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BERICHT/180: ... Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung (Forum Pazifimus)


Forum Pazifismus Nr. 15 - III/2007
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Ein gravierender Widerspruch
Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen und Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung

Von Gernot Lennert


Menschenrecht oder Ausnahmerecht? Das Beispiel amnesty international

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist umstritten. In älteren Menschenrechtsdeklarationen wird es gewöhnlich nicht erwähnt. Die Menschenrechtsdeklaration der Vereinten Nationen erwähnt das Thema nicht. Deutlicher ist die "Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten" des Europarats von 1950. Artikel 4 sagt unmissverständlich:

"1. Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden.
2. Niemand darf gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten.
3. Als 'Zwangs- und Pflichtarbeit' im Sinne dieses Artikels gilt nicht (...) jede Dienstleistung militärischen Charakters, oder im Falle der Verweigerung aus Gewissensgründen (...) eine sonstige anstelle der militärischen Dienstpflicht tretende Dienstleistung".

Artikel 8 des "Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte" der UN von 1966 wiederholt dies fast wortwörtlich.
(1)

Die Staaten haben sich also abgesichert: Sklaverei, Leibeigenschaft und Zwangsarbeit sind verboten - aber nicht, wenn es um Krieg und Militär geht. Der Europarat und andere internationale Organisationen bewegen sich innerhalb dieser Logik.

Seit den 1990er Jahren wird häufiger als zuvor in der Diskussion um Kriegsdienstverweigerung vom Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung gesprochen. Als Menschenrechte sind, wie die Brockhaus-Enzyklopädie zusammenfasst, Rechte definiert, "die jedem Menschen unabhängig von seiner Stellung im Staat, Gesellschaft, Familie, Beruf, Religion und Kultur, bereits dadurch zustehen, dass er als Mensch geboren ist. Auch andere Merkmale wie Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, polit. oder sonstige weltanschaul. Vorstellungen, nat. oder soziale Herkunft lassen die Gültigkeit der mit der bloßen Existenz als Mensch verbundenen M.(enschenrechte) unberührt."(2)

Bei näherer Betrachtung stellt sich allerdings meistens heraus, dass diejenigen, die vom Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung reden und ein solches zu befürworten scheinen, es aber nicht so meinen. Ein Beispiel für viele ist amnesty international, vermutlich die einflussreichste, bekannteste und effizienteste Menschenrechtsorganisation der Welt. Die Position von amnesty international soll hier vor allem deshalb genauer beleuchtet werden, weil sich amnesty international der Mühe unterzogen hat, sie klar zu formulieren und weil sie repräsentativ ist für die gegenwärtig in Westeuropa in Medien, Parlamenten und sozialen Bewegungen einschließlich der Friedensbewegung am weitesten verbreiteten Denkmuster zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung.

"amnesty international betrachtet alle, die aus Überzeugung nicht zur Waffe greifen wollen, als Wehrdienstverweigerer. Diese Überzeugung kann aus religiösen, ethisch-moralischen, humanitären, philosophischen oder politischen Motiven herrühren. Dabei stellt die Organisation das Recht von Staaten, Soldaten einzuberufen, nicht in Frage. Doch niemand sollte gegen seine Überzeugung zum Militärdienst gezwungen oder für seine Verweigerung in irgendeiner Form bestraft werden."(3)

Der betreffende Artikel von amnesty international trägt zwar den Titel "Ein Menschenrecht auf dem Prüfstand", doch es wird deutlich, dass amnesty international weit davon entfernt ist, Kriegsdienstverweigerung als Recht für alle Menschen zu betrachten. Kriegsdienstverweigerung ist nur als Ausnahmerecht für eine bestimmte Personengruppe gedacht.(4)

Die Wurzel der gesamten Problematik ist der Anspruch von Staaten und anderen Herrschaftsgebilden auf Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst. Ohne diesen Rekrutierungsanspruch würde sich das Problem der Kriegsdienstverweigerung nicht ergeben. Ein Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung müsste beinhalten, dass jeder Mensch, weil er als Mensch geboren ist ohne jegliche Diskriminierung nach Herkunft, Geschlecht, Weltanschauung und dergleichen davon Gebrauch machen kann. Wer das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung bejaht, muss den Staaten das Recht auf Zwangsrekrutierung grundsätzlich absprechen. Wer den staatlichen Rekrutierungsanspruch anerkennt, kann Kriegsdienstverweigerung nur als Ausnahme von der Regel, aber nicht als Menschenrecht für alle begreifen.

Genau das Zweitgenannte ist bei amnesty international der Fall: Erstens wird das Recht von Staaten, Soldaten einzuberufen, von amnesty international nicht in Frage gestellt. Der staatliche Anspruch auf Zwangsrekrutierung, die Wurzel des Problems, wird also von amnesty international nicht in Frage gestellt, sondern als selbstverständlich vorausgesetzt und verinnerlicht.(5) Zweitens wird die Wahrnehmung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung von einer Motivation abhängig gemacht: Einer Überzeugung. Drittens muss in dieser Logik überprüft werden, ob eine solche Überzeugung vorhanden ist.

Auch dazu hat amnesty international eine Position: "Abgesehen von Garantien für Fairneß, nimmt amnesty international keine Stellung zum Für und Wider bestimmter von Regierungen eingerichteter Verfahren, um die Beweggründe einzelner Personen für die Beantragung der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer zu untersuchen oder zu bewerten. Es sollte jedoch erwähnt werden, daß die Organisation eine inhaftierte Person nicht [Hervorhebung durch ai] als gewaltlosen politischen Gefangenen adoptieren wird, wenn er oder sie nicht gewillt ist, gemäß den Gesetzen des Landes den Grund für die Kriegsdienstverweigerung darzulegen, es sei denn, dieser läßt sich aus den gegebenen Umständen erkennen."(6)

Auch wenn ai die Ausnahmekriterien weiter fasst als die meisten staatlichen Kriegsdienstverweigerungsgesetze, bleibt die Inanspruchnahme des Rechts eine Ausnahme von der Regel, weil militärische Zwangsrekrutierung nicht in Frage gestellt wird. Konsequenterweise bekennt sich ai zwecks Selektion derjenigen, die vom Recht Gebrauch machen dürfen, zur Gewissensprüfung, sei es eine staatliche, sei es die Beurteilung durch ai.

Erwähnenswert ist auch, dass ai weder Gewissensprüfungen noch den Zwang zum Ersatzdienst als Problem ansieht, wenn sie bestimmten, von ai festgelegten Kriterien entsprechen. Es soll laut ai zwar niemand "gegen seine Überzeugung zum Militärdienst gezwungen oder für seine Verweigerung in irgendeiner Form bestraft werden"(7), diejenigen, denen eine solche Überzeugung abgesprochen wird, aber doch. Selbst diejenigen, die mit dem Segen von Staat und amnesty international verweigern dürfen, sollen an Stelle des Militärdienstes einen staatlichen Zwangsdienst leisten, der aber, wenn er nach den Fairness-Vorstellungen von amnesty international gestaltet wird, von der Organisation nicht als Strafe definiert wird.

Um von ai als politischer Gefangener adoptiert zu werden, muss ein inhaftierter Kriegsdienstverweigerer seinen Verweigerungsgrund in einer Gewissensprüfung darlegen, wenn er für amnesty international nicht schon aufgrund der Umstände erkennbar ist. Amnesty international bedenkt nicht, dass auch die Gewissensprüfung selbst von vielen Betroffenen als quälend und entwürdigend und als Strafe empfunden wird und eine Menschenrechtsverletzung ist.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass amnesty international Kriegsdienstverweigerung nur als Ausnahmerecht für Menschen mit einer bestimmten Motivation oder einem bestimmten Persönlichkeitsbild, aber nicht als Menschenrecht für alle vertritt. Die Inanspruchnahme eines Menschenrechts auf einen bestimmten Personenkreis einzuschränken, abhängig von staatlicher Genehmigung, Unterwerfung unter eine Gesinnungsprüfung sowie der Ableistung eines staatlichen Zwangsdienstes, ist ein Widerspruch in sich. Höchst widersprüchlich ist auch, dass eine Menschenrechtsorganisation Menschenrechtsverletzungen in Form von Gewissensprüfung und Zwangsdienst billigt.

Gelegentlich wird angesichts dieser widersprüchlichen Haltung argumentiert, auch von Menschen an amnesty-international-Infoständen, dass Krieg und Zwangsrekrutierung nun einmal nicht Thema von ai seien und dass keine Organisation, noch nicht einmal ai, sich um alles kümmern könne. Würde ai den Standpunkt vertreten, dass es lediglich eine Organisation für die Unterstützung von Menschen sei, die wegen ihrer gewaltlosen politischen Betätigung oder wegen Meinungsäußerung inhaftiert sind, und dass man sich für Themen und Aktivitäten über dieses Kerngeschäft hinaus andere Organisationen suchen müsse, wäre dies nachvollziehbar. Aber ai bezieht ja ausdrücklich Stellung zum Thema Kriegsdienstverweigerung mit eindeutigen Positionen:

- Keine Infragestellung staatlicher Zwangsrekrutierung zum Krieg,
- Einschränkung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung auf das Vorhandensein einer Überzeugung,
- Überprüfung dieser Überzeugung sowie
- Zwang zum Ersatzdienst für Militärdienstverweigerer.

Das verrät sogar eine sehr intensive Auseinandersetzung mit dem Thema. Hinzu kommt, dass ai weit über seine Anfänge als Gefangenenhilfsaktion hinausgegangen ist. Krieg und Frieden ist durchaus zum Thema von ai geworden: Es gibt Kampagnen gegen die Rekrutierung von Kindersoldaten und gegen Rüstungsexport, auch Menschenrechtsverletzungen durch Kleinwaffen werden angeprangert. ai engagiert sich gegen Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung. Folter und Todesstrafe werden entschieden abgelehnt.(8)

Doch gerade der Vergleich zu diesen Arbeitsfeldern zeigt, wie restriktiv die Haltung von ai zur Kriegsdienstverweigerung ist. Kinder sollen auf keinen Fall als Soldaten rekrutiert werden. Sie müssen noch nicht einmal in einer Gewissensprüfung eine diesbezügliche Überzeugung nachweisen oder einen Ersatzdienst leisten. amnesty international beantwortet - ebenso wie alle anderen, die Kindersoldaten, aber nicht den Kriegsdienstzwang für Erwachsene ablehnen - nicht die Frage, warum Leben, Freiheit und körperliche und psychische Unversehrtheit eines 18-Jährigen weniger schützenswert sein sollen, als das Leben von Jüngeren.

Auch die Verfolgung wegen geschlechtlicher Orientierung und Folter werden von ai pauschal abgelehnt. Was würde geschehen, wenn auf Homosexuelle und Foltervermeidungswillige die Kriterien für Kriegsdienstverweigerung analog angewendet würden? Dann müssten sie sich gefallen lassen, dass überprüft wird, ob ihr Wunsch nach Homosexualität oder nach Folterverschonung einer ethischen Überzeugung entspringt. Wenn sie dann berechtigt wären, eine homosexuelle Orientierung zu haben oder auszuleben oder von Folter verschont zu bleiben, müssten sie aber noch, um in der Analogie zur Militärdienstverweigerung zu bleiben, eine Ersatzrepression über sich ergehen lassen.

Was bei Kindersoldaten, Homosexuellen oder Menschen, die sich nicht foltern lassen wollen, als absurd angesehen würde, wenn es jemand vorschlüge, gilt allerdings als vollkommen normal, wenn es auf Kriegsdienstverweigerer angewendet wird, selbst für diejenigen, die von sich selbst annehmen, dass sie für das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung eintreten.

Besonders auffällig wird der Widerspruch beim Thema Todesstrafe. Die Rekrutierung für Kriegsdienst ist angesichts der Opfer von Manövern, Unfällen und Misshandlungen nicht nur in Kriegszeiten oft gleichbedeutend mit einem Todesurteil, von Freiheitsberaubung und Aufhebung anderer Grundrechte einmal ganz abgesehen. Zwangsrekrutierte werden gegen ihren Willen zu Kombattanten gemacht und können im Krieg vom gegnerischen Militär legal getötet, verstümmelt oder gefangen genommen werden. Sie können von den "eigenen" militärischen Vorgesetzten bewusst in den Tod geschickt werden, denn ein bestimmter Prozentsatz von Verlusten ist meist unvermeidlich und wird von vorneherein eingeplant. Die Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit werden durch die Zwangsrekrutierung aufgehoben.

Ausgehend davon, dass jeder Mensch ein Recht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und persönliche Freiheit hat, müsste amnesty international Zwangsrekrutierung zum Kriegsdienst ebenso radikal verwerfen wie die Todesstrafe. Davon sind amnesty international und viele andere aber weit entfernt.

Paradoxes Resultat dieser heute in Westeuropa weit verbreiteten Geisteshaltung und Norm: Wenn ein Saddam Hussein oder auch ein nicht im Staatsdienst stehender Privat- und Kleinmörder hingerichtet wird, protestiert man gegen die Todesstrafe, wenn ein Saddam Hussein oder seine vielen diktatorischen oder demokratisch gewählten Kollegen und Kolleginnen Jugendliche, die noch nicht einmal Verbrechen begangen haben, millionenfach in den Krieg schicken und damit zum Tod verurteilen, dann stellt man das nicht in Frage.


Gewissensfreiheit oder Recht auf Leben und Freiheit?

Warum wird Kriegsdienstverweigerung als Ausnahmerecht und nicht als Menschenrecht begriffen? Ein Faktor ist sicherlich das massive staatliche Interesse an Zwangsrekrutierung für den Krieg. Ein Staat kann ohne Folter leben und Meinungsfreiheit ertragen und von Liberalität und Toleranz sogar profitieren. Doch Kriegsdienstverweigerung berührt den Kernbereich der Staates, die Staatsgewalt, für deren Ausübung bewaffnete Kräfte unerlässlich sind. Nicht immer werden Soldaten zwangsweise rekrutiert, aber kein Staat hat bisher grundsätzlich seinen Anspruch auf Zwangsrekrutierung aufgegeben. Das erklärt, warum Staat und Militär Kriegsdienstverweigerung nur als Ausnahme von der Regel akzeptieren wollen.

Aber warum vertreten auch Menschenrechts- und Friedensorganisationen diese Ansicht? Zum Teil lässt sich das mit dem ideologischen oder auch verdeckten Einfluss politischer und militärischer Interessen erklären. Die Menschen in Menschenrechts- und Friedensbewegungen können ihrerseits häufig ideologisch mit Staaten oder politischen Kräften verbunden sein, die selbst Menschen zum Kriegsdienst zwingen oder zwingen wollen. Deshalb haben im 20. Jahrhundert vor allem sozialdemokratische und marxistisch-leninistische Strömungen innerhalb der Friedensbewegung die Kriegsdienstverweigerung nur als beschränktes Ausnahmerecht toleriert, weil sozialistische Regierungen der unterschiedlichsten Schattierungen selbst gerne zum Mittel der Zwangsrekrutierung griffen und greifen.(9)

Doch selbst wenn man diese Faktoren in Betracht zieht, bleibt die Frage ungeklärt, warum Menschenrechts- und Friedensorganisationen und die große Mehrheit derjenigen, die heute ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung akzeptieren oder für es eintreten, sie sich nur als Ausnahmerecht vorstellen können.

Da das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in den klassischen Menschenrechtsdeklarationen nicht separat erwähnt wird, muss es entweder neu postuliert oder aus anderen bereits akzeptierten Menschenrechten abgeleitet werden. Ob Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht für alle oder als Ausnahmerecht für einige verstanden wird, hängt davon ab, wie das Recht begründet wird.

Wenn ein Mensch zu Kriegsdiensten zwangsrekrutiert werden soll, entsteht gewöhnlich aufgrund der damit verbundenen Freiheitseinschränkung und der Gefährdung von Leib und Leben ein akuter Interessenskonflikt. Deshalb ist es naheliegend, die lebensgefährliche Freiheitsberaubung mit dem Verweis auf das Recht auf Leben und Selbstbestimmung abzulehnen. Das war auch der Standpunkt der im Englischen Bürgerkrieg 1642-1648 entstandenen frühliberalen Bewegung der Levellers, die sich darum bemühten, Menschen- und Bürgerrechte konstitutionell zu verankern. Sie bestritten dem Parlament, wie sie in einer Petition von 1648 formulierten, die "power of pressing and forcing any sort of men in serve in warrs, there being nothing more opposite to freedom."(10)

Artikel 11 ihres Verfassungsentwurfs "An Agreement of the Free People of England" von 1649 sah vor, dass der Staat niemanden zu Kriegsdienst zu Wasser oder zu Land zwingen dürfe, das Gewissen jedes Einzelnen sollte über die Gerechtigkeit der Sache, für die er sein eigenes Leben riskiert oder andere zerstören könnte, entscheiden.(11) Der Kriegsdienstzwang wurde in erster Linie als massive Freiheitseinschränkung verstanden. Im Mittelpunkt steht die freie Entscheidung jedes Einzelnen, wofür er sein Leben riskiert oder andere tötet. Die Verfassungsentwürfe der Levellers wurden nicht verwirklicht, leben aber in der politischen Kultur der angelsächsischen Länder fort. Das Bewusstsein, dass der Kriegsdienstzwang einen schweren Eingriff in die Freiheit des Individuums darstellt, ist dort lebendig geblieben. Menschen werden zu Kriegsdiensten gezwungen, wenn es für notwendig gehalten wird. Der Zwangsdienst gilt in der Regel nicht als positiver Wert an sich. Im Hintergrund steht der Gedanke, dass der Staat seine Ansprüche an das Individuum rechtfertigen muss. Der Kriegsdienstzwang wird in Kriegs- oder Ausnahmesituationen eingeführt und später wieder abgeschafft oder minimiert.

In Kontinentaleuropa galt in der Tradition der Französischen Revolution über die ideologischen Grenzen von ganz rechts bis ganz links Zwangsmilitärdienst als Pflicht des Staatsbürgers, selbst dann wenn es militärisch nicht erforderlich ist. Das Militär ist Schule der Nation, das Individuum schuldet dem Staat oder der Gemeinschaft einen Dienst und soll in einer bestimmten Weise sozialisiert werden. Diese staatsvergötternde totalitäre Dienstideologie gibt es in der älteren militärischen und in der jüngeren zivilen Variante. In der zivilen Variante wird zwar der Militärdienst kritisch gesehen oder gar ablehnt, aber nicht der Zwang zum Dienst. Zivile Zwangsdienste erscheinen in diesem Weltbild als etwas Nützliches und Erstrebenswertes. Der Zivildienst wird zur zweiten Schule der Nation.(12)

Doch zurück zum Recht auf Kriegsdienstverweigerung. Die heute dazu vorherrschenden Vorstellungen gehen auf andere Wurzeln zurück.

Es ist im internationalen und im einzelstaatlichen Recht üblich geworden, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung eben nicht vom Recht des Einzelnen auf Leben und Freiheit, sondern von der Gedanken-, Religions- oder Gewissensfreiheit abzuleiten, wobei vor allem der Begriff des Gewissens eine zentrale Rolle spielt.(13)

Besonders deutlich zeigt sich dies, wenn man über den deutschen Sprachraum hinausschaut: Das deutsche Wort Kriegsdienstverweigerung wird im Englischen als conscientious objection wiedergegeben, als Verweigerung aus Gewissensgründen. Dasselbe gilt für romanische Sprachen mit objection de conscience (französisch), objección de conciencia (spanisch) und fast gleichlautenden Begriffen in Katalanisch, Portugiesisch und Italienisch. Auch andere Sprachen orientieren sich an der Verweigerung aus Gewissensgründen, z.B. Serbokroatisch (heute umdefiniert zu Kroatisch, Serbisch und Bosnisch), Mazedonisch, Albanisch, Hebräisch.

Im Unterschied zum Englischen weichen die anderen germanischen Sprachen sowie Finnisch ab: Sie benennen nicht die Gewissensmotivation, sondern den Gegenstand der Verweigerung: Im Niederländischen spricht man gewöhnlich von dienstweigering'. Im Dänischen und Norwegischen heißt es Militärverweigerung (militærnægtelse und militærnekting), Schwedisch und Finnisch betonen den Aspekt der Waffenverweigerung (våpenvägren und aseistakieltäytyminen). Doch auch wenn andere Begriffe verwendet werden, wird im Rahmen des Konzepts der conscientious objection gedacht. Man spricht zwar in Deutschland von Kriegsdienstverweigerung oder im Niederländischen von dienstverweigering, gemeint ist aber fast immer die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen oder gewetensbezwaar. Die Gewissensgründe werden mitgedacht, auch dann, wenn dieser Zusatz nicht ausdrücklich mitgesprochen oder mitgeschrieben wird.

Wie sehr das Konzept der Verweigerung aus Gewissensgründen ausstrahlt, zeigt das Türkische: Die erste Organisation türkischer Kriegsdienstverweigerer, die sich Anfang der 1990er Jahre in Deutschland bildete, sprach noch wie im Deutschen wortwörtlich von der Verweigerung des Kriegsdienstes, savas hizmetini ret. Doch heute hat sich auch im Türkischen conscientious objection als Lehnübersetzung aus dem Englischen durchgesetzt: vicdani ret, die Gewissensverweigerung oder Verweigerung aus Gewissensgründen.

Reduziert man die Kriegsdienstverweigerung auf die Verweigerung aus Gewissensgründen, dürfen nur Menschen, die sich auf Gewissensgründe berufen, den Kriegsdienst verweigern, andere nicht. Egal wie liberal die entsprechende Gewissensprüfung gehandhabt wird, wird damit das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als Ausnahmerecht für Menschen mit einer bestimmten Motivation definiert, nicht als Menschenrecht für alle.

Sprache beeinflusst in einem erheblichen Maß das Denken. Im Deutschen mit dem neutralen(14) Begriff Kriegsdienstverweigerung fällt es schon schwer, sich vom Konzept der Verweigerung aus Gewissensgründen zu lösen und andere Gründe gelten zu lassen. Umso schwerer ist es, Kriegsdienstverweigerung als motivationsunabhängiges Menschenrecht zu begreifen, wenn man sprachlich und gedanklich von der conscientious objection eingeengt ist. Es fällt schwer, Dinge zu denken, wenn es dafür keine Begriffe gibt oder die in Frage kommenden Begriffe schon anderweitig besetzt sind.

Ausschlaggebend für das heutige Verständnis von Kriegsdienstverweigerung ist die historische Entwicklung des Konzepts.


Von gewaltlosen christlichen Sekten zur Kriegsdienstverweigerung heute

Spätestens als das Christentum Staatsreligion wurde, entstand ein Spannungsverhältnis zwischen dem im Christentum vorhandenen Ideal der Gewaltlosigkeit und der gewalttätigen Durchsetzung staatlicher Interessen, und sei es auch nur die Verteidigung gegen Überfälle. Die frühen Christen hatten den Militärdienst gemieden, doch nun war der Staat selbst christlich geworden. Bezüglich der Rekrutierung wurde eine bis heute nachwirkende Lösung gefunden: die unterschiedliche Behandlung von Klerus und Laien. Den Geistlichen wurde erlaubt, sich vom Kriegsdienst fernzuhalten und in ihrer persönlichen Lebensführung den Widerspruch zu den Gewaltfreiheitsidealen des Christentums zu reduzieren, während die restlichen Gläubigen zum Kriegsdienst in gerechten Kriegen verpflichtet werden konnten. Das Privileg der Freistellung von Geistlichen vom Kriegsdienst hat sich bis heute in den meisten Staaten gehalten.

In der frühen Neuzeit entstanden christliche Gemeinschaften, die einerseits das christliche Gewaltlosigkeitsideal erheblich ernster nahmen als die etablierten Großkirchen und die andererseits die scharfe Trennung zwischen Klerus und Laien aufhoben und stattdessen das Priestertum aller Gläubigen propagierten. Gruppen wie Mennoniten, Hutterer und Duchoborzen kamen zum Schluss, dass Kriegsdienst allen Gläubigen verboten ist. Christliche Sektierer dieser Art waren in der frühen Neuzeit die ersten staatlich anerkannten Kriegsdienstverweigerer.(15) Einige Fürsten hatten erkannt, dass es Christen gibt, die aufgrund ihrer dogmatisch festgelegten Überzeugung und ihrer Bereitschaft, dafür Gefängnis oder Tod zu erleiden, nicht zum Militärdienst gezwungen werden können, die aber ansonsten für den Staat harmlos sind und deren Arbeitskraft dem Staat sogar nützlich sein kann. In Staaten wie Preußen und Russland wurden gewaltlose christliche Gemeinschaften, denen zuvor Befreiung von Kriegsdienst zugesichert worden war, in unterentwickelten und unterbevölkerten Gebieten angesiedelt, was wiederum den Staat ökonomisch und geopolitisch stärkte. In einer Ständegesellschaft, in der Menschen generell äußerst ungleich behandelt wurden, war die Gewährung solcher Gruppensonderrechte nichts grundsätzlich Systemwidriges. Ein allgemeines Recht auf Kriegsdienstverweigerung für alle forderten die Sektierer ohnehin nicht. Sie waren damit zufrieden, selbst gemäß ihren religiösen Vorstellungen zu leben. War dies nicht mehr möglich, zogen sie häufig ins nächste Land weiter, wie an den Mennoniten zu sehen ist, die von Mitteleuropa über das Zarenreich bis nach Nord-, Mittel- und Südamerika wanderten und dort wiederum entlegene Gebiete besiedelten.

Die Quäker - oder "Society of Friends" - sind das Bindeglied zwischen den gewaltlosen christlichen, auf sich selbst bezogenen Sekten und der heutigen Friedensbewegung. Im Unterschied zu den anderen historischen Friedenskirchen, wie die pazifistischen gewaltlos orientierten in der frühen Neuzeit entstandenen protestantischen Gruppen genannt werden, strebten die Quäker nicht danach, sich gottgefällig und unpolitisch von einer sündhaften Welt zu isolieren. Sie standen von Anfang an mitten im politischen und gesellschaftlichen Geschehen. Sie waren ein Produkt der englischen Revolution des 17. Jahrhunderts, viele der ersten Quäker kamen sogar aus der New Model Army, aus einer ideologisierten Bürgerkriegsarmee. Die Quäker engagierten sich für ihre Ideale über ihre Glaubensgemeinschaft hinaus in sozialen Bewegungen, unter anderem in der Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei. Quäker waren entscheidend an der Gründung der ersten Friedensgesellschaften beteiligt, die Anfang des 19. Jahrhunderts in Großbritannien und Nordamerika entstanden, und sind bis heute nicht nur in angelsächsischen Ländern ein wichtiger Teil der Friedensbewegung.

Die Idee der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen blieb dadurch nicht auf einige christliche Sekten beschränkt, sondern wurde in die Gesellschaft allgemein hineingetragen. Entscheidend für das heute dominierende Verständnis von Kriegsdienstverweigerung ist jedoch, dass es sich letztendlich immer noch am Bild des christlichen gewaltlosen Sektierers orientiert, der aus Glaubensgründen jeglichen Militärdienst verweigert.

Das gilt sowohl für die politische Diskussion innerhalb und außerhalb der Friedensbewegung als auch für die staatliche Kriegsdienstverweigerungsgesetzgebung. Je restriktiver ein Kriegsdienstverweigerungsgesetz, desto eher wird die Verweigerung auf einige wenige kleine christliche Gruppen beschränkt. Ein Beispiel ist das rumänische Dekret von 1997, das ausdrücklich nur Angehörigen bestimmter Militärdienst ablehnender christlicher Religionsgemeinschaften die Militärdienstverweigerung zugesteht.(16) Im Zug der Anpassung an Nato-Standards hat Rumänien allerdings Ende 2006 den Kriegsdienstzwang abgeschafft, womit sich das Problem der Militärdienstverweigerung auf die Militärangehörigen reduziert, bei denen sich erst während ihres Dienstes der Wunsch nach Verweigerung entwickelt.

Die Kriegsdienstverweigerungsgesetze, wie sie seit dem Ersten Weltkrieg zuerst in nordwesteuropäischen protestantisch geprägten Staaten entstanden und im Lauf der Jahrzehnte auch in anderen europäischen Ländern üblich wurden, beschränken das Recht auf Kriegsdienstverweigerung meist nicht mehr auf Angehörige bestimmter Religionsgemeinschaften, sie sind aber immer noch diesem historischen Vorbild verhaftet.

Um in der Bundesrepublik Deutschland als Militärdienstverweigerer anerkannt zu werden, muss auch ein säkularer Antragsteller tendenziell dem Bild des christlichen absolut Gewaltfreien entsprechen.


Von der Gewissensunterwerfung zur Gewissensprüfung

In der Gewissensprüfung, wie sie in Deutschland und in ähnlich strukturierten Staaten üblich geworden ist, wird wegen Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen anerkannt, wenn festgestellt wird, dass er oder sie(17) aufgrund seiner oder ihrer gewissensbedingten Persönlichkeitsstruktur im Rahmen des Militärdienstes nicht töten kann, ohne schweren seelischen Schaden zu erleiden. Im Vordergrund steht der Zwang der vom Gewissen ausgeht, laut Bundesverfassungsgericht "ein wie immer begründbares, jedenfalls aber real erfahrbares seelisches Phänomen (...), dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen den Menschen unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens sind."(18)

Das Bundesverwaltungsgericht definiert eine Gewissensentscheidung als "eine ernste sittliche Entscheidung, die für den Betroffenen als innerer Zwang verbindlich ist."(19)

Das Gewissen wird also als ein real erfahrbarer und damit letztendlich auch überprüfbarer "Zustand"(20) einer Person begriffen, der sie zu einem bestimmten Handeln zwingt. Ein solcher Gewissensbegriff verneint die freie Willensbildung des Individuums. Der Einzelne ist demnach einem Zwang ausgeliefert, ob er will oder nicht. Er wird als von einer fremden Autorität gesteuert gesehen, die ihm befiehlt, was zu tun ist - ganz offensichtlich ein Ausfluss der religiösen Autoritätsgläubigkeit, die den Menschen dem Willen Gottes unterwirft und ausliefert.

Es geht also keineswegs darum, ob der Einzelne Militärdienst leisten will, sondern darum, ob er Militärdienst leisten kann - letztendlich nichts anderes als eine weitere Variante der Untauglichkeit, zusätzlich zur Untauglichkeit aus medizinischen Gründen.

Nicht anerkannt wird derjenige, der aufgrund rationaler Abwägung seiner und anderer Menschen Interessen und unter Berufung auf seine Rechte als Individuum keinen Kriegsdienst leisten will. Anerkannt wird nur, wer keinen Militärdienst leisten kann, aber nicht, wer zwar könnte, wenn er wollte, aber nicht will.

