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STANDPUNKT/127: Zukunftsperspektive Krieg als Dauerzustand (Zivilcourage)


ZivilCourage Nr. 4 - November 2014
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

Zukunftsperspektive Krieg als Dauerzustand

Von Ernst Rattinger



Wer hätte das zu Beginn der 1990er Jahre, also am Ende des sogenannten Kalten Krieges, gedacht: Krieg wird zum Normalzustand! Dauerkonflikte hat es zwar auch schon lange vor 1989/90 gegeben, beispielsweise den Nahostkonflikt oder alle möglichen postkolonialen Kriege und militärische Interventionen in Afrika - aber Kriege in Europa? Das war damals kaum vorstellbar. Doch bald schon wurden wir während der Jugoslawienkriege eines Besseren belehrt, mehr noch: Alte Konfliktlinien brachen auf, und Akteure von außen, also im Wesentlichen der Verbund USA/EU/Nato, heizten den Konflikt an, um ihre Interessen durchzusetzen. Russland war zum damaligen Zeitpunkt nach dem Zusammenbruch der UdSSR zur massiven, das heißt militärischen, Durchsetzung eigener Interessen nicht in der Lage. Inzwischen hat sich diese Situation geändert, wie am Beispiel des Ukraine-Konflikts deutlich wird.

Doch zurück zu den alten Frontlinien auf dem Balkan der 1990er Jahre: Slowenien mit seiner ethnisch, religiös und sprachlich weitgehend homogenen Bevölkerung und enger wirtschaftlicher Anbindung an Österreich hatte es wohl am leichtesten, sich aus dem Verband Jugoslawiens zu lösen. Im Falle Kroatiens war das wegen der bedeutenden serbischen Minderheit (die kulturell teilweise anders orientiert war, beispielsweise im Gegensatz zur katholischen Mehrheit orthodoxe Christen waren, nicht die lateinische, sondern die kyrillische Schrift verwendeten) nicht mehr so einfach, zumal diese Minderheit Unterstützung nur aus Serbien oder direkt vom "russischen Brudervolk" zu erwarten hatte.

Zweifellos waren im Falle Jugoslawiens anfangs Rivalitäten und Misstrauen unter den verschiedenen Völkern des Landes die Auslöser von Konflikten. Doch von Anfang an mischte auch die Europäische Union mit, allen voran der damalige deutsche Außenminister Genscher.

Die Vision "Groß-EU"

"Selbstbestimmung der Völker" war die Losung der Stunde, doch in Wahrheit war es wohl eher die Vision einer Groß-EU von Lissabon bis Tallinn und von Dublin bis Sofia, die die Europa-Strategen leitete.

Und auch die Nato hatte durchaus eigene Interessen. Ganz abgesehen vom permanenten Wunsch der Militärs, immer neue Regionen für eigene Militärbasen zu erschließen, war es für die Nato-Strategen geradezu ein Geschenk, ausgerechnet den Teil Europas als mögliches Aufmarschgebiet zu bekommen, der wegen der Blockfreiheit Jugoslawiens bisher nicht zugänglich war. Außerdem bot sich für die Militärs der europäischen Nato-Staaten die Chance, die Existenz eigener Streitkräfte auch nach Ende des Kalten Krieges zu legitimieren. Für die USA schließlich war es komfortabel, die Europäer mit einem Konflikt vor der eigenen Haustüre beschäftigt zu sehen, während sie selbst mit dem ersten Irakkrieg (1991) und seinen Folgen zu tun hatten.

In diesem Zusammenhang ist ein Gedanke besonders wichtig: Jenseits aller immer wieder beschworenen transatlantischen Gemeinsamkeit von Werten und Überzeugungen gab und gibt es erhebliche Unterschiede zwischen den langfristigen Interessen der USA und denen der Europäischen Union bzw. der europäischen Nato-Staaten.

