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STANDPUNKT/073: Rechtliche Überlegungen zur Streitfrage zwischen Zumach und Rose (FP)


Forum Pazifismus Nr. 17 - I/2008
Zeitschrift für Theorie und Praxis der Gewaltfreiheit

Zur Reichweite von Art. 4 Abs. 3 GG
Rechtliche Überlegungen zur Streitfrage zwischen Zumach und Rose

Von Eberhard Kunz


1. Wie weit reicht der Geltungsbereich von Art. 4 Abs. 3 GG?

Zunächst muss vorausgeschickt werden, dass Artikel 4 Abs. 3 Grundgesetz (GG) sich vom Wortlaut her auf alle Menschen bezieht, nicht nur auf deutsche. Es handelt sich aber um ein Grundrecht, das auch nur dem deutschen Staat entgegengehalten werden kann. Das ergibt sich ganz zwanglos daraus, dass das deutsche Grundgesetz auch nur Abwehrrechte gegen Eingriffe des deutschen Staates zur Verfügung stellen kann. Folgt nun daraus, dass sich ein Ausländer, möglicherweise dazu noch ein Angehöriger einer hier stationierten ausländischen Truppe, im Zusammenhang mit dem Asylrecht auf das Grundrecht der Kriegsdienstverweigerung berufen kann? Zur Beantwortung dieser Frage sind zunächst ein paar grundsätzliche Ausführungen zum Asylrecht notwendig.

Dem Gesetzgeber gefiel es, die Regelungen zum Asylrecht, die er kurz und bündig im ursprünglichen Art. 16 Abs. 2 Satz 2 GG in einem Satz fasste, im Laufe der Jahre immer mehr einzuschränken. Irgendwann bemerkte die Regierung der Bundesrepublik Deutschland, dass das ständige Leugnen der Tatsachen zu nichts führt; dass man sich längst zu einem Einwanderungsland entwickelte hatte. Das Asylverfahrensgesetz (AsylVerfG) taugte noch nie dazu, Einwanderungsströme zu steuern. Deshalb wurden immer wieder und schließlich auch durch die Einführung des Art. 16a GG im Jahre 1993 weitere Restriktionen eingeführt, was beispielsweise die Bestimmung so genannter verfolgungssicherer Länder angeht. Sogar die Rechtsschutzmöglichkeiten wurden wieder verkürzt, nachdem sie zuvor schon mehrfach gegenüber dem "normalen" Verwaltungsrecht eingeschränkt worden waren. Das Asylrecht war also schon immer in der politischen Diskussion, Erweiterungen gab es sehr selten und nur dann, wenn sie aufgrund beispielsweise europäischer Vorgaben nicht zu umgehen waren.

Eine allgemeine Definition der politischen Verfolgung, die Art 16 Abs. 1 GG meint, gibt es eigentlich nicht. Sie wurde weder in der Rechtsprechung noch in der Lehre übereinstimmend beurteilt. Jedenfalls bedeutet Verfolgung eine Rechtsgutbeeinträchtigung von asylrechtlich erheblicher Intensität, durch die der Flüchtling in eine ausweglose Lage geraten ist. Grundsätzlich stellt jeder Eingriff in Leib, Leben oder persönliche Freiheit eine Asyl begründende Maßnahme dar. Streitig ist hierbei, ob Inhaftierungen oder beispielsweise auch Körperverletzungen in ihrer Bedeutung dadurch relativiert werden dürfen, dass die im Herkunftsstaat geltenden Maßstäbe herangezogen werden. Auch nicht-staatliche Verfolgung kann mittlerweile zum Aufenthaltsrecht führen.


(Red.) Die Aussagen von Andreas Zumach in seiner Laudatio auf den US-Deserteur Agustín Aguayo (siehe Seite 8 in diesem Heft) haben Jürgen Rose zu Widerspruch veranlasst (siehe vorhergehende Seite). Bei dem Streit handelt es sich um juristische Fragestellungen, weshalb wir den Rechtsanwalt Eberhard Kunz um einen Beitrag gebeten haben.

Er beschäftigt sich mit der Frage, welche Reichweite das Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung nach Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes hat und welche Rechte die USA im Umgang mit "ihren" Kriegsdienstverweigerern in Deutschland haben.


Dabei hat das neue Gesetz jetzt sichere Herkunftsstaaten eingeführt (§ 29a AsylVfG), das sind derzeit allerdings lediglich die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sowie Ghana und Senegal. Immerhin, so realistisch sind wir: Die USA gehören nicht dazu!

Generell hatte das Bundesverfassungsgericht (BverfG) bereits am 02.09.1991 (2 BvR 939/89) festgelegt, dass die Wehrpflicht und die damit im Zusammenhang stehenden Sanktionen wegen Kriegsdienstverweigerung keine politische Verfolgung für sich allein genommen darstellen können, selbst wenn sie von totalitären Staaten ausgehen. Eine abweichende Beurteilung kommt jedoch dann in Betracht, wenn der Einzelfall dies erfordert. Das kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn die besonderen Verhältnisse im Heimatland die Kriegsdienstverweigerung mit Sanktionen belegen, denen eine politische Verfolgungstendenz inne wohnt. Das BVerfG bezog sich hier auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 31.03.1981 (9 C 6/80).

