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EUROPA/016: Landgrabbing in Europa (FoodFirst)


FoodFirst Ausgabe 2/2016
FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin. Für das Menschenrecht auf Nahrung

Landgrabbing in Europa


Gemeinhin wird angenommen, Europa sei vom "globalen Landgrabbing" nicht betroffen. Eine vom Transnational Institute (TNI) für das Europaparlament verfasste Studie widerspricht nun dieser Annahme. Die englischsprachige Studie Extent of farmland grabbing in the EU (Das Ausmaß des Landgrabbings in der EU) wertete Daten zum Ausmaß des Landbesitzes ausländischer Investoren, zum Kontrollgewinn über ausgedehnte Landflächen sowie zu Unregelmäßigkeiten bei verschiedenen Landtransaktionen aus. Die Studie zeigt, dass Landgrabbing in der EU schon längst in vollem Gange ist. Im Vergleich zu Ländern in Afrika, Asien, Lateinamerika und früheren Sowjetstaaten ist Landgrabbing in Ausmaß und Umfang in der EU allerdings noch begrenzt und besonders auf die osteuropäischen EU-Mitgliedstaaten konzentriert.

Beteiligt am Landgrabbing ist eine ganze Bandbreite von AkteurInnen: in- und ausländische, staatliche und nicht-staatliche sowie natürliche und juristische Personen. Zusätzlich zur Etablierung großer, agrarindustrieller Kapitalgesellschaften mit weltweit beteiligtem Kapital hat der Ansturm auf Land eine neue Klasse von FinanzinvestorInnen hervorgebracht, die bis dato keine Rolle im Agrarsektor gespielt haben: So sind auch Bankengruppen, Investmentfonds, Private-Equity-Gesellschaften und einzelne HändlerInnen am Erwerb von Farmland in der EU beteiligt. Landgrabbing in Europa hat auch eine neue "Spezies" von Brokern für sogenannte Land-Deals hervorgebracht, bestehend aus SpekulantInnen und BetrügerInnen, welche zwischen Unternehmen und Staat das Land vermitteln.

Identifiziert werden in der Studie weiterhin die wichtigsten Einflussfaktoren auf Landgrabbing in der EU: das Anheizen von Spekulationsgeschäften durch ungleiche Landpreise innerhalb der EU, einseitige Landreformen und Landprivatisierungsmaßnahmen in den osteuropäischen Staaten nach dem Fall der Mauer, die Kopplung von Landbesitzgrößen an die Zahlung von Subventionen der EU-Agrarförderung und eine Vielzahl weiterer EU-Politiken im Bereich Nahrung, Energie, Handel, Finanzwesen und Investition befördern und belohnen die Landgrabber und diskriminieren bäuerliche Betriebsformen.

Obwohl es in Europa noch ein begrenztes Phänomen ist, muss es gemäß der Studie Landgrabbing im breiteren Kontext der strukturellen Veränderungen in der Landwirtschaft gesehen und bewertet werden. In Europa herrscht ein dramatisch hohes Niveau an Landkonzentration, und die kleinbäuerliche Landwirtschaft schwindet rasant. Landgrabbing und die damit verbundene Privatisierung und Enteignung natürlicher Ressourcen beschleunigen diesen Trend. Dies führt zur weiteren Schwächung bäuerlicher Familienbetriebe, die auf einer nachhaltigen, regionalen und multifunktionalen Landwirtschaft basieren. Und es blockiert den Zugang zu Land für junge, motivierte Bäuerinnen und Bauern.

Dies alles hat ernsthafte Auswirkungen auf Europas Ernährungssicherung, auf Umwelt und Biodiversität, auf den Arbeitsmarkt und das Gemeinwohl: mit der weiteren Schwächung bäuerlicher Betriebe gehen die vielfältigen Vorteile dieser Art der Landwirtschaft und der damit verbundenen Lebensweise verloren. Die Entfremdung zwischen ProduzentInnen und KonsumentInnen von Nahrungsmitteln wird weiter verstärkt.

Die AutorInnen der Studie betonen daher den Zusammenhang zwischen dem Prozess des Landgrabbings und anderen brennenden Landfragen in der EU. Beides sollte in gleichem Maße politisch berücksichtigt werden. Die wachsende und heute schon extrem ungleiche Verteilung von Land in Europa widerspricht nicht nur dem selbst gesteckten Ziel der EU, eine breit gestreute, vielfältige Agrarstruktur zu fördern. Sie birgt auch die Gefahr, die Ungleichheit innerhalb der Gesellschaft zu verschärfen. Die "Landfrage" in Europa sei nicht beantwortet, so die AutorInnen. Im Gegenteil haben wir in Europa bezüglich Zugang, Kontrolle und Nutzung von Land ein drängendes Problem.