Diese Unterschiede zeigen sich nicht nur auf militärischem Gebiet, allerdings auch dort. So waren die USA bis weit in die 1990er Jahre hinein an einer Osterweiterung der Nato nicht besonders interessiert. Die treibenden Kräfte dafür saßen in Warschau, Budapest und Bonn, was im Falle von Polen und Ungarn angesichts der jüngeren Geschichte noch einigermaßen nachvollziehbar sein mag. Doch im Ergebnis führten die dann folgenden Nato-Osterweiterungen 1999 (Polen, Tschechien und Ungarn), 2004 (Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien) und 2009 (Albanien und Kroatien) zu einem Zustand, der in Russland als Einkreisung durch die Nato empfunden wird. Ein Blick auf eine Karte der europäischen Nato-Staaten und ihrer Nachbarn kann dies verdeutlichen.

Hinzu kommen auch unterschiedliche Interessen der USA und EU-Europas auf wirtschaftlichem Gebiet. Mit einem Verweis auf das derzeit in der Kritik stehende Transatlantische Freihandelsabkommen (englisch: Transatlantic Trade and Investment Partnership - TTIP) wäre dieser Gegensatz nur unzureichend beschrieben. War es bis gegen Ende des 20. Jahrhunderts völlig selbstverständlich, dass die USA auf so gut wie allen Gebieten (Wissenschaft, Militär, Raumfahrt, Sport, wirtschaftliche Innovation, Handel) die Nummer 1 waren, so hat sich dies geändert. Seit 2003 sind die USA nicht mehr Exportweltmeister, und China wird in wenigen Jahren die USA auf Platz drei verdrängt haben. Damit wird der pazifische Raum für die USA wichtiger, und es könnte aus Sicht der USA durchaus interessant sein, den Konkurrenten Europäische Union dadurch zu schwächen, dass an seiner Ostflanke eine Zone andauernder politischer Instabilität geschaffen wird.

Beispiel Ukraine

In diesem Kontext soll der Fall der Ukraine betrachtet werden. Dort hat der verdeckte Einfluss der US-Geheimdienste wohl schon in den 1950er Jahren begonnen, im Laufe der Jahrzehnte mit unterschiedlicher Intensität, aber ganz gewiss verstärkt seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Dies weisen die Autoren des jüngst erschienenen und äußerst lesenswerten Buches "Wir sind die Guten" detailliert nach. Mathias Bröckers und Paul Schreyer zeigen darin die Kontinuität der Einflussnahme durch die USA seit den Zeiten des Kalten Krieges bis hin zum Auftreten von CIA-Beratern beim "Antiterror-Einsatz" in der jüngsten Zeit.

Will man nicht ganz so weit in die Vergangenheit zurückgehen, dann erinnere man sich an die letzten Winter. Immer wieder wurde ein Teil des für westliche Länder bestimmten Erdgases aus Russland von der Ukraine aus den über ihr Territorium verlaufenden Pipelines "abgezweigt". Der Hintergrund: Russland hatte Gaslieferungen an die Ukraine gekürzt - allerdings nicht aus purer Willkür, sondern weil Gaslieferungen Russlands an die Ukraine von dieser einfach nicht bezahlt worden waren. Auf den ersten Blick also ein ziemlich normaler Vorgang in geschäftlichen Beziehungen.

Doch auf den zweiten Blick musste schon damals jeder halbwegs objektive Betrachter erkennen, dass es Russland nicht nur um Gasrechnungen ging, sondern Signale ausgesandt werden sollten. Das auf dem Verhandlungstisch liegende Assoziierungsabkommen der Europäischen Union mit der Ukraine war von Anfang an eine Bedrohung russischer Interessen an seiner Südflanke.

Über den wirtschaftlichen Aspekt hinaus ging es im Hintergrund immer auch um militärische Fragen: Wie sollte Russland langfristig seinen Zugang zum Schwarzen Meer und zu den Militärbasen auf der Krim sichern, wenn die Ukraine nach und nach EU-Mitglied und am Ende vielleicht sogar Nato-Mitglied werden sollte? Vor diesem Hintergrund ist die nach einem Referendum am 16. März erfolgte Trennung der Krim von der Ukraine und der darauf folgende Anschluss an Russland zu sehen, auch wenn manche Beobachter diesen Vorgang als völkerrechtswidrig einstufen.