Leitbild der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist im Grunde nach wie vor der absolut gewaltfreie Christ.

Als der französische Pazifist Louis Lecoin von anarchistischer Seite gefragt wurde, warum er inhaftierte Kriegsdienstverweigerer, die den Zeugen Jehovas angehörten, unterstütze, antwortete er: "Seid versichert, das sind nicht die Kriegsdienstverweigerer, die wir bevorzugen. Ihre Verweigerung ist nicht grundsätzlich genug und kommt im allgemeinen nicht von ihnen selbst, sondern durch das Kommando eines Gottes, dem sie blind ergeben sind. Ich bekenne hier freimütig, dass die Zeugen Jehovas eine besondere Art Deisten sind und dass mir die gesellschaftliche 'Zukunft', die sie für uns bereithalten, weit weniger sympathisch ist als die anderer Glaubensrichtungen. Aber - ob uns das nun gefällt oder nicht - sie sind es, die seit Jahren die Gefängnisse füllen, nachdem sie die Armee und den Krieg abgelehnt haben."(21)

Typisch für den christlichen gewaltfreien Sektenangehörigen, der aus Glaubensgründen den Kriegsdienst verweigert, ist nicht nur die Autoritätsgläubigkeit. Die Selbstverleugnung geht sogar so weit, dass er häufig Gefängnis oder Tod in Kauf nimmt, ohne sich dagegen zu wehren.

Die einzelnen Elemente des Konzepts der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen laden zur Gewissensprüfung ein. Wenn der freie Wille des Individuums schon konzeptionell als irrelevant eingestuft wird, ist es auch konsequent, wenn andere und nicht der oder die Betroffene selbst darüber befinden, ob eine Gewissensentscheidung vorliegt oder nicht.

Wird das Gewissen als feststellbarer Geisteszustand definiert, der zur Untauglichkeit für den Militärdienst führt, liegt nichts näher, als zu überprüfen, ob dieser Zustand vorhanden ist, analog zur Untersuchung der körperlichen Tauglichkeit in der Musterung. Zum Musterungsausschuss gesellt sich dann der Gewissensprüfungsausschuss.

Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen impliziert auch, dass diejenigen, die keine Gewissensgründe nachweisen können oder gar nicht diesen Anspruch erheben, nicht anerkannt werden und auch nicht verdienen, anerkannt zu werden.


Konsequenzen der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen:
Diskriminierung nicht-religiöser Verweigerer und Psychopathologisierung

Das Konzept der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen hat auch zur Folge, dass unter Kriegsdienstverweigerern diskriminiert wird. Nicht-religiöse Kriegsdienstverweigerer werden genötigt, sich als etwas darzustellen, was sie meistens nicht sind.

Das reduziert zunächst ihre Chancen auf Anerkennung in der Gewissensprüfung. Die jahrzehntelange Erfahrung mit der Gewissensprüfung in der Bundesrepublik Deutschland belegt, dass religiös argumentierende Verweigerer wesentlich leichter anerkannt wurden als Verweigerer, die keinen oder nur einen schwachen religiösen Hintergrund vorweisen können. Zur Zeit der mündlichen Gewissensprüfung kam erschwerend hinzu, dass nicht-religiöse Verweigerer mit geringem schauspielerischem Talent und wenig Neigung zur Heuchelei noch schlechter gestellt waren.

Es gab zwar Grundsatzurteile zugunsten politischer und rationaler Gründe, doch das interessierte die Gewissensprüfungsgremien wenig. Wer politisch oder rational argumentierte, wurde häufig in erster und zweiter Instanz von den Prüfungsgremien der Bundeswehr abgelehnt und erst von der dritten Instanz, dem Verwaltungsgericht, anerkannt. Eine Broschüre der DFG-VK von 1985 trug den bezeichnenden Titel "Politisch begründet und doch anerkannt". Angesichts der Rechtssprechung von 1985, die von Verweigerern sowohl in einer Kriegssituation als auch in einer zivilen Notwehrsituation gleichermaßen absolute Gewaltfreiheit verlangte, ohne den Antragstellern zuzugestehen, zwischen diesen unterschiedlichen Situationen zu differenzieren, wurde von "Psychopathologisierung"(22) gesprochen.

Unabhängig davon, wie eng oder weit die anerkennenswerten Gewissensgründe gefasst werden oder wie liberal die Gewissensprüfung gehandhabt wird, wird der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen genötigt zu behaupten, dass er nicht anders handeln könne. Er muss sich als Mensch darstellen, der aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur in seinen Handlungsmöglichkeiten festgelegt ist. Er darf sich nicht aus freiem Willen gegen Militärdienst entscheiden. Er muss sich als zwanghaft Handelnder darstellen, der aufgrund seiner Gewissensbehinderung untauglich fürs Militär ist.


Unglaubwürdigkeit und Probe aufs Gewissen

Ein rational denkender Mensch, der damit konfrontiert wird, für den Krieg zwangsrekrutiert zu werden oder zumindest in einer Kaserne gefangen gehalten zu werden, denkt in erster Linie an sein eigenes Leben, seine eigene körperliche Unversehrtheit und seine eigene Freiheit. Erst in zweiter Linie denkt er an diejenigen, die er möglicherweise auf Befehl ermorden oder verletzen soll.

Bei der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissengründen wird den Betroffenen zugemutet, einen Altruismus zu vertreten, der so weitgehend und selbstverleugnend ist, dass ihn nur äußerst wenige Menschen wie radikal gewaltfreie christliche Sektierer oder Mönche glaubwürdig vertreten können, die ihre eigene Persönlichkeit zugunsten der vermeintlichen Gebote ihres Gottes zurückstellen. Alle anderen Menschen wirken dadurch zwangsläufig mehr oder weniger unglaubwürdig.

Das gilt nicht nur für die staatliche Gewissensprüfung, sondern auch für die Kriegsdienstverweigerungsbewegung selbst. Sie proklamiert das "Recht, das Töten zu verweigern".(23)

Doch wer wagt es schon, das Recht, nicht getötet zu werden, zu fordern? Jeder Mensch mit Selbsterhaltungsinteresse muss zwangsläufig daran denken. Doch die allseits betonten Gewissensgründe erzwingen eine gekünstelte altruistische Heuchelei. Damit soll nicht gesagt werden, dass es unglaubwürdig ist, wenn Kriegsdienstverweigerer erklären, dass sie andere Menschen nicht töten wollen. Das ist sogar äußerst glaubwürdig. Denn zur Mordbereitschaft auf Befehl müssen Menschen erst durch den militärischen Drill erzogen werden. Doch wer so tut, als ob sein eigenes Lebens- und Überlebensinteresse unwichtig und nicht erwähnenswert sei, und kein Wort darüber verliert, muss unglaubwürdig wirken, falls er nicht zur verschwindend kleinen Minderheit gehört, die wirklich so denkt.

Bezüglich des Altruismus im Sinn der Aufopferung für ein Kollektiv oder eine Ideologie muss allerdings angemerkt werden, dass die meisten Altruisten und Altruistinnen sich altruistisch verhalten, weil es ihren Idealen entspricht, weil es ihrem Gewissen wohl tut, weil sie sich dabei wohlfühlen, weil ihr Sozialprestige steigt oder weil sie sich, wenn sie an entsprechende Religionen glauben, einen besonders vorteilhaften Platz im Leben nach dem Tod oder eine Wiedergeburt in besseren Umständen erarbeiten wollen. Letztendlich steckt hinter diesen Altruismen eben doch wieder ein Egoismus, sei es ein bewusster, sei es das Phänomen, das Stirner den "unfreiwilligen Egoisten"(24) nennt, der glaubt, sich für Höheres aufzuopfern, aber es letztendlich doch für sich selbst tut.

Auch wenn davon ausgegangen wird, dass es feststellbare Gewissensgründe gibt, bleibt das Problem, wie diese festgestellt werden sollen. Es kann nicht zweifelsfrei festgestellt werden, was ein Mensch wirklich denkt.

Wer aus Gewissensgründen den Kriegsdienst verweigert, sieht sich dem Verdacht ausgesetzt, doch nur "gewisse Gründe" zu haben, wie man in den 1970er Jahren oft zu hören bekam. Wenn Menschen massenhaft zur offenkundigen Heuchelei gezwungen werden, weil nur wenige Gründe als Gewissensgründe anerkannt werden, ist ein solcher Verdacht sogar unvermeidlich. Allein schon die oft mit sadistischer Menschenverachtung betriebene mündliche Gewissensprüfung veranlasste etliche ihrer Opfer, über die Grenzen der Gewaltfreiheit nachzudenken. Allerdings sind aus den schlimmsten Zeiten der Gewissensinquisition in der Bundesrepublik Deutschland nur Selbstmorde von nicht anerkannten Kriegsdienstverweigerern bekannt,(25) keine Gewaltakte mit Todesfolge gegen die Gewissensprüfer und Gewissensprüferinnen.

Aufgrund der jeder Gewissensprüfung inhärenten Zweifel wurden und werden weitere Beweise für die Ernsthaftigkeit der Gewissensentscheidung gefordert. Auch hier wirkt das Beispiel der christlichen Sektierer mit ihrer Bereitschaft zum Leiden und zum Märtyrertum nach. Man erwartet häufig vom Kriegsdienstverweigerer, dass er bereitwillig leidet und Nachteile auf sich nimmt. Er soll nicht einfach ohne jegliche Repression sein Leben und seine Freiheit genießen. Nein, er soll einen Ersatzdienst leisten. Da seine Gewissensentscheidung angezweifelt wird, liegt die Forderung nahe, dass der Ersatzdienst länger oder deutlich unbequemer sein soll als der Militärdienst. So hat z.B. das Bundesamt für Zivildienst einmal die Einrichtung einer Zivildienststelle abgelehnt, weil sie den Dienstleistenden nicht ausreichend "psychisch und physisch" belaste, um die "Probe auf die Echtheit der Gewissensentscheidung"(26) gewährleisten zu können. Würde Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht betrachtet, wäre es abwegig, Menschen für seine Inanspruchnahme zu bestrafen. Wird sie lediglich als Recht aufgrund einer Gewissensentscheidung gesehen, öffnet dies den Weg für Gewissensprüfungen und Repressionen aller Art.


