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BERICHT/303: Ein "Leuchtturmprojekt" in der Provinz - Das Lebenshaus Schwäbische Alb (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 38 - II. Quartal 2013
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Ein "Leuchtturmprojekt" in der Provinz: Das Lebenshaus Schwäbische Alb
Seit 20 Jahren aktiv für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie

Von Michael Schmid



Der Verein Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie wurde vor 20 Jahren, im Juni 1995, in Gammertingen gegründet. Die Kleinstadt bildet den nördlichsten Zipfel des baden-württembergischen Landkreises Sigmaringen, der sich von den Höhen der Schwäbischen Alb bis weit hinein nach Oberschwaben und in das Bodenseegebiet erstreckt. Politisch-kulturell ist es eine der konservativsten Regionen Deutschlands. Die Gegend dort ist relativ dünn besiedelt, das Militär steht mit derzeit immer noch vier Bundeswehrstandorten hoch im Kurs. Warum also ausgerechnet dort ein solcher Verein?

Die Vorgeschichte reicht zurück bis zum Anfang der 1980er Jahre. Damals hatte die Friedensbewegung allerorten großen Zulauf, so auch in Gammertingen. Dort wurde 1981 eine Ortsgruppe der Deutschen Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK) gegründet. An der Gründungsversammlung nahmen immerhin 32 Menschen teil, an den sonntäglich stattfindenden Gruppentreffen beteiligten sich im ersten Jahr regelmäßig 15 bis 20 Menschen.

Von Anfang an konnten wir damals die Erfahrung machen, was es hieß, sich in dieser Region gegen atomare Aufrüstung auszusprechen und für "Frieden schaffen ohne Waffen" einzutreten. So war es beispielsweise sehr schwer, überhaupt Räumlichkeiten zu bekommen, in denen wir öffentliche Veranstaltungen durchführen konnten. Viele andere Hindernisse wurden uns in den Weg gelegt, viel Gegenwind war zu spüren.

Andererseits gab es viele Menschen - in erster Linie Zugezogene -, die zumindest zeitweise bereit waren, sich zu engagieren, zu Veranstaltungen zu kommen oder an Aktionen teilzunehmen. Großdemonstrationen in Bonn, die Menschenkette von Stuttgart nach Neu-Ulm, Blockadeaktionen vor Atomwaffenlagern in Großengstingen und Mutlangen - bei solchen Aktionen war die Beteiligung aus unserer Kleinstadt recht gut, ebenso bei Aktionen vor Ort wie einer Demonstration oder bei Mahnwachen oder bei mehreren dreitägigen Ostermärschen, die wir organisierten. Im Lauf der Jahre schwächte sich dieses Interesse wieder ab, die friedenspolitisch Aktiven wurden weniger, irgendwann gegen Ende der 1980er Jahre gab es dann keine aktive Gruppe mehr.

Doch unmittelbar vor und während des Golfkriegs 1991 änderte sich dies schlagartig: Wir organisierten Mahnwachen vor Ort; an einer ersten haben rund 200 Menschen teilgenommen - wirklich sagenhaft für unsere Verhältnisse. Und während der gesamten sieben Wochen des Golfkriegs veranstalteten wir jeden Tag eine Mahnwache, an der immer mindestens 20 Menschen teilnahmen.

Nach diesem Krieg war bei vielen Menschen das Bedürfnis groß, sich weiter gemeinsam zu engagieren. So bildeten wir ein "Friedensnetz Gammertingen", das zahlreiche Aktivitäten umsetzte.



Vom Friedensnetz zum Lebenshaus

Aus diesem Friedensnetz heraus wiederum entstand die Initiative, die schließlich dazu führte, dass von 19 Menschen am 20. Juni 1993 der Verein Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie gegründet wurde.

Wichtige Impulse für die Gründung gingen für uns damals von dem seit 1987 bestehenden Lebenshaus Trossingen aus, das für uns sowohl Herausforderung als auch Ermutigung war. Wichtig war ebenfalls z.B. die Aktion "Den Krieg überleben", bei der Wohnraum und die Bereitschaft zur Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus Bosnien gesucht wurden. Wir wollten gerne solchen Wohnraum zur Verfügung stellen können.

