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GRUNDSÄTZLICHES/007: Wehrgerechtigkeit und Grundgesetz (Forum Pazifismus)


Forum Pazifismus Nr. 12 - IV/2006
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreihei

Wehrgerechtigkeit und Grundgesetz
Zur Verfassungswidrigkeit der Wehrpflicht

Jürgen Kohlheim


Die Beschäftigung mit der Wehrgerechtigkeit und ihrer Verankerung im Grundgesetz ist in der politischen Diskussion nicht neu. Auslöser der zunehmend kontrovers geführten derzeitigen Diskussion um die Wehrpflicht sind neben der immer wieder gestellten Frage der Wehrgerechtigkeit vor allem die sicherheitspolitischen Veränderungen, aber auch die Haushaltsprobleme der Bundesrepublik.

Der Wegfall der unmittelbaren militärischen Bedrohung des Territoriums der Bundesrepublik und die Verlagerung des Schwerpunktes zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr, die gut ausgebildete, professionelle Soldaten erfordern, stellen die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht infrage. Die aufgrund der insgesamt verkleinerten Streitkräfte und der starken Inanspruchnahme des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung gesunkene Zahl der tatsächlich Wehrdienst leistenden jungen Männer vermittelt vielen ein Gefühl der Ungerechtigkeit: Denn inzwischen leistet nur noch eine Minderheit der männlichen Bevölkerung einen "Dienst für die Gemeinschaft". Die Zahlen im einzelnen sind Ihnen bekannt; selbst wenn man der offiziellen "Schönrechnerei" des Verteidigungsministeriums folgt, bleiben - wie die von demselben Ministerium im Bundestag bekannt gegebenen Zahlen deutlich belegen - nur noch so wenige tatsächlich Wehrdienst leistende junge Männer, dass die Gerechtigkeitslücke offenkundig ist.

Zudem setzt der enge Finanzrahmen für die Verteidigungsausgaben im Haushalt sowohl dem Umfang der Streitkräfte wie auch der für die neuen Aufträge erforderlichen modernen Ausrüstung Grenzen.

Dies sind beides Gesichtspunkte, die unmittelbar auf die Wehrgerechtigkeit Auswirkungen haben, weil sie die Zahl der Einzuberufenden aus Kriterien heraus begrenzt, die mit der Forderung nach Leistung eines Zwangsdienstes für alle nicht mehr zu vereinbaren sind. Folge dieser Entwicklung sind allgemeine Reduzierungen, die letztlich nicht mehr nur durch Verkürzungen des Wehrdienstes aufgefangen werden können, sondern durch die zwingend erforderliche Reduzierung der tatsächlichen Einberufungszahlen in eine sinkende Wehrgerechtigkeit münden.

Eine Lösungsmöglichkeit des Spagats zwischen Wehrgerechtigkeit und militärischen bzw. finanziellen Belangen wäre die Abschaffung oder Aussetzung der Wehrpflicht - wie dies in anderen Ländern Europas bereits geschehen ist. Die Entscheidung für oder wider die Wehrpflicht bleibt aber immer eine politische Entscheidung. Allein der politische Wille bezüglich einer Beteiligung möglichst aller Bürger an der Sicherheit unseres Landes - vielleicht auch der Frauen? - ist ausschlaggebend für diese Entscheidung. Ein Fortbestehen der Wehrpflicht lässt sich aber nur dann rechtfertigen, wenn - anders als dies heute der Fall ist - die Heranziehung der Wehrgerechtigkeit entspricht, so wie sie aus dem Grundgesetz abzuleiten ist.


Art. 4 Abs. 3 und Art. 12a GG - Gewissensentscheidung und Wehrpflicht

Das Grundgesetz trifft zunächst eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung für die militärische Landesverteidigung. Es gibt aber nicht zwingend vor, wie diese sicher zu stellen ist. Art 12a GG bestimmt dann, dass Männer - also kein Zwangsdienst für Frauen - zum Dienst in den Streitkräften oder einem Zivilschutzverband verpflichtet werden können. Er trifft sodann in Abs. 2 - und dies ist ganz wesentlich - Regelungen für einen Ersatzdienst, denn bereits in Art. 4 Abs. 3 GG ist eindeutig postuliert, dass niemand gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden darf. Schließlich werden in Abs. 3 Regelungen für den Verteidigungsfall getroffen, in dem auch andere Personen zu Dienstleistungen für Zwecke der Verteidigung herangezogen werden können; und zu guter Letzt kommen in Abs. 4 auch die Frauen für Dienstleistungen im zivilen wie militärisch Sanitätswesen an die Reihe - allerdings immer nur nachrangig und niemals mit der Waffe.

