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STANDPUNKT/134: "Einsatz von Kampfdrohnen ist ein Verbrechen" (ZivilCourage)


ZivilCourage Nr. 4 - Oktober/November 2015
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK

"Einsatz von Kampfdrohnen ist ein Verbrechen"
Rede beim Friedensmarkt auf dem Potsdamer Platz in Berlin am 30. August zum Antikriegstag

Von Elsa Rassbach


Mit einem eklatanten Verbrechen, der Explosion von Atomwaffen über Hiroshima und Nagasaki vor siebzig Jahren, wurde sofort klar, dass sich ein die ganze Menschheit bedrohender Paradigmenwechsel in der Kriegsführung vollzogen hatte. Der neue Paradigmenwechsel, die weltweite Überwachung und Tötungen durch Drohnen, kommt jedoch in einem Mantel der Geheimhaltung schleichend auf uns zu. Nur durch die Enthüllungen von mutigen Nicht-Regierungsorganisationen, Journalisten und Whistleblowern werden wir nach und nach mit den Umrissen einer düsteren und freiheitsberaubenden neuen Welt konfrontiert, in der alle überwacht und durch Drohnen getötet werden könnten.

Ich möchte drei Beispiele nennen, die klarmachen sollen, wie rasch diese bedrohliche neue Welt auf uns zukommt.

• Am 16. August gab das Pentagon bekannt, dass die Anzahl der Kampfeinsätze von US-Drohnen über die nächsten vier Jahre um 50 Prozent erhöht werden soll. Die Überwachung und andere Einsätze werden im Irak, in Syrien, im Südchinesischen Meer, in Nordafrika und auch auf die Ukraine ausgeweitet. 2004 gab es fünf US-Drohnen-Kampfeinsätze pro Tag. Heute sind es 61, im Jahr 2019 sollen es 90 pro Tag werden.

• 2017 bekommt die Nato erstmalig ein eigenes Drohnen-System, das Nato-AGS (oder "Alliance Ground Surveillance"). Das Nato-AGS, bestehend vorerst aus fünf riesigen US-Global-Hawk-Überwachungsdrohnen, ist unter dem Befehl von Ramstein und seinem Kommandeur, US-General Philip Breedlove, oberster Befehlshaber aller US-Truppen in Europa und gleichzeitig der Supreme Allied Commander der Nato in Europa. Kurioserweise bedeutet Breedlove auf deutsch "Liebe ausbrüten"! Nicht nur wird in Ramstein heftig investiert, sondern auch zum Beispiel im US-Nato-Stützpunkt in Sizilien und dem in Kalkar in Deutschland. Beide Basen sind letztendlich unter Befehl von Ramstein und diesem Breedlove.

• Vor einigen Tagen wurde berichtet, dass die Polizei im US-Bundesstaat North Dakota zur Bekämpfung von Straftaten und zur Sicherung der Landesgrenze nun bewaffnete Drohnen, ausgestattet mit Pfefferspray, Gummigeschossen und Elektroschockpistolen, einsetzen darf. Elektroschockpistolen bei Polizeieinsätzen in den USA haben in den letzten Jahren Hunderte umgebracht. Vermutlich werden einige hier in Deutschland dem US-Beispiel folgen wollen, um ebenfalls so etwas zu probieren. Schon jetzt setzt die Polizei in vielen Ländern der Welt, auch in einigen deutschen Bundesländern, Drohnen zur Überwachung ein.

Im weltweiten Kampf gegen diese schrecklichen Entwicklungen kommt der deutschen Bevölkerung eine sehr wichtige Rolle zu.

Spätestens mit der Veröffentlichung im "Spiegel" am 18. April ist weitgehend bekannt geworden, dass die US-Air-Base Ramstein eine zentrale Rolle bei allen US-Drohneneinsätzen im Nahen und Mittleren Osten, in Afghanistan und Pakistan, in Afrika und nun auch in Ukraine spielt.

Im Koalitionsvertrag von CDU, CSU, und SPD wurde festgestellt: "Extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen mit bewaffneten Drohnen lehnen wir kategorisch ab."

Weil Ramstein auf deutschem Hoheitsgebiet liegt, hat die Bundesregierung eigentlich die Macht, die extralegalen Drohnen-Tötungen der US-Regierung sehr zu erschweren oder sogar ganz zu stoppen. Wenn die Bundesregierung die Rechtsverletzung duldet, wird sie Mittäterin. Und durch die Duldung der Rechtsverletzung besteht die Gefahr, dass das Recht selbst entkräftet und letztendlich bedeutungslos wird. Werden wir diesen gefährlichen Zustand endlos tolerieren?

