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MITTELAMERIKA/129: Rechtsanwalt in Kolumbien - "Ich bin nach Europa gekommen, um Recht einzufordern"


peace brigades international - Internationale Friedensbrigaden
pbi Rundbrief Sommer 2012

KOLUMBIEN
»Ich bin nach Europa gekommen, um Recht einzufordern«

Das Interview führte Miriam Futterlieb von pbi mit mit Leonardo Jaimes: »Ich bin nach Europa gekommen, um Recht einzufordern«



Leonardo Jaimes Marín ist Rechtsanwalt in Kolumbien und Mitglied des Solidaritätskomitee für politische Gefangene (FCSPP). Er wird von pbi begleitet. Im Frühjahr 2012 besuchte er mehrere europäische Staaten, um auf den Fall des Gewerkschafters Luciano Romero aufmerksam zu machen. Luciano Romero wurde im September 2005 von kolumbianischen Paramilitärs ermordet. Die Rolle des Nestlé Konzerns in dem Mord wird zurzeit vor einem Schweizer Gericht verhandelt.


Leonardo: Das Solidaritätskomitee für politische Gefangene ist eine Organisation, die sich seit 35 Jahren für die Verteidigung der Menschenrechte in Kolumbien einsetzt. Wir unterstützen Menschen, die aus politischen Gründen angeklagt werden. GewerkschafterInnen und AktivistInnen der sozialen Bewegungen werden häufig mit willkürlichen Anklagen überzogen. Wir übernehmen dann die juristische und politische Verteidigung. Zusätzlich versuchen wir effektive juristische Mechanismen zu entwickeln, mit denen Staatsverbrechen aufgedeckt und verfolgt werden können. Unsere Arbeit ist jedoch sehr schwierig und gefährlich. Mehrere Anwälte und Mitglieder des Komitees wurden umgebracht oder sind verschwunden.

pbi: Was ist der Grund für deinen Besuch in Europa?

Leonardo: Ich bin nach Europa gekommen, um Recht einzufordern. Es geht um Fälle schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen, in die transnationale Konzerne verwickelt sind. Gewerkschaftsmitglieder werden bedroht, gefoltert und umgebracht, wenn sie ihre Arbeit machen. Meine Frage ist, inwieweit transnationale Unternehmen dafür verantwortlich gemacht werden können. Der konkrete Grund meines Besuchs ist aber die Einreichung einer Strafanzeige in der Schweiz. Wir wollen an einem exemplarischen Fall klären, wie weit die strafrechtliche Verantwortung von Unternehmen bei einer Verletzung grundlegender Menschenrechte in Kolumbien geht.

Es geht um den Mord an dem Gewerkschafter und Menschenrechtsverteidiger Luciano Romero. Luciano wurde im September 2005 in Valledupar (Kolumbien) von Paramilitärs entführt, gefoltert und mit 50 Messerstichen ermordet. Die direkte Beteiligung von Staatsbediensteten an dem Mord ist mittlerweile juristisch belegt. Zudem verdichteten sich Hinweise auf eine indirekte Beteiligung der Firma Nestle. Leitende Angestellte hatten den Gewerkschafter als Guerillakämpfer und Terroristen verleumdet und ihn damit einem hohen Risiko ausgesetzt. In Kolumbien kann eine solche Verleumdung einem Todesurteil gleich kommen.

pbi: Luciano Romero war Gewerkschaftsmitglied und Mitglied im Komitee für Solidarität mit politischen Gefangenen. Ich habe gehört, der Mord war eine Woche bevor er in Europa Menschenrechtsverletzungen anzeigen wollte?

Leonardo: Das stimmt. Der Tod von Luciano war der Höhepunkt einer ganzen Reihe von Vorkommnissen. Er war Arbeiter von Nestlé und Mitglied der Gewerkschaft Sinaltrainal, die in der Lebensmittelindustrie verankert ist. 2004 wurde er nach einer legalen und legitimen Aktion der Gewerkschaft entlassen. Damals bereits nahmen die Drohungen zu und Luciano musste ins Exil gehen. Er ging nach Spanien und lebte unter einem Schutzprogramm für MenschenrechtsverteidigerInnen. Im April 2005 kehrte er nach Kolumbien zurück und bereite sich auf eine Sitzung des Ständigen Völkertribunals in Bern vor. Es ging um eklatante Menschenrechtsverbrechen von transnationalen Unternehmen in Kolumbien. Kurz davor, im September 2005 wurde Luciano ermordet. Nicht unwichtig ist die Tatsache, daß die Gewerkschaft Sinaltrainal vom kolumbianischen Geheimdienst DAS beschattet wurde. Alle ins Ausland gehenden Briefe wurden überprüft.

pbi: Welche Erwartungen hast Du von der Anzeige, in Bezug auf Straffreiheit und Verletzung von Menschenrechten in Kolumbien?