Das Bundesverfassungsgericht hat in ganz frühen Entscheidungen bereits davon gesprochen, dass es sich bei diesen Pflichten um "verfassungsrechtliche Grundpflichten" für den Bürger handelt; es hat aber zugleich dargestellt, dass der Ersatzdienst weder die Gewissensfreitheit einschränken darf noch in irgendeinem Zusammenhang mit der Bundeswehr stehen darf.

Und es hat gesagt, dass die Dauer des Ersatzdienstes der Wehrdienstdauer entsprechen müsse. Dies ist nun nach heutiger Rechtslage - endlich - erreicht, war früher aber lange Jahre nicht der Fall, weil zu dem Wehrdienst die Wehrübungen gezählt wurden - obwohl längst nicht jeder Wehrdienstleistende anschließend auch Wehrübungen absolvieren musste, so dass sich regelmäßig ein deutlich längerer Zivil(Ersatz-)dienst ergab. Dieser Gesichtspunkt spielte dann aber in den Verfahren auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer eine bedeutsame Rolle, weil die Rechtsprechung regelmäßig den längeren Zivildienst als "Inanspruchnahme einer lästigen Alternative" zugunsten der getroffenen Gewissensentscheidung wertete.


Art. 3 GG - Gleichbehandlung

Art. 12a GG überlässt die nähere Ausgestaltung des Dienstes einem Bundesgesetz. Dies ist im Wehrpflicht- und im Zivildienstgesetz (WPflG und ZDG) sodann geschehen; beide sind häufig geändert und an die gerade herrschenden Zeitläufe bzw. politischen Vorgaben angepasst worden. Entscheidend ist aber, dass beide Gesetze dem aus Art. 3 GG folgenden Grundsatz der Gleichbehandlung verpflichtet sind. Dies bedeutet zunächst, dass es nicht im Belieben des einzelnen steht, ob und welchen Dienst er wie leisten möchte; aber genau so wenig steht es im Belieben der Wehrbehörden zu bestimmen, wer wann wie Dienst zu leisten hat. Entscheidungen der Wehrbehörden müssen willkürfrei ergehen, sie dürfen und müssen jeden vom Gesetz erfassten Bürger gleichermaßen treffen. Die Heranziehung zum Wehrdienst und ebenso zum Zivildienst fordert eine gleichmäßige Heranziehung aller. Das Bundesverfassungsgericht hat dies mit dem Begriff der "Pflichten- und Lastengleichheit" charakterisiert. Daraus folgt, dass Wehrdienstausnahmen zwar grundsätzlich möglich sind, denn nur Gleiches muss gleich behandelt werden. Aber wegen der Verpflichtung zu einem staatlichen Zwangsdienst setzen Wehrdienstausnahmen eine gesetzliche Regelung voraus, und zwar in Form einer engen und konkreten normativen Ausgestaltung. Dass Wehrdienstausnahmen im Erlasswege unzulässig sind, hat das Bundesverwaltungsgericht in schöner Regelmäßigkeit immer wieder betont; aber genau so regelmäßig hat sich die Wehrverwaltung hieran nicht gehalten und immer neue so genannte administrative Wehrdienstausnahmen geschaffen, die von den Kreiswehrersatzämtern mit unterschiedlicher Intensität beachtet oder sogar noch ausgedehnt worden sind - je nach Bedarf. Und dies, obwohl das Bundesverwaltungsgericht bereits in den 1970-erjahren ganz eindeutig ausgesprochen hat, dass sich Wehrdienstausnahmen nicht am personellen Bedarf orientieren dürfen.


Gegenwärtige Praxis

Hiervon ist das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 19.01.2005 nun allerdings in einer Kehrtwende abgerückt, indem es - kurz gesagt - feststellte, dass die Wehrgerechtigkeit abhängig ist vom Bedarf der Wehrbehörden an Wehrpflichtigen. Damit wird die Wehrgerechtigkeit nun auch höchstrichterlich relativiert und abhängig gemacht von Umständen, die letztlich jeder parlamentarischen Kontrolle entzogen sind. Dies mündet dann schließlich in das Lotteriespiel, das wir bei der gegenwärtigen Einberufungspraxis zu beobachten haben.

