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FRAGEN/001: Interview mit Stephan Backes, FIAN-Europareferent in Brüssel (FoodFirst)


FoodFirst Ausgabe 2/2016
FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin. Für das Menschenrecht auf Nahrung

"Wir bleiben da unermüdlich am Ball"
Interview mit Stephan Backes, seit Juni 2015 FIAN-Europareferent in Brüssel


FoodFirst: Wie bist du ursprünglich zu FIAN gekommen?

Stephan Backes: Ich habe FIAN schon Anfang der 90er Jahre kennengelernt. Damals habe ich in St. Vith, einem kleinen Städtchen in Ostbelgien, Abitur gemacht und mit einer Gruppe von Freunden die ersten Eilaktionen unterstützt. In den darauffolgenden Jahren habe ich die Aktivitäten von FIAN stets verfolgt. Nach meinem Literaturstudium arbeitete ich dann zunächst in verschiedenen NGOs und Menschenrechtsorganisationen und war auch in der belgischen Menschenrechtsliga sehr aktiv. Um meine Kenntnisse im Bereich Menschenrechte zu vertiefen, habe ich dann ab 2006 erneut studiert. Während meines Studiums der Menschenrechte war mir direkt klar, dass ich meine Abschlussarbeit zum Thema Recht auf Nahrung schreiben wollte. Bei meinem damaligen Professor Olivier De Schutter, der kurz danach das Mandat als UN-Sonderberichterstatter erhielt, habe ich meine Masterarbeit zum Thema "Extraterritoriale Staatenpflichten" geschrieben. Danach war ich mehrere Jahre im Verwaltungsrat von FIAN Belgien aktiv.


FoodFirst: Was findest du an FIAN besonders?

Stephan Backes: Der Ansatz von FIAN hat mich auf Anhieb angesprochen, und zwar in dreierlei Hinsicht: Erstens, um mit einer persönlichen Note zu starten: immer schon habe ich einen inneren Widerstand verspürt, wenn jemand in den Freiraum eines anderen Menschen eindringt und dessen Entscheidungs- und Handlungsfreiheit beeinträchtigt. Die Tatsache, dass indigene Völker, soziale und kleinbäuerliche Bewegungen wie auch von Menschenrechtsverletzungen betroffene Gruppen im Rahmen der unterstützenden Arbeit von FIAN grundlegend frei für sich entscheiden können, ist meiner Meinung nach wesentlich und unerlässlich.

Zweitens ist natürlich der Ansatz "Menschenrechte" hervorzuheben. Heute werden Menschenrechte von einem Großteil der politischen Elite als bloße moralische Standards angesehen. Aber Rechte existieren nicht ohne Pflichten. Von daher finde ich FIANs entschlossene Arbeit in Bezug auf die Staatenpflichten, Menschenrechte zu respektieren, zu schützen und zu erfüllen, nicht nur selbstverständlich, sondern auch dringend erforderlich. Und drittens die radikalen Überzeugungen von FIAN, die einen notwendigen Bruch mit dem liberalen Einheitsdenken erzwingen und konkrete Alternativen vorschlagen. Ein Beispiel hierfür ist das Thema "Unternehmen und Menschenrechte": im Rahmen politischer Treffen sogenannter "Stakeholder" kann und darf man die Zivilgesellschaft, Gewerkschaften oder auch soziale Bewegungen nicht in denselben Topf werfen wie die Unternehmen. Da wo erstere das Allgemeininteresse verteidigen, sind letztere ausschließlich gegenüber ihren Aktionären verantwortlich, die auf Gewinn ausgerichtet sind. Die Interessen gehen also alles andere als in die gleiche Richtung. Ein anderes Beispiel ist, zusammen mit kleinbäuerlichen Bewegungen wie La Vía Campesina das Modell der Agrarökologie zu verteidigen, die im krassen Gegensatz zur weiterhin stark geförderten konventionellen Landwirtschaft steht.


FoodFirst: Was genau sind deine Aufgaben in Brüssel?

