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BERICHT/234: Gewaltfreiheit ist möglich (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2009
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Gewaltfreiheit ist möglich
Aktionen zivilen Ungehorsams in Straßburg

Von Andreas Speck


Während es am Nachmittag des 4. April in Straßburg zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und einigen DemonstrantInnen - darunter wohl auch ProvokateurInnen - kam, fanden am Vormittag Aktionen zivilen Ungehorsams im Zentrums Straßburg statt, mit denen der reibungslose Ablauf des Nato-Gipfels zwar nicht verhindert, aber doch behindert werden konnte. Ziel von Block-Nato war es, so der Aufruf, "den Nato-Gipfel effektiv zu blockieren und zu stören, indem am Morgen des 4. April Tausende Menschen die Zufahrtswege zum Tagungsort in Straßburg besetzen und den Gipfel so von seiner Infrastruktur abschneiden".

Die Initiative Block-Nato war am 14./15. Februar auf der Aktionskonferenz gegen die Nato in Straßburg gegründet worden. Sie stellte einen lockeren Zusammenschluss mehrere Initiativen dar, die gemeinsam eine Blockade des Nato-Gipfels in Straßburg anstrebten, darunter insbesondere die Interventionistische Linke, Solid, die französischen Desobeissants (Ungehorsamen), sowie die internationale Koalition Nato-ZU. An Nato-ZU - ein Wortspiel, ZU steht für zivilen Ungehorsam - waren u.a. die War Resisters' International (WRI), die DFG-VK, die belgische WRI-Sektion Vredesactie, der Bund für Soziale Verteidigung, die Werkstatt für gewaltfreie Aktion Baden, der Friedenskreis Halle und andere beteiligt.

Innerhalb von Block-Nato gab es die Absprache, dass es "verschiedene Blockadepunkte mit verschiedenen Aktions- und Ausdrucksformen geben [wird], die sich solidarisch aufeinander beziehen werden und nur gemeinsam erfolgreich sein können." Auf einem Vorbereitungstreffen in Straßburg am 7/8. März wurden konkrete Absprachen zu den Blockadepunkten getroffen: Die Interventionistische Linke und solid würden die Sicherheitszone um das Kongresszentrum von Süden her blockieren, während Nato-ZU den nordöstlichen Zugang blockieren würde. Während es für den Süden einen öffentlich angekündigten Treffpunkt gab, von dem aus es möglich sein sollte, auch noch am Tag der Blockaden dazuzustoßen, setzte Nato-ZU voll und ganz auf das Konzept autonom aber gemeinsam agierender Bezugsgruppen, und beschloss daher, dass ein öffentlicher Treffpunkt nicht in dieses Konzept passen würde.

Am 1. April fand dann initiiert von Nato-ZU ein Treffen zwischen Block-Nato und der Straßburger Polizei statt. Bei diesem Treffen stellte Block-Nato das gewaltfreie Aktionskonzept vor, ohne im Detail auf die verschiedenen Blockadepunkte einzugehen. An die Polizei wurde die Forderung herangetragen, die Gewaltfreiheit von Block-Nato zu respektieren und auch nur mit angemessenen Mitteln zu reagieren. Dies wurde von der Polizei jedoch nicht zugesagt. Im Gegenteil: Es wurde deutlich gemacht, dass Demonstrationen in der Innenstadt nicht geduldet würden und dass diese "nicht lange dauern" würden. Der Einsatz von Tränengas und anderen Mitteln wurde nicht ausgeschlossen. Auch wenn dieses Ergebnis nicht überraschte, so wurde es doch als wichtig eingeschätzt, dass es dieses Treffen gab.

Im Camp hatten Block-Nato und Nato-ZU einen eigenen Bereich, in dem es Informationsveranstaltungen zu Block-Nato sowie täglich drei Trainingseinheiten gab. Dort konstituierte sich auch der SprecherInnenrat von Nato-ZU, in den jede der an Nato-ZU beteiligten Bezugsgruppen eine/n SprecherIn entsandte. Und dort koordinierten die an Block-Nato beteiligten Initiativen auch ihren Polizeikontakt während der Aktion sowie den Informationsaustausch zwischen den verschiedenen Blockadepunkten, so dass es möglich war, einen Gesamtüberblick über die Aktion zu bekommen.

Während der SprecherInnenrat von Nato-ZU am Freitag entschied, dass alle Bezugsgruppen das Camp bereits am Freitag-Nachmittag oder -Abend verlassen würden, und die Nacht an verschiedenen Orten im Norden Straßburgs verbringen würden, war der Plan von solid und der Interventionistischen Linken, schon sehr früh am Morgen - gegen 3 Uhr - vom Camp in Richtung des Treffpunktes aufzubrechen. So bewegten sich dann ca. 1.000 Personen vom Camp aus in Richtung Innenstadt und wurden schon kurz nach Verlassen des Camps ohne jede Vorwarnung von der Polizei mit Tränengas beschossen. Das Konzept, sich nicht auf eine Eskalation einzulassen und eventuelle Polizeikontrollen zu umgehen, funktionierte jedoch: Die Gruppen zogen sich zurück und gelangten an der Polizei vorbei zu verschiedenen Blockadepunkten, wenn auch nicht unbedingt den geplanten.

Eine Blockade konnte in der Nähe des Place de la Republique, auf der Kreuzung der Avenue de la Paix und der Avenue des Vosges errichtet werden, ein zweiter Blockadepunkt auf der Rue du Rhin. Beide Blockadepunkte wurden zu Anfang ebenfalls mit Tränengas beschossen, aber nicht geräumt. Nach einiger Zeit entspannte sich die Lage.

Die Bezugsgruppen von Nato-ZU hatten verabredet, dass jede Gruppe sich einen eigenen Weg zum verabredeten Blockadepunkt auf der Avenue Peres Mendes France suchen würde. Und so sah man kurz vor 7 Uhr in Schiltigheim zahlreiche kleine Grüppchen, die in Richtung Avenue Peres Mendes France unterwegs waren. Um Punkt 7 Uhr vereinigten sich diese Gruppen auf der vierspurigen Straße zu einer Blockade, ohne der Polizei auch nur begegnet zu sein. Erst später tauchte dann Polizei auf, um die Lage zu erkunden, entschied sich aber, Abstand zu halten.

Die Wirkung der Blockaden ist schwer einzuschätzen. Bei der Nato-ZU-Blockade konnten einige deutlich als Delegationsfahrzeuge gekennzeichnete Autos beobachtet werden, die abdrehen mussten. Auch Delegationsmitglieder auf Fahrrädern wurden blockiert. Nach einem Bericht in der "Badener Zeitung" führten die Blockaden zur Umleitung des Konvois der Staats- und Regierungschefs und störten die JournalistInnen, die den Gipfel beobachten wollten.

Wichtiger ist aber, dass es möglich war, trotz eines massiven Polizeiaufgebotes drei Blockaden in der Innenstadt zu etablieren und auch bei Tränengasbeschuss die vereinbarte Gewaltfreiheit aufrecht zu erhalten. Dies trotz massiver gewaltsamer Eskalationen bereits im Vorfeld des Samstages, und der deutlichen Ankündigung der Polizei, dass Demonstrationen in der Innenstadt nicht geduldet werden würden.

Im Angesicht der Ereignisse des Nachmittages ist es noch wichtiger, diese erfolgreichen gewaltfreien Aktionen nicht zu vergessen. Es gab in Straßburg nicht nur Gewalt und eine sich im Chaos auflösende Demonstration (aufgrund massiver Polizeigewalt, aber auch von Gewalt aus den eigenen Reihen), sondern es gab auch gut vorbereitete und funktionierende gewaltfreie Aktionen, die bewiesen, dass gewaltfreier Protest möglich und wirksam ist.


Andreas Speck arbeitet bei den War Resisters' International in London und war einer der Koordinatoren der Aktionen zivilen Ungehorsams in Straßburg. Weitere Informationen zu diesen Aktionen sowie Auswertungsartikel sind im Internet zu finden:
www.block-nato.org, www.nato-zu.de, http://wri-irg.org/de/node/6991


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2009, S. 14 - 15
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2009