Schaut man sich die jüngere gesetzliche Entwicklung an, so wird mit dem Gesetz zur Verbesserung der Wehrgerechtigkeit von 1986 - bedingt durch den Rückgang der Geburtenzahlen - zunächst der Grundwehrdienst auf 18 Monate verlängert. Zugleich wird die Tauglichkeitsgruppe 7 geschaffen, um auch noch den letzten - eigentlichen schon fast untauglichen - jungen Mann verpflichten zu können. Mit dem Ende des kalten Krieges und der einsetzenden Entspannung im Jahre 1990 wurde der Grundwehrdienst auf 12 Monate verkürzt. Diese Umstände betrafen nun alle Wehrpflichtigen gleichermaßen, so dass dies mit Blick auf Art. 3 GG rechtlich nicht zu beanstanden ist, wenngleich es exemplarisch zeigt, dass selbst der Gesetzgeber rein bedarfsorientiert entscheidet!

In der Folgezeit kam es indes zu rechtlich-sehr bedenklichen Entwicklungen, die mit dem Gleichheitssatz kaum noch zu vereinbaren waren. Generell wurde das Einberufungsalter abgesenkt; ebenso wurden die Anforderungen an die Tauglichkeit so weit abgesenkt, dass früher taugliche Wehrpflichtige auf einmal nicht mehr tauglich waren. Schließlich wurde der Katalog der administrativen Zurückstellungen ausgeweitet: nicht nur die so genannten 3. Brüder waren ausgenommen, sondern auch Verheiratete, junge Männer mit Ausbildungsplatzzusage und weitere Sondergruppen. Schließlich passte der Gesetzgeber mit dem Streitkräftereserve-Neuordnungsgesetz die wehrrechtlichen Regelungen an die veränderten sicherheitspolitischen Anforderungen an und übernahm weitgehend die administrativen Wehrdienstausnahmen in das Gesetz. Weitere Änderungen sieht ein Gesetzentwurf des Bundesverteidigungsministeriums vor, der jedoch noch nicht in der parlamentarischen Beratung ist.

Diese - nicht vollständige - Schilderung der wehrrechtlichen Entwicklung belegt, dass letztlich die Politik bestimmt, was Wehrgerechtigkeit bedeutet - und zwar anhand von Kriterien, die sich vorrangig an Zweckmäßigkeitserwägungen der Bundeswehr (und des Haushalts?) ausrichten, jedoch nicht (oder weniger) an verfassungsrechtlichen Vorgaben.


Gleichbehandlung

Die Wehrpflicht findet jedoch nicht in einem verfassungsfreien Raum statt, auch wenn die derzeitige Einberufungspraxis zur Absolvierung des Zwangsdienstes bei vielen jungen Männern das Gefühl der Ungleichbehandlung und Ohnmacht dem Staat gegenüber verstärkt.

Ich lasse in diesem Zusammenhang das Problem der Frauen unerörtert. Sie kennen das Urteil des EUGH in der Sache Tanja Kreil; inwieweit dies Auswirkungen auf unsere Verfassung hat oder haben wird, ob wir bei Art. 12a GG vielleicht von einem "verfassungswidrigen Verfassungsrecht" sprechen müssen, ist rechtlich gewiss hoch interessant, würde den heutigen Rahmen indes sprengen.

Entscheidende Grundlage für die Wehrgerechtigkeit ist Art. 3 GG, der die Gleichbehandlung der Bürger durch den Staat einfordert. Wehrgerechtigkeit ist zugleich Willkürverbot; dem müssen die Wehrbehörden im Rahmen ihres - gerichtlich nicht überprüfbaren - Einberufungsermessens nachkommen. Was aber, wenn die Ungleichbehandlung bereits im Gesetz angelegt ist?

Gleichbehandlung bedeutet zunächst, dass nicht ohne sachlichen Grund gleiche Tatbestände unterschiedlich bewertet werden dürfen. Gleichheit oder Ungleichheit zeigt sich regelmäßig im Belastungserfolg, der von einer gesetzlichen Regelung ausgeht; dabei ist wesentlich, dass es hierbei nicht nur auf die rechtliche, sondern auch auf die tatsächliche Komponente der Belastung ankommt. Folgt die Ungleichheit lediglich aus dem Gesetzesvollzug, wie dies bei den administrativen Wehrdienstausnahmen der Fall war und ist, so kann dies auf einer gesetzlichen Lücke beruhen. Diese kann und muss der Gesetzgeber schließen, um entstandene gleichheitswidrige Zustände zu beseitigen.

