Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → FIAN


GRUNDSÄTZLICHES/060: Des Menschen Recht auf Land (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 2/2018

Nachhaltig und sozial?
Umwelt- und Entwicklungspolitik in Zeiten wachsender Ungleichheit

Des Menschen Recht auf Land
Die Landfrage als eine "Ur-Frage" von Ungleichheit

von Roman Herre, Agrarreferent bei FIAN Deutschland


Genauso wie die Luft zum Atmen braucht der Mensch das Land zum Leben. Ohne Land kein Wohnen, kein Ausüben kultureller Praktiken, keine Versammlungsfreiheit oder auch keine Nahrung. 2,7 Milliarden Menschen sind in der Landwirtschaft aktiv und ernähren sich teilweise direkt über ihren Zugang zu Land. Selbst wenn wir unsere Nahrung im Supermarkt kaufen, benötigen wir diesen Zugang zu Land, um uns zu ernähren wenn auch indirekt. Aktuelle Entwicklungen, die oft unter dem Schlagwort Landgrabbing zusammengefasst werden, begreifen Land hingegen als eine reine Ware und etablieren mittelalterlich-feudale Strukturen, in denen ganze Landstriche von einzelnen AkteurInnen kontrolliert werden. Da wundert es sehr, dass die Politik den Blick vom Thema Landkonzentration abwendet und es tabuisiert. Dem entgegen wächst das Verständnis für die Notwendigkeit eines Menschenrechts auf Land.(1)


Die Ungerechtigkeit stank zum Himmel im Süddeutschland des 16. Jahrhunderts. Ausdruck fand sie in den blutigen Bauernkriegen. Damals hatte der Adel im Zuge der Einführung des Römischen Rechts die Bevölkerung der gemeinschaftlich genutzten Wälder und Wiesen beraubt - diese kurzerhand in Privatbesitz umgewandelt. Über grundherrschaftliche Besitzstrukturen kontrollierte der Adel Land und Leute mit eiserner Hand. Mit den Bauernkriegen lehnte sich die Bevölkerung gegen dieses unterdrückerische System auf. Sie wurden im Kern der Landfrage wegen geführt, der Frage um eine gerechte Nutzung und Verteilung des Landes, wie in den 12 Artikeln von Memmingen, dem Forderungskatalog der Bäuerinnen und Bauern, festgehalten.

Heute sind umverteilende Landreformen als Ausdruck und Resultat teilweise blutiger sozialer Kämpfe in vielen Verfassungen rund um den Globus verankert. Dabei wird Verteilungsgerechtigkeit oft direkt angesprochen. In der philippinischen Verfassung von 1987 ist die "gerechte Verteilung allen Agrarlandes" (Art. XIII) verankert. In der Verfassung Paraguays ist ein "gerechtes Verteilungs- und Besitzsystem" von Land festgeschrieben (Artikel 114). In Südafrika werden Landreformen als Mechanismus angeregt, um "vergangene rassistische Diskriminierungen wieder gutzumachen" (Artikel 25). Damit ist Umverteilung von Land verfassungsrechtlich gewünscht und abgesichert.

Auch in jüngerer Zeit wurden auf globaler Ebene folgende Texte verhandelt und einstimmig beschlossen. Die Leitlinien der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) zum Recht auf Nahrung (2004) erklären in Artikel 8: "Staaten sollten in Erwägung ziehen, rechtliche und weitere Politikinstrumente zu etablieren, [...] welche Landreformen für den besseren Zugang [zu Land] von Armen und Frauen voranbringen." Die Leitlinien der Vereinten Nationen (UN) zu Land von 2012 führen in Artikel 11 auf: "Staaten sollten Maßnahmen ergreifen, um unerwünschte Auswirkungen auf lokale Gemeinden und gefährdete Gruppen, die u. a. durch Grundstücksspekulation und Landkonzentration entstehen können, zu vermeiden." Beide Leitlinien wurden von der deutschen Regierung umfassend unterstützt.


Notwendigkeit der Umverteilung war anerkannt

Auch die Entwicklungspolitik war sich bis vor wenigen Jahren noch einig: Umverteilung von Land ist in vielen Ländern notwendig zur Schaffung einer gerechten, sozial verträglichen Landnutzungsstruktur und einer armutsreduzierenden Entwicklung. Solche Landreformen waren auch Grundlage für die rasante Entwicklung Japans und Südkoreas nach dem 2. Weltkrieg. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit und selbst die Weltbank hatten sich Umverteilung von Land viele Jahre auf die Fahne geschrieben. 2001 erklärte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) noch unter der Überschrift "Armutsbekämpfung - eine globale Aufgabe: Aktionsprogramm 2015; der Beitrag der Bundesregierung zur weltweiten Halbierung extremer Armut" Agrarreformen zur gerechteren Landverteilung als eine von 10 Handlungsprioritäten. Auch wenn die offizielle Unterstützung von umverteilenden Landreformen mit teilweise absurden Ansätzen wie der marktbasierten Landreform gefördert wurde, war es vor allem wegen der massiven Mobilisierung sozialer Bewegungen wie der Landlosenbewegung MST in Brasilien oder des LPM in Südafrika ein bedeutendes Thema. Landkonzentration wurde landauf, landab mit dem Gini-Koeffizienten bemessen, einer einfachen Zahl, die den Grad der Landkonzentration in einem Land bemisst und so vergleichbar macht.


