regierung begnügt sich damit, den Familien Lebensmittelhilfe und ärztliche Hilfe zukommen zu lassen, unter anderen Programmen mit Kurzzeiteffekt, aber sie befasst sich nicht mit dem grundlegenden Problem der Demarkation von 52 traditionellen Gebieten, der Abgrenzung von Hoheitsgebieten also, welche die Guarani fordern.

Angesichts der Verpflichtungen die der brasilianische Staat in Bezug auf das Recht auf Nahrung eingegangen ist, ist er verpflichtet, eine Untersuchung zu den Morden an den Guarani einzuleiten und die verantwortlichen Personen zur Rechenschaft zu ziehen. Er ist verpflichtet, die Indigenen gegen die Praxis der ungerechtfertigten Kriminalisierung zu schützen, ihnen eine angemessene Nahrung zur Verfügung zu stellen sowie den Zugang zu Ressourcen, die es ihnen erlauben sich selbst zu ernähren, was momentan nicht der Fall ist. Dazu muss Brasilien bis zur Umsiedelung der Guarani auf eigene Gebiete unverzüglich die notwendigen Maßnahmen zur Vermessung der fraglichen Gebiete ergreifen, die Festlegung sozialer Transfermaßnahmen und die Umsetzung der erforderlichen gesellschaftspolitischen Maßnahmen beschleunigen, um weitere Hungertode zu verhindern.


Zusammenfassung

In Mato Grosso do Sul sterben fortwährend Kinder und Erwachsene des Indigenenstammes der Guarani-Kaiowa an Unterernährung. Seit 2005 starben in dieser Region 53 indigene Kinder unter fünf Jahren; in 2007 waren es 12 Kinder. Die Sterbefälle ereigneten sich in Amambai sowie vor allem in Dourados, wo 110.000 Indigene leben. Der Mangel an Respekt, Schutz und vor allem die Missachtung der in der Verfassung verankerten Garantie auf traditionelles Land der Indigenen - Grundvoraussetzung für die Verwirklichung ihres Rechts sich selbst zu ernähren -, führen zu Hunger, Mangelernährung und Gewaltanwendung gegenüber den Guarani. In 2007 wurden 48 Guarani-Kaiowa ermordet. Zur gleichen Zeit werden Berichten zufolge die Führer der Indigenen, die sich am Kampf um ihr Land beteiligen, zunehmend kriminalisiert. Ursprung dieses Konfliktes ist der unzureichende Zugang zu Land als Folge von Landraub und Zerstörung der traditionellen Indigenenterritorien, da der brasilianische Staat seine Verpflichtung, die Menschenrechte der indigenen Bevölkerung zu respektieren und zu schützen, nicht einhält.


Ende der Aktion 30. April 2008


Menschenrechtliche Verpflichtungen Brasiliens

Als Unterzeichnerstaat des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte hat der brasilianische Staat die völkerrechtliche Verpflichtung, den Zugang der Guarani-Kaiowa zu ihren traditionellen Gebieten zu respektieren, zu schützen und zu garantieren, da sie dieses Land brauchen, um sich zu ernähren. Diese Gruppe von Indigenen ist infolge der bestehenden Landkonflikte durch Hunger, Unterernährung und Gewalt bedroht. Internationale Aufmerksamkeit ist dringend erforderlich.

Aktion:

Bitte schreiben Sie einen höflichen Brief an den brasilianischen Präsidenten, den Minister für soziale Entwicklung, Patras Ananias, den Minister für Menschenrechte, Paulo Vanucchi und den Justizminister, Tarso Genro, in dem Sie sie bitten, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die Rechte der Guarani-Kaiowa-Gemeinschaften zu gewährleisten.

Ein Brief nach Übersee kostet aus Deutschland 1,70 Euro
aus Österreich 1,40 Euro
aus Belgien 0,90 Euro

Bitte informieren Sie FIAN über Reaktionen auf Ihre Briefe!

