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MELDUNG/023: Rezension des Buches "Die Ernährungsdiktatur" von Tanja Busse (FoodFirst)


FoodFirst Nr. 2/2010
FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte

REZENSION
Zwischen Hungertod und Übergewicht

Das Buch Die Ernährungsdiktatur zeigt die Kollateralschäden eines ungerechten Welternährungsystems auf


Tanja Busse thematisiert in ihrem neuen Buch Die Ernährungsdiktatur die weltweite Hungerepidemie, das milliardenfache Übergewicht und den Vormarsch der Gentechnik. Sie prangert die rücksichtslose Gewinnmaximierung der Ernährungsindustrie an, die Klima und Umwelt bedroht und vielen Menschen ein würdevolles Leben verwehrt. Dabei zitiert sie verschiedene Stimmen von ExpertInnen zum Ernährungssystem aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft.


Wiederholt zeichnet sie das Bild eines globalen Mittagstisches, an dem sechs von sieben Menschen zu Essen haben und einer verhungert. Hunger ist die hauptsächliche Todesursache auf der Erde. Wie es so weit kommen konnte und warum sich Veränderungen kaum oder nur schleppend einstellen, erklärt sie in ihrem Buch. Busse beschreibt an ausgesuchten Beispielen detailliert und anschaulich, mit welchen Tricks die Ernährungsindustrie die KonsumentInnen in die Irre führt und wie die Hersteller auf Druck der großen Einzelhandelsketten für die deutschen Billigpreise bluten müssen. Und die Politik spielt mit und setzt den passenden Rahmen. Wesentlicher Aspekt in der Fehlentwicklung des gesamten Systems sei das Konsumverhalten der Industrienationen.

Das Buch bietet zahlreiche Einblicke in verschiedene Bereiche eines industrialisierten Ernährungssystems, in dem Hunger ganz selbstverständlich vorkommt um unseren Wohlstand zu sichern. Ein Beispiel dieses Wahnsinns sind die EU-Millionensubventionen der Milchindustrie, die am Ende lokale Milchbauern und -bäuerinnen in Entwicklungsländern vom Markt verdrängt. Beim Export von Hühnerresten nach Afrika ist es das gleiche Spiel. Immer wieder fällt ins Auge, wie einleuchtend die Argumentationen der KritikerInnen sind und wie die marktbeherrschenden Unternehmen (in Deutschland setzen die acht größten Handelsgruppen 95,3 Prozent der gesamten Lebensmittel um) ausschließlich gewinnorientiert handeln und dabei Menschenrechte und Umweltstandards außer Acht lassen. Um mehr Gerechtigkeit auf der Welt zu schaffen und den Hunger effektiv zu bekämpfen, müssten die Industrienationen sich in ihrem Lebensstil einschränken. Dass daran nicht zu denken ist, zeigt die Bundesregierung, indem sie den Weltagrarbericht nicht unterzeichnete und weiterhin Exportsubventionen in arme Länder verteilt, obwohl das Problem schon längst erkannt ist.

Das Buch ist klug und überzeugend geschrieben und ist durch die intensive Recherche und geschickte Formulierungen der Autorin informativ und flüssig zu lesen. Auch LeserInnen, die sich mit der Thematik bislang nicht auseinandergesetzt haben, finden sich schnell zurecht. Busse schreibt übersichtlich, mit klarer Struktur und stellt die Problematik bildhaft dar. Besonders positiv ist die Tatsache, dass Busse über all dem nicht resigniert. Ihr Buch ist keine Abrechnung mit der Ernährungsindustrie, vielmehr zeigt sie Wege und Lösungen auf, es besser zu machen, nicht nur für die Allgemeinheit, sondern für jede/n. Sie berichtet von Aktionen und Protesten von Gentechnik-GegnerInnen, die Prozesse gegen große Konzerne gewinnen, von BäuernInnen, die sich zusammenschließen um gentechnik-freies Futter für ihre Kühe zu beschaffen, von Guerilla-GärtnerInnen, die Boden in der Stadt besetzen, von GroßstädterInnen, die Ernteanteile bei Bauernhöfen abonnieren, von Menschen, die für ihre Überzeugungen ins Gefängnis gehen und von Transparenzverbesserungen, die man als KosumentIn durch wenige hartnäckige E-Mails bewirken kann. Denn "wir sind Nutznießer eines Systems, an dem Menschen anderswo zugrunde gehen, und damit tragen wir Verantwortung für ihr Schicksal. Es ist nicht unsere Schuld, aber es ist unsere Verantwortung."


Im Anhang des Buches sind Empfehlungen zu finden, auf was man beim Einkaufen achten sollte, und wo man anfangen kann sich zu engagieren. Viola Müller hat das Buch rezensiert. Sie studiert Regionalstudien Lateinamerika in Köln und absolvierte von April bis Juli ein Praktikum bei FIAN Deutschland.

Tanja Busse:
Die Ernährungsdiktatur - Warum wir nicht länger essen dürfen,
was uns die Industrie auftischt.
Karl Blessing Verlag 2010
ISBN 978-3896674203, 336 Seiten, Preis 16,95 Euro


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Quelle:
FoodFirst - FIAN-Magazin für die wirtschaftlichen,
sozialen und kulturellen Menschenrechte, Nr. 2/2010, Juli 2010, S. 14
Herausgeber: FIAN-Deutschland e.V., Briedeler Straße 13, 50969 Köln
Tel. 0221/702 00 72, Fax 0221/702 00 32
E-Mail: fian@fian.de
Internet: www.fian.de

Erscheinungsweise: drei Ausgaben/Jahr
Einzelpreis: 4,50 Euro
Abonnementpreis: Standardabo 15,- Euro,
Förderabo 30,- Euro (Ausland zzgl. 10,- Euro)


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2010