Als ein weiteres wesentliches Motiv kam die Erkenntnis hinzu, dass es angesichts von Unrecht, Gewalt, Rassismus, Militarismus etc. zwar ums Nein-Sagen und deutlichen Protest gehen muss, dass das alleine aber nicht reicht. Wir wollten ein notwendiges Nein auch mit einem Ja, einer konstruktiven Alternative ergänzen.

Von Beginn an ging es uns darum, dass wir uns mit Gleichgesinnten zu einer Solidargemeinschaft zusammenschließen, die gemeinsam soziale und politische Verantwortung übernimmt.

Natürlich war uns im Gründungsjahr 1993 aufgrund unserer langjährigen Vorerfahrungen mit Friedensarbeit und mit alternativer Politik in dieser Region durchaus bewusst, dass wir hier einen Weg der Minderheit beschreiten müssten, der auch sehr schwierige Seiten aufweisen kann. "Gerade hier wollen wir an zivilen, konstruktiven Alternativen arbeiten", haben wir in unserem ersten Lebenshaus-Flyer geschrieben. Wir waren also ein Stück weit gewappnet gegen das, was auf uns zukommen würde.

Formal gesehen hat sich ein kleiner Verein entwickelt, der derzeit 93 Mitglieder und Fördermitglieder hat. Manche davon leben in Gammertingen und der näheren Umgebung, andere aber zum Teil weit weg irgendwo in Deutschland. Vor Ort wird die aktive Arbeit von nur wenigen Menschen gemacht und dies fast überwiegend ehrenamtlich. Außer den Mitgliedern gibt es noch einen großen Kreis von Menschen in ganz Deutschland, die das Projekt unterstützen.



Soziale Gerechtigkeit

Ein zentral wichtiges Anliegen war und ist es, uns solidarisch zu verhalten gegenüber Menschen, die am Rande stehen - Ausgegrenzte, "Überflüssig-Gemachte", Flüchtlinge, Arme, Kranke.

Eine Form der Unterstützung benachteiligter und bedrängter Menschen besteht in dem Angebot, dass sie in einer schwierigen, krisenhaften Lebenssituation zeitlich befristet in einer Hausgemeinschaft mitleben können. Hierfür hat unser Verein 1994, also bereits kurz nach seiner Gründung, ein eigenes Gebäude in Gammertingen erworben. Dies wurde möglich dank der Unterstützung zahlreicher Menschen, die uns mit Spenden und zinslosen Darlehen unterstützen.

In den vergangenen 16 Jahren haben nahezu 200 Menschen das Angebot des Mitlebens wahrgenommen. Es waren Menschen darunter, die ihren Arbeitsplatz verloren oder keinen Ausbildungsplatz gefunden haben, die mit dem Verlust eines wichtigen Menschen zurechtkommen oder eine Trennungssituation bewerkstelligen mussten. Es waren Menschen mit psychischen Problemen und Erkrankungen dabei und auch immer wieder Flüchtlinge.

Unterstützung und Beratung erhalten aber auch Menschen, die nicht im Lebenshaus mitwohnen. Wir sind Anlaufstelle für Menschen, die aus verschiedenen Gründen keine Unterstützung von öffentlichen Hilfesystemen bekommen oder die andererseits zum Beispiel wegen Armut von diesen Systemen abhängig sind und damit nicht zurechtkommen, etwa Hartz-IV-EmpfängerInnen, Alleinerziehende, Erwerbslose usw. Und sehr häufig sind es Flüchtlinge, Erwachsene und Kinder, die ja zu den Allerschwächsten in unserer Gesellschaft gehören, die Rat und Unterstützung suchen. Wir beschäftigen uns mit ihrer oft unwürdigen Lebenssituation.

