Schattenblick →INFOPOOL →WELTANSCHAUUNG → HUMANISTISCHE UNION

VERBAND/030: Server für anonyme Internetnutzung bereitgestellt (Mitteilungen)


MITTEILUNGEN Nr. 200, I - April 2008
Humanistische Union für Aufklärung und Bürgerrechte

Unser Beitrag zur Wiederherstellung des Fernmeldegeheimnisses
Humanistische Union stellt Server für anonyme Internetnutzung bereit und richtet Fonds für Anonymisierungsdienste ein.

Von Sven Lüders


Die Humanistische Union bietet seit Anfang des Jahres einen frei zugänglichen Anonymisierungsserver im TOR-Netzwerk an. Mit diesem Server möchten wir auf die Möglichkeiten des Selbstdatenschutzes im Internet hinweisen und zur Popularisierung der Anonymisierungstechnik beitragen. Außerdem richtet die Bürgerrechtsorganisation einen Fonds für zweckgebundene Spenden ein, der zum Aufbau weiterer Anonymisierungsserver verwendet wird. Mit dem Angebot unterstreichen wir unsere Kritik an der Speicherung von Kommunikations-Verkehrsdaten, die seit dem 1. Januar 2008 in Deutschland gilt. Die Vertraulichkeit der (Internet-)Kommunikation und ihrer äußeren Umstände gehören für uns zu den Eckpfeilern einer freiheitlichen Rechtsordnung! Niemand darf allein deshalb, weil sie oder er sich anonym im Internet bewegt, zum Verdächtigen oder gar Mitschuldigen gemacht werden.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 19. März 2008, den staatlichen Zugriff auf die Vorratsdaten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes einzuschränken, war eigentlich mehr, als manche bürgerrechtlichen Skeptiker erwartet hatten. Die Hürden für ein Außer-Kraft-Setzen eines Gesetzes sind erfahrungsgemäß zu hoch, um sich auf diesem Weg vor einer drohenden Kommunikationsüberwachung schützen zu können. Mit ihrer einstweiligen Anordnung haben die Richter - entgegen anderslautenden Presseberichten - noch keine Entscheidung darüber getroffen, wie sie in der Sache am Ende entscheiden werden. Der Dreh- und Angelpunkt der Vorratsdatenspeicherung ist die staatliche Verpflichtung aller Telefon- und Internetprovider, sämtliche Verkehrsdaten ihrer Kunden für sechs Monate zu speichern. Das Verfassungsgericht sah darin sehr wohl einen Eingriff in das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, den es aber in Abwägung gegenüber den möglichen Folgen einer Aussetzung der Speicherpflicht als nachrangig einstufte. Die Speicherpflicht bleibt deshalb voraussichtlich bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts bestehen, die erst im nächsten Jahr erwartet wird.

Der sich anbahnende lange Rechtsstreit um die Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung zeigt einmal mehr, wie begrenzt ein (oft nur nachträglicher) Rechtsschutz gegen staatliche Überwachungsmaßnahmen ausfällt. Der Schutz der Privatsphäre sollte allein schon deshalb nicht den Politikern und Gerichten überlassen werden. Zur Etablierung datenschutzrechtlicher Standards bedarf es mündiger und selbstbewusster Bürgerinnen und Bürger, die sich ihre Privatsphäre erstreiten. Auch der Einführung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ging eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung gegen die Volkszählung voraus. Dies gilt heute ebenso für den Schutz der Privatsphäre im Internet.

Die Nutzung eines Anonymisierungsdienstes ist ein erster Schritt, seine privaten Daten im Internet besser zu schützen. Anonymisierungsdienste dienen grundsätzlich dazu, gegenüber einem entfernten Rechner zu verschleiern, wer von wo aus welche Informationen (z.B. Webseiten oder Dokumente) abgerufen hat.

Es gibt viele Gründe, die für eine anonyme Internetnutzung sprechen. Sei es nur, dass man sich später nicht dafür rechtfertigen will, weshalb einen bestimmte Informationen aus dem Internet interessieren. Darüber hinaus kann es ganz konkrete Motive für den Schutz der eigenen Privatsphäre geben, etwa:

für Rechtsanwälte, die sich im Internet über Themen informieren wollen, ohne gleich in den Verdacht der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu geraten;
 
für Journalisten, die auf vertrauliche Kontakte zu Informanten angewiesen sind;
 
für Mitglieder nichtstaatlicher Organisationen (NGOs), die ihre Mitarbeit in einer Organisation nicht preisgeben dürfen;
 
für Firmen, die Kontakte zwischen ihren Forschungseinheiten und Patentanwälten schützen wollen;
 
für Menschen, die Zensurmaßnahmen wie die Blockierung bestimmter Internetseiten oder Zugangsbeschränkungen zu einzelnen Diensten (z.B. Instant-Messaging-Services) umgehen wollen.


Warum wir?

Die Betreiber von Anonymisierungsdiensten sehen sich einem zunehmenden Druck seitens der Ermittlungsbehörden und der Politik ausgesetzt. Mit dem deutschen Umsetzungsgesetz wurden die Anbieter solcher Server verpflichtet, spätestens ab dem 1.1.2009 sämtliche Verkehrsdaten zu protokollieren. Das war in der europäischen Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nicht vorgesehen, demnach sollten nur Internetzugangsanbieter (und nicht die Anbieter von Telemediendiensten) zur Speicherung verpflichtet werden. Die Speicherung der Verkehrsdaten auf Anonymisierungsservern widerspricht natürlich deren Anliegen. Einige Beobachter sahen in dem deutschen Umsetzungsgesetz zur Vorratsdatenspeicherung fast schon ein Anonymisierungsverbot. Dies trifft jedoch weder formal noch praktisch zu: Der Betrieb und die Nutzung von Anonymisierungsdiensten ist in Deutschland nach wie vor zulässig. Zum Schutze des Fernmeldegeheimnisses sollte ein anonymer Internetzugang eigentlich der Regelfall sein. Außerdem ist eine Überwachung der Internetkommunikation selbst dann, wenn alle Server des TOR-Netzwerkes die durchlaufenden Verkehrsdaten protokollieren, erheblich erschwert bis unmöglich. Um die Kommunikation eines TOR-Benutzers zu rekonstruieren, müssten die Verkehrsdaten aller beteiligten Rechner des Netzwerkes ausgewertet werden. Bei einem Netzwerk mit weltweit verteilten Rechnern und einer alle 10 Minuten wechselnden Übertragungskette dürfte dieses Unterfangen in den meisten Fällen scheitern.

Da auch die Ermittlungsbehörden inzwischen bemerkt haben, dass Anonymisierungsserver ihnen die Arbeit erheblich erschweren können, haben sie private Betreiber solcher Dienste zunehmend unter Druck gesetzt. In informellen Gesprächen wurden sie aufgefordert, künftig keinen Anonymisierungsdienst mehr anzubieten - sie würden damit nur Kriminellen helfen, ihre Taten zu vertuschen. Anderen Betreibern wurde eine Beihilfe zu Straftaten vorgeworfen. Dieser Vorwurf ist genauso absurd wie die Unterstellung, die Deutsche Post trüge die Verantwortung für den Versand von Erpresserbriefen. Kurzum: Die private Bereitstellung eines Anonymisierungsdienstes ist in Deutschland mittlerweile eine nervenaufreibende und mitunter kostspielige Angelegenheit. Die Betreiber müssen damit leben, dass ihre Rechner häufiger beschlagnahmt und wochenlang von den Ermittlern ausgewertet werden.