Die neuen Initiativen der Friedensbewegung zu Ramstein sind zahlreich. Ich kann deswegen hier nur ein paar Beispiele nennen. Ende Mai veranstalteten Friedens- und Menschenrechtsaktivisten Mahnwachen in Solidarität mit Überlebenden eines CIA-Drohnen-Anschlags in Jemen, die gegen die Bundesregierung wegen der Rolle Ramsteins Klage erhoben haben. Dabei wurde ein Offener Brief zu Ramstein an die Bundeskanzlerin, unterzeichnet von zahlreichen US-Friedensaktivisten und -organisationen, präsentiert. Im Juni fand eine Mahnwache der Linke-Fraktion in Ramstein statt.

Statt Kriegsverbrechen auf deutschem Boden zu bestrafen ist die Bundesregierung schon jetzt dabei, "bewaffnungsfähige Drohnen" und deren Bewaffnung entweder von Israel oder den USA auszuwählen. Ende 2015 oder Anfang 2016 soll im Haushaltsausschuss darüber abgestimmt werden. Die Bundesregierung bekundet auch die Absicht, in eine Reihe europäischer, deutscher und Nato-Drohnenprojekte zu investieren.

Wenn die Bundesregierung sich auf diesen gefährlichen Irrweg begibt, statt sich für eine verantwortungsvolle Sicherheits- und Abrüstungspolitik einzusetzen, wird die Ausbreitung von Kampfdrohnen auf dem europäischen Festland kaum mehr aufzuhalten sein. Bis heute haben nur Israel, die USA und Großbritannien Drohnen zur Tötung eingesetzt, aber Italien, Frankreich und Holland haben alle neulich US-amerikanische bewaffnungsfähige Drohnen angeschafft.

Wir müssen diese Diskussionen zu Drohnen breiter und tiefer in die Bevölkerung bringen. Dafür haben wir die Unterschriftensammlung der Drohnen-Kampagne, die wir gerade in den kommenden Monaten kräftig unterstützen sollten.

Und weil die mehrheitliche Ablehnung von Kampfdrohnen in der Bevölkerung letztendlich durch Mehrheiten im Bundestag als Gesetzgebung durchgesetzt werden muss, sollten wir gerade zu dieser wichtigen Zeit Gespräche mit Abgeordneten in möglichst allen Fraktionen im Bundestag suchen. Unrealistisch? Ich glaube nicht. Als Beispiel dafür, dass wir diese Diskussion in einem breiteren politischen Spektrum führen könnten, als wir es gewohnt sind, möchte ich aus dem Drohnen-Beschluss des Parteitags der Berliner SPD vom Juni 2015 kurz vorlesen.

"Die SPD fordert, den Einsatz von bewaffneten Drohnen, inklusive Fernsteuerung und direkter Logistik, in Deutschland und von Deutschland aus auch für stationierte Truppen anderer Staaten zu verbieten, ... die öffentliche und private Forschung an bewaffneten Drohnen zu verbieten, und fordert die SPD-Bundestagsfraktion dazu auf, sich dafür einzusetzen, ab sofort keine Mittel für bewaffnete Drohnen zu bewilligen." Der Antrag wurde von den Jusos in Berlin-Mitte geschrieben und soll nun beim Bundesparteitag der SPD in Dezember in Berlin weiter diskutiert werden.

Als Kind im US-Bundesstaat Colorado in den 1950er Jahren wurde ich manchmal durch furchtbare Alpträume von der damals sehr realistischen Gefahr eines Atomwaffenkriegs geplagt. Doch von 1945 bis heute konnte ein weiterer Einsatz von Atomwaffen verhindert werden - und zwar nicht nur durch das Gleichgewicht des Schreckens, sondern auch, vielleicht vorwiegend, durch die noch andauernde jahrzehntelange Friedensarbeit von vielen Menschen und Institutionen.

Wie die Atomwaffengegner müssen wir uns in den Anti-Drohnenkampagnen auf einen langen weltweiten Friedenskampf einstellen. Es gibt noch keine Rüstungskontroll-Abkommen zu Drohnen, und die Gesetze, die notwendig wären, um Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern sogar in entwickelten Ländern vor Drohnen zu schützen, sind mangelhaft oder fehlen völlig.

Wir können die Entwicklung von Überwachungs- und Drohnentechnologie nicht stoppen. Aber auf unserer Seite ist der Wille der überwältigenden Mehrheit der Menschen weltweit, wie in Deutschland, die den Einsatz von Drohnen für Überwachung und Tötung entschieden ablehnt. Deswegen ganz sicherlich: "We shall overcome!"

Die US-Amerikanerin Elsa Rassbach lebt in Berlin und ist aktiv in der DFG-VK.

www.youtube.com/watch?v=BJoyd5YS6rk

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Quelle:
ZivilCourage Nr. 4 - Oktober/November 2015, S. 32-33
Das Magazin für Pazifismus und Antimilitarismus der DFG-VK
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
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Erscheinungsweise: zweimonatlich, sechs Mal jährlich
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Einzelheft: 2,30 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2015

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