Wir haben öffentliche Aktionen und Veranstaltungen zu dieser Problematik gemacht. Begegnungstreffen, Begleitung und Unterstützung in allen sozialen und rechtlichen Belangen, Ermöglichung von Deutschkursen, Sprachtraining und Freizeitgestaltung gehören zu diesen Aktivitäten.



Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit

Die Unterstützung von Menschen ist ein konkreter Ansatz unseres Projektes, mit dem ein Beitrag zu etwas mehr sozialer Gerechtigkeit und Frieden geleistet werden soll. Natürlich ist das sehr wenig angesichts des großen Unrechts und des Unfriedens, den wir um uns herum und weltweit sehen.

Viele Menschen fragen sich deshalb ja auch, was sie angesichts dieser Lage überhaupt tun können. Jedenfalls kann gegen Unrecht nicht dadurch angekämpft und es überwunden werden, indem man darüber schweigt. Wir wollen nicht schweigen, sondern mit einer umfangreichen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit auf diese Thematik und weitere Themen eingehen. Wir geben vierteljährlich einen gedruckten Rundbrief heraus. Seit vielen Jahren betreiben wir zudem eine eigene Website im Internet. Dort werden täglich neue Artikel eingestellt - inzwischen befinden sich dort über 6.250 Beiträge.

Zum großen Teil werden Artikel zu aktuellen Themen veröffentlicht, etwa zu Konflikten und Kriegen im Nahen und Mittleren Osten, aber auch in anderen Weltregionen. Bei vielen Artikeln geht es z.B. um zivile und gewaltfreie Konfliktbearbeitung, um Atomausstieg und Energiewende, um Flucht und Asyl. Manche Artikel beschäftigen sich mit Rückblicken. So bearbeiten wir als ein Langzeitprojekt die "Aufarbeitung gewaltfreier Geschichte", in dem z.B. wichtige gewaltfreie Aktionen oder engagierte Personen dargestellt werden. Unsere Website erfreut sich großer Beliebtheit - mehrere hunderttausend Besuche sind es Jahr für Jahr.

Die Durchführung von inhaltlichen Veranstaltungen, die Teilnahme an Demonstrationen, die Durchführung von Mahnwachen in Gammertingen - diese Mittel gehören ebenfalls zu unserem Repertoire.

Ganz grundsätzlich versuchen wir, der grundlegenden Einsicht Mahatma Gandhis für den Umgang mit Konflikten zu folgen: Nicht das verkündete Ziel bestimmt das Ergebnis eines Konfliktaustrags, sondern die dabei angewandte Methode. Es gibt jene weitverbreitete Meinung, die lautet: Der gute Zweck rechtfertigt die Mittel - unter Umständen auch die bösen. Gewaltfreiheit kehrt dagegen diesen Satz genau um: Zwischen Mittel und Zweck, zwischen Weg und Ziel, besteht ein unauflösbarer Zusammenhang. Entscheidend für das Ergebnis aktiven Handelns ist die Wahl der Mittel. Es ist eine aussichtslose Unternehmung, Frieden durch Krieg erreichen zu wollen. Deshalb ist für uns das Von Ulli Thiel aus Karlsruhe, Mitglied unseres Lebenshauses, ersonnene Motto "Frieden schaffen ohne Waffen" so wichtig. Und deshalb kritisieren wir in unserer Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit Kriege und andere Formen von Gewalt - eben auch strukturelle oder psychische Gewalt, die oft fast unsichtbar in Form von Mobbing oder Stalking daherkommt. Wichtig ist uns aber ebenso die Beschäftigung mit positiven Beispielen und Vorbildern. So haben wir thematische Seminare zu Menschen veranstaltet, die für die Gewaltfreiheit wegweisend sind wie Martin Luther King, Mahatma Gandhi oder Leo Tolstoi.

