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BERICHT/214: Mit Rückenwind gegen Kinderarmut (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 1/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

Mit Rückenwind gegen Kinderarmut

Von Tim Engel und Ingo Stamm


"Kinder sind keine kleinen Erwachsenen" und "Der Gesetzgeber hat jegliche Ermittlungen zur Feststellung des kindlichen Bedarfs unterlassen" - obwohl "schon Alltagserfahrungen" darauf hinwiesen, dass bei der Berechnung des Existenzminimums von Kindern Besonderheiten gelten. Mit diesen erfreulich klaren Worten hat das Bundesverfassungsgericht am 9. Februar 2010 begründet, warum die für 1,7 Millionen Kinder in Deutschland gültigen Regelsätze des Arbeitslosengelds II gegen die Menschenwürde verstoßen. Ein Durchbruch im Kampf für soziale Rechte?


Fest steht, dass das Urteil das Wohl der Kinder, wie es in der UN-Kinderrechtskonvention als oberstes Gebot festgeschrieben ist, wieder in den Mittelpunkt der Sozialpolitik rückt. Die Richter bemängeln in ihrem Urteil unter anderem, dass für Bildung und beim Bedarf von Kindern für die Mittagsverpflegung etwa in Ganztagsschulen und Kindertagesstätten kein Geld vorgesehen ist - die Berechnung sei "ins Blaue hinein" erfolgt. Es liegt auf der Hand, dass bei derartiger Oberflächlichkeit auch das Menschenrecht auf Nahrung in Gefahr gerät. Erhalten Kinder heute pauschal zwischen 215 und 287 Euro monatlich, so wird sich dies nach den Vorgaben des Urteils bis Ende des Jahres geändert haben müssen. Bis dahin muss die Bundesregierung einen neuen, "kindgerechten" Berechnungsmaßstab gefunden haben. Ein besonders wichtiger Posten ist dabei die Versorgung mit Lebensmitteln: 2,76 bis 3,68 Euro pro Tag sind in unserer Gesellschaft vollkommen unzureichend, um eine ausreichende und gesunde Ernährung sicher zu stellen. Wo der Weg hinführen muss, zeigen Wohlfahrtsverbände, Kinderrechtsorganisationen und Betroffeneninitiativen schon seit Jahren auf. Dabei variieren die Forderungen von moderaten Erhöhungen zwischen 21 und 39 Euro (Deutscher Caritas Verband) bis hin zu einer Ausbildungskosten umschließenden Pauschale von bis zu 500 Euro (Bündnis für eine Kindergrundsicherung).

Der FIAN-Arbeitskreis Kinderrechte beschäftigt sich seit 2008 mit der Situation benachteiligter Kinder in Deutschland und der Gefährdung ihres Menschenrechts auf Nahrung und wird sich unter diesem Aspekt auch in die Neudefinition des Existenzminimums einbringen. In diesem Jahr sind hierzu unter anderem Expertengespräche und das Erarbeiten eines Grundlagenpapiers geplant. So werden am 24. April 2010 in enger Zusammenarbeit mit dem Kölner Arbeitslosenzentrum e.V. (KALZ) ExpertInnen in der FIAN-Geschäftsstelle in Köln zusammenkommen, um Lösungsansätze gegen Kinderarmut zu diskutieren. Ziel ist, eine Debatte über die Absicherung des Menschenrechts auf Nahrung für alle in Deutschland lebenden Menschen anzuschieben. Mittelfristig wird in einem gemeinsamen Projekt mit KALZ festgestellt werden, welche Anforderungen das Menschenrecht auf Nahrung an die deutsche Sozialpolitik stellt. Hierzu sollen betroffene Kinder und Eltern befragt und ihr Standpunkt in die Debatte eingebracht werden. Es gilt zu verhindern, dass der neue Regelsatz durch Reduzierung auf rein statistische Faktoren wiederum an der Realität vorbeigeht und damit neben der Menschenwürde auch das Menschenrecht auf Nahrung verletzt.

Tim Engel und Ingo Stamm sind Mitglieder im FIAN-Arbeitskreis Kinderrechte.


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 1/2010, März 2010, S. 17
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2010