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BERICHT/162: Gesundheitsprüfung der EU-Agrarpolitik (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2008
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Gesundheitsprüfung der EU-Agrarpolitik
Weiter Risiken für Entwicklung und das Recht auf Nahrung

Von Tobias Reichert


Die europäische Agrarpolitik ist seit langem umstritten und wird von verschiedenen Seiten für ihre hohen Kosten, negativen Effekte auf die bäuerliche Landwirtschaft in der EU, vor allem aber auch für verzerrenden Wirkungen auf die Weltmärkte und die unfaire Konkurrenz für Bauern in Entwicklungsländern kritisiert Seit den 1990er Jahren gab es mehrere Reformschritte. Aber auch nach Abschluss der sogenannten Gesundheitsprüfung, bei der die Instrumente weiter angepasst werden sollen, werden viele Probleme weiter bestehen - und womöglich neue hinzukommen.



Vom Instrument zur Selbstversorgung

Dabei hatte alles mit guten Gründen angefangen: Die meisten europäischen Länder konnten sich auch als Folge des zweiten Weltkriegs in den 1950er Jahren nicht selbst mit Lebensmitteln versorgen und waren auf Importe und Nahrungsmittelhilfe, vor allem aus den USA, angewiesen. Um dies zu ändern, beschloss die damalige Europäische Wirtschaftsgemeinschaft 1963 eine gemeinsame Agrarpolitik (GAP), deren wichtigstes Ziel es war, die Produktion und die Produktivität der europäischen Landwirtschaft zu steigern.

Zentrales Element dabei waren garantierte und lohnende Preise für wichtige Agrarprodukte, vor allem Getreide, Ölsaaten und tierische Produkte wie Milch und Fleisch. So wurden Anreize für die Landwirte geschaffen, in modernere Produktionsmethoden zu investieren. Zusätzlich unterstützt wurde dies durch direkte Investitionsbeihilfen der EU, von denen Kleinbetriebe allerdings ausgeschlossen waren. Von Anfang an zielte die GAP also auf einen Strukturwandel hin zu größeren und 'effizienteren' Betrieben ab.

Die wichtigsten Instrumente, um die garantierten Preise zu sichern, waren zum einen der Schutz der Märkte vor preiswerteren Importen durch Zölle und zum anderen die Garantie durch staatliche Stellen, alle Produkte aufzukaufen, die nicht zum von der EU festgelegten Mindestpreis am freien Markt verkauft werden konnten.


...zum Exportdumping

Die GAP erreichte ihre Ziele recht schnell: Schon Mitte der 1970er Jahre, also gut 10 Jahre nach der Einführung, war die EU Selbstversorger für die meisten wichtigen Agrarprodukte. Es gab viel weniger Bauernhöfe, auf denen weniger Menschen mehr Lebensmittel für die städtische Bevölkerung produzierten. Und schon bald mehr als diese essen konnten. Statt aber die agrarpolitischen Instrumente an die neue Situation anzupassen und zu versuchen, die angestrebte Selbstversorgung zu stabilisieren, ließen die EG-Staaten alles beim Alten - und mussten damit immer mehr Getreide, Milch und Fleisch in staatlichen Lagern sammeln, um die Preise auf dem gewünschten Niveau zu halten. Die billigste Lösung, die Getreideberge und Milchseen wieder loszuwerden, war, sie ins Ausland zu verkaufen. Da die Preise auf dem Weltmarkt aber viel niedriger waren als in der EU, musste die Differenz aus der EU-Kasse zugeschossen werden: Die Exportsubventionen waren geboren und wurden zu einem immer größeren Posten in der GAP.

Mit ihrer Hilfe entwickelte sich die EG zu einem der größten Exporteure von Getreide, Fleisch und Milch auf dem Weltmarkt. Die traditionellen Exporteure, vor allem USA, Australien und südamerikanische Länder, waren über diese Entwicklung wenig erfreut. Die USA konterte mit eigenen Exportsubventionen und verschärfte so zusammen mit der EU den Preisverfall auf den Weltmärkten.

Die kleinbäuerliche Landwirtschaft in vielen Entwicklungsländern hatten dieser subventionierten Konkurrenz kaum etwas entgegen zu setzen und wurde von ihren angestammten Märkten verdrängt. Die Beispiele reichen von Milch in Jamaika über Rindfleisch im westlichen und südlichen Afrika bis zu Getreide in Ostafrika. Mindestens ebenso schädlich wie die direkte Verdrängung durch Billigimporte war; dass Regierungen und internationale Entwicklungsorganisationen aus dem Überfluss an den Weltmärkten den Schluss zogen, dass es nicht sinnvoll sei, die kleinbäuerliche Grundnahrungsmittelproduktion zu unterstützen. Infrastruktur und Kreditsysteme wurden vernachlässigt und die Chancen armer Bäuerinnen und Bauern sanken immer weiter.