Das Engagement für die Überwindung von direkter wie struktureller Gewalt, die letztlich auf eine Veränderung von Gesellschaftsverhältnissen zielt, ist uns sehr wichtig. Denn es war nie unsere Absicht, uns auf mildtätiges Handeln zu beschränken. Dabei bestünde die Gefahr, zu einer Fortschreibung von Abhängigkeit und Unmündigkeit beizutragen und zur Verfestigung bestehender ungerechter Verhältnisse. Weil es also nicht ausreicht, karitative Hilfestellung zu geben und die Strukturen, welche Leid und Elend hervorrufen, unberücksichtigt und unangetastet zu lassen, versuchen wir als Lebenshaus, beides zu tun. Konkrete Menschen, die sich in einer schwierigen Lebenssituation befinden, unterstützen - und uns gemeinsam mit vielen anderen Menschen und Gruppen für Gerechtigkeit, Frieden und eine intakte Umwelt einsetzen.

Natürlich kann das in einer Region, in der mehrheitlich dem Militär ein hoher Stellenwert zugemessen wird, mitunter ziemlich konfliktträchtig werden. Ich möchte das an einem konkreten Beispiel verdeutlichen.


Protest gegen "Patenschaft" mit Bundeswehreinheit

Die Stadt Gammertingen ist im Jahr 2009 relativ unbeachtet eine "Patenschaft" mit einer Bundeswehreinheit des Standortes Sigmaringen eingegangen. "5000 Kilometer bis Kabul: Patenschaftskompanie schickt Soldaten in Auslandseinsatz" - so war im Mai 2010 ein ganzseitiger Artikel auf der Titelseite im "Amtsblatt der Stadt Gammertingen" überschrieben. Berichtet wurde über einen öffentlichen "Verabschiedungsappell" in der Kreisstadt Sigmaringen, bei dem auch Soldaten der "Patenschaftskompanie" der Stadt Gammertingen in den Kriegseinsatz nach Afghanistan geschickt wurden. Dabei wurde die enge Verbundenheit zwischen der Stadt Gammertingen und der Bundeswehr betont. Und herausgestellt wurde ebenfalls, wie wichtig für die Bundeswehr die breite Unterstützung und Anerkennung ihrer Auslandseinsätze durch die Bevölkerung sei. Die Soldaten seien mit dem Gefühl in den Einsatz gegangen, die Patengemeinde Gammertingen stehe zum Auftrag der Armee.

Um einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung in dieser Frage zu leisten und um deutlich zu machen, dass die Soldaten nicht in unserem Namen in den Krieg geschickt werden, haben wir daraufhin als Lebenshaus Schwäbische Alb einen "Offenen Brief wegen Unterstützung des Afghanistan-Krieges" an den Bürgermeister der Stadt Gammertingen verfasst und Unterschriften gesammelt. Darin wurde gegen die "Patenschaft" protestiert und gefordert, diese wieder zu beenden. Gleichzeitig wurde die Gemeinde aufgefordert, sich für zivile Alternativen zum Afghanistan-Krieg einzusetzen und kommunale Friedensarbeit zu fördern.

Der Gammertinger Bürgermeister wiederum hatte sofort sehr heftig und öffentlich auf unseren Protest reagiert. Schließlich versuchte er, uns zu kriminalisieren. Dies tat er, nachdem sich in einigen Briefkästen in Gammertingen ein Blatt mit einer "Bekanntmachung an alle Bürger" wiederfand, das angeblich von der Stadt Gammertingen stammte. Dieses fingierte Flugblatt enthielt ausgehend von der "Bundeswehrpatenschaft" die Aufforderung an männliche Gemeindebewohner, sich zu einer Musterung im Rathaus zu melden. Dadurch sollten die "11 Tauglichsten der Gemusterten" ermittelt werden, um so die Bundeswehreinheit zu unterstützen, die in Afghanistan elf ihrer Angehörigen verloren hatte.

Man hätte dies als Satire auffassen und mehr oder weniger ignorieren können. Nicht so der Gammertinger Bürgermeister. Er erstattete sofort Strafanzeige und bezeichnete in einer öffentlichen Erklärung - verbreitet über Presse, Amtsblatt und Internet - die Aktion mit dem Flugblatt als einen Akt, der "an Geschmacklosigkeit und krimineller Absicht nicht zu übertreffen" sei. Weiter setzte er eine Belohnung von 500 Euro für Hinweise auf die Urheber und Austräger dieser Schreiben aus. Gleichzeitig legte er in dieser öffentlichen Erklärung, die ein erhebliches Presseecho hervorrief, die Vermutung nahe, dass das Lebenshaus Schwäbische Alb mit seinem Protest gegen die "Bundeswehrpatenschaft" hinter der Aktion stehe.

Mit der Übergabe der letzten Unterschriften im Dezember 2010 war für uns die Aktion dann abgeschlossen. Insgesamt waren es 450 Menschen und Organisationen aus ganz Deutschland, die den "Offenen Brief" unterschrieben hatten.

Doch plötzlich eines Morgens im März 2011 sahen wir uns mit einer Hausdurchsuchung konfrontiert. Wir mussten also das massive Strafverfolgungsmittel einer Durchsuchung sämtlicher Vereinsräumlichkeiten und auch eines Teils unserer Privaträume über uns ergehen lassen. Gleichzeitig wurden PCs und ein Laptop sowie verschiedene Schriftstücke beschlagnahmt. Dass dieses exklusive Erlebnis einer Hausdurchsuchung - zustande gekommen ganz wesentlich durch unwahre Behauptungen des Bürgermeisters - anschließend aufgrund unserer Beschwerde gerichtlich für rechtswidrig erklärt wurde, zeigt nur die ganze Peinlichkeit, wenn sich ein gewählter Repräsentant eines Gemeinwesens für ein feindseliges Vorgehen entscheidet, weil er die sachliche Auseinandersetzung und das Gespräch mit politisch Andersdenkenden scheut.

Uns war durchaus bewusst, dass wir uns unbeliebt machen könnten, wenn wir den Mund aufmachen und gegen die "Bundeswehrpatenschaft" protestieren würden. Uns war ebenfalls bewusst, dass wir damit eine Minderheitenposition in unserem politisch-kulturell sehr konservativ geprägten Umfeld vertreten, in dem sich die Mehrheit mit der Bundeswehr identifiziert und sich Vorteile von deren Stationierung in der Region verspricht.

Gelungen ist es mit unserer Aktion, zu einer lebhaften Diskussion in Gammertingen beizutragen. Die Frage nach Krieg und Frieden und der eigenen Einstellung zur Bundeswehr, dem Afghanistan-Krieg und den Verwicklungen der "normalen", oft ahnungslosen Bevölkerung, ja sogar Erinnerungen an persönliche Kriegserfahrungen im Zweiten Weltkrieg - vieles wurde in Folge unserer Aktion in Gammertingen diskutiert. Mehr als eine gewisse Nachdenklichkeit bei manchen unserer Mitbürgerinnen und Mitbürgern erreichen zu wollen, das wäre ein unrealistisches Anliegen gewesen.

Der Hauptzweck der zahlreichen "Patenschaften" mit Bundeswehreinheiten in unserer Region war offensichtlich, dass damit ein gutes Verhältnis zur Bundeswehr demonstriert und letztlich drohende Standortschließungen verhindert werden sollten. So hat sich zum Beispiel der Kreistag des Landkreises Sigmaringen im Jahr 2010 angesichts "drohender" Schließungen von Bundeswehrstandorten mit einstimmigem Beschluss für den Erhalt seiner vier Garnisonen ausgesprochen. In diesem Beschluss wird dann unter anderem betont: "Das enge Verhältnis zwischen Politik und Bundeswehr kommt in den lebendigen Patenschaften zum Ausdruck". "Bundeswehrpatenschaften" also als Beitrag gegen drohende Standortschließungen.