Das BVerwG hatte die Frage zu untersuchen, ob dem Wehrdienst an sich auch eine Verfolgungstendenz zukommen kann. Das ist etwa dann der Fall, wenn durch den Wehrdienst zugleich eine politische Disziplinierung und Einschüchterung von politischen Gegnern in den eigenen Reihen, eine Umerziehung von Andersdenkenden oder eine Zwangsassimilation von Minderheiten bezweckt ist. Anhaltspunkte dafür sind beispielsweise die besondere Ausformung der Wehrpflicht, die praktische Handhabung aber auch die Funktion im allgemeinen politischen System. Berücksichtigen muss man auch den eventuellen totalitären Charakter einer Organisation oder einer Staatsform, die Radikalität der Ziele, das Maß angeforderter und durchgesetzter Unterwerfung. Der politisch diskriminierende Charakter von Wehrdienstregelungen kann sich auch daran zeigen, dass Verweigerer oder Deserteure als Verräter an der gemeinsamen Sache angesehen und deswegen übermäßig hart bestraft, zu besonders gefährlichen Einsätzen kommandiert oder allgemein geächtet werden.

Daraus folgt allerdings auch, dass beispielsweise eine Bestrafung im Heimatstaat, wie sie nach dem hiesigen Wehrstrafgesetz für Fahnenflüchtige ebenfalls vorgesehen ist, normalerweise nicht zum Asylrecht führt.

Das bedeutet:

Generell darf jeder Staat den Wehrdienst von seinen Staatsbürgern fordern.

Das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ist grundsätzlich kein Schutzrecht, das im Rahmen des Asylrechtes zum Aufenthalt verhilft.

Ausländische Kriegsdienstverweigerer erhalten in Deutschland nur dann asylrechtlichen Schutz, wenn sie im Heimatland gemessen an deutschen Maßstäben übermäßig hart bestraft oder auch sonst asylrelevant schlecht behandelt werden.

"Illegale" Kriegsdienstverweigerer werden also vom deutschen Asylrecht behandelt wie ganz normale Straftäter.


2. Wie darf ein Stationierungsstaat ausländischer Truppen in Deutschland mit "seinen" Kriegsdienstverweigerern verfahren?

Grundsätzlich haben nach Art. VII des Nato-Truppenstatutes die Militärbehörden des Entsendestaates das Recht, innerhalb des Aufnahmestaates die gesamte Straf- und Disziplinargerichtsbarkeit auszuüben, die ihnen durch ihr eigenes Recht übertragen ist. Verstoßen ausländische Soldaten gegen deutsches Recht, werden sie von deutschen Gerichten bestraft. Gemäß Art. VII Abs. 3a des Truppenstatuts haben die ausländischen Militärbehörden das Vorrecht auf Ausübung der Gerichtsbarkeit über ein Mitglied der Truppe wegen strafbarer Handlungen, die nur gegen das Vermögen oder die Sicherheit des Entsendestaates gerichtet sind, sowie bei strafbaren Handlungen, die sich aus einer Handlung oder Unterlassung in Ausübung des Dienstes ergeben. Das heißt für unseren Fall: Ein US-Deserteur unterliegt grundsätzlich der Strafbarkeit der US-Gerichtsbarkeit auch in Deutschland. Gemäß Art. 22 des Zusatzabkommens hat der Entsendestaat auch das Gewahrsamsrecht für seinen Soldaten, kann ihn also in eigenen Einrichtungen inhaftieren. Deutschland hat da keinen eigenen Einfluss.

Art. 18a des Zusatzabkommens zum Truppenstatut legt allerdings fest, dass der Entsendestaat die deutschen Behörden unterrichtet, wenn ein Strafverfahren mit möglicher Todesfolge für den Delinquenten eingeleitet wird. Und durchgeführt werden Strafverfolgungsmaßnahmen in Deutschland dann auch nicht, schon gar nicht die Vollstreckung. Das bedeutet: der Fahnenflüchtige wird zumindest nicht in Deutschland umgebracht.

Allerdings dürfte Deutschland auch einen Ausländer wohl nicht ausliefern, wenn ihm im Heimatland die Todesstrafe droht und ihn die "Heimatländer" noch nicht ergriffen haben. Jedoch ist Deutschland auch dann nicht für den Betroffenen ein "sicheres Pflaster". Denn seine "eigenen" Militärpolizisten könnten ihn festnehmen. Und dann kommt er doch in die Mühlen der für ihn heimatlichen (Militär-)Justiz.


Eberhard Kunz ist Rechtsanwalt und Mitglied im Vorstand der Zentralstelle KDV.


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Quelle:
Forum Pazifismus - Zeitschrift für Theorie und Praxis
der Gewaltfreiheit Nr. 17, I/2008, S. 13 - 14
Herausgeber: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig,
DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte
KriegsdienstgegnerInnen) mit der Bertha-von-Suttner-Stiftung der
DFG-VK, Bund für Soziale Verteidigung (BSV) und Werkstatt für
Pazifismus, Friedenspädagogik und Völkerverständigung PAX AN
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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. April 2008