Leonardo: Der Fall ist bedeutend. Luciano ist einer von 12 ermordeten Gewerkschaftern, die bei einer der Tochterfirmen Nestlés in Kolumbien gearbeitet hatten. Er ist einer von 22 ermordeten Gewerkschaftern von Sinaltrainal und einer von 2500 ermordeten Gewerkschaftern in den letzten 25 Jahren in Kolumbien. Doch was unterscheidet den Fall Luciano von anderen ermordeten Gewerkschaftern? Im Gegensatz zu anderen Fällen kann bei ihm die direkte Beteiligung von kolumbianischen Staatsbediensteten nachgewiesen werden. Gleichzeitig steht die mögliche Beteiligung einer Unternehmensgruppe im Raum, durch Verleumdung und fahrlässiger Unterlassung. Trotz bekannter Drohungen wurden die notwendigen Rahmenbedingungen nicht geschaffen, um den Tod Lucianos zu verhindern.

Der Fall ist deswegen so wichtig, weil es bislang keinen Präzedenzfall gab, der Unternehmen in Fällen wie diesem zur Rechenschaft gezogen hat; weder in den europäischen, noch in den lateinamerikanischen Rechtssystemen. Es gibt nicht einen einzigen Fall dieser Art, der vor ein europäisches Gericht gebracht wurde. Es ist der Versuch, einen neuen Weg zu gehen und Verantwortungsketten bei schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen nachzuweisen.

Außerdem möchte ich eine öffentliche Diskussion über die Verantwortung von Unternehmen anregen. Denn es ist bei weitem nicht nur ein juristisches Problem. Wenn multinationale Konzerne ins Spiel kommen und in Ländern wie Kolumbien grundlegende Rechte verletzt und Menschenrechte missachtet werden, bedarf es einer grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich möchte eine Diskussion anregen, damit ein derartiges Verhalten aufhört.

pbi: Du sagst, der Fall Luciano sei kein Einzelfall. Er reiht sich vielmehr in eine lange Kette von Morden und der Verfolgung von MenschenrechtsverteidigerInnen in Kolumbien ein. Wie steht es aktuell um die Sicherheit von MenschenrechtsverteidigerInnen in Kolumbien?

Leonardo: Die Situation von Gewerkschaftern hat sich nicht verbessert. Zusätzlich haben die Bedrohungen gegen soziale und emanzipatorische Bewegungen zugenommen. Uns erreichen Hinweise auf Drohungen gegen Frauenbewegungen, gegen Organisationen von MenschenrechtsverteidigerInnen, gegen Menschen, die sich für Landrechte einsetzen. Es gibt eine Vielzahl von Morden.

Zunehmend werden MenschenrechtsverteidigerInnen in Kolumbien kriminalisiert. Ein aktueller Fall ist der von Juan Carlos Galvis und William Mendoza von Sinaltrainal. Ihnen wird Terrorismus vorgeworfen. All dies zeigt, dass nach wie vor alles daran gesetzt wird, Menschen bei ihrer verfassungsrechtlich anerkannten Arbeit zu stören.

Und auch ich bin stark von Bedrohungen betroffen. Meine Arbeit ist mit einem hohen Risiko verbunden. Es ist eine sehr gefährliche Arbeit. Doch die Begleitung von pbi gibt mir Sicherheit, so das ich sie fortführen kann. Ich bin dafür sehr dankbar und möchte das hier noch einmal betonen. Durch pbi können wir weitermachen und unserer ethischen Verpflichtung nachkommen.

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Fundación Comité de Solidaridad con los Presos Político (FCSPP)

Das Solidaritätskomitee für politische Gefangene wurde 1973 gegründet, um der weit verbreiteten Diskriminierung und Misshandlung politischer Gefangener zu begegnen. Mittlerweile arbeitet das Komitee in sechs Regionen Kolumbiens gegen die weitverbreitete Verfolgung und Bedrohung politischer Bewegungen und deren Akteure. Die Mitglieder des Komitees sind wegen ihrer Arbeit starker Bedrohungen ausgesetzt. Seit 1998 wird das Komitee von pbi begleitet.

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Quelle:
pbi Rundbrief Sommer 2012, S. 10-13
Herausgeber: pbi Deutscher Zweig e.V.
Harkotstr. 121, 22765 Hamburg
Tel.: 040/38 90 437, Fax: 040/38 90 437-29
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2012