Die Ironie der Geschichte ist nun aber, dass sich diese Gammertinger "Bundeswehrpatenschaft" zwangsläufig wieder auflösen wird. Denn der Bundesverteidigungsminister hat die gesamte Auflösung des Bundeswehrstandorts Sigmaringen bekannt gegeben. Damit hat sich der Ansatz, unter anderem mittels "Patenschaften" den Bundeswehrstandort Sigmaringen erhalten zu wollen, als völliger Fehlschlag erwiesen. Es zeigt sich vielmehr, dass es sinnvoll gewesen wäre, wenn sich unsere Lokalpolitiker, wie von uns vorgeschlagen, frühzeitig für zivile Alternativen und Standortkonversion eingesetzt hätten.


Die Frage nach dem Erfolg

Was sind unsere größten Erfolge, was unsere größten Misserfolge? Diesen Fragen möchte ich mit der Gegenfrage begegnen, ob sie überhaupt weiterführen. Was sind die Kriterien für Erfolg bzw. Misserfolg? Natürlich ist es uns nicht gelungen, in unserer Kleinstadt oder Region einen grundlegenden politisch-kulturellen Wandel herbeizuführen. Das Beispiel mit der "Bundeswehrpatenschaft" macht das überdeutlich. Aber eine solch vermessene Zielsetzung hatten wir auch nicht.

Als Erfolg würde ich es bezeichnen, dass es unser Projekt nach 20 Jahren überhaupt noch gibt. Denn es ist wahrlich keine Selbstverständlichkeit, dass wir dieses Jubiläum begehen können. Auf unserem Weg gab es viele Unwägbarkeiten, die ebenso zu einem Scheitern hätten führen können. So war es schon ein sehr großes Wagnis, mit dem noch sehr jungen Verein bereits 1994 ein eigenes Gebäude zu erwerben. Eingegangen sind wir dieses Wagnis, weil unser Projekt ganz schnell Spendengelder und vor allem zinslose oder sehr zinsgünstige Privatdarlehen zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Und das in einer Größenordnung, die so wunderbar war, dass fast nichts anderes übrig blieb, als loszulegen!

Wir ließen uns also auf diesen Weg ein, der bis heute nicht ohne Risiken ist und bei dem wenig kalkuliert werden kann. Und es gab durchaus so manches Mal die sorgenvolle Frage: Was, wenn jetzt größere Darlehensbeträge zurückbezahlt werden müssen und es nicht genügend Rücklagen oder neue Darlehen dafür gibt? Es war tatsächlich zwischendurch auch immer wieder knapp mit den Finanzen.

Doch rückblickend gesehen ist es schon sehr faszinierend, dass sich immer wieder genügend Menschen gefunden haben, die durch Spenden, Beiträge oder Darlehen dazu beitrugen, das erforderliche Geld aufzubringen. Manche Darlehenslaufzeit wurde überdies verlängert, verschiedene Darlehen wurden sogar in Spenden umgewandelt!

Indem doch viele Menschen Geld geben, machen sie dieses gemeinsam zu einem sozialen Gestaltungsmittel. Und so ist neben dem Kauf und der ökologischen Sanierung eines Gebäudes noch vieles andere möglich geworden, z.B. die Unterstützung von Menschen in schwierigen Lebenssituationen, manches Mal auch die Unterstützung mit Finanzmitteln, die Durchführung zahlreicher Veranstaltungen und Aktionen, eine intensive und vielbeachtete Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit über Rundbrief und Internet, ja sogar die Einrichtung von bescheiden finanzierten Arbeitsstellen.

Es macht große Freude zu erleben, dass eben doch so viele Menschen nicht nur ihren privaten Vorteil im Sinn haben, nicht danach trachten, ihr Geld durch günstige Anlagen unter allen Umständen vermehren zu lassen. Eine dem vorherrschenden Zeitgeist ziemlich zuwiderlaufende Haltung also! Natürlich ist uns allen bewusst, dass die Alternativen im Kleinen nicht in der Lage sind, das ganze Geldsystem auf Lebensförderlichkeit hin zu verändern. Aber im Kleinen kann ein Anfang gemacht werden, Geld aus dem geldvermehrenden und lebenzerstörenden Kreislauf herauszuziehen und es zur Förderung konkreten Lebens einzusetzen. So können Zeichen gesetzt werden. Und dass dies im Rahmen unseres Projektes geschieht, dafür sind wir sehr dankbar!