Vor diesem Hintergrund spricht die Studie konkrete Empfehlungen in vier verschiedenen Bereichen aus, um Landgrabbing und Landkonzentration in Europa einzudämmen.

Binnenmarkt: Die EU sollte ihren Mitgliedstaaten größere Freiheiten einräumen, um den Verkauf und die Verpachtung von Land auf Basis sozialer und ökologischer Kriterien zu regulieren. Dies kann die Einführung von Obergrenzen für Kauf, Pacht und Besitz von Land beinhalten. Zudem sollte die EU zur Unterstützung der Regulierungsanstrengungen der Mitgliedstaaten auf europäischer Ebene ein Instrument zur Datenerfassung von Landbesitz in Europa entwickeln. Die europäische Kleinbauernvereinigung schlägt beispielsweise vor, eine Einrichtung zu schaffen, die Landtransaktionen in Europa dokumentiert.

EU-Agrarpolitik: Um den engen Zusammenhang zwischen Landkonzentration und der Konzentration von Subventionen zu kappen, sollten EU-Mitgliedstaaten Anpassungen bei der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vornehmen, mit dem Ziel, kleinbäuerliche Strukturen zu stärken und Impulse für eine breitere Streuung von Landbesitz zu geben. Dazu empfiehlt die Studie, beispielsweise das Förderprogramm für JungbäuerInnen national maximal auszuschöpfen und bei der kommenden Reform der GAP deutlich anzuheben. Zudem sollten Extrazahlungen für die ersten Hektar und eine Obergrenze für Direktzahlungen bei 150.000 Euro festgelegt werden. Beides würde Landgrabbing weniger subventionieren und Anreize schaffen, kleinbäuerliche Strukturen zu stärken.

Umwelt: Des Weiteren spricht sich die Studie dafür aus, auf EU-Niveau Land auch stärker in die Umweltpolitik einzubinden. Dies würde unter anderem bedeuten, Land auch als transnationale Ressource anzuerkennen, da es offensichtlich ist, dass die massive Degradierung von Land in einem Mitgliedstaat Auswirkungen auf die anderen Mitgliedstaaten hat. Die EU-Umweltpolitik solle so negativen ökologischen Effekten von Landgrabbing - welches auf industrieller Landwirtschaft basiert - entgegenwirken.

Territorialpolitik: Die Studie empfiehlt weiter, dass die Europäische Union in ihrer Territorialpolitik die Diversität und den biologischen Reichtum des ländlichen Raums berücksichtigt und marginalisierte ländliche Gebiete in umfassendere Entwicklungsstrategien integriert. Ziel sollte es sein, eine ausgewogene territoriale Entwicklung anzustoßen, sowohl bezüglich der ökonomischen, sozialen, ökologischen und kulturellen Funktionen des ländlichen Raums als auch zwischen ländlichen und städtischen Gebieten.

Schlussendlich plädieren die AutorInnen dafür, die 2012 einstimmig von den Vereinten Nationen verabschiedeten Land-Leitlinien umzusetzen. Die EU-Mitgliedstaaten und auch die EU selbst haben die Erarbeitung dieser Leitlinien unterstützt und sich teilweise intensiv an den Verhandlungen beteiligt. Die komplementäre Anwendung der Leitlinien auf Basis der jeweiligen Kompetenzen von EU und Mitgliedstaaten würde einen umfassenden, ganzheitlichen und auf den Menschenrechten basierenden Ansatz zum Thema Land deutlich voranbringen. Daher sollte sich die Landpolitik auf allen Ebenen sowie in den oben genannten vier Bereichen an diesen Leitlinien orientieren. Eine Umsetzung der UN-Land-Leitlinien auf EU-Ebene könnte beispielsweise in Form einer Direktive zum Thema Land sowie in verschiedensten EU-Richtlinien geschehen. So könnte die EU auf der einen Seite eine starke und ambitionierte Vision formulieren, während auf der anderen Seite den Mitgliedstaaten ausreichend Spielraum für national angemessene Umsetzungen bleiben würde.


LINK ZUR EP-STUDIE:
www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2015/540369/IPOL_STU%282015%29540369_EN.pdf

LINK ZUR FIAN-STUDIE ZU LANDKONZENTRATION IN DEUTSCHLAND:
www.fian.de/uploads/media/2014_Landgrabbing_Europa_web_01.pdf

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Quelle:
FoodFirst - FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für
das Menschenrecht auf Nahrung, Ausgabe 2/2016, Seite 4-5
Herausgeber: FIAN Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Telefon: 0221/7020072, Fax: 0221/7020032
E-Mail: fian@fian.de
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Juli 2016

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