Liegt die Ungleichheit in einer fehlerhaften Gesetzesanwendung, so sind die Verwaltungsgerichte berufen, korrigierend einzugreifen; jedoch gelingt dies im Hinblick auf das nicht überprüfbare Einberufungsermessen nur sehr unvollkommen. (So hat z.B. das Bundesverwaltungsgericht vor einigen Jahren die Klage eines 3. Bruders, der vom Kreiswehrersatzamt - entgegen der Erlasslage - "versehentlich" einberufen worden war, abgewiesen mit der (rechtlich zutreffenden) Begründung, administrative Wehrdienstausnahme seien unzulässig. Dies war für den jungen Mann gewiss wenig hilfreich und hat sein Bild von Recht und Gerechtigkeit in unserem Staat wohl kaum positiv beeinflusst.)

Mit der Anpassung der Wehrgerechtigkeit an den personellen Bedarf der Bundeswehr durch den Gesetzgeber schafft der Gesetzgeber nun selbst die Wehrungerechtigkeit unmittelbar im Gesetz. Dabei wird er durch das bereits erwähnte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von Januar 2005 auch noch bestätigt. Nun sind grundsätzlich Ausnahmeregelungen zu gesetzlich auferlegten Pflichten zulässig, wenn z. B. Regelungen für bestimmte Personen oder Gruppen zu unzumutbaren Zuständen oder zu persönlichen Härten führen würden, die vom Gesetz im Grundsatz nicht intendiert sind. Das ganze ist jedoch immer am Grundsatz der Gleichbehandlung des Art. 3 GG zu messen. Und ob es hiernach sachgerecht ist, z.B. die Gruppe der Verheirateten - vordergründig aus pekuniären Gründen - vom Wehrdienst auszunehmen, ist mehr als zweifelhaft.

Der Gesetzgeber muss sich bei seiner Tätigkeit eigentlich orientieren an dem, was das Bundesverfassungsgericht zu Beginn seiner Rechtsprechung als "Weisung an den Gesetzgeber" gesagt hat: Dieser hat "bei steter Orientierung am Gerechtigkeitsgedanken Gleiches gleich, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln." Diese "Weisung" ist verletzt, wenn eine Differenzierung auf keinen vernünftigen Erwägungen beruht, wenn die Unsächlichkeit der Differenzierung evident, d. h., willkürlich ist. "Willkürlich" bedeutet nun für uns Juristen nicht, dass von einem subjektiven Schuldvorwurf auszugehen wäre, sondern "willkürlich" ist vielmehr objektiv zu bestimmen, nämlich daran zu messen, ob eine Maßnahme tatsächlich und eindeutig unangemessen ist.

Zu Beginn der 1980-er Jahre hat das Bundesverfassungsgericht dies noch einmal präzisiert: Danach liegt eine Ungleichbehandlung vor, wenn "eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten."

"Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht" - das ist das ausschlaggebende Kriterium, wenn der Gesetzgeber innerhalb einer Gruppe - hier der jungen Männer - differenzieren will. In späteren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht diesen Grundsatz zwar etwas relativiert, indem es unter dem Blickwinkel von Verhältnismäßigkeitsabwägungen Abstufungen an die Anforderungen von "Art" und "Gewicht" gemacht hat. Es hat aber zugleich immer wieder betont, dass bei einer Ungleichbehandlung von Personengruppen eine besonders strenge Bindung an die Gleichbehandlung zu beachten ist, und - noch weitergehend - bei der Differenzierung nach personenbezogenen Merkmalen "besonders streng" zu verfahren ist.

Legt man dies zugrunde, so ist bei den Eingriffen in die Rechte junger Männer, die das WPflG und das ZDtG ermöglichen, bei dem geforderten Dienst als staatlichem Zwangsdienst gewiss die "besonders strenge" Bindung an Art. 3 GG zu beachten.

Als Vorgabe an den Gesetzgeber lässt sich daraus ableiten:

keine uferlose Ausweitung von Zurückstellungsgründen,
kein unbeschränktes Drehen an der Tauglichkeitsschraube,
kein Abstellen auf die für den Pflichtdienst zur Verfügung stehenden Jahrgangsstärken
keine Ausrichtung allein am personellen Bedarf.

Dass das jetzige WPflG diesen Anforderungen nicht genügt, dürfte ohne weiteres erkennbar sein, denn mit der Schaffung einer Vielzahl von Ausnahmen wird die Personengruppe der jungen Männer in willkürhafter Weise reduziert auf einen Kernbestand, der den Wehrbehörden zur Leistungen der "allgemeinen" Dienstpflicht genehm ist. Dies ist auch vor dem Hintergrund des Wandels der Anschauungen über militärische Bedrohung und Verteidigungsbereitschaft nicht zu rechtfertigen. Einen Zwang zur Arbeit außerhalb einer für alle gleichen Dienstleistungspflicht schließt indes bereits Art. 12 Abs. 2 GG ausdrücklich aus.


Fazit

Die jetzige Einberufungspraxis aufgrund des WPflG führt daher zu einem Vollzugsdefizit bei der erforderlichen gleichmäßigen Heranziehung aller jungen Männer. Dieses Vollzugsdefizit schlägt auf die Normen des WPflG durch und führt daher zu deren Verfassungswidrigkeit. (Das Bundesverfassungsgericht hat bereits 1991 zur Zinsbesteuerung eine ähnliche Situation vorgefunden, auch das Bundesverwaltungsgericht zieht bei der Diskussion dieser rechtlichen Fragen eine Parallele zur Steuergesetzgebung.) Erweist sich das WPflG als verfassungswidrig - wovon das Verwaltungsgericht Köln in seinen Vorlagebeschlüssen an das Bundesverfassungsgericht ja ausgeht -, so kann natürlich auch das ZDG keinen Bestand haben. Ob es - und welche - Lösungen dieser Frage geben wird, muss daher wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden, da in der Politik noch mehrheitlich an der Wehrpflicht festgehalten wird.


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Aus der Arbeit der Zentralstelle KDV

Die Pflicht zur Verweigerung

Die kriegerischen Interventionen der Bundeswehr verstoßen in immer mehr Fällen gegen internationales Recht. Bei dem Krieg gegen Jugoslawien zu Gunsten der Albaner im Kosovo ist das unbestritten. Die Begründungen haben sich als Lügen herausgestellt wie die Begründungen für den Irakkrieg. Der Krieg gegen Afghanistan wurde begonnen, als der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich bereits mit den Problemen befasst hat und damit das Selbstverteidigungsrecht der USA obsolet war. Diesen Krieg (Enduring Freedom) zu unterstützen, statt sich auf die friedliche Hilfe zu beschränken, ist Unrecht. Bei der Unterstützung des Irakkrieges der USA hat das Bundesverwaltungsagericht auf den Versoß gegen das Völkerrecht hingewiesen. Das Weißbuch begründet kriegerische Interventionen sogar mit dem freien Zugang zu Ressourcen in fremden Staaten, sowie der Erzwingung freier Kommunikation und freien Handelns. Die Zustimmung der Vereinten Nationen soll nur noch wünschenswert sein. Damit wird deren friedeserhaltende Funktion ausgehöhlt und das geltende Völkerrecht gebrochen.

Angesicht dieser Situation weisen wir alle Soldatinnen und Soldaten darauf hin, dass sie im Falle völkerrechtswidriger kriegerischen Interventionen nicht nur das Recht, sondern die Pflicht haben, jede Mitwirkung zu verweigern. Das Grundgesetz verpflichtet zur Achtung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts. es kann nicht bestritten werden, dass die Charta der Vereinten Nationen dazu gehört. Wer Informationen oder Hilfe bracht, kann sich an die Zentralstelle KDV und ihr Mitgliedsverände wende.

Beschluss der Mitgliederversammlung der Zentralstelle KDV vom 3. März.


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Jürgen Kohlheim war - bis zu seiner Pensionierung Ende März - Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Köln. Die von ihm geleitete Kammer hat mit Beschluss vom 15.04.2005 dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorgelegt, ob die Wehrpflicht (noch) verfassungsgemäß ist (Dieser Vorlagebeschluss ist veröffentlicht in Forum Pazifismus 06, S. 28ff.).

Der hier veröffentlichte Text ist das Manuskript eines Vortrages bei der Mitgliederversammlung der Zentralstelle KDV am 3. März in Berlin.


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 13, I/2007, S. 36-40
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juni 2007