Unumstritten dürfte sein: Russland ist eine Großmacht mit Phantomschmerzen nach der Abtrennung bedeutender Teile des ehemaligen Sowjetimperiums; und was die Schmerzen nicht geringer macht: In Teilen dieses untergegangenen Imperiums stehen Nato-Truppen - und dies im Gegensatz zu früher von westlicher Seite gegebenen Zusagen. Aber klar ist auch: Die EU-Diplomatie hat in Sachen Ukraine kläglich versagt. Von Anfang an war die gegenüber der Ukraine kompromisslos formulierte Linie "Assoziation mit der EU nur bei Verzicht auf ein Freihandelsabkommen mit Russland" unhaltbar, da sie die enge wirtschaftliche Verflechtung der - vor allem in der Ost-Ukraine bestehenden - Schwerindustrie mit Russlands Wirtschaft nicht berücksichtigte.

Die Option, die Ukraine gewissermaßen als Brücke zum von Russland beherrschten Wirtschaftsraum zu nutzen, wurde seitens der EU überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Stattdessen wurden eine ukrainische Oligarchin mit Blondzopf und ein bekannter Box-Champion als Sachwalter westlicher Interessen in Stellung gebracht. Ein vernünftiger Ausgleich mit Russland und seinen Interessen war hingegen nicht vorgesehen. Man wollte sich darauf verlassen, dass Russland wie früher die Sowjetunion ein zuverlässiger Handelspartner bleiben würde.

Aus russischer Sicht war das westliche Vorgehen nur ein weiterer Baustein der als Einkreisung empfundenen Politik des Westens. Da war zuerst im Jahre 2002 die Kündigung des ABM-Vertrags zwischen der Sowjetunion und den USA von 1972 zur Begrenzung der Raketenabwehrsysteme. Offenbar hielten die USA rund zehn Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion die Zeit für gekommen, ihre Fähigkeit wieder herzustellen, anfliegende Gefechtsköpfe abzufangen und zu zerstören. Das war eine klare Misstrauenserklärung gegenüber Russland, dem damit indirekt unterstellt wurde, die USA bzw. ein anderes Nato-Land angreifen zu wollen.

Die Vertragskündigung muss im größeren Kontext der Nato-Osterweiterung gesehen werden, deren erster Schritt bereits 1999 mit der Aufnahme Polens, Tschechiens und Ungarns erfolgt war. Speziell diese ehemaligen Ostblockstaaten drängten darauf, dass das westliche Bündnis die Fähigkeit haben müsse, etwaige Angriffe Russlands erfolgreich abzuwehren. Die offizielle Diplomatie nannte zwar andere potenzielle Angreifer, zum Beispiel den Iran oder Nordkorea, doch das Verhältnis zu Russland blieb beeinträchtigt.

Etwas komplexer stellt sich die Bewertung dar, wenn es um die Frage des Beitritts Russlands zur WTO, der Welthandelsorganisation (englisch: World Trade Organization), geht. Nach jahrelangen Verhandlungen wurde Russland 2006 die Aufnahme in die WTO zunächst verweigert, was in Russland teilweise als Affront gewertet wurde.

Nach dem dann doch erfolgten Beitritt des Landes im Sommer 2012 machte sich schon ein paar Monate später in Russland selbst Ernüchterung breit, weil zunächst nur internationale Handelsketten und Dienstleister von der neuen Situation profitierten. Umgekehrt wurde Russland vorgeworfen, sich unzureichend auf die WTO-Mitgliedschaft vorbereitet zu haben.

Aber auch in der Ukraine wurde im Laufe der Jahre, besonders seit 2013, die Begeisterung für einen EU-Beitritt verhaltener, wie Meinungsumfragen zeigten. Grund dafür waren seitens Russlands willkürlich verhängte Importbeschränkungen für Waren aus der Ukraine, also letztlich wirtschaftlicher Druck, wie er auch gelegentlich von der EU ausgeübt wird, dann aber unter der Bezeichnung "notwendige Sanktionen". Aber auch die klare Ankündigung aus EU-Kreisen, die Menschen in der Ukraine müssten sich auf dem Weg nach Europa auf eine lange Phase wirtschaftlicher Probleme - im Klartext: Sozialabbau und Verarmung - einstellen, dämpfte für viele Menschen in der Ukraine den Reiz eines baldigen EU-Beitritts.

Fazit: Wie bei allen Krisen und Konflikten spielen auch im Falle der Ukraine ganz einfach unterschiedliche Interessen, vor allem wirtschaftlicher und strategischer Art, die entscheidende Rolle. Da unterscheidet sich diese Krise nicht von anderen der letzten Jahrzehnte.

Doch auch hinsichtlich der politischen Methoden von USA/EU/Nato gibt es eine nur auf den ersten Blick erstaunliche Konstante, und die ist ganz unabhängig davon, wer gerade im Weißen Haus wohnt: Für uns, also die sogenannte freie Welt, ist gut, was die Gegner politisch, militärisch, wirtschaftlich schwächt. Dabei sind alle Partner/Unterstützer/Agenten willkommen, ganz gleich, wie korrupt oder verbrecherisch sie handeln. Im Grunde ist es ziemlich gleichgültig, welche Krise dabei als Beispiel herangezogen wird, der Ablauf von Aktion und Reaktion bleibt bis auf Nuancen gleich.

Beispiel Afghanistan

Die Sowjetunion interveniert 1979 in Afghanistan, um ihre regionalen Interessen zu sichern, die USA und Saudi-Arabien unterstützen die Mudschahedin im Kampf gegen die Sowjettruppen mit mehreren hundert Millionen Dollar pro Jahr. Viele Menschen fliehen nach Pakistan. Hauptsächlich Afghanistan-Flüchtlinge in Pakistan bilden das Rekrutierungspotenzial für die dadurch immer stärker werdenden Taliban. Und genau diese Taliban, die ein paar Jahre später wegen ihrer Verbindung zu Al-Kaida - verantwortlich für die Anschläge am 11. September 2001 - ein großes Problem für den Westen werden sollten, wurden noch Mitte der 1990er Jahre von den USA unterstützt. Der Grund: Man schätzte sie als antiiranisch ein, und alle antiiranischen Gruppierungen waren seit der Geiselnahme von 444 US-Bürgern am 4. November 1979 in Teheran den USA als Partner willkommen.

Beispiel "Islamischer Staat"

Die Kette der westlichen Fehleinschätzungen geht weiter im sogenannten "arabischen Frühling", wo so gut wie jede Gruppierung, die in Opposition zu den lokalen Herrschern stand, von den USA als möglicher Alliierter betrachtet wurde. Besonders deutlich wird dies im immer noch tobenden Krieg in Syrien. Der Iran wird inzwischen vom Westen - freilich noch etwas zögerlich - als mögliche Ordnungsmacht in der Region betrachtet; genau der Iran, der noch vor wenigen Jahren wegen seines Atomprogramms als übelster Störenfried im nahen Osten ("Achse des Bösen") galt.

Und auch die kurdischen Kämpfer, noch vor ein paar Jahren "Terroristen", die dem Nato-Land Türkei an den Kragen wollten, haben innerhalb weniger Wochen eine erstaunliche Karriere hingelegt: Die deutsche Militärministerin überbringt höchstpersönlich moderne Waffen, und Bundeswehrausbilder schwärmen vor laufender Kamera von den absolut erstklassigen und disziplinierten Peschmerga-Soldaten, die bei der Bundeswehr an diesen Waffen ausgebildet werden. Und wer ist der Feind, gegen den die Peschmerga losziehen sollen? ISIS, heute IS genannt, heißt die radikalislamische Gruppierung, die offenbar über moderne (westliche) Waffen verfügt und schon lange nicht mehr für einen islamischen Staat nur in Syrien kämpft, sondern zumindest auch den Irak im Blick hat.

Glaubt man jüngst veröffentlichten Kommentaren politischer Beobachter, dann wird der "Islamische Staat" u. a. von der Türkei unterstützt oder zumindest geduldet. Türkei? Das war doch einmal die stabile Südostflanke der "freien" Nato-Welt, oder? Die Türkei verfolgt in diesem Konflikt aber offenbar ganz eigene Interessen, zu deren Durchsetzung zumindest eine gewisse Duldung des IS als sinnvoll erachtet wird. Ziel der türkischen Politik könnte die Oberhoheit im nördlichen Syrien sein, um von dort aus das Assad-Regime zu stürzen. Die türkische Präsenz in Nordsyrien wäre aber gleichzeitig das Aus für alle Träume von einem freien Kurdistan.