Versperrter Blick auf reale Entwicklung

Noch vor 10 Jahren stand die Umverteilung von Land auf der Agenda der Entwicklungspolitik, aber auch vieler Staaten wie Paraguay oder den Philippinen. Heute spricht kaum noch jemand von Landkonzentration geschweige denn Umverteilung von Land. Auch systematisierte Daten zu Landkonzentration wie der Gini-Koeffizient sind seit der Jahrtausendwende kaum noch in der Literatur zu finden. Weltbank und deutsche Entwicklungshilfe haben das Thema eingemottet. Schlimmer noch, das allgemeine Bekenntnis zu einer Umverteilung von Land zu Gunsten landloser und landarmer Bäuerinnen und Bauern wurde in den letzten Jahren ins Gegenteil verkehrt. Heute werden durch die Neuausrichtung der Entwicklungspolitik an Privatwirtschaft und Finanzindustrie industrielle Megafarmen als Entwicklungschance verkauft und so Landkonzentration befördert. Enge, oft rein finanzökonomische Definitionen von Effizienz und Produktivität haben als Schlagworte Themen wie Gerechtigkeit und Umverteilung ersetzt.

Dabei sagen die Zahlen genau das Gegenteil. In Kambodscha beispielsweise wurden in nur 10 Jahren über 2,5 Millionen Hektar Land an gut 200 Agrar- und FinanzinvestorInnen regelrecht herausgeschnitten. Bei einer landwirtschaftlich nutzbaren Fläche von etwa 5 Millionen Hektar eine fast unvorstellbare Größe. Wie auch im Deutschland des 16. Jahrhunderts ist dies begleitet von massivem Widerstand, systematischen, brutalen Vertreibungen und Menschenrechtsverletzungen. Der Gini-Koeffizient, der ungleiche Verteilung von Land zwischen 0 (jeder Mensch hat genau gleichviel Land) bis 1 (einer Person gehört das ganze Land) misst, ist so in nur einem guten Jahrzehnt von etwa 0,56 auf 0,81 explodiert.

Aber auch in Europa nimmt die Konzentration von Land in den Händen weniger rasant zu. 50 Prozent der europäischen Agrarfläche wird von nur noch 3 Prozent der Agrarbetriebe bewirtschaftet. In Deutschland kontrollieren 1,4 Prozent der Agrarbetriebe 4 Millionen Hektar Land - 1 Viertel des gesamten Ackerlandes. Mittlerweile gibt es in Deutschland nur noch 275.000 Betriebe. Gehen Höfesterben und Landkonzentration in gleichem Tempo weiter, werden in 10 Jahren weitere 56.000 Höfe in Deutschland schließen. In Sachen Landkonzentration steuern wir damit von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt wieder mittelalterlichen Verhältnissen entgegen.


Kein Naturgesetz

Heute kontrollieren die 3 größten Saatgut-Konzerne 56 Prozent des globalen kommerziellen Saatgutmarktes. Beim Anbau selbst zeigen sich nun um einige Jahrzehnte zeitversetzt vergleichbare gewaltige Konzentrationsprozesse. Der Agrarkonzern Olam gibt beispielsweise an, weltweit 2,4 Millionen Hektar Land zu bewirtschaften. Der Finanzinvestor TIAA aus den USA hat weltweit mittels Landfonds über 600.000 Hektar Agrarland aufgekauft. So wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis es neben globalen Zahlen von Einkommensungleichheit auch solche zu Land geben wird.

Diese Entwicklungen sind kein Naturgesetz, auch wenn das unter dem Schlagwort 'Strukturwandel' vom Landwirtschaftsministerium oder dem Deutschen Bauernverband gerne suggeriert wird. Die Politik schafft mit dem Dogma der globalen Wettbewerbsfähigkeit, Handelsabkommen oder einseitigen Subventionsregimen (bspw. EU-Agrarpolitik) dafür wirkmächtige Rahmenbedingungen. Genau dort könnte sie dieser Entwicklung auch entgegenwirken - allein der politische Wille fehlt.


Land in Sicht?!

"Kein anderes Thema ist von derart zentraler Bedeutung, wenn es um Machtverhältnisse innerhalb einer Gesellschaft oder um Themen wie Gleichheit und Einkommensverteilung geht", so der ehemalige UN-Menschenrechts-Sonderberichterstatter Danilo Türk zur Landfrage. Aber gerade jetzt, da die Landkonzentration rasant zunimmt und zu einem globalen Phänomen erwächst und parallel die bäuerliche Bevölkerung weltweit weiterwächst - auf aktuell 2,7 Milliarden Menschen - werden Landreformen vergessen und tabuisiert.

Auch das Flaggschiff der Entwicklungspolitik, die globalen Nachhaltigkeitsziele (SDGs), haben hier einen blinden Fleck. Zwar wird Ungleichheit durch ein eigenes Ziel prominent Bedeutung beigemessen. Durch den dominanten Bezug auf finanzielle Aspekte wie Einkommensungleichheit oder Finanzpolitik ist das Thema Land aber auch hier aus dem Blick geraten. Eine gerechte Gesellschaft wird langfristig jedoch nicht ohne eine gerechte Verteilung von Land existieren. Denn ein ganzer Blumenstrauß an grundlegenden Rechten ist ohne Land nicht denkbar. Daher bleibt auch eine Entwicklungspolitik unglaubwürdig, so lange sie zunehmende Landkonzentration weiterhin ignoriert. Schenken wir also der Landfrage wieder die Bedeutung, die ihr zusteht.


Anmerkung:
(1) FIAN (2017): The Human Right to Land. Position Paper.
https://www.fian.org/fileadmin/media/publications_2017/Reports_and_Guidelines/FIAN_Position_ paper_on_the_Human_Right_to_Land_en_061117web.pdf.

*

Quelle:
Rundbrief 2/2018, Seite
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. August 2018

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang