Schattenblick → INFOPOOL → BÜRGER/GESELLSCHAFT → FRIEDENSGESELLSCHAFT


STANDPUNKT/187: Polizeigesetze - Mobilmachung gegen die eigene Bevölkerung (ZivilCourage)


ZivilCourage - Nr. 1 / 2019
Magazin der DFG-VK

Mobilmachung gegen die eigene Bevölkerung
Die Polizeigesetze der Bundesländer werden massiv verschärft

Von Felix Oekentorp


Szenario 1: Die pensionierte Religionslehrerin Margit A. erfährt, dass ein öffentliches Gelöbnis in ihrem Ort stattfinden soll. Das hat es seit 1945 nicht mehr gegeben, und sie ist empört. Aus den Medien erfährt sie außerdem, dass es eine Kundgebung gegen dieses Gelöbnis geben soll. So engagiert sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben politisch, die Beteiligung an den Bundestags-, Landtags- und Kommunalwahlen nicht mitgezählt. Auf dieser Kundgebung wird sie Zeugin, wie die Polizei massiv gegen Mitdemonstrierende vorgeht. Das widerspricht ihrem Gerechtigkeitssinn, und so mischt sie sich ein. Als sie dem Platzverbot nicht sofort Folge leistet, setzen die Beamten Taser ein. Sie stirbt noch am Kundgebungsort.

Szenario 2: Der Aktivist Walter H. engagiert sich seit Jahren gegen Rüstungsproduktion und -export. Er hat einen Job als selbstständiger Mediengestalter, die Geschäfte gehen so halbwegs, es reicht, um seine Familie zu ernähren. Als er von einem Skandal in der örtlichen Rüstungsschmiede erfährt, beginnt er, eine symbolische Blockade zu organisieren. Bei der Mobilisierung von Mitstreiter*innen bleibt es nicht aus, dass die Polizei davon etwas erfährt und sein Telefon abhört. Noch ist ungeklärt, ob und wer die symbolische Blockade als Kundgebung anmeldet, es sind ja noch fast zwei Wochen, da stehen die Beamten vor seiner Tür und nehmen ihn für 14 Tage in Unterbindungsgewahrsam. In den Zeitraum fällt die Abgabe seines laufenden lukrativen Projekts, statt eines stattlichen Honorars fällt eine saftige Vertragsstrafe an.

Szenario 3: Umweltaktivist*innen blockieren einen Bagger im Tagebau Garzweiler. Sie werden wegen angeblichen Hausfriedensbruchs festgenommen. Bei einigen von ihnen lässt sich die Identität nicht feststellen. Das Gericht ordnet eine Gewahrsamnahme für die Dauer von fünf Tagen an.

Nicht möglich? Zu weit hergeholt? Leider nicht! Wir haben es mit unserem Bündnis "Polizeigesetz NRW stoppen" nicht geschafft, das sogenannte Sicherheitspaket 1 zu verhindern. Im Frühjahr 2018 hatte CDU-Innenminister Reul seine Überlegungen auf den Tisch gelegt, am 7. Juli gab es dagegen eine Großdemo in Düsseldorf mit 20.000 Teilnehmer*innen. Danach wurde hinter den Kulissen weiter gearbeitet, sowohl im Landtag als auch außerparlamentarisch.

Zu Szenario 1: Als angeblich nichttödliche Waffe werden die im Gesetz korrekt benannten Distanzelektroimpulsgeräte, landläufig nach dem ursprünglichen marktführenden Hersteller Taser bezeichnet, gewertet. Pirmasens liegt in Rheinland-Pfalz, an der Grenze zum Saarland, also nicht in NRW. Dort wurde nach zahlreichen nachgewiesenen Todesfällen mit diesen Waffen in den USA der Gegenbeweis zur Nichttödlichkeit dieser Taser erneut erbracht, diesmal auch in Deutschland, am 18. Januar 2019. (Anm. d. Red.: Vgl. z.B.
www.spiegel.de/panorama/justiz/pirmasens-mann-stirbt-nach-taser-einsatz-der-polizei-a-1249310.html)

Zu Szenario 2: Im neuen Paragraf 38 Absatz 2 Satz 1 Polizeigesetz NRW ist festgelegt, dass die Dauer des Gewahrsams auf 14 Tage ausgedehnt werden kann, wenn der Verdacht auf Vorbereitung einer Straftat vorliegt. Also nicht eine Verurteilung als Strafe wegen eines Gesetzverstoßes, sondern Knast auf Verdacht, nicht in der Justizvollzugsanstalt, sondern in der Zelle im Polizeipräsidium. NRW-Innenminister Reul hält diese Frist von zwei Wochen für "maßvoll", und gemessen an der inzwischen möglichen Maximaldauer von drei Monaten in Bayern und drohenden 74 Tagen in Niedersachsen ist es das wohl auch.

Zu Szenario 3: Das Amtsgericht Erkelenz verfügte am Samstag, 9. Februar 2019, die Gewahrsamnahme der AktivistInnen zur Identitätsfeststellung bis zum Donnerstag, 14. Februar. Nach dem alten Polizeigesetz NRW, abgeschafft zum Jahresende 2018, hätte eine Maximaldauer von 12 Stunden Gewahrsam für die Identitätsfeststellung gegolten.

Auf dem Weg in den Polizeistaat? NRW ist nicht einmal der Vorreiter dieser bedrohlichen Entwicklung einer Aufrüstung des Staates gegen seine Bevölkerung. Den Anfang machte Bayern im Mai letztes Jahr mit der Vorlage im Landtag, dieses bayrische Polizeigesetz wurde im Sommer 2018 beschlossen. Die Maximaldauer des sogenannten Unterbindungsgewahrsams beträgt dort nun drei Monate. Maßlos ist das und ohne Vergleich in anderen Bundesländern, bislang. Auch in anderen Bundesländern drohen teilweise brutale Verschärfungen, wenn die geplanten Änderungen beschlossen werden. Und mancherorts sind diese bereits Gesetz.

Baden-Württemberg, Regierungskoalition: Grüne und CDU, verschärfte sein Polizeigesetz bereits 2017. Nun sind Polizei und Verfassungsschutz befugt, aufgrund eines Verdachts die private Telekommunikation zu überwachen, auch per Staatstrojaner, die Sicherheitslücken auch für kriminelle Hacker öffnen. Unter bestimmten Umständen dürfen Sprengmittel gegen Personen eingesetzt werden, z.B. Handgranaten, Sprenggeschosse, die aus Schusswaffen verschossen werden können, und konventionelle Sprengmittel. Das erinnert an Bürgerkriegsvorbereitung statt an Sicherheitspolitik. Eine biometrische Analyse von Kameraaufnahmen im öffentlichen Raum ist zwar nicht explizit benannt, aber auch nicht ausgeschlossen.

Brandenburg, Regierungskoalition: SPD und Linke: Vier Wochen geplante Maximaldauer von Präventivhaft soll möglich werden, die Schleierfahndung soll ausgeweitet werden, diese ist bislang nur im Grenzgebiet zu Polen möglich. Das Gesetzgebungsverfahren läuft, die erste Lesung war am 14. November 2018, jetzt liegt es beim Ausschuss für Inneres.

In Thüringen, Regierungskoalition: Linke, SPD und Grüne, beträgt die Maximaldauer der Gewahrsamnahme 24 Stunden ohne eine richterliche Entscheidung, mit richterlicher Entscheidung sind es dann doch 10 Tage. Trojaner sind erlaubt, und auch das Unterbrechen und Verhindern von Kommunikationsverbindungen ist möglich. Das Verwanzen von Wohnungen ist seit 2013 erlaubt.

