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BERICHT/186: Weltagrarbericht fordert radikalen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2009
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Weltagrarbericht fordert radikalen Paradigmenwechsel in der Landwirtschaft

Von Anita Idel


Über drei Jahre haben mehr als 500 WissenschaftlerInnen an dem Internationalen Agrarbericht gearbeitet. Ihr Fazit: 'Business as usual' ist keine Option: Um Armut und Hunger zu bekämpfen und eine nachhaltige Entwicklung zu ermöglichen, muss die Rolle der Kleinbauern gestärkt werden. 58 Staaten haben den Bericht schon unterzeichnet. Deutschland steht noch aus.


Unterstützt und finanziert wurde das International Assessment of Agriculture Science and Technology for Development (IAASTD) von mehreren UN-Organisationen, zehn OECD-Regierungen, der Weltbank sowie der EU. Die Koordination oblag 30 Regierungs- und 30 Nichtregierungsvertretern - darunter auch Monsanto und BASF. Sie bestimmten einvernehmlich die AutorInnen, die - als Privatperson - die komplexe Frage bearbeiten sollten: Wie können vor dem Hintergrund von Bevölkerungswachstum, Nachfragezuwachs, der Schrumpfung natürlicher Ressourcen sowie Klimawandel am besten Hunger und Armut vermindert, die Ernährungs- und Gesandheitssituation im ländlichen Raum verbessert und eine nachhaltige Entwicklung ermöglicht werden?


Industrielle Landwirtschaft bietet keine Perspektive

Die WissenschaftlerInnen räumen auf mit dem Klischee, nur industrielle Landwirtschaft ermögliche Produktionssteigerungen. Ihr Fazit für die Landwirtschaftspolitik der vergangenen 50 Jahre lautet: Zwar haben Mineraldünger, Pestizide und Monokulturen Produktivitätssteigerungen erbracht, dabei jedoch die ökologischen und sozioökonomischen Probleme verschärft. Die Industrialisierung der Landwirtschaft macht land- und letztlich arbeitslos. Landflucht erhöht die Zahl der TagelöhnerInnen in den Städten und trägt hier wie dort zu sozialer Erosion bei. Auch die Ökobilanz ist verheerend: Vergeudung, Verschmutzung und Vernichtung von Ressourcen - vor allem Boden, Wasser, genetische Ressourcen und Luft. Verschärft wird diese Entwicklung durch die Agro-Gentechnik. Syngenta, Monsanto und BASF stiegen Anfang 2008 aus dem IAASTD-Prozess aus, nachdem sie die kritische Bewertung der gemeinsam (!) erarbeiteten Ergebnisse nicht mehr zu verhindern wussten.


Potenziale und Perspektiven kleinbäuerlicher Landwirtschaft

Obwohl ihre Förderung seit Jahrzehnten vernachlässigt wird, produzieren Kleinbäuerinnen und Kleinbauern weltweit den Großteil der Ernten und stellen die größte Anzahl an DienstleisterInnen für die Umwelt und damit auch für die Erhaltung und Entwicklung der Agrobiodiversität. Ihre Potenziale für nachhaltige Produktivitätssteigerungen, Armutsverringerung, ökonomisches Wachstum sowie die Anpassung an den Klimawandel sind ungleich höher als in der industriellen Landwirtschaft.

Eine besondere Bedeutung muss dabei den Frauen zukommen. Sie leisten den überwiegenden Teil der landwirtschaftlichen Arbeit, sind aber bisher kaum Zielgruppe agrarwissenschaftlicher Ausbildung und Forschung - im Norden wie im Süden. Notwendig ist eine Integration der verschiedenen Wissenssysteme - lokales und traditionelles Wissen - sowie die Erkenntnisse moderner nachhaltiger Agrarforschung. Wichtig ist, Wissen und angemessene Techniken jeweils vor Ort verfügbar zu machen.


Chance und Notwendigkeit

Erforderlich ist ein radikaler Paradigmenwechsel in der (Landwirtschafts-)Politik - in Lehre, Forschung, Praxis und Konsum - im Kontext sozioökonomischer und ökologischer Erfordernisse: die Abkehr von Liberalisierung, Überproduktion, Cash-Crop-Orientierung, Dumpingexporten; die Reduzierung des Konsums tierischer Produkte und der Futtermittelimporte; der Stopp nicht nachhaltig erzeugter Agro-Energie.

Zielrichtung muss sein, die Abhängigkeit von fossiler Energie zu verringern und die Anpassungsfähigkeit an wechselnde klimatische und geographische Verhältnisse zu verbessern. Multifunktionalität der Landwirtschaft ist kein Luxus, sondern eine soziale und ökologische Notwendigkeit nachhaltigen Wirtschaftens. So erfordern Klimawandel und steigende Energiekosten eine Neubewertung - eine In-Wert-Setzung der Leistung von Arbeitstieren.

Bisher hat Deutschland den IAASTD nicht unterzeichnet. Am 11. Februar hat Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul jedoch angekündigt, sich für eine nachträgliche Unterzeichnung sowie die notwendige Verstetigung des IAASTO-Prozesses einzusetzen. Eine gute Nachricht, denn 'business as usual' ist keine Option.

Die Autorin ist Tierärztin, Mediatorin und Mitautorin des Weltagrarberichts.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2009, S. 13
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2009