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BERICHT/043: Buchbesprechung - Ist Pazifismus realitätstauglich?


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 02/07

Ist Pazifismus realitätstauglich?
Buchbesprechung zur Ideengeschichte der Gewaltfreiheit

Von Reiner Pietrzak


Pazifismus - Ideengeschichte, Theorie und Praxis
Hrsg.: Barbara Bleisch und Jean-Daniel Strub
Haupt-Verlag AG, Bern, 2006
ISBN: 3-258-06947-6, 24,50 Euro

Das Buch ist keine leichte Kost. Barbara Bleisch und Jean-Daniel Strub, die das Buch herausgegeben haben, legen das Hauptaugenmerk auf die Frage: Gibt es in innerstaatlichen oder zwischenstaatlichen Konfliktsituationen mit eskalierter Waffengewalt Lösungen auf der Grundlage gewaltfreien Handelns? Dabei kommen unterschiedliche Pazifismusströmungen ebenso zu Wort wie erklärte Gegner. Allen AutorInnen ist aber das Bemühen um Deeskalation einer bewaffneten Konfliktsituation gemein. Alle Beiträge sind sich auch darin einig, dass ein klarer, rechtlicher Rahmen für die Beziehungen zwischen innerstaatlichen Interessengruppen und zwischen Staaten bestmögliche Gewähr gegen eskalierende Konflikte bietet. Umstritten sind die am besten geeigneten Maßnahmen, gewalttätigen Konflikten zu begegnen.

Kompliziert wird die Orientierung für den Leser bzw. die Leserin dadurch, dass die vertretenen Haltungen eine große Bandbreite aufweisen: Sie reichen von strikter Ablehnung jeglicher Gewalt über die Befürwortung rechtsstaatlich bzw. rechtlich sanktionierter Gewalt (Polizei / Weltpolizei) bis zur Befürwortung begrenzten Einatzes von militärischer Gewalt. Zudem sind die Grenzen zwischen den Positionen fließend.

Unangenehm aufgefallen ist mir der teils rüde und herablassend polemische Ton zwischen den Meinungen unterschiedlicher Positionen, der es erschwert, eine lösungsorientierte Debatte zu führen.

Religiöse Anschauungsfragen im Umfeld der pazifistischen Debatte treffen bei einer wissenschaftlichen Annäherung auf große Vorbehalte. Diesbezüglich üben sich die HerausgeberInnen in strikter Abstinenz. Ihrer Skepsis gegenüber der Rolle einer spirituellen Anbindung des Menschen in freiheitlicher - nicht an eine Konfession gebundener - Gesinnung kann ich nicht ganz folgen. Gläubige Menschen wie Gandhi oder der Dalai Lama legen nahe, dass die Arbeit an der Überwindung des eigenen Gewaltpotentials einen zentralen Beitrag zum Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religionen und Kulturen darstellt.

Bedauert habe ich, dass Konzepte der nachhaltigen Vorbeugung gegen gewalttätige Konflikte durch die Entwicklung einer demokratischen Kultur in allen Bereichen des Lebens und Wirtschaftens (z. B. Soziale Verteidigung) nur am Rande erwähnt werden.

Inhaltlich könnten die Beiträge in diesem Buch die Debatte in der Friedensbewegung bereichern und die Besinnung auf die Stärken eines praktisch politisch gelebten Pazifismus befördern. Leider gelingt es den AutorInnen aber nicht, sich sprachlich aus dem Ghetto des friedenspolitischen Wissenschaftsbetriebs zu lösen, So bleiben ihre Gedanken einem breiteren politischen Publikum verschlossen. Die Einführung in das Thema in diesem Buch ist auch für einen ausgefuchsten Wissenschaftler schwere Kost. Meine Empfehlung daher: mit den Beiträgen der AutorInnen beginnen und die Einführung als Nachtisch aufsparen. - pbi


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Im 21. Jahrhundert geht es vor allem darum, dass die Schrecken der modernen Kriege nicht abgelöst werden, durch die Grausamkeiten einer entstaatlichten Gewalt. Ziel des Pazifismus muss die Überwindung der Gewalt, nicht nur des Krieges sein. (Erhard Eppler)

Das Ausmaß der Gewaltpotenziale, dem eine Politik für aktive Gewaltfreiheit entgegenwirken will, kann mutlos, ja verzweifelt machen. Doch ausgerechnet bei Besuchen in gewaltträchtigen Krisenregionen mache ich immer wieder eine entgegengesetzte Erfahrung: Dort begegne ich regelmäßig Menschen, die mit Phantasie, Ausdauer, Kompetenz und Ausstrahlung gegen Gewalt arbeiten und dies trotz aller Rückschläge durchaus mit Erfolg. Es sind Menschen von Hilfsorganisationen, von staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen, Zivilisten und Diplomaten, Polizisten und Militärs. (Winfried Nachtwei)

Wenn wir ernsthaft Frieden wollen, müssen wir fähig sein, mit denen ins Benehmen zu kommen, die nichts darauf geben. Mit denen, die Krieg wollen, gibt es keine glaubwürdige Alternative, als sie mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen. (Jan Narveson)

Der Pazifismus wird nicht seiten als Position dargestellt, die jegliche Form der Gewalt kategorisch ablehnt. Nicht alle Pazifisten vertreten jedoch eine in diesem Sinne rigorose Position.
(Strub/Bleisch)


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Quelle:
pbi Rundbrief 02/07, S. 5
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2007