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FRAGEN/004: "Wir müssen über neue Aktionsformen nachdenken" (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2009
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Wir müssen über neue Aktionsformen nachdenken"

Interview mit dem Präsidenten des Internationalen Friedensbüros (IPB), Tomas Magnusson,
und dessen Generalsekretär Colin Archer über die Anti-Nato-Proteste


Wieso hat das IPB die Anti-Nato-Proteste unterstützt?

Zunächst einmal haben wir ganz pragmatisch gesehen, dass an den Protesten eine Reihe unserer Mitgliedsorganisationen beteiligt waren. Die politische Begründung ist die Entwicklung der Nato im militaristischen System, in dem sie sich zunehmend als Hindernis einer weltweiten Friedensordnung darstellt. Wir betrachten die Nato als Werkzeug militärischer Gewaltanwendung unter Führung der USA, das die Vereinten Nationen und das Völkerrecht umgeht und auf allen Kontinenten Militärstützpunkte hat. Außerdem passten die Protestaktionen gut in unsere aktuelle Kampagne "Nachhaltige Abrüstung für nachhaltige Entwicklung", in der die Rüstungsausgaben einen Schwerpunkt bilden. Die Nato-Staaten sind für 75 Prozent der weltweiten Militärausgaben verantwortlich.

Was verursachte eurer Ansicht nach die Gewalteskalation in Straßburg?

Wir haben den friedlich Protestierenden gratuliert und sowohl die repressive Taktik der Polizei wie auch die sinnlose Gewalt des "Schwarzen Blocks" verurteilt. In unserer Erklärung heißt es: "Die Ereignisse des vergangenen Wochenendes zeigen deutlich, was falsch läuft, nicht nur in Bezug auf die Nato, sondern auch in den so genannten demokratischen Gesellschaften Europas: Während die Nato-Oberhäupter und die europäische politische Elite sich in exklusivem Stil gütlich taten und eine weitgehend kriecherische Presse fast wörtlich an ihren Lippen hing, wurde die Stadt unter Belagerung gestellt und ihre Bewohner ihrer Freiheiten und selbst der öffentlichen Transportmittel beraubt. Die Präsenz Tausender bewaffneter Polizisten sowohl im Stadtzentrum wie in den östlichen Stadtteilen, in denen die Demonstration stattfinden sollte, trug nur dazu bei, die Spannung zu erhöhen und jene zu provozieren, die sich auf die Anwendung von Gewalt vorbereitet hatten."

Kann man unsere Gesellschaften immer noch Demokratien nennen, wenn Protesten bei solchen Gipfelereignissen derart viele Hindernisse in den Weggelegt werden?

Ja, aber wir könnten gezwungen sein, unsere Versammlungsorte sorgfältiger auszusuchen, vor allem bei Aktionen, die mit Gipfeltreffen auf Regierungsebene zusammenfallen. Ein *Ausweg könnte darin bestehen, neue und innovative Protestformen zu finden, die dezentral ablaufen und nicht wie bisher Menschen anziehen, die unsern Grundwert der Gewaltfreiheit nicht teilen. Es gibt Tausende Möglichkeiten, in Demokratien - heute sogar in nicht-demokratischen Gesellschaften -, die eigene Stimme zu Gehör zu bringen, vor allem im Zeitalter des Internet, der Bürger-Journalisten und einer immer noch wachsenden Vielfalt von Organisationen und Projekten der Zivilgesellschaft. Problematisch ist, dass die Regierungen gelernt haben, diese Stimmen zu ignorieren, wenn sie entschlossen sind, ihre Politik durchzupeitschen. Das erzeugt Frustration und Zynismus. Der Abstand zwischen den Reichen und Mächtigen und denen am Fuß der Pyramide ist enorm, und das ist Treibsatz für Gewalt.

Was kann getan werden, um künftige Proteste effektiver zu machen und Gewaltanwendung vorzubeugen?

Wir müssen über neue Aktionsformen nachdenken, um unserem Grundrecht auf Protest sichtbaren Ausdruck zu verleihen. Es gibt Vieles zu verbessern und genug Anlass für kreatives Nachdenken. Beim G20-Gipfel in London hat z.B. die Benutzung mobiler Kameras die Wahrheit über die Brutalität der Polizei enthüllt. Sie könnte auch die Wahrheit über die Gewalt seitens der Protestierenden zeigen, was die andere Seite desselben Problems ist. Organisatoren solcher Demonstrationen könnten beispielsweise über große Transparente nachdenken, die deutlich verkünden "Das ist ein gewaltfreier Protest - also bitte keine Steine, kein Tränengas, keine Brandstiftung!"


Das Interview für die ZivilCourage führte Guido Grünewald, internationaler Sprecher der DFG-VK.


Bildunterschrift der im Schattenblick nicht veröffentlichten Abbildung der Originalpublikation:
Thomas Magnusson (links) und Colin Archer (rechts) gemeinsam mit Göran von Bonnsdorf Ehrenpräsident der Finnischen Friedensunion


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Quelle:
ZivilCourage Nr. 2 - Mai 2009, S. 15
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK e.V.),
Kasseler Straße 1A, 60486 Frankfurt
Redaktion: ZivilCourage, Postfach 90 08 43, 21048 Hamburg
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Erscheinungsweise: zweimonatlich
Jahres-Abonnement: 12,00 Euro einschließlich Porto
Einzelheft: 2,00 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juni 2009