Bremen, Regierungskoalition: SPD und Grüne: Spätestens am Ende des Tages nach ihrer Ergreifung ist eine Person nach Paragraf 18 des Bremer Polizeigesetzes freizulassen. So steht es im Gesetz, das zuletzt im November 2017 geändert worden ist. Ein Bundesland wie im Märchen, klein aber fein.

Berlin, Regierungskoalition: SPD, Linke und Grüne: Das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz Berlin ist letztmals 2006 geändert worden, so will es uns gesetze.berlin.de in der Überschrift zum ASOG weismachen, listet aber dennoch auch die Änderungen seitdem akribisch auf. Im Jahr 2015 wurde die Möglichkeit der automatischen Autokennzeichenerfassung und das Abhören durch technische Mittel in Wohnungen beschlossen. Die Dauer der Freiheitsentziehung darf laut Paragraf 33 derzeit vier Tage nicht überschreiten.

Hamburg, Regierungskoalition: SPD und Grüne, hat letztmals im Jahr 2011 am Polizeigesetz geschraubt. Die Höchstdauer der Ingewahrsamnahme wurde dabei von 14 auf immer noch 10 Tage reduziert (§ 13c SOG)!

Sachsen, Regierungskoalition: CDU und SPD: Hier wird die Bewaffnung der Polizei erweitert um Maschinengewehre und Handgranaten - der Krieg gegen die Bevölkerung kann beginnen. Eine Quellen-TKÜ (Telekommunikationsüberwachung) bleibt ausgeschlossen, auch Trojaner. Die Maximaldauer der Freiheitsentziehung durch den Richter, ohne eine Straftat begangen zu haben, wird auf 14 Tage festgelegt. Die Landesregierung hat den Gesetzentwurf im September 2018 in den Landtag eingebracht. Ein Bündnis brachte am 26. Januar 2019 7.000 Menschen in Dresden zu einer Demo gegen das geplante neue Polizeigesetz auf die Straße.

Rheinland-Pfalz hat bereits im Juni 2017 mit der Ampelkoalition (SPD, FDP und Grüne) ein neues Polizeigesetz verabschiedet. Eine zunächst geplante Ausweitung der Videoüberwachung bei Großveranstaltungen mit mehr als 500 Menschen war nicht explizit im Gesetz verankert, weil dies unabhängig von der Größe einer Veranstaltung bisher schon möglich war. Eingeführt wurde auch die Möglichkeit der automatisierten Kennzeichenerfassung.

Niedersachsen, Regierungskoalition: SPD und CDU: 74 Tage Maximaldauer für Durchsetzungs- und Präventivgewahrsam sollen ermöglicht werden, zunächst für 30 Tage, zweimal verlängerbar um erst weitere 30, dann um 14 Tage. Taser sollen als Waffe vorrangig zum Einsatz kommen, noch vor dem Schlagstock. Telekommunikationsüberwachung soll erheblich erleichtert werden, Wohnungen sollen verwanzt werden dürfen. Damit käme man der Vorlage aus Bayern recht nah. Proteste dagegen gab und gibt es. Zeitgleich mit der NRW-Demo am 8. Dezember 2018 demonstrierten auch in Hannover 6.000 Menschen gegen das drohende niedersächsische Polizeigesetz. Diverse lokale Demos gab es auch schon in Niedersachsen, so im August in Osnabrück und Braunschweig, in Lüneburg und Hannover.

Das Bündnis #noNPOG dem zahlreiche Organisationen und Parteien von Grünen über Linke und Piraten, Jusos, Fußball-Fan-Initiativen, Gewerkschaften, Asten, attac, IPPNW, aber (noch) nicht die DFG-VK, angehören, hatte auch schon am 8. September 2018 eine Großdemo in Hannover mit 1.000 Teilnehmer*innen organisiert.