Vor diesem Hintergrund hat der Bundesvorstand der Humanistischen Union entschieden, dass wir als Verband selbst einen Anonymisierungsserver anbieten. Als Organisation, die mit viel juristischem Sachverstand ausgestattet ist, möchten wir jenen selbstbewussten, engagierten Bürgern den Rücken stärken, die seit längerem durch den Betrieb von Anonymisierungsservern zu einem besseren Schutz der Privatsphäre im Internet beitragen. Außerdem verbessert unser Server die Übertragungskapazität des stark frequentierten TOR-Netzwerkes. Die Nutzung eines anonymen Internetzugangs ist gegenüber den heute verbreiteten Breitbandanschlüssen wesentlich langsamer. Das ist der Leistungsfähigkeit der weltweit verfügbaren TOR-Server geschuldet. Die insgesamt über 2000 registrierten Server des TOR-Netzwerkes haben eine Übertragungskapazität von etwa 395 MByte/Sekunde (Daten vom 18.3.2008), die sich alle Nutzerinnen und Nutzer des Dienstes teilen. Jeder leistungsfähige Anonymisierungsserver - wie der von der HU angebotene Rechner mit ca. 5,5 MByte/Sekunde - verbessert deshalb den Komfort des Anonymisierungsdienstes.


Mitstreiter gesucht, Unterstützung erwünscht

Wir sind uns bewusst, dass die Bereitstellung eines Anonymisierungsservers nur ein erster, symbolischer Beitrag für den Schutz der digitalen Privatsphäre sein kann. Als rechtspolitisch anerkannter Verband sehen wir uns in der Lage, die Idee einer anonymen Nutzung des Internets in neue Kreise zu tragen. Derartige Angebote, die seit längerem von zahlreichen Aktivisten und Organisationen wie dem Chaos Computer Club oder dem FOEBUD unterhalten werden, haben bisher leider nicht die Aufmerksamkeit in einer breiten, technisch unvorbelasteten Öffentlichkeit gefunden. Deshalb möchten wir mit unserem Engagement andere Organisationen aus unserem Umfeld dazu anregen, unserem Beispiel zu folgen und ebenfalls Anonymisierungsdienste anzubieten. Wir werden deshalb zahlreiche NGOs, mit denen wir kooperieren, konkret auf ihre Möglichkeiten zur Verbesserung der Privatsphäre im Internet ansprechen. Organisationen, die sich mit dem Gedanken tragen, selbst zum Anbieter von Anonymisierungsdiensten zu werden, beraten wir gern bei diesem Vorhaben.

Darüber hinaus bieten wir auch Einzelpersonen die Gelegenheit, die Idee einer anonymen Internetnutzung zu unterstützen. Die Humanistische Union hat dafür einen Spendenfonds eröffnet, dessen Mittel ausschließlich zum Betrieb weiterer Anonymisierungsserver genutzt werden sollen. Mit einer einmaligen oder regelmäßigen Spende auf unser Spendenkonto (s. Infokasten) können Sie deshalb zum Ausbau des TOR-Netzwerkes beitragen. Der Betrieb unseres Servers kostet uns jährlich etwa 800 Euro. Sobald in dem Fonds ein entsprechender Spendenbetrag zusammen kommt, werden wir aus diesen Mitteln weitere Server in Betrieb nehmen. Über die erhaltenen Zuwendungen und die Kosten für den Anonymisierungsdienst werden wir jährlich berichten.

Sven Lüders ist Geschäftsführer der Humanistischen Union e.V.


Mit Ihrer Spende verhelfen Sie zu mehr Anonymität im Internet:

Konto 3074200
BLZ 100 205 00
Bank für Sozialwirtschaft
Kennwort: Anonymisierungsdienst
Onlinespende möglich unter:
www.humanistische-union.de/shortcut/spende


*


Quelle:
Mitteilungen der Humanistischen Union e.V.
Nr. 200, I - April 2008, S. 8-9
Herausgeber: Humanistische Union e.V.
Greifswalder Straße 4, 10405 Berlin
Tel: 030/204 502 56, Fax: 030/204 502 57
E-Mail: info@humanistische-union.de
Internet: www.humanistische-union.de

Die Mitteilungen erscheinen viermal jährlich.
Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Mai 2008