Machterhalt der Kirchen

Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, wie sie in Deutschland praktiziert wird, diskriminiert nicht nur nicht-religiöse Verweigerer, sie trägt auch zum Machterhalt der Kirchen bei. Am deutlichsten profitieren die Kirchen von der billigen Arbeitskraft der Zivildienstleistenden, so dass sie schon aus eigenem ökonomischem Interesse den für sie so lukrativen Kriegsdienstzwang befürworten. Allein dadurch, dass dem Recht auf Kriegsdienstverweigerung das religiös geprägte Konzept des Gewissens zugrunde gelegt wird, erhalten die Kirchen enorme diskursive Macht. Ihnen wird automatisch sachliche Kompetenz zugesprochen, was ihren Einfluss steigert. Die Kirchen engagieren sich seit Jahrzehnten in der Kriegsdienstverweigerungsberatung, allerdings bisher meist mit dem Ziel, die Verweigerer in den Zivildienst und damit in den meisten Fällen in den Dienst der Kirche zu bringen.(27) Geistliche und damit die Kirchen gewannen und gewinnen durch ihre Hilfe für Kriegsdienstverweigerer als Berater und als Beistände im Anerkennungsverfahren Anerkennung.

Realistisch betrachtet helfen in diesem Fall die Kirchen bei Problemen, die sie selbst mitverursacht haben, indem sie den Kriegsdienstzwang befürworten und das Konzept der Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen propagieren, das es auch säkularen Verweigerern ratsam erscheinen lässt, die Hilfe eines Pfarrers in Anspruch zu nehmen, weil solche bei Gewissensprüfungsgremien besser angesehen sind als Beistände aus pazifistischen Organisationen. Es gäbe keine Notwendigkeit für kirchliche Kriegsdienstverweigerungsberatung ohne den kirchlich befürworteten Kriegsdienstzwang und ohne Bindung des Rechts auf Verweigerung an Gewissensgründe und die daraus resultierende Privilegierung von religiösen Gründen.

Manche säkulare Verweigerer dürften es auch als Affront empfinden, dass ausgerechnet die sich als Experten für Kriegsdienstverweigerung aufspielenden Geistlichen selbst von der Kriegsdienstleistung befreit sind, dass sie aber von den gewöhnlichen Gläubigen erwarten, dass sie sich dem Dienstzwang unterwerfen, ob militärisch oder zivil.

Erst seit wenigen Jahren weisen auch Berater mit kirchlichem Hintergrund Dienstpflichtige deutlich auf die Möglichkeit hin, sich den Zeitpunkt für den Antrag auf Kriegsdienstverweigerung gut zu überlegen, um durch taktisch geschicktes Verhalten bestimmte Lebensziele zu erreichen, z.B. eine Zurückstellung wegen Ausbildung oder Studiums oder sogar keinerlei Ableistung von Bundeswehr- oder Zivildienst.

Von der katholischen Zivildienstseelsorge des Erzbischöflichen Ordinariats München kam allerdings prompt der Vorwurf, dass die Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer mit solchen Hinweisen "zum Lügen und Täuschen" aufrufe. Das von der Zentralstelle empfohlene Verhalten schädige "das Ansehen aller ehrlichen Kriegsdienstverweigerer".(28) Schutz vor staatlicher Rekrutierung für Bundeswehr und Zivildienst gilt also katholischerseits als Lügen und Täuschen; wer eigene Lebensziele verwirklicht, statt zum Nutzen der Kirche für einen geringen Sold und weitgehend rechtlos im Zivildienst zu arbeiten, wird als unehrlicher Kriegsdienstverweigerer diffamiert.


Gewissen und situationsbedingte oder selektive Kriegsdienstverweigerung

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen wird zur Zeit überwiegend mit der prinzipiellen Ablehnung von Krieg verbunden. Eine Alternative ist die selektive oder situationsbedingte Kriegsdienstverweigerung. Diese würde bedeuten, dass nicht der Krieg an sich, sondern der Militärdienst z.B. für einen bestimmten Staat, mit bestimmten Mitteln, für eine bestimmte Ideologie oder für einen bestimmten Zweck als verwerflich eingestuft und verweigert wird.

Seit den 1980er Jahren haben verschiedene nicht-pazifistische oder nicht notwendigerweise pazifistische Verweigerer Aufmerksamkeit erregt und auch in der Friedensbewegung Wertschätzung erfahren. Südafrikaner und Namibier haben in den 1980er Jahren speziell den Kriegsdienst für das Apartheid-Regime verweigert, ohne Militär und Krieg generell abzulehnen.(29) Im zerfallenden Jugoslawien in den 1990er Jahren desertierten Zehntausende,(30) die durchaus bereit gewesen wären, Jugoslawien gegen äußere Angriffe zu verteidigen, aber nicht Menschen im eigenen Land massakrieren oder vertreiben wollten, nur weil sie einer anderen ethnischen Gruppe angehören. Seit Jahren verweigern Israelis gezielt den Dienst in den besetzten palästinensischen Gebieten, weil sie zwar Israel verteidigen, aber nicht die palästinensische Bevölkerung unterdrücken wollen.(31) All diese Verweigerer hätten in einer bundesdeutschen staatlichen Gewissensprüfung keine Chance auf Anerkennung.

Ein Grund ist das historische Leitbild der grundsätzlich gewaltfreien christlichen Sektierer, deren prinzipielle Ablehnung aller Kriege als Maßstab für die Ausgestaltung der Kriegsdienstverweigerungsgesetze genommen wurde. Eine Ausweitung der akzeptablen Verweigerungsgründe ist im Rahmen des Konzepts der Verweigerung aus Gewissensgründen denkbar, aber es ist unwahrscheinlich, dass sich die Staaten darauf einlassen.

Die Gestaltung der gegenwärtigen Kriegsdienstverweigerungsgesetze in Westeuropa hat nicht allein historische Gründe, sondern folgt der Logik und dem Interesse von Militär und Staat.

Verweigern darf nur, wer nicht töten kann, also charakterlich für den Militärdienst auf jeden Fall untauglich ist, aber nicht der, der zwar könnte, wenn er wollte, aber nicht will. Das Militär hat mehr als zwei Jahrtausende lang Methoden entwickelt, um den Willen der zweiten genannten Kategorie von Menschen zu brechen und sie gegen ihre Überzeugung und gegen ihren Willen zum Militärdienst zu zwingen.

Soldaten sollen Befehlen gehorchen, sie nicht in Frage stellen. Die Möglichkeit der selektiven Verweigerung würde jedoch die Zuverlässigkeit der Militärmaschinerie gefährden. Ständig wäre damit zu rechnen, dass Soldaten einzelne Einsätze in Frage stellen. Ein Verweigerer, bei dem feststeht, dass er für keinerlei Militärdienst zu gebrauchen ist, verschafft dem Militär mehr Planungssicherheit als Soldaten, die sich aussuchen dürfen, für welchen Zweck und gegen welchen Gegner sie in den Krieg ziehen.

Gerade angesichts der Bereitschaft westlicher Staaten, das Völkerrecht wie im Kosovo-Krieg immer öfter zu missachten, liegt es nahe, ein Recht auf Verweigerung völkerrechtswidriger Einsätze zu fordern. Doch schon jetzt sind in den meisten Staaten Soldaten an Völkerrecht und Kriegsvölkerrecht gebunden. Ein Staat, der illegal Krieg führt, wird dies selbst kaum zugeben oder wie im Präzedenzfall des Kosovo-Kriegs erklären, dass aufgrund anderer höherwertiger Güter jenseits der internationalen Legalität gehandelt werden müsse. Deshalb ist es wahrscheinlicher, dass situationsbedingte Kriegsdienstverweigerung von außen anerkannt wird. Beispiele sind die Empfehlungen der UN, denjenigen Aufnahme zu gewähren, die sich den Apartheid-Streitkräften verweigerten, die Resolutionen des Europäischen Parlaments zugunsten von Verweigerern und Deserteuren aus den jugoslawischen Auflösungskriegen sowie die den postjugoslawischen Staaten auferlegten Amnestien für Deserteure.

Denkbar ist die Anerkennung situationsbedingter Verweigerung am ehesten im Nachhinein bei veränderten politischen Kräfteverhältnissen oder im Asylrecht. Bezüglich des Rechts auf Zwangsrekrutierung sind die Regierungen untereinander solidarisch, aber in bestimmten Situationen können sie aus politischen und humanitären Erwägungen für bestimmte Verweigerer eine Ausnahme machen.

Die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen ist konzeptionell durchaus mit situationsbedingter Verweigerung kompatibel. Es ist jedoch das Interesse an der Funktionsfähigkeit des Militärs, das der staatlichen Anerkennung situationsspezifischer Verweigerung entgegensteht. Im Unterschied zur Verweigerung aus Gewissensgründen würde ein Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung automatisch auch die selektive Verweigerung einschließen.


Alternative Gewissensprüfung in der Friedensbewegung

Das Konzept der Verweigerung aus Gewissensgründen macht notwendigerweise das Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu einem Ausnahmerecht, nicht zu einem Menschenrecht für alle. Daraus ergibt sich auch die Schlussfolgerung, dass nicht alle ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung haben sollen.

Diese Auffassung ist in Deutschland nicht nur gesamtgesellschaftlich tief verankert, sondern auch in der Friedensbewegung. Selbst ein geachteter und bekannter Pazifist und Friedensforscher, der selbst noch mit der mündlichen Gewissensinquisition konfrontiert war und für gewaltfreie Aktionen gegen Atomwaffen schon Gefängnisstrafen auf sich genommen hat, kann bezüglich der 1960er Jahre zum Urteil kommen: "Damals musste sich jeder Verweigerer einer hochnotpeinlichen Gewissensprüfung vor einem Ausschuss unterziehen. Viele wurden abgelehnt, einige sicherlich zu Recht, andere aber, weil sie auf die Fangfragen der Kommissionsmitglieder nicht die richtige Antwort zu geben wussten."(32)

Dass es Kriegsdienstverweigerer gibt, die zu Recht abgelehnt werden, ist nach wie vor selbst in der Friedensbewegung eine weit verbreitete Auffassung, die aber selten, wie im vorliegenden Fall, zu Papier gebracht wird.