Der Vorgang liegt im Gesetzgebungsverfahren, zuletzt war der Ausschuss für Inneres und Sport am 31. Januar 2019 damit befasst. Im Landtag gab es auf Antrag der Grünen eine aktuelle Stunde am 13. September 2018, darin sprach Belit Onay, Grüne, angesichts der Präventivhaft von einem Paradigmenwechsel, einem "rechtlichen Salto Mortale". Weiter benannte er die Sorgen der Menschen, die durch die Teilnahme an der hannoverschen Großdemo zum Ausdruck gebracht wurde: "Eine Sorge um unsere Demokratie, um unsere Freiheit, um unsere freiheitliche Grundordnung, um unsere offene Gesellschaft." Bei seiner Rede zum gleichen Tagesordnungspunkt "versprach" Jens Ahrends (AfD), seine Fraktion werde das Gesetz unterstützen. Jan-Christoph Oetjen (FDP) kritisierte die in dem NPOG geplanten Staatstrojaner und verwies darauf, dass die Dauer der Präventivhaft einzigartig sei: "Bis zu 74 Tage sind vorgesehen. So viel gibt es in keinem anderen europäischen Land." Noch ist dieses neue Gesetz nicht beschlossen, die GroKo, die gemeinsam über 105 gegen 32 Abgeordnete verfügt, scheint so übermächtig wie unbelehrbar.

Deutschland ist ein Flickenteppich, die Maximaldauer der Gewahrsamnahme, die Bewaffnung der Polizei, die Möglichkeiten, mit Trojanern und/oder Telefonüberwachung und Wanzen in der Wohnung bespitzelt zu werden, ist von Bundesland zu Bundesland teilweise erheblich unterschiedlich. Es macht auch nicht unbedingt einen Unterschied, welche Parteien die Regierung stellen.

Manche halten die SPD für eine mögliche Bremse gegen brutale Verschärfungen, wenn man sich aber die SPD-geführte große Koalition in Niedersachsen anschaut, dann erkennt man, dass diese eine extreme Maximaldauer für präventive Gewahrsamnahme anstrebt. Und die NRW-SPD hätte ohne Not und ohne Koalitionszwang gegen die erheblichen Verschärfungen stimmen können, das Regierungslager aus CDU und FDP hatte genug Stimmen für die Verabschiedung des sogenannten Sicherheitspaket 1. Der AfD in NRW gingen die Verschärfungen nur nicht weit genug, sie enthielt sich deshalb der Stimme.

Alle Verschärfungen, die komplette Generalmobilmachung gegen die eigene Bevölkerung geschieht mit einer Angstmache vor angeblichen Bedrohungen durch Terrorismus. Die Landesregierung von Brandenburg schreibt tatsächlich in einem FAQ zur geplanten Gesetzänderung, dass "eine tatsächliche Belastung nur für diejenigen entsteht, die sich nicht an Recht und Gesetz halten bzw. halten wollen." Halten wir dagegen, solange es noch geht!


Felix Oekentorp ist Landessprecher der DFG-VK NRW und ist von seinem Landesverband in das "Bündnis Polizeigesetz NRW stoppen" delegiert. Dieses arbeitet auch nach dem verabschiedeten Sicherheitspaket 1 weiter. Nähere Infos z.B. unter
https://polizeigesetz-stoppen.de/, dort auch weitere Links.

*

Quelle:
ZivilCourage - das DFG-VK Magazin, Nr. 1 / 2019, S. 8 - 10
Herausgeberin: Deutsche Friedensgesellschaft -
Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen e.V. (DFG-VK)
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Redaktion: ZivilCourage - das DFG-VK-Magazin,
Werastraße 10, 70182 Stuttgart
Telefon: 0711 - 51 89 26 20
E-Mail: zc@dfg-vk.de
Internet: www.zc-online.de
 
Erscheinungsweise: fünf Mal jährlich
Jahres-Abonnement: 14,00 Euro inklusive Porto
Einzelheft: 2,80 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang