Schattenblick →INFOPOOL →BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT

FRAGEN/003: Frieder Wagner - "Das größte Kriegsverbrechen unserer Zeit" (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2009
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Das größte Kriegsverbrechen unserer Zeit"

Interview mit dem Filmemacher Frieder Wagner über Uran-Waffen


Der Filmemacher Frieder Wagner, Jahrgang 1942, wurde mehrfach mit dem renommierten Grimme-Preis ausgezeichnet und ist Träger des Europäischen Fernsehpreises. In seinem Film "Todesstaub" ("Deadly Dust") hat er die tödlichen Folgen der Uran-Munition für Umwelt und Bevölkerung festgehalten. Der Film wurde auf der Berlinale 2007 als bester Dokumentarfilm für "Cinema for Peace" nominiert. Anlässlich der Filmaufführungen von "Deadly Dust" am 4. März in Vaihingen/Enz und am 5. März in Baden-Baden sprach Roland Blach, Geschäftsführer des DFG-VK-Landesverbands Baden-Württemberg für die ZivilCourage mit Frieder Wagner.


Uran-Waffen sind keine Atom-Waffen im herkömmlichen Sinne. Was kannst du zu deren Eigenschaften und Wirkungsweise sagen?

Uran-Munition und -bomben sind die wohl furchtbarsten Waffen, die heutzutage in Kriegen eingesetzt werden, weil sie die Menschheit unweigerlich in den Abgrund führen. Denn eine der Folgen der Anwendung von Uran-Waffen ist, dass es bei Mensch und Tier zu Chromosomenbrüchen kommt und so der genetische Code verändert wird.

Das ist seit Jahrzehnten eine wissenschaftliche Tatsache und der amerikanische Arzt Dr. Herman Joseph Muller hat dafür schon 1946 den Nobelpreis bekommen.

Trotzdem haben die alliierten Streitkräfte in den vergangenen fünf Kriegen so getan, als würde es diese Tatsachen nicht geben. 1991, im ersten Irak-Krieg haben die alliierten Streitkräfte mindestens 320 Tonnen dieser Uran-Munition eingesetzt. Aus einer vertraulichen Mitteilung des britischen Verteidigungsministeriums wissen wir inzwischen, dass schon die Anwendung von 40 Tonnen dieser Munition zu 500.000 Folgetoten führt und zwar durch hoch aggressive Krebstumore und Leukämie.

Diese Waffen sind ein vergleichsweise tabuisiertes Thema. In der Öffentlichkeit taucht es am ehesten im Zusammenhang mit dem Irak-Kriegs- oder Balkan-Kriegs-Syndrom auf. Gibt es Beispiele für eindeutige Folgewirkungen von Uran-Munition?

1995 im Bosnienkrieg wurde die kleine serbische Stadt Hadzici, 15 Kilometer entfernt von Sarajewo, mit Uranbomben vom Typ GBU 28 bombardiert. Der Grund: Die Serben hatten dort ein Panzerreparaturwerk. Damals ahnten die Serben, dass die Auswirkungen der eingesetzten Bomben auch nach ihrer Anwendung noch lebensgefährlich für die Bewohner sein könnten und siedelten 3.500 Bürger von Hadzici in das Gebirgsstädtchen Bratunac um. Aber es war zu spät, denn viele dieser Menschen hatten sich schon kontaminiert. In den folgenden fünf Jahren starben von den Umgesiedelten 1.112 an aggressiven Krebserkrankungen. Der britische Journalist Robert Fisk schrieb darum zu Recht im "Independent", man hätte auf die Grabsteine dieser Menschen schreiben können: "Gestorben an den Folgen von Uran-Munition."

Was macht diese Munition so gefährlich?

Uranwaffen werden aus abgereichertem Uran hergestellt. Es ist ein Abfallprodukt der Atomindustrie. Wenn man aus Natur-Uran Brennstäbe herstellt, fallen viele Tonnen abgereichertes Uran an. Diese sind zwar, als Alphastrahler nur schwach radioaktiv, müssen aber entsprechend entsorgt und bewacht werden, und das kostet Geld, viel Geld. Das abgereicherte Uran, auf Englisch als Depleted Uranium bezeichnet, das als Schwermetall wie Blei auch noch hoch giftig ist, hat eine Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren, das heißt, dieses Zeug haben wir ewig, und inzwischen gibt es weltweit davon etwa 1,2 Millionen Tonnen und es werden täglich mehr. So stellte sich alsbald die Frage: Wie kriegt man dieses radioaktive und hoch giftige Zeug wieder los?