Außer der Geldfrage gab es noch andere Faktoren, die zu einer Aufgabe der Vereinsarbeit hätten führen können. Wer sich in unserer Gesellschaft engagiert und nicht nur im breiten Strom des Zeitgeistes mit schwimmt, weiß: Das wird nicht nur honoriert! Man wird leicht zum Außenseiter, gerät in schwierige Lebenssituationen, Krisen, ist mit Neid und Misstrauen konfrontiert. Es werden einem manche Prüfungen auferlegt. Solche schwierigen Erfahrungen machen viele Menschen - gerade dort, wo ungewöhnliche, neue Wege beschritten werden, wo sich Menschen engagiert einsetzen für Mitmenschen, für Frieden, dort wo an der Hoffnung festgehalten wird.

Es war dann in der Tat nicht so "ganz ohne", als wir uns ab 1997 einige Jahre lang massiven Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt sahen. Manches Mal kamen schon Fluchtgedanken auf. Vielleicht hätten wir diesen Gedanken leichter nachgegeben, wäre der Verein nicht im Besitz eines eigenen Gebäudes gewesen. Doch die Verantwortung all den Menschen gegenüber, die dieses Gebäude und vieles andere ermöglicht haben, sowie das uns weiterhin geschenkte Vertrauen, führten zu einer eindeutigen Antwort auf die Frage "Flüchten oder Standhalten" (Horst-Eberhard Richter). Heute sind wir sehr froh darum, dass wir uns solchen und weiteren harten Herausforderungen gestellt haben. Wir sind daran gewachsen.

Deshalb war die Auseinandersetzung mit dem Gammertinger Bürgermeister um die "Bundeswehrpatenschaft" zwar nicht einfach, aber wir konnten uns ihr doch einigermaßen gelassen stellen.

Und gerade in solchen schwierigen Situationen ist auch die vielfältige Vernetzung zu einzelnen Menschen und Organisationen sehr hilfreich. Die spür- und sichtbare Solidarität ist wertvoll.

Insgesamt ist das alles nichts so Großartiges, was wir mit dem Lebenshaus Schwäbische Alb im Kleinen versuchen bzw. verwirklichen. Doch ohne Kleines gibt es auch nichts Großes!

"Und wenn wir Wenige sind, werden wir klein beginnen", diesem Gedanken von Gustav Landauer folgen wir gerne. Klein begonnen, das haben wir vor 20 Jahren mit dem Lebenshaus. Getragen von der Hoffnung, uns für das Richtige einzusetzen, unabhängig davon, wie groß die Aussichten auf Erfolg sind. Unabhängig auch davon, ob dies Anerkennung bringt, mehrheitsfähig ist oder wir uns in der Minderheit wiederfinden. Etwa mit einer Haltung, wie sie Mahatma Gandhi ausdrückte: "Es hat mich nie gekümmert zu erfahren, ob und wann ich Erfolg habe. Für mich genügt es in meinem Bemühen um das, was ich als meine Pflicht erkenne, nicht nachzulassen."


Michael Schmid ist Forum Pazifismus-Redakteur, Mitglied in der DFG-VK, im Versöhnungsbund und im BSV. Der Sozialwissenschaftler und Pädagoge ist (ehrenamtlicher) Geschäftsführer des Lebenshaus Schwäbische Alb und dort teilzeitbeschäftigt als Referent für Friedensfragen. Er ist der verantwortliche Redakteur für die Medien des Lebenshauses (Rundbrief Homepage und elektronischer Newsletter). Nähere Informationen auf der Internet-Homepage www.lebenshaus-alb.de

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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit
Nr. 38 - II. Quartal 2013, S. 30 - 35
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen)
mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der DFG-VK,
Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für Pazifismus,
Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. September 2013