Gewöhnlich wird in der Friedensbewegung wenig über Kriegsdienstverweigerung nachgedacht und debattiert. Eine bedeutende Ausnahme war die Diskussion um den Ost-Berliner Verweigerer Niko Hübner.(33) Er verweigerte 1978 den Dienst in der Nationalen Volksarmee. Allerdings berief er sich nicht auf Gewissensgründe, sondern auf den, was deutsches Militär betraf, entmilitarisierten Status von ganz Berlin. Dieser Status wurde in den West-Sektoren weitgehend respektiert, auch wenn die Bundeswehr mit allerlei Tricks immer wieder versuchte, nach West-Berlin geflüchtete Westdeutsche zum Kriegsdienst zu zwingen.(34) Einwohner des Sowjetsektors wurden jedoch für den Dienst in der NVA zwangsrekrutiert. Niko Hübner wurde infolge seiner Verweigerung zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

In der Friedensbewegung Westdeutschlands und West-Berlins kam es zu einer heftigen Debatte. Die damals innerhalb der Friedensbewegung mächtige DKP und ihre Verbündeten bestritten vehement, dass Niko Hübner ein Kriegsdienstverweigerer sei, andere unterstützten ihn in der Annahme, dass er Pazifist sei. Als er nach mehreren Monaten Haft in den Westen entlassen wurde, erklärte Hübner, dass er kein Pazifist sei und durchaus bereit sei, in der Bundeswehr seinen Dienst zu leisten. Er war allerdings klug genug, sich in West-Berlin außerhalb der Reichweite der Bundeswehr niederzulassen. Zum Leidwesen seiner pazifistischen Unterstützer nahm er einen mit 10.000 Mark dotierten Preis aus den Händen von Franz-Josef Strauß entgegen.

In der heftigen Debatte zeigte sich, wie sehr das Prinzip, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung von der Gesinnung abhängig zu machen, verinnerlicht worden war und für politische Interessen, in diesem Fall vor allem das Bestreben des DKP-Spektrums, die DDR zu verteidigen, instrumentalisiert werden konnte. Ein Großteil der Debatte entspann sich um die Frage, ob Hübner Pazifist sei oder nicht und ob er deswegen als Kriegsdienstverweigerer anzusehen sei oder nicht. Nur wenige Stimmen wollten ihn unabhängig von seiner Gesinnung als Kriegsdienstverweigerer wahrnehmen.

Die DFG-VK Marburg schrieb: "Unsere Solidarität ist unteilbar und gilt allen, die sich jeder kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Staaten widersetzen, ohne dass wir der staatlichen Gewissensprüfung unsere eigene vorschalten. Wir wollen uns lieber in der Frage des Menschenrechtes Kriegsdienstverweigerung zweimal zu oft zu Wort gemeldet haben, als einmal zu wenig."(35)

Auch hier wird die Solidarität eingeschränkt, indem vom Verweigerer erwartet wird, dass er jeden Krieg ablehnt, und nicht in erster Linie gewürdigt wird, dass er den Kriegsdienst, der von ihm verlangt wird, verweigert. Aber immerhin wird der Gewissensprüfung eine Absage erteilt.

Wer das Recht auf Kriegsdienstverweigerung an Gewissen und Gesinnung bindet, muss zwangsläufig eine Gewissens- oder Gesinnungsprüfung vornehmen und selektieren, wer das Recht in Anspruch nehmen darf und wer nicht. Wer hingegen das Recht auf Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht für alle ansieht, gesteht jedem Individuum das Recht auf Verweigerung des Kriegsdienstes zu. In diesem Fall erübrigt sich eine Gesinnungsprüfung, weil man sich ohnehin nicht zwangsläufig die Motivation des Betreffenden zu eigen machen will und auch nicht mit ihm zusammenarbeiten muss.

Die politische Überzeugung des Betroffenen spielt erst dann eine Rolle für diejenigen, die das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung vertreten, wenn sie sich überlegen, ob und mit wie viel Energie sie den Verweigerer unterstützen wollen. Aber das ist dann eine von Umständen und Kapazitäten abhängige rein politische Entscheidung, kein Urteil darüber, ob der Betreffende das Recht hat, als Kriegsdienstverweigerer zu gelten oder nicht.

Für pazifistische Organisationen stellt sich häufig die Frage, inwieweit sie Verweigerer mit nicht-pazifistischer Ideologie unterstützen wollen und können, wie z.B. die schon genannten Zeugen Jehovas, die auch heute in Ländern wie Südkorea oder Griechenland zu Tausenden inhaftiert werden,(36) oder Ringo Ehlers, der den Dienst in der Bundeswehr verweigerte, weil er sich auch nach dem Untergang der DDR noch als deren Bürger und die Bundeswehr als Besatzerarmee sah,(37) oder die britischen muslimischen Soldaten, die angesichts des Irak-Kriegs verweigern, weil sie keine anderen Muslime töten wollen, aber offenbar keine Probleme mit der Tötung von Nicht-Muslimen haben."(38)

Wer im Rahmen eines Rechts aus Gewissensgründen denkt, wird in solchen Fällen das Recht auf Kriegsdienstverweigerung von einer Gesinnungsbewertung abhängig machen. Wer in der Kategorie des Menschenrechts auf Kriegsdienstverweigerung denkt, wird ihnen das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nicht absprechen, auch wenn er ihre Motivation nicht teilt, aber die Frage der politischen Zusammenarbeit davon trennen.

Am Rande der Debatte um Hübner wurde auch deutlich, dass mit dem Bekenntnis zur Gewissens- und Gesinnungsprüfung und der Übernahme der herrschenden Meinung auch die unkritische Akzeptanz anderer Elemente des Kriegsdienstzwangs einhergehen kann.

Ein anderer Leserbriefschreiber äußerte: "Das Pendant zu Hübners juristisch-politischen Spitzfindigkeiten wäre in der BRD etwa der Fall eines Menschen, der den Kriegsdienst mit der Begründung verweigert, dass die Frauen keinen Wehrdienst zu leisten bräuchten, obgleich Männer und Frauen doch vor dem Gesetz gleich seien."(39)

Die traditionelle Geschlechterrollenzuweisung, die vorsieht, dass Männer in Kasernen eingesperrt werden und auf Schlachtfeldern gegebenenfalls sogar millionenfach abgeschlachtet werden (zuletzt in dieser Dimension im irakisch-iranischen Krieg geschehen) wird in diesem Fall selbst von einem Friedensbewegten nicht hinterfragt.

Wie sehr die staatliche Zwangsrekrutierung als selbstverständlich und legitim angesehen wird, zeigt ein weiterer, prominent platzierter Leserbrief mit dem Titel "Warum ich gegen die Propagierung der Totalverweigerung bin".(40) Darin heißt es: "Der Totalverweigerer verzettelt sich in einem selbstprovozierten Kampf gegen die Staatsgewalt, statt direkt gegen das Wettrüsten zu arbeiten."(41) Stattdessen empfiehlt der Leserbriefschreiber aus München, den Zivildienst als Forum für Friedensarbeit zu nutzen und spricht sich dafür aus, Menschen, die ihre Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft ignorieren, zu einem sozialen Dienst zu zwingen.

Bemerkenswert sind gleich drei Dinge: Erstens wird der Konflikt des Totalverweigerers mit dem Staat als "selbstprovoziert" bezeichnet, obwohl es doch der Staat ist, der zwangsrekrutieren will und nicht umgekehrt. Der staatliche Zwangsrekrutierungsanspruch ist von diesem friedensbewegten Leserbriefschreiber zutiefst verinnerlicht worden. Das Opfer wird sogar zum Täter erklärt. Zweitens soll der Verweigerer einerseits direkt gegen das Wettrüsten arbeiten, seine eigene persönliche aktive Einbindung ins Wettrüsten aber ignorieren. Drittens fällt der Leserbriefschreiber mit seiner Forderung nach einem Zwangssozialdienst sogar hinter den Stand zurück, der mit der oben zitierten Europäischen Menschenrechtskonvention erreicht worden ist.

Die zitierten Äußerungen zur Akzeptanz von Gewissensprüfung sowie staatlicher Zwangsrekrutierung für militärische und zivile Dienste sind keineswegs Außenseitermeinungen. Zumindest bis vor kurzem noch repräsentierten sie die Mehrheitsmeinung in der Friedensbewegung.

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Kriegsdienstverweigerung zumindest in der deutschen Friedensbewegung weder als Menschenrecht noch als politische Strategie begriffen wird. In breiteren Bündnissen, in Ostermarschaufrufen und dergleichen spielt das Thema Kriegsdienstverweigerung in der Regel keine Rolle.(42) Kriegsdienstverweigerung wird gerne ignoriert oder als unpolitisches Individualproblem abgetan oder von denjenigen, die ideologisch zwangsrekrutierenden Regierungen und politischen Bewegungen verhaftet sind, aktiv bekämpft.

Die Einschätzung der Kriegsdienstverweigerung als unpolitisch ist allerdings nachvollziehbar, wenn Kriegsdienstverweigerung nur als von staatlicher und militärischer Gnade abhängiges Ausnahmerecht verstanden und propagiert wird und auch in der Friedensbewegung und selbst von den betroffenen Militärdienstverweigerern nicht weiter darüber nachgedacht wird.


Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen im Widerspruch zur Zielsetzung des Pazifismus

Eine Bewegung, die Krieg und Militär beseitigen will, muss dem Militär die personelle Basis entziehen. Sie kann nicht wollen, dass auch nur ein einziger Mensch Soldat oder Soldatin wird und dass auch nur ein einziger Mensch ins Militär gezwungen wird. Von daher kann es nicht genügen, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nur für Menschen mit einer bestimmten Gesinnung und Persönlichkeitsstruktur zu fordern, die diese Gesinnung auch noch nachweisen und einen Militärersatzdienst leisten müssen, während der Rest der Dienstpflichtigen zum Militär gezwungen wird. Ein dermaßen beschränktes Verweigerungsrecht kann langfristig nicht viel mehr als eine humanitäre Erleichterung für die Betroffenen sein, denen - im Fall der Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen - Gefängnis oder Schlimmeres erspart bleibt. Das ist an sich durchaus ein lohnendes Ziel. Aber es wird keine Entmilitarisierung oder entscheidende Behinderung der Kriegsführungsfähigkeit zur Folge haben.