Stephan Backes: Meine Arbeitsbereiche wurden kollektiv definiert. Meine Aufgabe besteht unter anderem darin, gemeinsame FIAN-Aktivitäten in Europa zu erleichtern und mit den einzelnen Sektionen zu koordinieren. Hierfür haben wir im vergangenen Herbst drei Bereiche definiert, mit denen ich mich speziell beschäftige:

  1. "Land und natürliche Ressourcen": Wie sieht es mit dem Zugang zu Land, natürlichen Ressourcen und Saatgut aus - sowohl in, als auch außerhalb von Europa? Welche Auswirkung hat die EU-Außenpolitik auf Landraub und Menschenrechtsverletzungen? Wie kann die EU dem Phänomen Landraub und Konzentration von Land in Europa wirksam entgegenwirken?
  2. "Recht auf Nahrung in Europa": Wie können europäische Staaten und die EU eine auf den Menschenrechten basierende holistische Ernährungspolitik umsetzen? Des Weiteren: die Arbeit zur konkreten Umsetzung der Land-Leitlinien in Europa sowie die Vorbereitung des 2. paneuropäischen Nyéléni-Forums (Ende Oktober in Rumänien) zum Thema Ernährungssouveränität.
  3. "Europa in der UNO": Hier geht es unter anderem um zwei im UN-Menschenrechtsrat laufende Prozesse, die von europäischen Staaten zurzeit behindert werden: der rechtsverbindliche Vertrag zum Thema "Business und Menschenrechte" sowie die Erklärung der Rechte von KleinbäuerInnen und anderen Menschen, die in ländlichen Regionen arbeiten.


FoodFirst: Was kann man sich unter "Lobbyarbeit" von FIAN in Brüssel vorstellen? Mit welchen Personen kommst du in Kontakt?

Stephan Backes: Ich habe regelmäßig Kontakt mit politischen Entscheidungsträgern, vor allem im Europaparlament und im Europäischen Auswärtigen Dienst, gelegentlich auch mit der Europäischen Kommission. Die Konkurrenz ist dabei sehr groß: In Brüssel wimmelt es nur so von Lobbyisten - schätzungsweise 20.000 sind hier tätig, wovon mehr als Dreiviertel für Wirtschaftsverbände und Unternehmen arbeiten.

Meine Aufgabe besteht darin, auf politischer Ebene Überzeugungsarbeit zu leisten. Diesbezüglich ist es für mich entscheidend, inhaltlich ein Mandat zu haben. Abhängig vom Thema berate ich mich daher vorab immer mit relevanten Schlüsselpersonen innerhalb von FIAN, um die jeweiligen Herausforderungen besser zu erfassen. Wenn eine Delegation im Rahmen einer Speakers Tour nach Brüssel kommt, so bereiten wir die politischen Treffen mit der Delegation gründlich vor. Die Verbindung zu Basisorganisationen und zu den von FIAN unterstützten Betroffenen ist im Rahmen meiner Lobbyarbeit dabei zentral. Das Mandat von FIAN wie auch dieser Personen oder Gruppen ist für mich unabdingbar. Daneben heißt es natürlich auch, die politische Agenda der EU zu verfolgen und mitzubekommen, zu welchen Themen die EU gesetzgebende Prozesse in die Wege leitet.


FoodFirst: Gibt es ein grosses Interesse an unserem Thema?

Stephan Backes: Ich bin noch niemandem begegnet, der sich zum Beispiel gegen das Recht auf Nahrung ausgesprochen hätte. Das bedeutet jedoch keineswegs, dass meine Gegenüber die gleichen Überzeugungen wie die von FIAN vertreten. Als wir uns beispielsweise mit den Guarani-Kaiowá dafür eingesetzt haben, dass das Europaparlament eine Dringlichkeitsentschließung zu den verschiedenen Menschenrechtsverletzungen gegenüber den Guarani-Kaiowá verabschieden soll, gab es eindeutig zwei Blöcke innerhalb der Fraktionen. Letztendlich ist eine Entschließung an der Ablehnung der größten Fraktion im Europaparlament gescheitert.

Auch bezüglich der Rolle von Firmen und multinationalen Konzernen halten die meisten EU-Entscheidungsträger am Paradigma fest, dass große Unternehmen unterstützt werden müssen, da sie Jobs kreieren und zum Wachstum beitragen. Diese Unternehmen zu regulieren sehen viele daher als unnötig oder gar kontraproduktiv an. Da bedarf es einer langen Überzeugungsarbeit mit harten Fakten, um diese grundsätzliche Denkweise zu ändern. Das geht leider nicht von heute auf morgen, aber wir bleiben da unermüdlich am Ball.

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Quelle:
FoodFirst - FIAN Deutschland - Mitgliedermagazin für
das Menschenrecht auf Nahrung, Ausgabe 2/2016, Seite 10-11
Herausgeber: FIAN Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/7020072, Fax 0221/7020032
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de
 
Erscheinungsweise 4 Ausgaben/Jahr
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Abonnement: 15,- Euro
Auslandsversand: zzgl. 10,- Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. August 2016

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