Das Ergebnis dieser fast unüberschaubaren und hier auch nur im Ausschnitt dargestellten Gemengelage - von Libyen oder Israel zum Beispiel war gar nicht die Rede - ist ein mehr oder weniger andauernder Krieg mit immer neuen Schauplätzen und immer neuen Konfliktparteien. Folge davon ist der Niedergang einer potenziell reichen Weltregion, in der ehemals funktionierende Staaten zusammenbrechen und Flüchtlingsströme zum Normalzustand werden.

Schlussfolgerungen

Welche Schlüsse lassen sich aus dieser - notwendigerweise unvollständigen - Bestandsaufnahme ziehen?

• Es fehlt der westlichen Politik ein glaubwürdig vertretbares und allgemein akzeptiertes Ziel. Grund dafür sind unterschiedliche Interessen der USA und der meisten Länder Europas.

• Die USA sind zu einer auf Ehrlichkeit und Interessenausgleich beruhenden Politik nicht bereit oder fähig.

• EU-Europa ist bei der Formulierung einer eigenen Außenpolitik gescheitert.

• Der Nahe Osten ist und bleibt wegen des Reichtums an fossilen Rohstoffen, der Zerstrittenheit der arabischen Welt und des Einflusses fremder Akteure der bedrohlichste Krisenherd der Welt.

• Der Nutznießer dieser Situation wird voraussichtlich China sein.

Worin könnten Lösungsansätze für Deutschland bzw. die EU liegen?

Ohne einen radikalen Paradigmenwechsel der europäischen Politik wird es nicht gehen. Schon viel zu lange wird, besonders in Deutschland, von Politikern aller möglichen Parteien immer wieder behauptet, diese oder jene Entscheidung sei im Interesse Europas oder Deutschlands. Aber fast immer werden in Wirklichkeit Interessen der USA berücksichtigt. Daher wird sich die Europäische Union zunächst der unbequemen Aufgabe stellen müssen, eigenständige außenpolitische Ziele zu formulieren. Das bedeutet nicht, dass sich die EU zu einer dritten oder vierten Supermacht mit weltweiter Interventionsmacht aufblasen muss, aber ganz sicher bedeutet es, dass die EU als der entscheidende Wirtschaftsraum am Westrand des eurasischen Kontinents ihre ureigenen Interessen formuliert.

Dass dies auf eine Schwächung oder Abschaffung der Nato - zumindest in der jetzigen Form - hinausläuft, das dürfte klar sein. Ein Problem dabei wären sicher die ehemaligen Ostblockländer, die erst vor wenigen Jahren Nato-Mitglieder geworden sind, aber auch Nato-Länder der ersten Stunde. Ihre Sicherheitsbedenken wären wohl nur durch die Aufstellung einer kollektiven europäischen Verteidigungsarmee zu zerstreuen, was aus pazifistischer Sicht zwar nicht attraktiv, aber am Ende vielleicht das kleinere Übel wäre, weil diese Armee auf keinen Fall die Fähigkeit zur weltweiten Intervention hätte. Relativ kurzfristig müsste die Schließung oder zumindest drastische Verkleinerung der US-Basen in Europa zu erreichen sein.

Die obigen Überlegungen bewegen sich nicht im Rahmen der Thesen, wie sie üblicherweise in der Friedensbewegung vorgetragen werden (Abschaffung aller Atomwaffen, Frieden für Afghanistan usw.). Sie sind politisch-strategischer Natur und nur mittelfristig zu bewältigen. Will man die genannten Ziele angehen, muss sich die Friedensbewegung - oder vielleicht auch nur die DFG-VK - stärker politisch positionieren, denn für die genannten Ziele müssen Mehrheiten organisiert werden.


Ernst Rattinger ist seit Jahrzehnten aktiv in der DFG-VK-Gruppe Mittelbaden.

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - November 2014, S. 4-7
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. November 2014


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