Adressaten der Aktion

Sr. Luiz Inácio Lula da Silva
Presidente da República Federativa do Brasil
Praça dos Três Poderes
Palácio do Planalto - 3° andar
Brasília - DF 70150-900
Fax: 00-55-(61)411-2222

Patrus Ananias
Ministro do Desenvolvimento Social e da Luta contra a Fome
Esplanada dos Ministérios
Bloco C - 5° andar
Brasilia - DF 70046-900
Fax: 00-55-(61)224-0418
E-Mail: ministro.mds@mds.gov.br

Paulo Vanucchi
Ministro dos Direitos Humanos
Esplanada dos Ministérios
Edifício Sede do Mistério da Justiça
Brasília - DF 70064-900
Fax: 00-55-(61)3429-3126
E-Mail: direitoshumanos@edh.gov.br

Tarso Genro
Ministro da Justiça
Esplanada dos Ministerios
Bloco T - Edifício Sede
Brasília - DF 70064-900
Fax: 00-55-(61)3224-4784
E-Mail: gabinetedoministro@mj.gov.br


*


Übersetzung des Musterbriefs


Sehr geehrter Herr Präsident,

ich bin sehr besorgt über die Situation, in der mehr als 27.500 Indigene der Guarani-Kaiowa Gemeinschaften im Staate Mato Grosso do Sul leben. Nach offiziellen Schätzungen leiden wenigstens 600 indigene Kinder an Unterernährung. Allein in der Amabai-Gegend haben 180 Kinder Gesundheitsprobleme, bedingt durch unangemessene Ernährung. Mehr als 53 indigene Kinder sind in diesem Staat seit 2005 an Mangelernährung gestorben. In 2007 wurden 43 Guarani ermordet; viele wählten den Freitod oder verfielen dem Alkoholismus. Die Ursache dieser Probleme liegt bei einer Unterlassung der brasilianischen Föderalregierung. Sie gab der Indigenenbehörde FUNAI nicht die notwendige Unterstützung bei der Identifikation und Demarkation geschützter Indigenengebiete. Sie ergriff keine gesellschaftspolitischen Maßnahmen, die auf diesen Teil der Bevölkerung ausgerichtet waren. Sie schützte die Indigenen nicht in korrekter Weise gegen Gewalt, Diskriminierung und Kriminalisierung ihrer Führer. Sie garantierte nicht den Zugang dieser Menschen zu ihren traditionellen Gebieten, so wie es in der Föderalen Verfassung verankert ist. Die Großgrundbesitzer haben sie der Wäldern beraubt, in denen die Guarani-Kaiowa weiter Nahrung hätten finden können, Früchte, Honig, Wild, Fische und die erforderlichen Rohstoffe, um ihre Häuser und ihr Werkzeug bauen zu können. Die Situation in diesem Staat wird sich noch verschlimmern durch die geplante Errichtung von 30 Zuckermühlen in den kommenden drei Jahren.

Brasilien ist als Unterzeichnerstaat des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, der Amerikanischen Konvention über die Menschenrechte, des Protokolls von San Salvador und der ILO-Konvention 169 völkerrechtlich verpflichtet das Recht auf Land, Nahrung, Wasser und Leben dieser indigenen Gemeinschaften zu respektieren, zu schützen und zu garantieren.

Ich bitte Sie daher Folgendes zu gewährleisten:

die Indigenenbehörde FUNAI muss in der Lage sein, die traditionellen Gebiete in Mato Grosso do Sul möglichst schnell zu vermessen und auszuweisen wie vorgesehen im CAC, Teil der administrativen Prozedur MPF/RPM/DRS/MS 1.21. 001000065/2007-44. Diese Identifikation und Demarkation muss unverzüglich durch den Justizminister bestätigt werden
eine Politik der mittel- und langfristigen Rehabititation des Lebensraums muss eingeleitet werden mit dem Ziel, die für die Lebensweise der Guarani-Kaiowa erforderlichen Grundbedingungen wieder herzustellen und somit ihr Recht sich zu ernähren zu gewährleisten
während diesem Rehabilitations-Prozess muss den Indigenen der Zugang zu Nahrung garantiert sein durch die periodische Verteilung von Lebensmittelpaketen, die kulturell für diese Bevölkerungsgruppe angemessen sind, oder durch Programme die den Zugang zu einer angemessenen Nahrung garantieren
die gegen die Guarani-Kaiowa begangenen Verbrechen müssen unverzüglich untersucht und die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden
die Guarani-Kaiowa müssen generell geschützt werden gegen die Kriminalisierung ihres Kampfes um Land und um ihre Rechte.

Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mich über die ergriffenen Maßnahmen informieren würden.

Hochachtungsvoll


*


Sr. Luiz Inácio Lula da Silva
Presidente da República Federativa do Brasil
Praça dos Três Poderes
Palácio do Planalto - 3° andar
Brasília - DF 70150-900


Excelentíssimo Presidente,

Estou muito preocupado com a situaçao dos mais de 27500 indígenas Guarani-Kaiowá que habitam o Estado do Mato Grosso do Sul. Estima-se que no estado a desnutriçao afeta pelo menos 600 crianças indígenas. Na regiao de Amambai há 180 crianças com problemas severos decorrentes da insuficiência na alimentaçao.Nos últimos três anos mais de 53 crianças indígenas morreram por desnutriçao. Somente no ano de 2007, 43 Guaranis foram assassinados e outros cometeram suicídio, e muitos tornaram-se vítimas de alcoolismo. Na raiz desta situaçao está a omissao do Governo Federal Brasileiro que nao garante que a FUNAI realize o trabalho de identificaçao e demarcaçao das terras indígena, nao elabora políticas públicas voltadas para esta populaçao, nao protege adequadamente aos povos indígenas contra a violência, discriminaçao e criminalizaçao de suas lideranças, e nao garantia de acesso aos territórios tradicionais dos povos indígenas, conforme o que está previsto na Constituicao federal. As matas, onde os Guaraní-Kaiowà podiam coletar alimentos como as frutas, o mel, caça, pescado e a matéria-prima para fazerem suas casas e utensílios., foram roubadas e destruídas por fazendeiros Esta situaçao será agravada com a implantaçao das 30 usinas de cana de açúcar previstas para aquele Estado nos próximos três anos.

O Brasil como Estado Parte de Pactos Inter-nacionais de Direitos Humanos da Organizaçao das Naçoes Unidas (ONU) da Convençao Americana sobre Derechos Humanos, do Protocolo de San Salvador e do Convênio 169 da OIT, assumiu compromissos no âmbito do direito internacional de proteger e respeitar os direitos à terra, à alimentaçao, à água e em especial à vida das famílias indígenas. Portanto solicito respeitosamente que Vossas Excelências adotem medidas garantindo que:

A FUNAI faça com extrema urgência a identificaçao e delimitaçao de todas as terras Indígenas do Mato Grosso do Sul conforme previsto no CAC, referente ao Procedimento Administrativo MPF/RPM/DRS/MS 1.21.001000065/2007-44. Após o processo de identificaçao e delimitaçao que sejam imediatamente homologadas as terras pelo Ministério da Justiça.
Seja implementado uma política, a médio e longo prazo, de recuperaçao ambiental das áreas devastadas, na perspectiva de recompor as condiçoes básicas do modo de ser e de viver dos povos Guarani-Kaiowá, garantindo-se o direito a se alimentar.
Enquanto este processo é desenvolvido a alimentaçao dos povos indígenas deve ser garantida por distribuiçao regular de cestas básicas que respeitem a cultura alimentar destes povos ou por outros programas que garantam a alimentaçao adequada.
Sejam investigados, com agilidade, os crimes cometidos contra os indígenas, e punidos os responsáveis.- Os Guarani-Kaiowás sejam protegidos contra práticas de criminalizaçao de sua luta pela terra e por seus direitos em geral.

Por favor, mantenha-me informado das medidas que forem tomadas.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
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Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. April 2008