Halbherzige Reformen

Erst Anfang der 1990er Jahre gab es erste Schritte, die GAP ernsthaft zu reformieren. Die garantierten Preise vor allem für Getreide wurden gesenkt und die Landwirte durch Direktzahlungen kompensiert, die unabhängig von der produzierten Menge waren. Die Exportsubventionen wurden reduziert, aber nicht vollständig abgeschafft. Entsprechend gingen auch die Exporte aus der EU für einige Produkte zurück, aber sie bleibt ein wichtiger Exporteur vor allem für Getreide und Milchprodukte.

Im Jahr 2003 gab es dann eine weitere Reform, in der die Direktzahlungen vollständig von der Produktion abgekoppelt wurden: Die Landwirte erhalten sie nun völlig unabhängig davon, was und ob sie überhaupt produzieren. Sie müssen nur ihre Flächen in einem "guten landwirtschaftlichen Zustand" erhalten. An Produktion und Handel in der EU hat dies bisher wenig geändert, und da die Direktzahlungen aufgrund der früher erhaltenen Subventionen und der bewirtschafteten Fläche gezahlt werden, erhalten die größten Betriebe mit Abstand das meiste Geld.

Fünf Jahre nach dieser grundlegenden Reform diskutieren Kommission und Mitgliedsstaaten erste Anpassungen, über die im November entschieden werden soll. Der Schwerpunkt der Kommissionsvorschläge liegt auf einer Vereinfachung und moderaten Umverteilung der Direktzahlungen, die mit etwa 40 Milliarden Euro den weitaus größten Teil der Agrarausgaben ausmachen. Alle Direktzahlungen sollen um 8 Prozent gekürzt werden - und für Betriebe, die besonders hohe Zahlungen erhalten, sogar etwas mehr. Die so eingesparten Mittel sollen in die zweite Säule umgeschichtet werden, die ein breites Spektrum von Maßnahmen wie Investitionsbeihilfen, Agrarumweltprogramme und Förderung von Diversifizierung umfasst und in die derzeit etwa 10 Milliarden Euro fließen.


Keine Vorschläge zum Abbau der Exportsubventionen...

Während die Kommission also kleine Schritte in Richtung einer sinnvolleren Verteilung der Direktzahlungen geht, wird die Verringerung oder gar Abschaffung der Exportsubventionen nicht einmal angedeutet. Dies ist eigentlich erstaunlich, da die EU schon 2005 auf der Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Hongkong versprochen hatte, alle Exportsubventionen bis 2013 ganz abzuschaffen und bis dahin spürbar zu reduzieren. Bedingung war allerdings, dass die Doha-Runde der WTO vorher abgeschlossen wird - und daran scheint die Kommission nun selbst nicht mehr zu glauben, was angesichts der festgefahrenen Verhandlungen nicht überrascht.


...und mehr Überproduktion bei Milch

Nach dem Vorschlag der Kommission soll auch die seit Mitte der 1980er Jahre bestehende Milchquote bis 2015 auslaufen, die bisher noch verbindliche Obergrenzen für die Milchproduktion festlegt. Das Dumping wurde dadurch allerdings nicht verhindert, da die Quotenmenge deutlich über dem EU-internen Verbrauch liegt.

Entwicklungspolitisch bietet dieses Szenario beträchtliche Risiken. Die Kommission rechtfertigt das Ende der Milchquote ausdrücklich mit den Exportinteressen der Milchindustrie. Auch die in der zweiten Säule vorgesehenen Investitionsbeihilfen kommen häufig exportorientierten größeren Betrieben zugute - ebenso wie die Direktzahlungen. Damit könnten diese Betriebe staatlich gestützt ihre Position auf den Weltmärkten ausbauen. Bei einem Einbruch der Weltmarktpreise kann die EU dann erneut und verstärkt auf Exportsubventionen zurückgreifen. sie geht sogar davon aus, dass die Exportsubventionen für Milch im Zuge des Quotenabbaus angehoben werden müssen.

Werden die Vorschläge so umgesetzt, droht die künstlich verbilligte Milch, die Kleinbauern und -bäuerinnen in Entwicklungsländern noch stärker von ihren eigenen Märkten zu verdrängen. Die Verwirklichung ihres Rechts auf Nahrung würde damit in noch weitere Ferne rücken.


Der Autor ist Mitarbeiter bei Germanwatch.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2008, S. 6-7
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2008