Da entdeckten die Waffenentwickler der Militärs, dass dieses Metall, das als Abfallprodukt sehr billig zu haben ist, für militärische Zwecke zwei ausgezeichnete Eigenschaften besitzt: Formt man es zu einem spitzen Stab und beschleunigt diesen entsprechend, dann durchdringt er aufgrund seines enormen Gewichtes Stahl und Stahlbeton wie heißes Eisen ein Stück Butter. Dabei entsteht an diesem abgereichertem Uran-Metallstab ein Abrieb, der sich bei der enormen Reibungshitze von Temperaturen zwischen 3.000 bis 5.000 Grad Celsius selbst entzündet.

Also: Wenn sich ein solches Geschoss in Sekundenbruchteilen durch einen Panzer schweißt, entzündet sich das abgereicherte Uran, und die Soldaten in dem Panzer verglühen. 2 bis 3 Sekunden später explodiert dann die im Panzer befindliche Munition, und das Fahrzeug wird so völlig zerstört. Wegen dieser beiden Eigenschaften - Stahl wie Butter zu durchdringen und die Fähigkeit, sich selbst zu entzünden und so wie ein Sprengstoff zu wirken - ist das Abfallprodukt "abgereichertes Uran" heute bei den Militärs so beliebt.

Das ist aber noch nicht alles: Bei den hohen Temperaturen von bis zu 5.000 Grad Celsius verbrennt das Urangeschoss zu keramisierten Nanopartikelchen von einer Größe, die 100 Mal kleiner ist als ein rotes Blutkörperchen. Es entsteht ein Metallgas, und dieses ist weiterhin radioaktiv und hoch giftig.

Uran-Munition wurde in fünf Kriegen, u.a. auch im Kosovo und in Afghanistan eingesetzt. Was haben die dort eingesetzten Soldaten zu befürchten?

Ich prognostiziere, und bin darin einig mit vielen unabhängigen Wissenschaftlern weltweit, dass von unseren Tausenden eingesetzten deutschen Soldaten im Kosovo und in Afghanistan - und das gilt natürlich für alle anderen Soldaten auch - etwa 30 Prozent durch Uran-Munition kontaminiert nach Hause zurückkommen werden.

Diese jungen Soldaten werden mit ihren Ehefrauen Kinder zeugen und, ohne es zu wissen, ihre Kontamination an ihre Kinder und Kindeskinder weitergeben mit allen furchtbaren Folgen von Missbildungen, Immunschwäche, Leukämie und Krebstumoren.

Und wir dürfen nicht glauben, dass das Problem gelöst wäre, wenn all diese kontaminierten Soldaten tot sein werden - nein, ihre Kinder und Kindeskinder werden den deformierten genetischen Code weitergeben an ihre Kinder und Kindeskinder wie bei einer Epidemie, und wir werden nichts dagegen tun können.

Was sagt eigentlich die Nato zu den Gefahren der Uranmunition?

Während die Gewerkschaft der Nato-Soldaten, die Euromil, eine sofortige Ächtung dieser Waffe aus den bekannten Gründen fordert, sagte der beigeordnete Generalsekretär für politische Fragen in der Nato, Martin Erdmann, dazu, dass er eine solche Ächtung "nicht einmal am fernen Horizont" sieht - eine Tragödie, die wir noch bereuen und teuer bezahlen werden.

Hat sich der Bundestag bereits mit dem Thema befasst?

Die Bundestagsfraktion Die Linke hat im vergangenen Jahr eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung zu den Folgen des Einsatzes der Uran-Munition gestellt. Diese Fragen hat der Staatsminister Gernot Erler von der SPD im Namen der Bundesregierung beantwortet. Eine der Fragen lautete, ob der Bundesregierung Erkenntnisse über den Einsatz von Uran-Munition in Afghanistan seit 2001 vorliegen und ob man entsprechend die Soldaten informiert hat?

Der Staatsminister Gernot Erler antwortete darauf wörtlich: "Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zu möglichen Einsatzorten bzw. -zeiten von Munition mit abgereichertem Uran in Afghanistan seit 2001 vor", und fährt dann fort: "Der Bundesregierung wird ein Einsatz von Munition mit abgereichertem Uran nicht angezeigt. Eine Informationspflicht hierzu besteht nicht."

Hast du Erkenntnisse, wie die Bundeswehr selbst mit dieser Situation umgeht?

Mir wurden in Kopie zwei Seiten einer Broschüre zugespielt, die als "VS - Verschlusssache - Nur für den Dienstgebrauch" deklariert ist und aus dem Verteidigungsministerium aus dem Jahr 2003 stammt. Sie trägt den Titel "Leitfaden für Bundeswehrkontingente in Afghanistan".

Dort heißt ein eigener Unterabschnitt "Gefährdung durch DU-Munition", der unter anderem besagt, dass von den US-Truppen in Afghanistan auch panzerbrechende Brandmunition mit DU-Kern eingesetzt worden ist. Explizit heißt es dann: "Beim Einsatz dieser Munition gegen Hartziele (z.B. Pz, Kfz) entzündet sich das Uran auf Grund seiner pyrophoren Wirkung. Bei der Verbrennung entstehen besonders an und in den Zielen sesshafte toxische Stäube, die jederzeit aufgewirbelt werden können. DU-Munition kann deshalb bei ungeschütztem Personal toxische und radiologische Schädigungen hervorrufen" usw.

Dieses Papier beweist, dass unser Staatsminister Gernot Erler das Parlament, den Parlamentspräsidenten und uns, das Volk, belogen hat, wenn er sagt, "der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse zu möglichen Einsatzorten von Uran-Munition in Afghanistan seit 2001 vor".

Die Öffentlichkeit wird also wie so oft entweder aus strategischen Gründen oder aus Unwissenheit heraus für dumm verkauft. Welche Konsequenzen sollten wir als BürgerInnen und FriedenaktivistInnen daraus ziehen?

In Sachen Uranmunition jedenfalls folgende: Die Gefahren der Uran-Munition sind der Bundesregierung seit dem Golf-Krieg von 1991 und dem Kosovo-Krieg 1999 öffentlich zugänglich und bekannt, auch unseren damaligen und heutigen Politikern. Wer darum 2003 für den Golfkrieg gestimmt hat, stimmte nicht nur für einen völkerrechtswidrigen Krieg, er war damit auch wissentlich und willentlich für das Kriegsverbrechen der Uranmunition.

Hochrangige Persönlichkeiten und Politiker, die heute in der Regierungsverantwortung stehen, haben sich in Deutschland 2003 für diesen Golfkrieg ausgesprochen. Sie können sich nun nicht darauf zurückziehen, von der zwangsläufigen Verwendung von Uran-Munition und den Folgen in einer heutigen kriegerischen Auseinandersetzung nichts gewusst zu haben. Und sie werden sich für die Folgen eines Tages verantworten müssen.

Von den Regierungen der Welt, also in den Vereinten Nationen und im Uno-Sicherheitsrat, aber natürlich auch in unserem Parlament ist ein Verbot des Einsatzes von Uranwaffen zu fordern. Denn keine Macht dieser Welt hat das Recht, auf ihren selbst gewählten Kriegsschauplätzen ganze Regionen unbewohnbar zu machen und die Menschen noch lange nach Beendigung der Kriegshandlungen zu vergiften und zu töten, denn das ist ein Kriegsverbrechen.

Das Thema Uran-Munition ist leider immer noch ein Tabuthema. Mit deinen Aussagen wirst du dir nicht nur Freunde machen? Hat das Auswirkungen auf deine journalistische Arbeit?

Für meine fernsehjournalistischen Arbeiten habe ich verschiedene, auch internationale Auszeichnungen bekommen. Seit der WDR 2004 einen Film von mir zu dieser Thematik gesendet hat, der danach im Archiv "verschwunden" ist, habe ich nie mehr einen Auftrag von einem öffentlich-rechtlichen Sender bekommen. Kann ich beweisen, dass da ein Zusammenhang besteht? Nein! Ist es so passiert? Ja!

Du bist also darauf angewiesen, mit deiner Kinodokumentation "Deadly Dust - Todesstaub" von Stadt zu Stadt zu ziehen und die erschütternden Bilder einem interessierten und aufgeschlossenen Publikum nahe zu bringen?

Zum Teil ja. Aber ich mache das ja auch in erster Linie, weil ich nicht will, dass man mich mundtot macht. Da die Politik und die Medien dieses Thema verschweigen, weil es eine der unbequemsten Wahrheiten ist und dazu ein Kriegsverbrechen, bringe ich dieses Kriegsverbrechen so in das Bewusstsein der Menschen. Denn mit dieser Waffe führen wir einen Krieg gegen uns selbst und das muss in die Köpfe und ins Bewusstsein der Leute.


*


Quelle:
ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2009, S. 4 - 5
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
Tel. 040/18 05 82 87, Telefax: 03212/10 28 255
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de

Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 12,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Juni 2009