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MITTELAMERIKA/107: Wahlen in Guatemala - Das kleinere von zwei Übeln


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief 01/08

Das kleinere von zwei Übeln
Wahlen in Guatemala

Von Kerstin Reemtsma


Am 4. November haben in Guatemala die Stichwahlen zur Präsidentschaftswahl stattgefunden. Mit knapp 53% der Stimmen ging dabei Alvaro Colom von der sich selbst als sozialdemokratisch bezeichnenden Nationalen Union der Hoffnung (UNE) als Sieger hervor. Ex-General Otto Pérez Molina von der rechtsgerichteten Patriotischen Partei (PP) verlor die Wahl. Die Wahlbeteiligung lag bei nur 47% der Wahlberechtigten. Damit ist ein äußerst gewalttätiger Wahlkampf, der allein bis zu den Kommunal-, Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im September über 50 Todesopfer unter den KandidatInnen forderte, beendet.


Alvaro Colom stammt aus einer der alteingesessenen einflussreichen Familien Guatemalas. Er war u. a. Direktor des Nationalen Fonds für den Frieden und Direktor des Gremiums der Maquila-Industrie. Dieser auf den Niedriglohnsektor spezialisierte Industriezweig importiert Einzelteile oder Halbfertigwaren und setzt diese im Auftrag ausländischer Firmen zu Fertigwaren für den Export zusammen. Colom hatte bereits vorher zweimal erfolglos für die Präsidentschaft kandidiert. Sein Sieg ist vor allem auf die Stimmen der überwiegend indigenen Landbevölkerung zurückzuführen, die in diesem Wahlgang zum ersten Mal in der Geschichte Guatemalas für das Endergebnis ausschlaggebend waren. In der Hauptstadt, wo mehrheitlich Ladinos wohnen, erhielt Otto Pérez Molina die Mehrheit der Stimmen.


Absage an die Militärs

In den letzten Wochen vor der Stichwahl hatten soziale Organisationen Guatemalas, wie z.B. das Colectivo de Organizaciones Sociales (COS) vermehrt vor der möglichen Machtübernahme des Ex-Militärs gewarnt. Molina, der sich der Gründung der berüchtigten Sondereinheit des guatemaltekischen Militärs (Kaibiles) brüstet, war in der Vergangenheit für die zivile Aufstandsbekämpfung in einer der am meisten von Massakern an der Zivilbevölkerung betroffenen Regionen Guatemalas verantwortlich. Im Wahlkampf versprach er, die aktuellen massiven Sicherheitsprobleme in Guatemala mit "harter Hand" zu lösen. Das jetzige Wahlergebnis ist nach politischen Analysen mehr als Absage großer Teile der indigenen Landbevölkerung an eine Rückkehr zum Militär und den Praktiken der Vergangenheit zu verstehen - und nicht als klares Votum für die Politik der UNE.


Es gibt kein klares politisches Programm

Keiner der Präsidentschaftskandidaten verfügt über ein klares politisches Programm. Aussagen darüber, was Guatemala in den nächsten vier Jahren unter Colom erwartet, sind daher nicht eindeutig zu treffen. Colom selbst hatte schon während des Wahlkampfs Führungsschwierigkeiten in seiner Partei, die eigens für diese Wahlen zusammengesetzt wurde. Bei der Abstimmung des guatemaltekischen Kongresses über die Schaffung der UNO-Kommisssion gegen die Straflosigkeit im Juli 2007 sprachen sich die beiden UNE-Vertreter gegen deren Einrichtung aus, obwohl Colom ein positives Votum seiner Partei angekündigt hatte.

Mit nur 52 von 158 Sitzen im guatemaltekischen Kongress verfügt die UNE von vornherein über eine schwache Position, um die gigantischen Probleme anzugehen, denen sich Guatemala ausgesetzt sieht. Dazu gehören das Problem der Straflosigkeit, der Durchdringung des Staatsapparats durch die so genannten Parallelkräfte und der damit einhergehenden zunehmenden Unregierbarkeit, die weiterhin ausstehende Steuerreform sowie die Armutsbekämpfung.

Alvaro Colom hat während des Wahlkampfs und direkt danach energische Schritte zur Bekämpfung dieser Probleme angekündigt. Es bleibt jedoch offen, wie viel davon er wirklich bereit und fähig ist umzusetzen. - pbi


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Quelle:
pbi Rundbrief 01/08, S. 1717
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juli 2008