Die westeuropäischen Staaten haben bewiesen, dass die Dienstverweigerung als Ausnahmerecht für Staat und Militär sehr gut verkraftbar ist. Genau darauf berief sich im November 2006 der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen. In einer Entscheidung zur Militärdienstverweigerung zweier Zeugen Jehovas wurde der südkoreanische Staat belehrt, dass es im Prinzip möglich und bereits übliche Praxis sei, Alternativen zum Militärdienstzwang zu entwickeln, die das Prinzip der allgemeinen Kriegsdienstpflicht nicht untergraben.(43)

Pazifismus, so wie er seit vielen Jahrzehnten verstanden wird, ist nicht nur eine Bewegung gegen zwischenstaatlichen Krieg, sondern gegen Gewalt schlechthin. Die Verletzung von Menschenrechten, nicht-kriegerische physische und strukturelle Gewalt und Repression müssten aus pazifistischer Sicht ebenso abgelehnt werden wie Krieg. Oben wurde ausgeführt, dass die Beschränkung des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen zu Gewissensprüfungen, Zwangsdienst für anerkannte Verweigerer, staatlicher Repression in Form von Militärdienstzwang oder Haft für nicht anerkannte Verweigerer sowie Diskriminierung nicht-religiöser Verweigerer führt, um nur die menschenrechtlich relevantesten zu nennen. Wer für Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen plädiert, nimmt zwangsläufig diese Menschenrechtsverletzungen in Kauf Sie ergeben sich nicht nur aus dem Interesse von Staat und Militär, die Kriegsdienstverweigerung zu unterbinden oder zu erschweren, sondern sind, wie oben erläutert wurde, logische Folge der zugrunde liegenden Konzeption.

Wenn es darum geht, für Kriegsdienstverweigerer in Staaten, in denen es keinerlei Recht auf Militärdienstverweigerung gibt, relativ schnell etwas zu erreichen, ist es ratsam, das Recht auf Kriegsdienstverweigerung von der Gewissensfreiheit abzuleiten, weil nur diese Begründung bisher von internationalen Organisationen aufgegriffen worden ist, während das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung nirgendwo als solches kodifiziert ist. Es könnte aber leicht aus anderen bereits akzeptierten Menschenrechten abgeleitet werden, wenn man wollte. Allerdings ist auf Basis der Gewissensfreiheit nur ein eingeschränktes Recht auf Kriegsdienstverweigerung erreichbar. Repressionen wie Gewissensprüfung, Ersatzdienste und weitere Strafen sind vorprogrammiert.

Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen muss notwendigerweise ein Ausnahmerecht für Menschen mit einer bestimmten Motivation oder einem bestimmten Persönlichkeitsbild bleiben. Damit wird garantiert, dass es immer Menschen geben wird, die mangels nachweisbarer Gewissensentscheidung und in Ermangelung der erwünschten Persönlichkeitsmerkmale zum Militär gezwungen werden können. Eine solche Personalbestandsgarantie fürs Militär kann aus pazifistischer Perspektive nicht erstrebenswert sein. Wer die Abschaffung von Krieg und Militär als Ziel hat, kann nicht wollen, dass auch nur eine einzige Person, egal wie gewissensmotiviert oder gewissenlos sie ist, Militärdienst leistet.

Wer Krieg und Militär ablehnt, müsste sich konsequent für das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung einsetzen, das allen Menschen unabhängig von Gesinnung und Motivation und ohne jede Bestrafung zusteht. Das allein wird nicht den Weltfrieden bringen, ist aber eine unabdingbare Voraussetzung.


Anmerkungen

1) Beide Menschenrechtsabkommen sind abgedruckt in: Menschenrechte. Dokumente und Deklarationen. Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn 38 1995

2) Menschenrechte. In: Brockhaus Enzyklopädie in vierundzwanzig Bänden. 19. Auflage. Band XIV. Mannheim 1991, S. 466-469, hier S. 466

3) Oberascher, Claudia: Ein Menschenrecht auf dem Prüfstand. In: ai-Journal. Das Magazin für Menschenrechte Nr. 5, (Mai) 1997 S. 6-9, S. 7

4) Wenn ich aufgrund meiner Analyse folgere, dass die Position von amnesty international zur Kriegsdienstverweigerung in mehrfacher Hinsicht widersprüchlich ist, beinhaltet dies keineswegs eine Missachtung der beachtlichen und wertvollen Arbeit von ai für Menschenrechte, von der der Autor dieser Zeilen auch schon selbst direkt profitiert hat. Auch wenn das von ai vertretene Konzept der Kriegsdienstverweigerung kein Menschenrecht, sondern nur ein Ausnahmerecht auf Kriegsdienstverweigerung beinhaltet, ist es doch für Millionen von Menschen, die vom Kriegsdienstzwang betroffen sind, eine wertvolle Hilfe.

5) Verinnerlicht ist auch die militärlegitimierende Sprache. Amnesty international spricht in der deutschen Fassung des Textes von "Wehrdienstverweigerer". In Bezug auf das zwischenstaatliche Verhältnis suggeriert Wehrdienst, dass die Kriegsdienstleistung der Verteidigung diene. Allerdings haben so genannte Wehrdienstleistende schon viele Angriffskriege geführt. Das gilt vor allem für Deutschland. Im Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Staat ist der Begriff ebenfalls abwegig. Wehrdienst leisten gerade diejenigen, die sich am wenigsten gegen die Zwangsrekrutierung zum Militär zur Wehr setzen. Das Wort "Wehrdienst" wird allerdings auch in der Friedensbewegung und in Organisationen, die sich schwerpunktmäßig mit Kriegsdienstverweigerung beschäftigen, häufig - nach meiner Wahrnehmung, der allerdings leider keine statistische Untersuchung zugrundeliegt, sogar häufiger als in den 1980er Jahren - verwendet, obwohl sie das größte Interesse haben sollten, diesen für sie politisch so unvorteilhaften Begriff zu meiden und zu kritisieren.

6) Meinungsfreiheit in Gefahr. Für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung in Europa. amnesty international. Sektion der Bundesrepublik Deutschland. Bonn 1997, S. 12. Nichts deutet daraufhin, dass amnesty international seit 1997 seine Grundsatzposition zur Kriegsdienstverweigerung revidiert hat.

7) Siehe Anm. 3

8) Vgl. http.//www2.amnesty.de (31.12.2006). Siehe dort unter "Themen" und "Kampagnen".

9) Zur generellen, nicht auf Kriegsdienstverweigerung bezogenen, verdeckten Einflussnahme der britischen Regierung auf amnesty international in seinen Anfangsjahren: Kirsten Sellars: Human Rights and the Colonies: Deceit, Deception and Discovery. In: The Round Table Nr. 377 93 (Oktober 2004) S. 709-724

10) "Macht, irgendeinen Menschen zu pressen und zu zwingen, in Kriegen zu dienen, wobei es nichts gibt, was der Freiheit mehr entgegengesetzt ist". Petition vom 11.09.1648, in: Leveller Manifestoes of the Puritan Revolution. (Don M. Wolfe [Hrsg.]) New York u.a. 1944, S. 287, und in: Freedom in Arms. A Selection of Leveller Writings. (A. L. Morton [Hrsg.]) Ost-Berlin 1975, S. 190

11) "XI. We doe not impower them to impresse or constraint any person to serve in war by Sea or Land every mans Concience being to be satisfied in the justness of that cause wherein he hazards his own life, or may destroy an others." Freedom in Arms, S. 271 f.; zu den Levellers: Gernot Lennert: Die Diggers. Grafenau 1987, S. 17-23, 4127f

12) Zu den verschiedenen Modellen der Zwangsrekrutierung: Gernot Lennert: Rekrutierung im Krieg im Spannungsverhältnis staatlichen Anspruchs und individueller Selbstbestimmung. In: Kriegsdienstverweigerung und Asyl in Europa. (hrsg. von Connection e.V., Niedersächsischer Flüchtlingsrat e.V., Förderverein Pro Asyl e.V. u.a.) Offenbach 1998, S. 4-7; auch als: Recruitment in times of war. A conflict of interest between the demands of the state and individual self-determination. In: Conscientious Objection and Asylum in Europe. (hrsg. von Connection e.V., Niedersächsischer Flüchtlingsrat e.V., Förderverein Pro Asyl e.V. u.a.) Offenbach 1998 S. 4-7

13) Vgl. Gernot Lennert: Kriegsdienstverweigerung in der EU und in den Beitrittsländern. In: Wissenschaft und Frieden 23, Marburg 2004. S. 43-46

14) In einer Zeit, in der eine verschleiernde Sprache als normal und sachlich gilt, in der Kriegsminister sich in Verteidigungsminister umbenannt haben und sich beleidigt fühlen, wenn sie Kriegsminister genannt werden, obwohl dies nach wie vor ihr Arbeitsgebiet ist, vor allem wenn man bedenkt, dass sie als Fachminister für alle Kriege, nicht nur für Verteidigungskriege fungieren, kann es allerdings vorkommen, dass eine sachlich richtige Bezeichnung nicht als neutral, sondern als polemisch empfunden wird. Eine parallele Entwicklung ist in jüngster Zeit unter Muslimen festzustellen: Wird die historisch erwiesene Tatsache erwähnt, dass der Islam mit militärischer Gewalt verbreitet worden ist, reagiert man empört und beleidigt, obwohl die erfolg- und siegreichen Eroberer nach wie vor höchste Heldenverehrung genießen.

15) Zur Geschichte der Kriegsdienstverweigerung: Guido Grünewald: Geschichte der Kriegsdienstverweigerung. DFG-VK Extra Nr. 4. Essen 1979; Devi Prasad: War is a Crime against Humanity. The Story of War Resisters' International. WRI, London 2005; Wolfgang Zucht: Widerstand bis zum Äußersten leisten ... In: Widerstand gegen die Wehrpflicht. Texte und Materialien. Weber, Zucht & Co./Zündhölzchen, Kassel/Korntal 1982, S. 7-16. Es geht hier nur um kriegerische Gewalt. Potenzielle physische oder strukturelle Gewalt im Verhalten Kriegsdienst verweigernder christlicher Sektierer gegenüber ihren Familien oder innerhalb der Sektenstrukturen ist hier nicht das Thema.

16) vgl. War Resisters' International: The Right to Refuse to Bear Arms. http.//www.wriirg.org/co/rtba/romania.htm, Überarbeitung von 2005, gelesen 31.12.2006.

17) Neuerdings stellt sich das Problem der Gewissensprüfung auch für Frauen, wenn sie wie in Israel zwangsrekrutiert werden oder wenn sie als Berufssoldatinnen, deren Zahl in westlichen Ländern seit einigen Jahren steigt, während ihrer Militärdienstzeit nachträglich verweigern. Wegen der im weltweiten Maßstab sehr geringen Fallzahl von gewissenprüfungsbetroffenen Frauen verwende ich hier ins Interesse einer besseren Lesbarkeit nur die männliche grammatikalische Form.

18) Entscheidung vom 20.12.1960, zitiert nach Schwamborn, Winfried: Handbuch für Kriegdienstverweigerer. Pahl-Rugenstein, Köln 91983, S. 39, vgl. auch http://archiv.tuchemnitz.de/pub/ 1997/0035/k3.html, http.//lexetius.com/2005,1829 (25.01.2007)

19) Zitiert nach Schwamborn: Handbuch, S. 39. Ähnlich auch in der Entscheidung des 2. Wehrdienstsenats vom 21.06.2005: "Eine Gewissensentscheidung ist jede ernste sittliche, d.h. an den Kategorien von 'Gut' und 'Böse' orientierte Entscheidung, die der Einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt innerlich verpflichtend erfährt, so dass er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte." BVerwG 2 WD 12.04 TDG N 1 VL 24/03 http.//www.bverwg.de (25.01.2007) (auszugsweise veröffentlicht in Forum Pazifismus 07)

20) Kari Palmen: Refusal of military service as a political act and its significance for the individual. In: Youth and Conscription (Kimmo Kiljunen/Jouko Väänänen [Hrsg.]) (IPB/WRI/Peace Union of Finland/Union of Conscientious Objectors in Finland) Genf/London/Helsinki 1987, S. 160-68, S. 160

21) Lecoin, Louis: Le Cours d'une Vie. Selbstverlag, Paris 1965, S. 241, zitiert nach: Marin, Lou: Humanistische Verweigerung im Algerienkrieg. In: Kriegsdienste verweigern. Pazifismus heute. Hommage an Ossip K. Flechtheim. (Wolfram Beyer [Hrsg.]) Humanistischer Verband Berlin/IDK, Berlin 2000, S. 31-42, S. 39

22) Pusch, Rüdiger: Art. 4 Abs. 3 GG - Die Kahlschlagsanierung eines Grundrechtes. In: Jahrbuch 1985. Komitee für Grundrechte und Demokratie. Sensbachtal 1986. S. 29-36, S. 36. Die fehlende Differenzierung ging sogar noch weiter: Verweigerer, die einen Führerschein hatten, wurden abgelehnt, weil sie damit zur Tötung von Menschen genauso bereit seien wie Soldaten. In einem Fall wurde ein Verweigerer, der zum Verdruss der Gewissensprüfungsauschusses über keinen Führerschein verfügte, ersatzweise gefragt, wie er sich denn fühlen würde, wenn er mit einem Fahrrad ein Kind töten würde. Ihm wurde im Ablehnungsbescheid angekreidet, dass er "lapidar" zwischen der Mitarbeit in einer Organisation wie dem Militär, die zielstrebig das Töten vorbereitet und praktiziert, und einem unbeabsichtigten Unfall unterschied. Allerdings führte dies allein nicht zur Ablehnung. Da die Gewissensprüfer ahnten, dass ihre Ablehnungsgründe wenig überzeugend wirkten, fälschten sie das Verhandlungsprotokoll, indem sie dem Antragsteller eine Aussage in den Mund legten, die sogar der Meinung des Antragstellers direkt entgegengesetzt war.

23) The right to refuse to kill. Zeitschrift des European Bureau for Conscientious Objection (EBCO)/Bureau européen de l'objection de conscience (BEOC). Ähnlich auch: Refusing to kill. Publikation der Peace Pledge Union in Großbritannien.

24) Max Stirner: Der Einzige und sein Eigentum. Philipp Reclam jun., Stuttgart 1972, S. 39

25) Siehe z.B. Todesanzeige in Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.01.1974

26) Zitiert nach Frankfurter Rundschau, 04.03.1991.

27) Als herausragende Ausnahme ist der protestantische Pfarrer Heinrich Grißhammer zu nennen, der den Kriegsdienstzwang seit seiner Einführung in den 1950er Jahren fünf Jahrzehnte lang energisch verurteilt und totale Kriegsdienstverweigerer unterstützt hat, u.a. in seiner Zeitschrift "Die Nachrichten".

28) Rehm, Hans: Die Zentralstelle KDV fordert zum Lügen und Täuschen auf. In: Forum Pazifismus Nr. 7, Nr. III/2005 S. 20-22.

29) Vgl.: Kriegsdienstverweigerung in Südafrika. (DFG-VK Kassel u. Offenbach [Hrsg.]) 1986; Apartheid ist Krieg (AG Südliches Afrika in der DFG-VK [Hrsg.]) Offenbach/Berlin 1989.

30) Vgl. Women in Black/AEene u crnom: Deserters from the War in Former Yugoslavia. Belgrad 1994

31) zur Verweigerung des Dienstes in den besetzten palästinensischen Gebieten: www.yeshgvul.org. Zur Kriegsdienstverweigerung in Israel darüber hinaus: www.newprofile.org

32) Wolfgang Sternstein: Mein Weg zwischen Gewalt und Gewaltfreiheit. Autobiographie. Books on Demand, Norderstedt 2005, S. 63. Dass nur abgelehnt wurde, wer nicht die "richtigen Antworten" gab, ist sachlich falsch. Die Gewissensprüfung war und ist ein Willkürverfahren, abhängig vor allem von der Interessenslage von Staat und Bundeswehr, aber auch der Gehässigkeit und Feindseligkeit der einzelnen Mitglieder der Gewissensprüfungsgremien. Es genügte keineswegs, die "richtigen" Antworten zu gehen. Erstens war und ist keineswegs genau festgelegt, was "richtige" Antworten sind, zweitens konnten mit dem Einwand der mangelnden Glaubwürdigkeit selbst die nach Rechtslage "richtigsten" Antworten zur Ablehnung führen. Einem Kriegsdienstverweigerer, der ziemlich genau das sagte, was üblicherweise zur Anerkennung führt, wurde entgegnet: "Das glauben wir Ihnen nicht." Er wurde erst nach neun Jahren Verfahrensdauer anerkannt. Gegenwärtig (2007) kann die Bundeswehr aus Kapazitätsgründen nur einen Bruchteil der Dienstpflichtigen einberufen, so dass hohe Verweigererzahlen im staatlichen Interesse liegen. Denn nur anerkannte Kriegsdienstverweigerer müssen und können Zivildienst leisten. Würde ihnen die Anerkennung übermäßig erschwert, würden noch mehr männliche Jugendliche davonkommen, ohne Militärdienst oder Zivildienst geleistet zu haben. Während des Ost-West-Konflikts wurden Anträge auf Kriegsdienstverweigerung nicht so bereitwillig anerkannt wie heute. So wie heute willkürlich fast alle Antragsteller, die die nötigen Unterlagen vorschriftgemäß einreichen, anerkannt werden, könnten aufgrund der bestehenden Gesetze genauso gut fast alle abgelehnt werden. Beim heutigen schriftlichen Verfahren geht das sogar noch schneller und reibungsloser als früher, weil der Aufwand der mündlichen Gewissensprüfung entfällt.

33) Vgl. ZivilCourage Nr. 10/11/12 Okt/Nov/Dez. 1979, Nr. 1 (Januar/Februar 1980), Nr. 2 (März/April) 1980, Nr. 3 (Mai/Juni 1980), Nr. 4 (Juli/August 1980); Graswurzelrevolution Nr. 38(1980), Nr. 44 (Okt/Nov. 1979).

34) Vgl. DFG-VK Berlin/West: Bundeswehrproblematik in West-Berlin. 1980.

35) Leserbrief der DFG-VK Marburg, in: zivilcourage Nr. 2 (März/April) 1980, S. 4.

36) Über inhaftierte Kriegsdienstverweigerer weltweit informiert die War Resisters' International, www.wri-irg.org

37) Freie Deutsche Jugend. Pressemitteilung, 05.09.2002. Freispruch nicht opportun.

38) The Guardian, 08.10.2004.

39) Leserbrief in: ZivilCourage Nr. 2 (März/April) 1980, S. 4 f.

40) Leserbrief in: ZivilCourage Nr. 4 (Juli/August 1980), S. 5.

41) Ebd.

42) Eine seltene Ausnahme sind die Mainz/Wiesbadener Ostermarschaufrufe der vergangenen Jahre. Vgl. www.dfg-vk-mainz.de

43) Dass in solchen Zusammenhängen von "allgemeiner Wehrpflicht"oder "universal conscription" gesprochen wird, ist ein weiteres Beispiel für ideologisch determinierte Fehlwahrnehmung und Verdrehung der Realität. Wenn wie in Südkorea und fast allen anderen Staaten nur Männer, aber nicht Frauen, zum Kriegsdienst gezwungen werden, ist der Zwang eben nicht allgemein. Hinter diesem Begriff steht eine Weltsicht, in der erstens Frauen nicht für voll genommen werden und deshalb nicht zählen und in der es zweitens für selbstverständlich und legitim gehalten wird, dass Männer in Kasernen gefangen gehalten und in Kriegen getötet oder verstümmelt werden.

"It [der UN-Menschenrechtsausschuss - d, Verf.] likewise observes that it is in principle possible, and in practice common, to conceive alternatives to compulsory military service that do not erode the basis of the principle of universal conscription but render equivalent social good and make equivalent demands on the individual, eliminating unfair disparities between those engaged in compulsory military service and those in alternative service." Entscheidung vom 3. November 2006. Zitiert nach Quaker United Nations Office, Geneva.


Dr. Gernot Lennert, M.A., Politologe und Historiker, ist Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbands Hessen.

Der hier veröffentlichte Beitrag ist entnommen aus dem Ende September erschienenen Buch von Wolfram Beyer (Hrsg.):
Kriegsdienste verweigern - Pazifismus aktuell. Libertäre und humanistische Positionen.
Oppo-Verlag (www.oppo-verlag.de); Berlin 2007; 160 Seiten; 16 Euro; ISBN 978-3-926880-1


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 13, III/2007, S. 3-15
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Januar 2008